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Popkultur

DER SOUNDTRACK DEINER STADT – PART II: KÖLN

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Viva Colonia, es gibt Neues vom Rhein: Die Jungspunde von AnnenMayKantereit haben ihre neue EP „Wir schon irgendwie gehen“ veröffentlicht und liefern damit ein eindringliches Stück deutscher Rockmusik ab, das man so schon lange nicht mehr gehört hat. Obwohl das ganze Trio gerade mal Anfang 20 ist, klingen es so reif wie ein teures Fass Whisky, rauchiger Geschmack inklusive. Während Wanda ein tolles Strizzi-Sauflied nach dem anderen ausschenken, schreiben AnnenMayKantereit im Gegenzug unfassbar erwachsene Texte, die einen ein bisschen mehr zum grübeln bringen. Woher kommt diese Reife und Tiefe? Hat es auch mit ihrer Heimatstadt Köln zu tun, wo es eine lange Tradition für innovative, deutsche Pop-Musik aller Genres gibt? So oder so ist es Zeit mal Revue passieren zu lassen, was Kölle bis heute zum westlichen Gegenpol der Musikhauptstadt Berlin macht.

Als die Leipziger Indie-Rocker Kraftklub 2012 den Slogan „Ich will nicht nach Berlin“ skandierten, sprach das wahrscheinlich auch vielen Kölnern aus dem Herzen – sollen sie doch alle nach Berlin gehen und ihr Glück suchen, wir kochen hier unser eigenes Süppchen. Wegen seiner Lage war Köln immer schon das Pop-Einfallstor nach England und andersherum. Es war ein Katzensprung für Kölner Kids, London einen Besuch abzustatten und sich dort inspirieren zu lassen. Weil sich neue Platten, Moden und Ideen zwischen Großbritannien und Köln ganz besonders schnell ausgetauscht haben, mussten hier und in der Nachbarstadt Düsseldorf zwangsläufig musikalische Revolution stattgefinden: Can gründeten sich Ende der 60er-Jahre in Köln, die vielleicht wichtigste und einflussreichste Krautrock-Band überhaupt. Beeinflusst waren diese avantgardistischen Hippies natürlich auch vom Progressive-Rock aus England und den USA, aber die psychedelischen Freak-Outs von Can hatten auch einheimische Zutaten untergemischt: Zwei Mitglieder der Band lernten sich an der Musikhochschule Köln kennen, wo sei bei Karlheinz Stockhausen studierten, einem der wichtigsten Komponisten des 20. Jahrhunderts und einer Ikone der Neuen Musik, speziell der seriellen Musik. Im nicht weniger legendären Studio für elektronische Musik des WDR arbeitete Stockhausen an bahnbrechenden musikalischen Experimenten und bereitete damit den Weg für die moderne elektronische Musik, besonders für Techno. Wenn ihr also mal wieder in einem Kölner Club mit euren Füßen den Boden schrubbt, dann denkt daran, während ihr in den ewigen Loops untergeht: Dieses Konzept der ewigen Wiederholung hat sich so ähnlich vor 50 Jahren schon jemand im Klanglabor ausgedacht.

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Was elektronische Tanzmusik angeht, hat Köln nämlich einen ganz exquisiten Ruf: In den 90er-Jahren gründete sich aus einem Schallplattenladen heraus das Label Kompakt und machte Köln mindestens zur deutschen Hauptstadt von Minimal-Techno. Wolfgang Voigt, einer der Kompakt-Gründer, wurde zu einem international gefeierten Produzenten aller Sorten elektronischer Musik, von Acid House bis Ambient, während Whirlpool Productions (Hans Nieswandt, Justus Köhncke und Eric D. Clark) einen ganz eigenen Mix aus Italo-Disco, House und Pop kredenzten (und damit ganz nebenbei einen Nummer-1-Hit in Italien landeten!). Wichtig für diesen Strang sind auch noch Mouse On Mars, ein Kölner Duo, das seit den 90ern zur Speerspitze der experimentellen Electronica zählt – Clicks & Cuts nannte man diese hypernervöse und superdigitale Spielart damals. Alle diese Protagonisten sind bis heute noch am Start und wichtig, doch am Dancefloor-Nachwuchs fehlt es auch nicht: Roosevelt oder Damiano von Erckert sind nur zwei Namen, die gerade dabei sind, die Clubwelt zu erobern. Und das läuft ziemlich gut.

Womit Köln ebenfalls gerade die Köpfe der Nation bewegt, ist hausgemachter Hip-Hop: Umse, Veedel Kaztro, die jetzt schon legendären Huss & Hodn oder der Dreikäsehoch-Internet-Star LGoony mit seinem Deutsch-Trap per Gratis-Mixtapes halten hier die Fahne hoch. „Meine Stadt ist rot und weiß genau wie Coca-Cola“ singt LGoony über Köln – da wird noch ganz viel passieren, und auch das hat Tradition: DCS oder Die Firma sind nur zwei legendäre Hip-Hop-Crews aus Köln, und auch das hiesige Reggae-Aushängeschild Gentleman hat enge Verbindungen zur rheinischen Rap-Szene.

Aber zurück zur eher handgemachten Musik: Kölns größte Nummer in Sachen Rock ist natürlich Wolfgang Niedeckens Band BAP, die Kölschrocker, die man sogar in Bayern verehrt. Neben der Zeltinger Band oder Bläck Fööss sind sie mit einer langen Reihe von Nummer-1-Alben und Deutschrock-Hits für die Ewigkeit („Verdamp lang her“!) die landesweit beliebtesten Botschafter für den kölschen Dialekt, wenn man Karneval-Könige wie die Höhner außen vor lässt. Aber das wäre   natürlich fahrlässig: Der Karneval ist Kölns größtes Klischee und gleichzeitig eine Herzensangelegenheit für jeden Kölner! Wenn die Stunde dieser fünften Jahreszeit schlägt, dann liegen sich auch die noch die größten Spaßbremsen Kölsch-selig in den Armen, während Brings oder Cat Ballou ein Ständchen spielen.

Wenn nicht gerade dieser Ausnahmezustand herrscht, würde sich die Kölner Indie-Szene wohl eher von Karneval und Kölschrock distanzieren – diese Bands sind schon eher von englischen Vorbildern geprägt, aber stehen auch ein bisschen in den sozialkritischen Fußstapfen der Polit-Rocker Floh de Cologne. Textlich wie musikalisch haben Künstler wie Erdmöbel, PeterLicht, Von Spar, Mit, Timid Tiger oder auch die Wise Guys in den letzten Jahren einige Ausrufezeichen gesetzt. Aber ganz richtig bemerkt: Diese Bands sind teilweise grundverschieden, und das macht nach dieser langen Aufzählung durchaus Sinn: Köln hat einige kompakte Szenen hervorgebracht, steht für ein paar wichtige Abschnitte der deutschen Pop-Kultur, aber besonders heute muss man insgesamt feststellen, dass man die Domstadt nicht so einfach in eine musikalische Schublade kriegt. Für den einen sind der Sound Of Cologne die Karnevals-Gassenhauer, für den anderen die 15-minütigen Minimal-Techno-Tracks. Und auch eine Band wie AnnenMayKantereit reiht sich ein in den Sound dieser Stadt, der am Ende ein ziemlich vielschichtiger Kanon ist.

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