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Popkultur

Anarchopunk mit Country im Herzen – Mike Ness, Frontmann von Social Distortion

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By Ed Vill [CC BY 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons.

Ein Mensch kann vieles sein, und je länger ein Leben dauert, desto widersprüchlicher wird es mitunter. Keiner vereint scheinbar Konträres so ausdauernd wie Social Distortion Frontmann Mike Ness. Ein Anarcho mit Ordnungsliebe, ein Punkrocker mit Country-Seele, ein Ex-Heroin- und Alkoholabhängiger, der heute straight edge lebt, ein Hausbesetzer und Heimwerker, Systemkritiker und Sozialromantiker, Machotyp und Familienvater, Veganer, bekennender Antirassist und gleichermaßen einer, der das weiße Amerika der 30er und 40er Jahre glorifiziert, Chevrolet und Rockabilly-Attitüde inklusive.

Wer ist also dieser Mike Ness, der Social Distortion 1978 mit einem Schulfreund zusammen gründete und damit maßgeblich die Punkrockszene Kaliforniens kultivierte?


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Ness wuchs in Orange County, Kalifornien, auf, wo er noch heute lebt. Schon früh prägten ihn die verschiedenen Subkulturen der Westküste: Surfen, Skaten, Drogen und Musik. Angeblich warf ihn sein Vater mit 15 Jahren aus dem Haus, doch selbst wenn das nicht stimmt und zur großen Rockstar-Narration gehört, hatte Ness genügend Zeit, auf den Straßen Fullertons herumzuhängen und seine ersten Schritte als Musiker zu gehen. In einem Interview sagte Ness, er habe schon mit fünf Jahren gewusst, er würde einmal Rockstar werden. Die Suche nach Möglichkeiten, seinen Gefühlen und Bedürfnissen Ausdruck zu verleihen, hätten einfach zu gut in das Medium der Musik gepasst.



Erst Country, dann die Stones

Die Vorbilder des rebellischen Teenagers waren nicht die gewöhnlichen Football- und Baseballstars anderer Jungs seines Alters. Ness verehrte die zwielichten Gestalten, die Kleinkriminellen, Gangster und Rockmusiker, deren Alltag er leben wollte. Und bevor er Platten von den Sex Pistols, den Ramones, den Stones und von The Clash in die Finger bekam, hörte er den guten alten Rock’n’Roll und Country von Musikern wie Hank Williams, Marvin Rainwater und Marty Robbings.

Doch Punk war neu, brachial und aufregend und Ness wusste: Das war sein Ticket in die Musikwelt. Mit 16 gründet er mit einem Schulfreund zusammen Social Distortion, schnell hat die Band ein erstes Album, einen Manager und erste Touren. Doch ihr Frontmann hängt schon bald bis zum Hals in der Heroinsucht, der Stoff ist billig und überall zu haben. Es dauerte einige Jahre, bis Ness von dem Zeug wegkommt.



Gegen Rassismus und „das System“

Seit Mitte der 80er Jahre lebt er abstinent und hat sich seither immer wieder öffentlich gegen Drogen ausgesprochen. Obgleich die Band Punkrock spielte, schwebten Ness Synergien zu Country, Rock’n’Roll und Blues vor. Er wollte von Beginn an anders klingen als die typischen 3-Akkord-Acts, die sich überall zusammenfanden. Leider war Ness kein geborener Gitarrengott und musste einiges lernen, bevor er sich mit seiner Les Paul und bald auch beim Singen wohlfühlte. Doch der hohe Anspruch war immer da: Social Distortion sollte Qualität abliefern und Haltung zeigen: gegen Rassismus, gegen „das System“.

Auch wieder so ein Widerspruch: Ness sagt, er habe nie ein politischer Songschreiber sein wollen. Seine Fans sehen das anders, weshalb er in Interviews immer wieder nach seiner Haltung zu aktuellen gesellschaftspolitischen Themen gefragt wird, zuletzt etwa zu Trump.

Im Werdegang von Social Distortion und seinem Stammesältesten (Ness ist das einzige aktive Gründungsmitglied in 40 Jahren Bandgeschichte) gab und gibt es viele längere Pausen. Es scheint, als habe die Band stets mehr Wert auf Touren als auf Alben gelegt. Nur sieben veröffentlichte die Band, plus zwei Soloalben von Ness, die Ende Juni in neuer Aufmachung als Re-Issue erscheinen werden.



Ära Trump ruft nach politischer Positionierung

Auf Cheating at Solitaire und Under The Influences, beide aus dem Jahr 1999, hat Ness seinen eigenen Idolen ein Denkmal gesetzt: Er singt und interpretiert alte Rock’n’Roll- und Country-Klassiker neu, auf den Alben finden sich Evergreens von Bob Dylan, Johnny Cash, Eddie Cochran, Hank Williams und Co.

Auf der einen Seite sind für Mike Ness die Jahre des wütenden Rebellentums wohl vorbei. Er ist zweifacher Familienvater und lebt ein geruhsames Leben in Santa Ana, Kalifornien.

In einem Video listet er unter seinen liebsten Hobbys Boxen, Traktorfahren und Ausflüge in seinem Chevrolet auf. Auf der anderen Seite fühlt sich Ness in der Ära Trump nach eigenen Aussagen geradezu verpflichtet, sich zu positionieren. 2017 verkündete die Band, an einem neuen Album zu arbeiten, diesen Sommer steht eine US-Tour an und die Fans warten auf neue Songs.

Es scheint so, als würde es vorerst nichts werden mit Traktorfahrten über idyllische Äcker. Stattdessen ist es Zeit für den gepflegten politischen Aufstand: Time to Rise Against! (Rise Against, übrigens eine Band, die von Social Distortion maßgeblich geprägt worden ist). Und wer könnte diesen Aufstand besser anführen als ein veganer Anarchopunker mit Country-Seele?



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