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Platten

Kiss bringen mit Rock And Roll Over die Roughness in den Glam zurück!

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Ein altes, leeres Theater, irgendwo nördlich von New York City. Dort geschah es, die Magie, die sich später auf tausenden von Plattenspielern drehen sollte. Kein gemütliches Studio, kein aufpolierter Sound, sondern nur Musiker, ihre Instrumente und eine Bühne. So haben Kiss ihr fünftes Album Rock And Roll Over aufgenommen.


Zugegeben, ein bisschen Recording-Equipment werden die Jungs damals schon dabei gehabt haben, aber das hätte die Dramatik aus den ersten Zeilen dieses Textes genommen. Außerdem unterstreicht es genau die Sache, die Kiss neben ihren Songs ebenfalls auf Vinyl bannen wollten: Die Reinheit und Ehrlichkeit der Live-Atmosphäre, die Unberührtheit der Musik, ohne diese fette Produktionswalze, die den Kiss Fans beim Vorgänger-Album ein bisschen quer gegangen ist.
Zum Glück ist es nicht bei einem gut gemeinten Versuch geblieben, sondern Realität geworden. Nicht nur das, Rock And Roll Over ist auch kommerziell nicht ganz unerfolgreich geblieben, schenkte uns einige der großen Kiss-Hits und ist (aber da konnte man jetzt schon fast selber drauf kommen) Mittelpunkt dieser uDiscover Wiederentdeckung! Also Freunde, Schminkspiegel klar machen, die abgefahrenen schwarz-silbernen Klamotten aus dem Schrank holen und das mit dem Zunge rausstrecken nochmal üben: Zum vierzigsten Geburtstag dieses wunderbaren Albums sollte man wirklich jede einzelne Kiss-Etikette wahren!



Dabei war es vor der Produktion kein Leichtes für die Band, die Entscheidung über den Charakter des Sounds und der Produktion zu bestimmen. Denn man stand an einem Scheideweg: Das letzte Album Destroyer hatte ja schließlich den großen Durchbruch gebracht. Auf einmal hörten alle Leute Kiss und auf jeder guten Halloween Party durfte der Typ im Gene Simmons Kostüm nicht fehlen. Aber es war eben auch so verdammt Middle of the Road und – das kennen wir ja noch aus der Fahrschule – den lahmen Kasten auf der mittleren Spur kann am Ende niemand so richtig leiden. Also: Dicker Durchbruch hin oder her, mit dem zu pompösen Sound konnte man es sich ganz schnell mit dem Rock und seinen Anhängern verscherzen.


Kiss_


Im schönen Jahre 1976 waren Kiss auf dem Höhepunkt ihrer Karriere: Bekannt wie sonst kaum jemand, talentiert im Songwriting, pausenlos auf Tour und da der ganze Merchandise-Wahnsinn noch nicht richtig eingesetzt hat, konnte sich die Band genüsslich auf ihre Musik konzentrieren. Dementsprechend heftig schlug die Platte ein. Erst Platz Nummer 11 in den Billboard Album Charts und nur drei Monate nach Veröffentlichung hatte Rock And Roll Over schon die Platin-Platzierung im Schminkkasten. Und wie viele frühe Kiss Alben wurde auch dieses in weniger als zwei Monaten eingespielt und produziert. Gehen wir mal ans Eingemachte: Die Songs, die dieses Album zu einem so großen gemacht haben!



First and foremost kommt man an der Single Hard Luck Woman nicht vorbei. Der Song ist wahrscheinlich der bekannteste der ganzen Platte, dabei sollte er ursprünglich an Rod Steward gehen. Geschrieben wurde die Nummer von Gitarristen Paul Stanley, der zunächst kein wirkliches Kiss-Potenzial in dem Stück sah. Kein Zweifel, Rod Steward hätte daraus ebenfalls eine wunderbare Nummer gemacht, aber Gene Simmons konnte Stanley doch noch überzeugen. Mit welchen Argumenten, das wird wohl sein Geheimnis bleiben, aber irgendwie sind die Musiker mit den wallenden Haaren auf die Idee gekommen, Drummer Peter Criss für die Nummer ans Mikrofon zu lassen. Ein Schlagzeuger als Sänger? Oh ja, das war sogar eine gute Entscheidung, denn wahrscheinlich ist es größtenteils diesem Song zu verdanken, dass sich Rock And Roll Over so in die Charts und heimischen Plattensammlungen katapultieren konnte. Es ist schön zu hören, wie die Band aus ihrer Komfort-Zone heraus tritt und auch mit Akustik- und Country-Einflüssen experimentiert. Nein wirk-lich, eine spannende Sache!


Kiss--Monster


Dann ist da noch Calling Dr. Love mit einem ziemlich infektiösen Groove und poppigen Hooks, die ziemlich geschickt in die den harten Rock-Sound eingewebt wurden. Geschrieben hat Simmons den Song übrigens in einem Holiday Inn (oh ja, da haben früher mal Rockstars drin übernachtet!) in Evansville, Indiana. Inspiration für den Titel brachte ein Zitat aus dem Three Stooges Men In Black Film – und nein, das ist nicht der mit Will Smith.



Anyways, auch wenn das Album leichtherzig, hart, jugendlich und kurz und gut in gewünschter Kiss-Manier daher kommt; rückblickend war es schon ein folgenschweres Album. Mit guten Folgen, wohlgemerkt! Es war das bewusste „Ja!“ zum handfesten Rock’n’Roll. Der Titel des Albums ist also nicht nur ziemlich cool, sondern auch noch durch und durch programmatisch. Und das Artwork kann mit jedem guten Kino-Plakat mithalten. Was will man also mehr? Na, vielleicht noch ein bisschen Feuerwerk und Schminke auf den Konzerten, aber auf Plattenspielern hat sich das erfahrungsgemäß als echt unpraktisch herausgestellt. Da reichen – wie immer – die guten Songs!

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