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Tanzen nach Zahlen: Eine Wiederentdeckung von Grönemeyers 12

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Man wollte es in der hiesigen Musikindustrie ja anfangs kaum wahrhaben, nachdem die Schicksalsschläge den Liedermacher der Nation heimsuchten. Schockstarre, Zäsur, Stille um Herbert Grönemeyer. Zukunftspotenzial des Bochumers? Nicht besonders rosig, wurde doch eine regelrechte Trauerplatte als Nachfolgealbum erwartet. Da rieb man sich schon etwas verwundert die Augen, als Mensch LKW-weise vom Hof des Presswerks gekarrt wurde, man dem ganzen Spaß durch eine nicht ganz unwesentliche Menge an vorbestellten Exemplaren schon vor offizieller Veröffentlichung die Platin-Krone aufsetzte und Herbert sich unwiderruflich als nationales Kulturerbe in die Deutschen Geschichtsbücher einschrieb. Das war 2002. Fünf Jahre später legt er mit seinem zwölften Studioalbum die nächste Platte mit einem doch recht pragmatischen Titel nach: 12. Oder in Worten: Zwölf. Was auch immer besser gefällt.


Aber hey, hinter dieser scheinbar banalen Zahl steckt doch ein bisschen mehr Bedeutung, als der gewiefte Kritiker vielleicht annehmen möchte: Auf der Scheibe sind zwölf Songs, Herbert pflegt am 12. April seinen Geburtstag zu feiern, das „ö“ in der Zahl ist für unseren Botschafter der Umlaute zudem auch mehr als passend und mit esoterischen Zahlenbedeutungen will ich gar nicht erst anfangen. An dieser Stelle wäre es natürlich klasse, wenn das Album vor zwölf Jahren erschienen wäre. Aber die Mathe-Asse haben es bereits erkannt: Mit einem Release-Date in 2007 haben wir „erst“ eine Dekade auf unserem Jubiläums-Konto. Wäre ja auch zu schön gewesen. Egal. Wir machen trotzdem eine uDiscover Wiederentdeckung!

Dass es sich hier um ein ganz besonderes Album handelt, eines, das sich nicht im Schatten seines Vorgängers versteckt, verdichtet sich wahrscheinlich in einem kurzen Kommentar, das Herbert während seiner Album-Promotion vom Stapel ließ: Die Musik sei „extrem tanzbar“. Jeder, der Grönemeyer schonmal auf der Bühne gesehen hat, weiß – das sind große Worte!

12--Groenemeyer-Herbert


Und überhaupt scheint Herbert das Tanzen-Motto für diese Platte irgendwie gefressen zu haben. Denn auch wenn die vermeintlich simple Zahl als Albumtitel so einfach elegant und gleichzeitig so bedeutungsträchtig daherkommt, inzwischen hätte der Bade aus dem Revier seine Platte selbst lieber Kopf hoch, tanzen genannt. Und tatsächlich, Song Nummer zwei mit eben diesem Titel hat was programmatisches für den Herbert post Mensch. Zwar gibt es auch hier Tiefgang mit großen Themen á la Grönemeyer, aber bei einem Groove, der einem das Gefühl vermittelt, die New-Wave Gitarren seien gradewegs Hand in Hand mit modernen Synthiepop aus dem letzten Arctic Monkeys Album heraus spaziert, wird die Sache mit dem Tanzen verständlich.

Alle Achtung, die Sache steht den großen Britpop-Vertretern in nicht viel nach. Außer vielleicht in der Sprache. Aber gut, das war ja irgendwie zu erwarten. Übrigens ist auch das Video ein echter Hingucker: Eine gezeichnete Comic-Adaption einer Alltags-Dystopie irgendwo zwischen Brave New World, dem Bühnenbild eines Kraftwerk-Konzerts und Industrie-Romantik. Oder eben nicht Romantik, um an dieser Stelle mal den großen Ruhrpott-Euphemismus außen vor zu lassen. Wie dem auch sei, ein untypisches Werk, das trotzdem eine Maxi-Tüte Grönemeyersche Authentizität in sich trägt.


Aber klar, auch wenn die Aufmachung von 12 so gradlinig und sauber daherkommt, der große, verschlungene Pathos bleibt auf einem Album des Bochumer Jung natürlich nicht aus. Ein Stück Vom Himmel – da schreit der Name des ersten Songs ja regelrecht nach den Mädels und Jungs an den Streichern, den wummernden Bässen und stampfendem Rhythmus, der feuerwerksartig nach oben hin akzentuiert. Woah, Gänsehaut. Da schlackern selbst Richard Wagner die Ohren. Das Thema ist überdies ähnlich imposant wie das Engels-Orchester, das Herbert extra für die Aufnahmen nach London einfliegen ließ: Das Verhältnis zwischen Mensch und Gott (welcher Gott auch immer grade en vogue ist) und zur Welt generell. Was bei jedem anderen Künstler generischer und abgedroschener nicht sein könnte, unserem Herbert kauft man die Nummer ohne mit der Wimper zu zucken ab. Denn auch wenn es dem ein oder anderen Logopäden auf seinen Konzerten kalt den Rücken runter laufen sollte, seine Worte schlagen ein. Er ist das Sprachrohr der Nation, der mit welchem Thema auch immer der direkte Korrespondent aus der Mitte der Gesellschaft ist: Hallo Welt, hier ist die neue Agenda für die wichtigen Themen in Deutschland.


Herbert-Groenemeyer

Apropos wichtige Themen in Deutschland: Mit Flüsternde Zeit legt Herbert quasi ein Spin-Off der Fußballhymne Zeit, Dass Sich Was Dreht nach, das einem die Nase in die politische Seite des WM-Songs drückt, die man vor lauter oe-ole-oe doch glatt übersehen hat. Die große Koalition hätte es verpasst, den Schwung, den übereifernden Spirit eines Sommermärchens der Deutschen aufzunehmen. So singt er es zwischen den Zeilen. Für Grönemeyer, der im Grunde nie ein Problem damit hat, das Kind beim Namen zu nennen, wirken die Formulierungen schon fast etwas vorsichtig. Nun gut, nachdem der Sommer 2006 doch märchenhafter war, als den meisten lieb ist, müssten dem Song sowieso noch ein paar Bedeutungs-Ebenen hinzugefügt werden.

Aber das liebe Kinder, ist eine andere Geschichte.


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