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The Rolling Stones – Blue & Lonesome: The Linernotes

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Ha! The Rolling Stones veröffentlichen seit Ewigkeiten endlich wieder ein Album. Blue & Lonesome heißt es und ist vielleicht genau das Album, dass die Herren schon ewig machen wollten, aber noch nie dazu gekommen sind: Eine Platte auf der sie ihre Lieblings-Blues-Songs interpretieren. In der Nähe der Stones muss man ja angeblich nur das Wort Blues husten & schon bekommen alle leuchtende Augen und Keith Richards zündet sich vor Begeisterung drei “Zigaretten” gleichzeitig ein (Ok, teilweise ist das reine Spekulation). Aber Spaß beiseite, Blues steckt in der DNA der Rolling Stones wie Desoxyribonukleinsäure in der DNA der menschlichen Spezies.


 Das neue Album kommt neben der musikalischen Blues Deluxe Austattung auch mit umfangreichen Liner Notes und – ACHTUNG – genau diese könnt ihr hier schon mal nachlesen.

Wir finden das mindestens mittel-sensationell, aber klar, kein Problem, genug des Danks, für euch doch immer, Freunde:


The Rolling Stones: Die Blue & Lonesome Linernotes

 

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Im Blues ging es schon immer ums Weitergeben, ums Vererben jener wundervollen, zutiefst emotionalen Musiktradition, die ihren Ursprung in den Südstaaten der USA hatte, um schließlich im Chicago der Nachkriegsjahre perfektioniert zu werden. Der Blues handelt von den Menschen: Von ihren Liebschaften, ihren Lebensumständen, ihren Ängsten, ihren Sorgen und Nöten, und die besten Bluessongs umkreisen diese Themen mit viel Leidenschaft und viel Soul. Es ist Musik, die ihre eigene Geschichte immer wieder vertont, sie immer weiter fortschreibt.

Viele Menschen meinen nun, der Blues handle nur von Trauer und Verlusten, aber diese Songs handeln auch von der Liebe; sie handeln vom Verlangen, von Lust – und es gibt sogar Blues, der richtig lustig ist. Die Klassiker, die auf Blue & Lonesome versammelt sind, beweisen, dass The Rolling Stones Meister der Bluestradition sind: Dass sie sich diese Tradition angeeignet haben, indem sie die Songs und all jene Musiker, die vor ihnen kamen, schon immer respektiert und verehrt haben.


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„ZU JEDEM DIESER SONGS GAB ES VORLÄUFER. WIR ZOLLEN DIESEN ORIGINALEN EINERSEITS RESPEKT, ABER ZUGLEICH BRINGEN WIR DEN BLUES INS HIER UND JETZT UND KÖNNEN DIESE SONGS HOFFENTLICH EINER GANZ NEUEN GENERATION VON FANS VORSTELLEN.“ – MICK


 

Schon bevor sie sich als die Stones musikalisch zu Wort meldeten, waren Mick und Keith absolute Bluesfans – und auch Charlie und Ronnie teilten diese Leidenschaft. In den Anfangstagen der Band spielten sie deshalb auch die Musik von Jimmy Reed und Willie Dixon, von Eddie Taylor, Little Walter und Howlin’ Wolf, von jenen Künstlern also, die auf diesem Album gecovert werden.

Der Blues ist fester Bestandteil ihrer DNA.

Das hier ist ein Album, das über ein halbes Jahrhundert herangereift ist – und doch dauerte es schließlich nur drei Tage, bis die Aufnahmen im Kasten waren.


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„WENN DU DEN BLUES NICHT KENNST… DANN BRAUCHST DU GAR NICHT ERST EINE GITARRE IN DIE HAND ZU NEHMEN UND ROCK & ROLL ODER IRGENDEINE ANDERE FORM VON POPMUSIK ZU SPIELEN.“ – KEITH


Don Was, der Produzent von Blue & Lonesome, über das Album: „Sie interpretieren diese Songs mit dem Erfahrungsschatz eines ganzen Lebens. Sehr viel tiefer geht das, als ihnen das früher möglich gewesen wäre, obwohl sie immer noch mit derselben rücksichtslosen Hingabe bei der Sache sind, die ihre Musik schon ganz am Anfang ausgezeichnet hat.“

Blue & Lonesome war dabei kein wirklich geplantes Album. Laut Don Was war es so: „Wir nahmen gerade ein paar neue Songs auf, und es gab da diesen einen Track, bei dem wir einfach nicht weiterkamen. Wir steckten fest. Also mussten wir erst mal durchspülen, und das geeignete Mittel dafür war die Idee von Keith, als er sagte: ‘Lasst uns doch ‘Blue & Lonesome’ spielen!’ Zum Glück hat Krish Sharma, der die Aufnahmen gemacht hat, schon an dem Punkt auf Aufnahme gedrückt, denn was man auf dem Album hört, ist die erste und einzige Version, die wir davon gemacht haben.“


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„ES GEHT NICHT UM TECHNIK, SONDERN UM EMOTIONEN. MIT AM SCHWIERIGSTEN DARAN IST ES, DIESES FEELING ZU TRANSPORTIEREN.“ – CHARLIE


 Sobald dieser erste Song aufgenommen war, wusste jeder im Raum, dass etwas Besonderes vor sich ging. Don: „Es hatte ja für die Band schon immer den losen Plan gegeben, irgendwann einmal ein richtiges Bluesalbum zu machen… also sagte ich: ‘Nehmen wir gleich noch einen auf!’ Schließlich war klar, dass wir damit das viel diskutierte, aber nie realisierte Bluesalbum in Angriff genommen hatten.“

Schon ein erstes Anhören von Blue & Lonesome genügt, um zu erkennen, wie sehr diese Band den Blues liebt – und wie viel sie davon versteht. Dieser Blues klingt so blue… wahrscheinlich kommt blaues Blut, wenn Keith sich schneidet. Man spürt einfach, dass die Liebe zu diesen Songs, genau wie bei Mick, bei Charlie und Ronnie, für ihn unglaublich weit zurückgeht…


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„WENN WIR SPIELEN, KOMMUNIZIEREN KEITH UND ICH MITEINANDER DURCH BLICKE. WIR HABEN DIE EINZELNEN PARTS VOR DER AUFNAHME KEINESWEGS ABGESPROCHEN, SONDERN DAS EINFACH SO DURCHGEZOGEN.“ – RONNIE


Aufgenommen wurde Blue & Lonesome im Studio eins der British Grove Studios, wobei Eric Clapton zufällig im Nachbarstudio war und dort selbst Aufnahmen machte. Mick berichtet: „Wir zerrten ihn daraufhin regelrecht zu uns ins Studio, und er ist nun auf zwei Stücken zu hören, die dadurch ein ganz eigenes Feeling bekommen haben.“ Eric kam am zweiten Tag der Aufnahmen dazu, um diese Stücke mit einzuspielen. Und am dritten Tag war das komplette Album auch schon im Kasten.

 


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„SO HABEN WIR NOCH NIE ZUVOR EIN ALBUM AUFGENOMMEN. SELBST UNSER ERSTES ALBUM HATTE OVERDUBS.“ – MICK


„Wir haben nie unseren Respekt und unsere Liebe für diese Musiker verloren“, sagt Mick weiterhin. „Es kommt für uns also wirklich von Herzen und fühlt sich sehr intensiv an. Schon aufgrund der Intensität hätten wir diesen Prozess wahrscheinlich gar nicht länger als drei Tage durchziehen können.“

Einzigartig an diesen Aufnahmen: Wie frisch, lebendig und unverbraucht sie wirken. Kein einziger Ton wird hier einfach heruntergeleiert. Nichts wird einfach nur mechanisch durchexerziert. „Unrepressed Rhythm

’N’ Blues with the unmitigating, ebullient, perturbing Rollin’ Stones“ – so der Text einer Anzeige, die im April 1963 im Melody Maker geschaltet wurde… und genau dasselbe (… „kein bisschen milde, überschwänglich, störend“) trifft auch für diejenige Band zu, die uns nun Blue & Lonesome präsentiert.

Keith hat schon häufiger gesagt, dass nach seinem Ableben die Worte „He passed it on“ auf seinem Grabstein stehen sollen. Nun, mit diesem Album hat er genau das vollzogen: Er und The Rolling Stones haben ein Album fürs 21. Jahrhundert aufgenommen. Ein Album, das im Blues getränkt ist – und das dabei doch etwas Zeitgenössisches hat. Es ist ein Album, das letztlich zeigt, warum diese Art von Musik einfach zeitlos ist.


Blue & Lonesome
klingt dermaßen intensiv, dermaßen emotional und leidenschaftlich, dass man kaum glauben kann, dass es von Männern eingespielt wurde, die sich allesamt schon im sechsten Jahrzehnt ihrer Aufnahmekarriere befinden. Laut Don Was jedoch „sind sie niemals zynisch. Dieses Album ist der ultimative Beweis dafür, wie unverfälscht ihre Liebe zum Musikmachen ist – und zum Blues. Der Blues ist für die Stones die Quelle all ihres Schaffens.“


The Rolling Stones On Street Corner

ALS WIR 1962 IN LONDON ANFINGEN ZU SPIELEN, DA BEGANNEN WIR MIT DEM CHIGAGO-BLUES. WER ES DAMALS AUF RUHM UND ERFOLG ABGESEHEN HATTE, DER MACHTE LIEBER ETWAS ANDERES.“ – KEITH


 

Dieses Album ist voller Gefühl, voller Tiefgang und Emotion, und man kann die Unterschiede, was den Ursprung und die Entstehung der einzelnen Songs angeht, ganz deutlich heraushören. Dieses bedrohliche Element von Howlin’ Wolf ist z.B. zwei Mal da, auf zwei Songs, die er im Original aufgenommen hat, was ganz anders klingt als die vier Songs von Little Walter, obwohl der ja auch bei Chess unter Vertrag war… jeder dieser Songs ist eine ganz eigene Interpretation des Blues. Und es ist kein einziges Klischee dabei.

Es ist ein Album, bei dem es nicht um irgendwelche Individuen geht. Stattdessen geht es um die Band als Ganzes. Wie Don schon sagte: „Alles, was The Rolling Stones so besonders macht, steckt letztlich in diesem Album. Dieses Zusammenspiel, das ohne Worte funktioniert, wie Telepathie.“


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„WIR HÄTTEN DIESES ALBUM SCHON IM JAHR 1963 ODER ’64 AUFNEHMEN KÖNNEN, ABER NATÜRLICH HÄTTE ES DAMALS NICHT SO GEKLUNGEN… DAS IST DAS INTERESSANTE AN SO EINEM ALBUM, DAS IN SEHR KURZER ZEIT ENTSTEHT: ES SPIEGELT WIRKLICH EINEN MOMENT WIDER – EINEN GANZ KONKRETEN ZEITPUNKT UND DEN DAZUGEHÖRIGEN ORT.“ – MICK


Für The Rolling Stones ist mit diesem Album endlich die Gelegenheit gekommen, sich zu verneigen und Respekt zu zollen. Als der Blues in den 1950ern den Mainstream erreichte, breitete er sich schnell um den gesamten Globus aus. Es war plötzlich nicht mehr nur der Soundtrack der Afroamerikaner in den Südstaaten oder die Musik von Menschen, die in der South Side von Chicago lebten. Stattdessen wurden diese Stimmen Teil einer größeren, globalen Kultur. Die Stones haben sich ihre Liebe zum Blues von Anfang an auf die Fahne geschrieben – und als ihr Name dann plötzlich auch in den Staaten in aller Munde war, fühlten sich auch junge weiße US-Amerikaner dazu inspiriert, sich mit diesem Teil ihrer Kultur zu befassen.

Der Blues, wie Muddy Waters es einst formuliert hat, „hatte dann ein Baby, und sie nannten es Rock & Roll.“ Und obwohl es vielleicht schwierig sein mag, eine ganz genaue Definition des Blues vorzulegen, erkennt man ihn ja letztlich doch immer, wenn man so einen Song zu Ohren bekommt. Ohne den Blues gäbe es keinen Rock & Roll, keine Rockmusik… denn die Spuren der Blues-DNA findet man genau genommen so gut wie überall.


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REIN OBERFLÄCHLICH BETRACHTET, IST ES MUSIK, DIE GANZ EINFACH ZU SPIELEN IST. ABER IN WIRKLICHKEIT IST ES VIEL KOMPLEXER… WOHER KOMMT DAS WOHL?“ – KEITH


Text von RICHARD HAVERS

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