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Erykah Badu – Weltstar wider Willen

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Es ist verdammt schwer zu beschreiben, das Phänomen Erykah Badu. Denn die Vollblutkünstlerin, Musikikone, Esoterikerin und dreifache Mutter ist vor allem eins: ein wandelnder Widerspruch – und gefällt sich immer noch außerordentlich gut in dieser Rolle des Weltstars wider Willen.

Die Widersprüchlichkeit – oder sagen wir lieber: der Eklektizismus – Erykah Badus wurde schon früh in ihrer Karriere offenbar. In den 90ern schickte sie sich gemeinsam mit gleichsam talentierten wie motivierten jungen Musikerkollegen wie D’Angelo oder Bilal, die wie Erykah dem Kollektiv Soulquarians angehörten, an, das zusehends marginalisierte Genre Soul – in seiner einst von Ray Charles begründeten Ursprungsform selbst eine widersprüchliche Fusion christlicher Gospelmusik mit säkularen Texten über Liebe und Leidenschaft – wiederzubeleben. Neo-Soul taufte man diese neue und doch charmant altmodische Spielart, die trotz (oder gerade wegen) ihres ausgeprägten Traditionsbewusstseins voll und ganz den Zeitgeist traf, und Erykah avancierte mit ihrem Multiplatin-Debütalbum Baduizm zu ihrer Galionsfigur.


Doch als die damals 29-Jährige mit dem Nachfolgealbum Mama’s Gun, dessen Grammy-nominierte Leadsingle „Bag Lady“ zu einem unerwarteten Top-Ten-Hit wurde, an der Schwelle zu globalem Superstar-Status stand, kam wohl die Revoluzzerin in ihr durch: Erykah tauchte eine Zeitlang unter, bekämpfte eine vorübergehende Schreibblockade auf der „Frustrated Artist Tour“ und veröffentlichte 2003 schließlich das trotzige Worldwide Underground, das mit nur neun ineinander übergehenden, skizzenhaften Songs (plus Intro und Outro) von bis zu elf Minuten Laufzeit (das unglaublich sinnliche „I Want You“) gängige Formate herausforderte und mit riesigem Afro auf dem Cover den Neo-Soul für tot erklärte. War und ist er natürlich nicht – denn wie man sie auch immer bezeichnen möchte, diese zeitlose Mischung aus Alt und Neu, aus elegantem Soul und aufbrecherischem Hip-Hop-Spirit gewürzt mit einer ordentlichen Prise esoterischen Spiritualismus’ – zu strahlender Perfektion gebracht in Erykahs „Ode To Hip-Hop“, „Love Of My Life“, ein weiterer Top-Ten-Erfolg für die Nonkonformistin –, ist viel zu tief in der musikalischen Identität Erykah Badus verankert.


 Überspringen wir die nächsten zwölf Jahre, die für Erykah persönlich wie professionell stark geprägt sind von dem Verlust ihres Soulquarian-Mitstreiters J Dilla, dessen viel zu früher Tod noch heute in der Hip-Hop-Welt nachhallt, und in denen sie nur zwei Alben veröffentlicht – 2008 das von sozialpolitischen Themen durchzogene, düster brütende New Amerykah Part One (4th World War) und 2010 die ungleich optimistischer gestimmte Fortsetzung New Amerykah Part Two (Return Of The Ankh) – und steigen 2015 wieder ein: Erykah Badu ist 44 und hat seit fünf Jahren praktisch keine neue Musik veröffentlicht. Für manche Karriere käme das einem Todesurteil gleich, doch die markante Präsenz dieser Künstlerin, die seit 2011 als ehrenamtliche Doula werdenden Müttern als emotionale Begleiterin während der Schwangerschaft und Geburt zur Seite steht, ist selbst in ihrer Abwesenheit deutlich spürbar. Und ausgiebige Social-Media-Kenntnisse hat sich die stets auf Weiterentwicklung fokussierte Künstlerin in der Zwischenzeit auch beigebracht.

 Zudem spürt Erykah endlich wieder den kreativen Funken, den Drang, ein kohärentes musikalisches Werk zu produzieren und es mit der Welt zu teilen: In nur elf Tagen nimmt sie mit dem blutjungen Nachwuchsproduzenten Zach Witness, auf den sie dank Soundcloud aufmerksam wird und der wie sie im texanischen Dallas lebt, das Mixtape But You Caint Use My Phone auf. Es erscheint im November und ist wie die unerwartete Partnerschaft dieser beiden so unterschiedlichen Musiker eine Manifestation dessen, was die künstlerische Essenz Erykah Badus ausmacht: eine spannungsreiche Fusion von wohlig Bekanntem mit dem aufregend Neuen, bei der Witness der eigenwilligen Organik Erykahs einen atmosphärisch elektronischen Anstrich voll auf der Höhe der Zeit verpasst. „Trap & RnB“ nennt die Musikerin selbst das Ergebnis, das erstmals in ihrer nun fast zwei Dekaden umspannenden Karriere komplett digital zustande kam.


Der Titel But You Caint Use My Phone geht zurück auf die Schlusszeilen „You need to call Tyrone / But you can’t use my phone“ des Songs „Tyrone“ vom 1997 erschienenen Live-Album, und es ist ein Mixtape im eigentlichen, ursprünglichen Sinne, auf dem Erykah Stücke anderer Künstler zum Thema Telekommunikation remixt, sampelt, kombiniert und neu interpretiert. Als zündende Inspiration diente Drakes Bootie-Call-Hymne „Hotline Bling“ mit ihrem von Timmy Thomas geborgten Cha-Cha-Beat, aus dem das ungleiche Duo Badu-Witness zunächst einen fast achtminütigen Remix bastelte, der in kürzerer Form und unter dem Titel „Cel U Lar Device“ quasi das Herzstück des Tapes bildet und sich wie ein roter Faden durch die elf Tracks zieht.

Aber nicht nur aktuelle Hits wie der von Drake, den Erykah als engen Freund und Inspiration bezeichnet und den sie auf zwei Songs von dem Rapper ItsRoutine ziemlich überzeugend imitieren lässt, tragen zu den von Klicken, Rauschen und Piepen durchzogenen 37 Mixtape-Minuten bei: „U Don’t Have To Call“ geht zurück auf den gleichnamigen Usher-Hit aus dem Jahr 2002, „Mr. Telephone Man“ ist ein recht originalgetreues Quasi-Cover der 80s-R&B-Boygroup New Edition, das überdrehte „Dial’Afreaq“ basiert auf The Egyptian Lovers 1984er Single „Dial-A-Freak“ mit der Rap-Combo Uncle Jamm’s Army und der allgemein als Highlight anerkannte Schlusstrack „Hello“, ein Duett mit Erykahs Ex André 3000, Vater ihres 18-jährigen Sohnes Seven, zitiert die Isley-Brothers-Ballade „Hello It’s Me“ von 1974. Über 40 Jahre Popmusikgeschichte bringt Erykah auf But You Caint Use My Phone unter und schafft es so abermals, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in ihrer einzigartigen Ästhetik zu vereinen. Und zwischendurch erklärt sie noch, wieso Handystrahlung schuld ist am Bienensterben. Klingt in der Theorie alles etwas nach Overkill, in der Umsetzung aber äußerst elegant.


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Dabei ist das eklektische Mixtape für Erykah nur ein kurzes Muskelflexen – denn keine Sorge, die 44-Jährige hat keinesfalls vor, sich wieder zurück in ihren Winterschlaf zu begeben: Jüngst releaste sie mit „Trill Friends“ ihren „Badu Whodini Rough Mix“ zu Kanye Wests „Real Friends“ und kündigte in diesem Zuge gleich noch ein weiteres Mixtape an. „Some of them we wish we never knew at all“, singt sie auf ihrer Version des The Life Of Pablo-Tracks und meint damit wohl kaum sich selbst – denn was wäre die Welt ohne Erica Abi Wright alias Miss Badu?

Titel des neuen Projektes, für das Erykah ihre Kollaboration mit Zach Witness weiterführt: This $h!t Too Easy. Ein neues, ‚richtiges‘ Album ist nun auch endlich in Arbeit, Ideen habe sie genug, so Erykah. Wie leicht es für eine selbstbestimmte Frau in einer von Männern dominierten Industrie, nach deren Regeln sie sich stets zu spielen weigerte, tatsächlich ist, sei mal dahingestellt, aber eins steht fest: Erykah Badu lässt es auf jeden Fall so aussehen.


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