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Zeiten der Gegensätze – Element Of Crimes wichtigste Jahre in der Vinyl-Box 1985-1993

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Element Of Crime – klingelt da was? Ja? Nein? Vielleicht? Bei so manch einem tanzen vielleicht schon beim Klang des Namens die ersten verschwommenen Fetzen ihrer persönlichen Sturm-und-Drang-Zeit vor dem inneren Auge herum. Bei manch anderem läuten beim Stichwort von Sven Regeners Wutrede die Glocken. Wer jetzt immer noch auf dem Schlauch steht, dem dämmert es eventuell beim Gedanken an Herrn Lehmann, dem Kreuzberger Barmann kurz vor Anbruch der Neunziger, seines Zeichens erfundene Romanfigur des berühmt berüchtigten Frontmanns der Band. Ganz richtig – es geht hier nicht nur um Musik, sondern um das Lebensgefühl jener Zeit kurz vorm Mauerfall, nachdem der New Wave den Deutschen Musikkosmos flutete und für Veränderungen sorgte.

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Mit diesem Hintergedanken bekommt der auf gewisse Weise etwas trocken klingende Titel 1985 – 1993 der neu erschienenen Vinyl-Box von Element Of Crime dann doch eine etwas tiefere Bedeutung. Versuchen wir, uns das popkulturelle Geschehen ein bisschen lebhafter in Erinnerung zu rufen:

In der Mitte der Achtziger – Berlin wird noch ein paar wenige Jahre getrennt sein – hat sich, eine gute Generation nach den versteiften Fünfzigern, das Aufbegehren der jungen Wilden in rasanten Jugendkulturen manifestiert. Nach einem Jahrzehnt aus Punk, Synthpop und dem Aufkeimen der Clubkultur hat eine neue Welle die heimische Musikwelt einmal ordentlich durchgeschüttelt. Es waren stürmische Zeiten, oh ja! Aber wie das mit Wellen so ist – nach einer aufschäumenden Hochphase rollen sie langsam aus. Und bei den ganz großen Wellen (kein Zweifel, diese Welle war groß) bleiben Spuren. Und während sich die Mods, Punks, New Romantics, Goths und wen es sonst noch alles auf der Bildfläche gab, fleißig voneinander differenzierten, fanden sich damals fünf Jungs, um die Welt um sich herum noch ein wenig bunter zu machen.


Und wirklich nur ein wenig, denn das 1986er Debut Basically Sad verkauft sich in der Erstauflage atemberaubende achthundert mal. Damit nicht genug, war sich die Band in ihrer frühen Phase selbst noch nicht ganz sicher, wo denn die Reise hingehen sollte, zumal ein englischsprachiges Album zu jener Zeit auf einen nicht ganz fruchtbaren Boden fiel. Jeder Anfang einer Band ist spannend, jedes frische Image biegsam und gleichzeitig fragil. Und dennoch, mit Instrumenten wie Trompete und Saxophon in Kombination mit den drei üblichen Verdächtigen (Gitarre, Bass und Schlagzeug) zeichnet sich, vielleicht sogar unbewusst, ein erstes Bild ab. Eine Kombination von Songwriting und Instrumentierung die ungewöhnlich ist und damit bestens in das damalige Setting passt, gleichzeitig aber so entschleunigt wirkt, sodass man um den Gedanken eines Gegenentwurfes zum allgemeinen Musikgeschehen auch nicht ganz herumkommt.

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Und nun Auftritt: John Cale! Der Musikproduzent mit walisischen Wurzeln hat 1987, als er Element Of Crime zur Aufnahme ihres zweiten Albums nach London holt, schon einiges auf dem Kerbholz. Eine Referenz-Liste von Patti Smith bis zu Nick Drake und natürlich seine eigene Band The Velvet Underground werfen auch ein nicht ganz unvorteilhaftes Schlaglicht auf die junge Berliner Band, das dem Album Try To Be Mensch zu Aufmerksamkeit in der Musikpresse und einem ersten kommerziellen Erfolg verhilft. Es fängt so langsam an, das Brodeln um diese neue Band. Aber Geduld, der große Paukenschlag wartet am chronologischen Ende der Vinyl-Box.


Denn obwohl der Name des zweiten Albums, wie unschwer zu erkennen, auf die Deutschen Wurzeln anspielt, hält sich Songwriting und Produktion doch eher an internationale Vorbilder. Und der kosmopolitische Trip ist noch nicht zu Ende! Es geht von Berlin nach London und von London nach New York. Wenn man jetzt kurz an den Anfang dieses Textes zurückspringt und sich das auf lyrischen Beinen wandelnde Understatement in Form des Herrn Lehmann ins Gedächtnis ruft, fällt es schon fast schwer zu glauben, dass der Big Apple Schauplatz des dritten Albums Freedom, Love & Happiness werden sollte. As a matter of fact, so war es! Das Cover bunt, lebendig, in Bewegung. Die Musik so dunkel und schwer wie nie. Da ist er wieder, der Gegenentwurf, dieser Hang zur Dissidenz, der sich hier stärker als zuvor aus dem New Wave und Postpunk Songwriting mit deutlicher Blechbläser-Instrumentierung hervorhebt.


Und der Erfolg ist – solide. Aber immerhin stark genug, um weiter zu machen. Damit geht aber auch der Ausflug in die große weite Welt zu Ende. Die Heimat ruft und mit ihr ein neues Album. Neue musikalische Ufer? Noch nicht ganz. Inzwischen schreiben wir das Jahr 1989 – genau der richtige Zeitpunkt also, um wieder in Berlin aufzuschlagen und The Ballad Of Jimmy & Johnny entstehen zu lassen. Hier werden die sagenumwobenen Hallen der Berliner Hansa Studios Zeuge vom Anfang einer weiteren Wende – in diesem Falle einer musikalischen. Denn wenige Monate bevor die Frage eines Reporters und die darauf folgende, leicht gestammelte Antwort des angesprochenen Politikers den Begriff „Deutschland“ schlagartig neu definieren, schreiben Element Of Crime mit Der Mann Vom Gericht ihr erstes deutschsprachiges Lied. Es bleibt jedoch still. Die Ruhe vor dem Sturm.


Aufgenommen auf ihrer Tournee in 1990 markiert Live: Crime Pays als erstes Live-Album der Band eine Pause des beinahe genau jährlich getakteten Studio-Rhythmus. Damit hält die Band auch kreativ den Atem an und soll mit dieser Platte ihr letztes englischsprachiges Werk veröffentlichen.


 

Tritt man einen Schritt zurück und betrachtet das, was noch kommen wird, sehen wir hier eher das retardierende Moment, eine Zäsur in der Geschichte von Element Of Crime bevor 1991 mit Damals Hinterm Mond das erste komplett deutschsprachige Album der Band erscheint. Eine Entscheidung, die Kritiker und Fans polarisiert. Ausgehend von den Paradigmen der Popmusik ein sehr gutes Zeichen, denn zwar katapultiert diese neue Richtung die Musiker nicht direkt in die Hall Of Fame, aber Polarisierung bedingt Positionierung. Je deutlicher, desto besser! Und das trotz der Tatsache, dass sich nun auch noch Akkordeon und Streicher ins Ensemble mischen. Wo das wohl hinführt?


Um bei den Dramaturgie-Metaphern zu bleiben: Zum Klimax. Auf Musikbranchen-Deutsch: Der Durchbruch. Am Ende der Vinyl-Box, im Jahre 1993, legt Element Of Crime mit Weißes Papier eine Platte vor, die noch tiefer in die Kerbe ihrer Vorgängerinnen schlägt. Und das bedeutet Gegensätzlichkeit. Folkloristische Einlagen und Walzer-Rhythmen würde man schließlich nicht von Jungs aus der Mid-Achtziger Berliner Punk-Szene erwarten.

 

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Damit taucht auch immer wieder die Frage nach dem Stil von Element Of Crime auf. Ist das nicht im Grunde schon Volksmusik? Oder doch eher Chanson? Ja? Nein? Für die richtige Antwort reicht wahrscheinlich nicht nur der Blick auf dieses Album, sondern auf die ganze bisherige Reise von 1985 bis 1993, ein Weg gepflastert aus einer beinahe sturen Grundhaltung, gesäumt mit Episoden der Neuerfindung. Neun Jahre lang entwickelt sich die DNA von Element Of Crime, die sich bis in unser heutiges Verständnis von Musik erstreckt.

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