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45 Jahre Who’s Next – Futurama hinter blauen Augen

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Nein, das sind nicht die Schatten der Musiker von The Who, die sich auf dem Monolithen abzeichnen, den das Albumcover von Who’s next? ziert und die da von der Nachmittagssonne hingeworfen scheinen. Stattdessen wurde in einem Akt des Ikonoklasmus ein Objekt mit unklarer Funktion – Pardon – angepisst. Ganz schön unelegant! Gleichzeitig soll das Foto eine Referenz an Stanley Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum darstellen, von dem die vier Musiker zutiefst beeindruckt waren.


 

Man kam, sah und pinkelte. Dabei wäre diese Form der archaischen Terrainmarkierung auf den Weiten einer Abbruchhalde im englischen Easington Colliery gar nicht nötig gewesen, das Album des Rock-Quartetts war an sich eigentlich Statement genug. Am 14. August 1971 als fünftes Album erschienen wurde es ein Instanterfolg, gewann Gold und dreimal Platinum und wird heute als das beste Album von The Who gefeiert.

1970 fanden die vier Musiker sich in einer schwierigen Situation wieder: ihre Fans, die rüpelnden englischen Mods hatten geheiratet, waren in die Vorstädte gezogen und brachten abends ihre Kinder ins Bett, statt sich in verrauchten Kneipen mit Rock´n`Roll Fans zu prügeln und auf Konzerte zu gehen. Die wichtigste Fanbase war erwachsen geworden und drohte verloren zu gehen. Zudem waren The Who seit 1969 mit der äußerst beliebten Rockoper Tommy auf Tour gewesen und hatten damit alle großen Festivals gespielt, unter anderem Woodstock und das Isle of Wight Festival. Weltweit kannten nun Millionen Fans die Musik von Townshend, Daltrey, Entwistle und Moon und verlangten nach neuem Material.


The-Who


Nachdem sich eine neue von Pete Townshend geschriebene Rockoper namens Lifehouse als unbeliebt bei den Fans erwies, stand die Auflösung der Band kurz bevor. Ratlosigkeit, Streit und künstlerische Differenzen sowie ein den harten Drogen verfallener Produzent bestimmten das Jahr 1970. Das Album Who’s next? hätte korrekter What’s next? – Wie soll es weitergehen? heißen müssen, wären The Who nicht den Wortspielen so sehr verfallen.

Im Haus von Mick Jagger in dessen mobilem Studio fanden schließlich im April 1971 die ersten Aufnahmen statt. Doch nur einzelne Song-Fragmente aus diesem Studio in Stargrove sollten es auf die Platte schaffen. Stattdessen zogen die vier Musiker bald ins Olympic Studio im Londoner Stadtteil Barnes um, wo sich auch ein neuer Produzent namens Glyn Johns fand, der bemüht um einen guten Sound war, statt sich wie sein Vorgänger Kit Lambert hauptsächlich um das Image der Band als Gitarren zertrümmernde Raudis zu kümmern. Besonders auf diesem Album ist der Einsatz einer der ersten Synthesizer, gut zu hören auf dem Opener  Baba O’Riley und Won’t Get Fooled Again dessen gurgelnder Orgelklang hypnotisiert.



Aber es ist natürlich Behind Blue Eyes, der heute zu den berühmtesten The Who-Songs überhaupt zählt. Wie Pure and Easy ist Behind Blue Eyes ein Überbleibsel von Townshends futuristischer Oper Lifehouse, die zwar nicht als Album herauskam, deren Spuren sich aber durch mehrere Alben ziehen. Behind Blue Eyes handelt von dem Hauptprotagonisten Bobby, der in einer totalitären Gesellschaft lebt, ähnlich jener aus George Orwells 1984, in der Musik verboten ist. Bobby ist ein rebellischer Radio DJ und schafft es, Musik in die isolierten Haushalte der Menschen zu schleusen. Dabei bedient er sich des sogenannten Grid, das sich Townshend ähnlich ausgedacht hatte wie das heutige Internet. Ganz schön visionär!


Schaut euch hier eine Live-Version von Behind Blue Eyes an:


 

Die oft gecoverten Lyrics von Behind Blue Eyes sind dann jedoch wenig hoffnungsvoll:

No one knows what it’s like

To be the bad man

To be the sad man

Behind blue eyes

Andererseits scheint sich hinter diesen blauen Augen auch etwas Geheimnisvolles zu verbergen, eine unberechenbare Komponente in der totalitären Welt von Lifehouse. Dass Limp Bizkit den Song viele Jahre später coverten, kann man als Anmaßung verstehen. Nicht, dass Sänger Fred Durst die Autorität dafür besessen hätte, wie es beispielsweise bei Hurt der Fall war, einem Nine Inch Nails Song, den sich Johnny Cash für eine herzerwärmende Interpretation borgte.


Schaut euch hier die Live Performance von Baba O’Riley in Texas (1975) an:


Die Idee, dass Musik die Menschen und die Gesellschaft verändern kann, war für Townshend ein wichtiger Antrieb für seine Musik. Tief beeindruckt von seinem indischen Guru Meher Baba, dem Townshend Baba O’Riley widmete, wurde Musik für den Ausnahmemusiker zu etwas mystischem. Ein weiteres Motiv des Albums ist die bereits erwähnte Faszination für futuristische Szenarien, ein Thema, das viele Musiker und Künstler der Zeit umtrieb. Drei Jahre vor Who’s next? war Stanley Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum erschienen.


 


Ein drittes Thema war die kritische Auseinandersetzung mit dem, was manche Studenten und Künstler der damaligen Zeit als Revolution bezeichneten. Ähnlich wie die Beatles 1968 in Revolution sangen, sahen auch The Who die Studentenproteste und den Wunsch nach einem radikalen Machtwechsel kritisch. Townshend sagte dazu einmal in einem Interview: “a revolution is only a revolution in the long run and a lot of people are going to get hurt”. Der Song Won’t Get Fooled Again sollte eigentlich das große Finale von Lifehouse werden. Das lyrische „Ich glaubt nicht an einen grundlegenden Wandel, da die Macht immer nur weitergereicht wird und andere sie für ihre Zwecke missbrauchen“:

The change, it had to come

We knew it all along

We were liberated from the fold, that’s all

And the world looks just the same

And history ain’t changed

‘Cause the banners, they are flown in the next war


The-Who---Who-s-Next--Back-To-Black-PictureVinyl-Ltd


Who’s next? ist damit nicht nur futuristisch sondern auch ganz schön dystopisch geraten. Den Kritikern und Fans gefielen die düsteren Szenarien jedenfalls, das Album verkaufte sich bis heute mehr als 3 Millionen Mal.


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