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Popkultur

Die musikalische DNA von Amy Winehouse

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Amy Winehouse war eine starke Persönlichkeit mit einer tragischen Geschichte. Ein Mensch voller Abgründe, aber mit vielen Höhepunkten. Vor allem jedoch war sie ein Ausnahmetalent, das in nur wenigen Jahren neue Standards in der Pop-Musik gesetzt hat. Geschult an Jazz, Motown- oder Stax-Soul sowie sogar an Punk und Hip Hop war sie eine Art wandelnde »kenntnisreiche Collage« aus Einflüssen, wie es der ehemalige Rolling Stone-Redakteur Joe Levy einst ausdrückte.

Ein Blick auf ihre musikalische DNA bestätigt das. Denn die charismatische Sängerin steckte nicht allein in ihrem Privatleben voller Überraschungen, auch ihr Geschmack war keinesfalls gewöhnlich. Winehouse lernte zum Klavierspiel Thelonious Monks Singen, die Ronettes waren ihre Stil-Ikonen und Mitgröhl-Grunge ihre Chill-Out-Musik. Lediglich zwei Studioalben brauchte die 2011 frühzeitig verstorbene Winehouse, um ihren Namen für alle Zeiten ins große Buch der Popgeschichte zu schreiben. Und hat damit eine ganze Reihe von anderen nach ihr inspiriert.

1. Thelonious Monk – Round Midnight

Amy Winehouse hatte Soul, eine Punk-Attitüde und ein einzigartiges Gefühl für Jazz. Die Sängerin Sarah Vaughan nannte sie beispielsweise als Einfluss, ihre Leidenschaft für den Sound und die Rhythmen des Genres aber beschränkte sich nicht allein auf Gesang. »Es war nicht nur der Vocal Jazz«, sagte sie mal mit Bestimmtheit. »Ich habe von allem gelernt. Ich weiß noch genau, wie ich zum ersten Mal durch die Wand hindurch ‘Round Midnight’ gehört habe. Ich dachte mir so: was ist das?« Nicht was, sondern wer: Die junge Winehouse entdeckte mit Thelonious Monk den vermutlich eigentümlichsten und vielleicht auch genialsten Jazz-Pianisten aller Zeiten. Seine Marotten waren berüchtigt, sein Spiel für seine Kantigkeit und verblüffende Wendungen berühmt. Ganz klarer Fall: Monk war ein früher Geistesverwandter von Winehouse! Ihm zu Ehren nahm sie eine Interpretation seines Klassikers Round Midnight in einer modernisierten Form auf, in deren Zentrum dann doch ihre Stimme stand. Ein kleiner Bildersturm auf einen Klassiker, wie er dem rebellischen Monk wohl gefallen hätte.

2. Frank Sinatra – Fly Me To The Moon

Monk war nicht der einzige wichtige Mann in Winehouse’ Leben, sicherlich aber einer der beständigsten. Ein anderer war ihr Vater Mitch, der sie schon früh mit Musik vertraut machte. Fly Me To The Moon von Frank Sinatra sang der damalige Taxifahrer seiner Tochter vor, die den Song zu einer Art Refrain ihrer Jugendjahre machte. Immer wenn die junge Raufboldin zu Schulzeiten zur Rektorin zitiert wurde, summte sie Zeilen wie »Fill my heart with song and let me sing forever more / You are all I long for / All I worship and adore« vor sich hin. Reiner Sarkasmus? Vielleicht! Eine Liebe musste indes im Laufe ihrer Karriere gehörig leiden. Winehouse war alles andere als zufrieden damit, wie ihr Vater in seiner Rolle als Manager mit ihrem Ruhm umging. Selbst heute noch werfen Fans ihm vor, die tragische Geschichte seiner Tochter für seine eigenen Zwecke ausgenutzt zu haben.

3. Alanis Morissette – Ironic

Fassen wir zusammen: Ihr Vater erst brachte die kleine Winehouse zur Musik und versuchte sich womöglich dann daran zu bereichern. Ist das nicht… ironisch? Nein! Zumindest nicht nach der Definition des Worts, wie sie im Lexikon zu finden ist. Die hatte Alanis Morissette allerdings auch nicht nachgeschlagen, bevor sie ihren Überhit Ironic schrieb. Der Song gehört seit 1996 trotzdem zu so ziemlich jeder musikalischen Früherziehung dazu, ob die Jungend es nun will oder nicht. Für Winehouse markierte der Song – so will es jedenfalls die Legende – den Beginn ihrer Karriere. Denn erst, als ihr Vater Mitch der Tochter dabei zuhörte, wie sie das Stück sang, erkannte er ihr Talent. Der Rest ist Geschichte und die wiederum ist ganz ironiefrei. Denn Winehouse schließlich meinte immer genau das, was sie sagte!

4. Dinah Washington – What A Diff’rence A Day Made

»Sie war die Königin des Hand-im-Gesicht, soll heißen, sie hat’s einfach nicht geschert!«, schwärmte Amy Winehouse mal über die Jazz-Sängerin Dinah Washington. »Sie nahm sich ein Jazz-Stück und machte es zu ihrem eigenen. Sie konnte Leute umbringen. UMBRINGEN!« Enthusiastische Worte über eine, die in der Musikgeschichte wohl immer im Schatten von Billie Holiday stehen wird und für Winehouse dennoch die absolute Nummer Eins war. »Ich habe vor niemandem Respekt, solange sie nicht hervorstechen. Sie aber stach hervor!«, sagte Winehouse über Washington. Warum, das beweist allein ein Song wie What A Diff’rence A Day Made. Eigenwillig und doch melancholisch singt Washington das Stück, welches auch Winehouse im Laufe ihrer Karriere coverte – obwohl sie das eigentlich für überflüssig hielt. »Sie machte sie zu ihren eigenen Stücken!«, wiederholte sie mit Nachdruck. »Was soll’s also? Das ist, als würdest du Aretha Franklin covern – da kannst du dir gleich die Kehle durchschneiden!«

5. The Ronettes – Be My Baby

Nicht allein mit ihrer Musik, sondern auch mit ihrem Erscheinen setzt Winehouse Akzente. Ihre wilde Turmfrisur zum Einen rief viele Nachahmerinnen auf den Plan – meistens mit eher verheerenden Folgen. Dabei hatte Winehouse für ihre beeindruckende Haarpracht selbst ein Vorbild, das sich auch prompt wiedererkannte. »Ronnie Spector […] war angesichts eines Bildes von Winehouse in der New York Post so verblüfft, dass sie ausrief: ‘Ich kenn sie nicht, ich hab sie nie getroffen und doch dachte ich mir sofort: Das bin ich! Dann aber fand ich heraus, dass es Amy war. An dem Tag hatte ich meine Brille nicht auf…’« Dabei hätte Spector – richtig geraten übrigens, damals verheiratet mit dem Ronettes-Produzenten Phil Spector – ohne Weiteres auch musikalisch schnell einer Verwechslung erliegen können. Denn der Sound der Ronettes war für Winehouse ebenfalls eine Blaupause. Im Song B Boy Baby von Mutya Buena, in welchem sie einen Gastauftritt hatte, wird das mehr als deutlich. Auf welchem Ronettes-Stück dieser wiederum basiert, muss ja nun wirklich nicht erwähnt werden.

6. Shangri-Las – I Can Never Go Home Again

Amy Winehouse versetzte ihre Fans nicht allein mit ihrem Gesang und ihrem unvergleichlichen Stil in Begeisterung, sie konnte auch zweierlei bewegen: Hüften einerseits und Herzen andererseits. Viele ihre Songs luden zum Tanzen ein, noch mehr jedoch waren sie emotional bewegend. Zwischen Winehouse’ Coolness brachen oft die Gefühle durch. Insbesondere dann, wenn sie selbst Musik hörte. I Can Never Go Home Anymore von den Shangri-Las bezeichnete sie mal als den »deprimierendsten Song aller Zeiten« und erzählte folgende Geschichte dazu: »Als mein Freund und ich uns trennten, saß ich mit einer Flasche Jack Daniel’s auf dem Küchenboden und hörte ihn auf Repeat. Ich verlor das Bewusstsein, ich wachte wieder auf, ich fing wieder von vorne an. Meine Mitbewohnerin kam rein, schmiss mir eine Tüte von KFC zu und haute wieder ab. Sie so: ‘Das ist dein Abendessen, ich hau ab.’ Es ist der traurigste Song der Welt.« Mit der Geschichte einer verstoßenen Tochter wird sich Winehouse sicherlich identifiziert haben können.

7. The Offspring – Self-Esteem

Winehouse stand indes nicht nur für Trauer und Schmerz – sondern auch für Rebellion! Jede Rebellin aber hat mal Feierabend. Auf einem handgeschriebenen Zettel führte Winehouse einmal eine Reihe von Songs auf, die auf ihrem »Chill-Out Tape« zu hören seien. Darunter waren neben Stücken von Ella Fitzgerald, Frank Sinatra oder Ben Folds Five auch Songs, die so gar nicht entspannt klingen – wie etwa Self-Esteem von The Offspring! Roher, Grunge-beeinflusster Punk, eine Mitgrölhymne für alle, die sich ausgestoßen fühlen. Ein Chill-Out-Track aber? Höchstens in der turbulenten Welt von Amy Winehouse! Ihr Geschmack war so eigenwillig und neben der Spur wie sie selbst. Das schließlich macht die Faszination Winehouse doch aus.

8. Wolfman – For Lovers (feat. Pete Doherty)

Wie bei so vielen Frauen in der Musikgeschichte interessierte sich die Öffentlichkeit fast mehr für Winehouse’ Privat- und Liebesleben als für ihre Kunst. Sie gab der Presse wohl reichlich Futter: Da war etwa ihr Mann, eine strauchelnde Existenz wie sie selbst, oder der Freund, dessen Nähe sie für zwischenzeitlichen Trost suchte.

Pete Doherty von den Libertines und später Babyshambles war ebenfalls oft in ihrer Begleitung zu sehen. Die Presse hatte damit ein windiges Traumpaar gefunden und Doherty schürte die Aufregung nur allzu gern. »Amy und ich waren Geliebte«, behauptete er zwei Jahre nach ihrem Tod. »Aber gegen Ende hin, wie es bei Liebenden eben passiert, wurde sie gemein und grausam zu mir.« Ob das stimmt, sei dahingestellt. Vielleicht aber war sie es ja, die Doherty auf dem Wolfman-Stück For Lovers besang. Damit hätte sie ihm einen – sträflich übersehenen – Höhepunkt in seiner Karriere beschert.

9. Carole King – So Far Away

Gerade über Doherty wurden im spielfreudigen Großbritannien viele Wetten abgeschlossen: Wird er oder wird er nicht…? Aber nein, Doherty wurde kein Mitglied im sogenannten Klub 27, der Riege von Rockstars, die im Alter von 27 Jahren verstarben. Winehouse aber schon, tatsächlich verstarb sie im 25. Todesjahr Kurt Cobains, eines der bekanntesten Mitglieder des ominösen Klubs, dem auch Brian Jones von den Rolling Stones, Jimi Hendrix, Janis Joplin und Jim Morrison angehören und welcher erst nach ihrem Tod am 23. Juli 2011 breit diskutiert wurde. Mythenbildung hin oder her: War Winehouse schon zu Lebzeiten weit von der Realität entfernt, so war sie ab diesem Tag umso mehr So Far Away. Obwohl Winehouse das Stück Will You Still Love Me Tomorrow gecovert hatte, war So Far Away ihr eigentlicher Lieblingssong von Carole King. Er sollte ihr auf ihrer eigenen Beerdigung Geleit geben, als ihre Familie und ihr Freundeskreis ihn am Ende der Zeremonie gemeinsam anstimmten.

10. Beyoncé – Back To Black (feat. André 3000)

Zwei Studioalben veröffentlichte Amy Winehouse im Laufe ihrer Karriere, berühmt wurde sie vor allem für das zweite. Kurz nach ihrem Tod stellte sie sogar einen traurigen posthumen Rekord auf: Die Single-Charts wurden von gleich mehreren ihrer Songs dominiert, Back To Black mauserte sich zum meistverkauften britischen Album des 21. Jahrhunderts. Oft vergessen wird darüber ihr Debüt Frank, auf dem Winehouse ihr Faible für Hip Hop auslebte. Als Teenager hörte ihr Bruder Bands wie Sonic Youth, Pearl Jam und Therapy. Auch die kleine Schwester freundete sich damit an, erst aber mit der Entdeckung von Salt-n-Pepa war ihr klar: »Ich habe meine Musik gefunden!« Es hätte sie also sicherlich gefreut, die Back To Black-Coverversion von R’n’B-Titatin Beyoncé und OutKast-Mitglied André 3000 zu hören. Allein schon, weil die auf dem Soundtrack von Baz Luhrmanns Great Gatsby-Verfilmung zu hören war. Ein Film, so vergangenheitsverliebt und schrill-modern wie Winehouse selbst.


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