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Popkultur

Die musikalische DNA von Brian Fallon

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Anfang 2018 ging ein Raunen durch die Rock-Welt. The Gaslight Anthem kündigten ihr Comeback in Form einer Tour an, während derer sie ihr Überalbum The 59‘ Sound zur Gänze aufführen würden. Hieß das etwa, dass…? Nein, ließ Mastermind Brian Fallon die Fanbase wissen – von neuer Musik sei erst mal keine Rede. „Ich denke, dass Green Days American Idiot die beste Comeback- beziehungsweise Karrierenmitte-Platte ist, die eine Band je aufgenommen hat“, sagte er. „Würde ich also auf Material von der Güteklasse American Idiot sitzen, dann würde ich die anderen anstupsen und sagen ‚Hey Leute, vielleicht sollten wir das veröffentlichen.‘ Tue ich aber nicht. Ich habe gerade kein zweites Born To Run in mir.“


Hört euch hier einen Vorgeschmack der musikalischen DNA von Brian Fallon an:

Für die ganze Playlist klickt auf „Listen“.

Ein Statement, wie es nicht nur vorbildlich, sondern auch stellvertretend für Fallons Blick auf die Welt ist. Nie ging es seiner Band oder ihm um den Ausverkauf, immer nur um die Musik – seit immer schon. Seine Mutter, die in den späten sechziger Jahren als Folk-Künstlerin aktiv war, brachte ihm die Begeisterung für die Musik und nicht zuletzt ein paar Songwriting-Kniffe mit, seit seinem 18. Lebensjahr teilt der 1980 geborene US-Amerikaner seine Lebenszeit zwischen Bühne und Studio auf. Am bekanntesten ist er für seine Arbeit mit The Gaslight Anthem, doch hat Fallon immer auch mehr in petto: Zuvor gab es This Charming Man, später gründete er The Horrible Crowes, Molly and the Zombies und nahm einige Solo-Alben auf.

Wenn von Gaslight Anthem im Allgemeinen und Fallon im Speziellen die Rede ist, fällt gerne mal ein Name: Bruce Springsteen. Doch der Boss ist nicht der einzige Musiker, dessen Output Fallon über die Jahre hinweg beeinflusste. Mit einem Blick auf seine musikalische DNA sehen – und hören! – wir schnell, dass sie ihn nicht nur in kreativer Hinsicht, sondern auch in Sachen Haltung geprägt haben.


1. Bruce Springsteen – The Promise

Aber natürlich: Alles fängt beim Boss an. Zwar wurden die Quervergleiche zwischen Fallons Musik und Springsteen gerne mal überbetont, doch sind sie genauso wenig von der Hand zu weisen. Nach der Veröffentlichung von American Slang sagte Fallon in einem Interview: „Es gibt so viel mehr, das in unserem Sound drinsteckt. Zu viel, um für immer auf diesen einen Typen reduziert zu werden.“ Schwingt da ein bisschen Bitterkeit mit? Nicht unbedingt. „Zugleich ist es schön, wenn der Vergleich kommt. Ich schätze mal, wir müssen diese Last tragen, bis sie sich abgenutzt hat.“ Hat sie bisher wohl noch nicht.

Auch wenn Fallon hin und wieder bei Konzerten sein Publikum daran erinnern muss, dass sein Name Brian und nicht Bruce lautet – mit dem Boss selbst teilt er sich gern eine Bühne. Dass er schon mehrfach mit dem großen Heartland Rocker dessen Song No Surrender live aufführen dürfte, sollte da ein Trostpflaster darstellen. Auch The Promise in der intimen Piano-Version, wie sie auf der Outtake-Compilation 18 Tracks zu hören ist, hat eine ganz besondere Bedeutung für Fallon. Als er mit The Gaslight Anthem seinen Durchbruch feierte, brachte der Boss das Gefühl der Desillusioniertheit angesichts der Musikindustrie und der Erschöpfung nach jeder absolvierten Tour perfekt auf den Punkt. „Der Song gab mir das Gefühl, nicht allein zu sein“, so Fallon. „Als würde mich jemand verstehen.“ Und ist das nicht das Schönste, was über Musik gesagt werden kann?


2. Tom Petty – I Won’t Back Down

Springsteen gehört zusammen mit Bob Seger, John Mellencamp und Tom Petty zu einem der prominentesten Vertreter dessen, was gemeinhin als Heartland Rock bezeichnet wird. Einfache, aber smarte Rock-Musik mit Texten, die direkt aus dem Leben gegriffen sind und nicht selten die herrschenden Verhältnisse kritisch aufgreifen. Kein Wunder also, dass Fallon sich immer wieder auch auf die anderen Vertreter dieser Strömung – wenn denn von einer solchen die Rede sein kann – bezogen hat. Insbesondere Tom Petty hat es ihm angetan.

Die Songs American Girl, Refugee und You Got Lucky von Petty und seiner Band, den Heartbreakers, haben The Gaslight Anthem entweder live oder im Studio mit ihrer eigenen Interpretation versehen und in nicht wenigen Songs finden sich Anspielungen auf ihn und seine Lieder. „Er ist der Beste“, schwärmte er in einem Interview auf die Frage hin, mit wem er gerne mal zusammen spielen würde. Möglich ist das nicht mehr, Petty starb im Oktober 2017. Es bleiben aber die zahlreichen Hommagen. Auch bei den Crowes gehören Song wie I Won’t Back Down fest ins Live-Repertoire.


3. Bob Dylan – Just Like A Woman

Wenn wir schon von Bruce Springsteen und Tom Petty sprechen, dürfen wir von Bob Dylan nicht schweigen. Der Träger des Literaturnobelpreises gilt in der Rock-Welt und darüber hinaus nicht ohne Grund als einer der genialsten Songwriter und Texter seiner Generation. Nur logisch, dass Fallon ihn ebenfalls zu seinen Inspirationsquellen zählt. Sein Nebenprojekt Molly and the Zombies benannte sich zwar nach einem Song des 13th Floor Elevators-Mitbegründers Roky Erickson, die Musik der Supergroup – Brian McGee, Catherine Popper und Randy Schrager sind ebenfalls dabei – ist aber dezidiert an Dylans Highway 61 Revisited angelehnt.

Fallons Begeisterung für das musikalische Schaffen von Robert Allen Zimmerman keimte schon in Kindheitstagen auf. „Das war wohl während der späten achtziger und frühen neunziger Jahre“, erinnerte er sich. „Ich hörte viel Guns N‘ Roses und Nirvana, konnte aber nicht so spielen.“ Anders aber, als er zum ersten Mal Just Like A Woman hörte. „Das war schon eine Erleuchtung damals: Da war nur dieser Typ mit einer Gitarre und ein paar Lyrics, der nicht mal eine gute Stimme hatte. Das traf mich und ich sagte mir: ‚Ich kann das auch!‘“ Dass der Text des Stücks nicht unbedingt mehr zeitgemäß ist, gibt er aber unumwunden zu. Fallon hat sich schließlich mit seinen kruden Aussagen zur Evolutionstheorie genug in die Nesseln gesetzt, um anderswo nicht die notwendige Vorsicht walten zu lassen…


4. The Clash – Straight To Hell

À propos Politik: Fallon wuchs relativ, aber nicht vollkommen behütet auf und fand in der Rock-Musik eine Möglichkeit zur Rebellion. „Ich musste mich mit der Frustration herumschlagen, die damals am unteren Ende der Mittelschicht zum Leben dazu gehörte“, erinnerte er sich. Dylan half dabei, bald gesellten sich The Clash und insbesondere ihr charismatischer Frontmann Joe Strummer hinzu. „Ich hörte die erste Clash-Platte und mir wurde der Zusammenhang zwischen Strummers Mundharmonika und der von Dylan sofort klar.“ Der „sound from Camden town“, wie es in der Strummer-Hommage I’da Called You Woody, Joe von The Gaslight Anthem heißt, hat ihn seitdem nicht losgelassen.

Nach seiner liebsten Punk-Single gefragt nennt Fallon heute noch an erster Stelle Straight To Hell von The Clash, zu hören auf deren Album Combat Rock – knapp vor Wrong von den Hives und sogar The Passenger von Iggy Pop. „The Clash waren einfach eine der besten Bands aller Zeiten“, hieß es weiter. „Sie haben im Punk alles verändert, mit den Trennlinien von Sicherheitsnadeln und Lederjacken gebrochen. Bei ihnen ging es mehr um die Message als um die Mode.“ Nicht, dass Fallon den Lederjacken abgeschworen hätte. Aber unter den Klamotten klopft das Herz für Punk und den Aufstand gegen die festgefahrenen Konventionen.


5. Queen – Under Pressure (featuring David Bowie)

Obwohl Brian Fallon mit seinen verschiedenen Bands wie auch als Solo-Künstler gerne mal auf klassische Strukturen zurückgreift, so sind ihm die Randgänger und Exzentriker eben am liebsten. Das gilt auch für einen anderen britischen Künstler, der die Pop-Welt für immer veränderte. „Er hat alles auf den Kopf gestellt“, schwärmte Fallon von einem gewissen David Robert Jones. „Er war jemand, von dem ich wie von Bob Dylan oder Queen dachte, dass ich niemals an dieses Level von Kreativität heranreichen könnte. Das ist einfach nicht möglich. Du willst nicht mal versuchen, das zu kopieren. Andere – wie etwa Bruce Springsteen oder The Clash – fordern dich geradezu dazu auf, es ihnen nachzumachen. Aber Bowie war unberührbar.“

Ob also vielleicht eine Zeile wie „To bow at your feet in the service of the queen“ aus dem Song Her Majesty’s Service als Anspielung auf Bowie und Queen sein könnte? Okay, klar, diese Vermutung trägt mindestens einen Aluhut. Immerhin aber scherzt Fallon gern mal, sowohl den Billy Joel-Song Pressure wie auch das (fast) gleichnamige Stück Under Pressure zu mögen. So oder so: „Er hat mich total umgehauen und ließ mich darüber nachdenken, die Gitarre an den Nagel zu hängen“, sagte Fallon über Bowie – und wir sind froh, dass es nie soweit kam.


6. Misfits – Astro Zombies

Wie sein Faible für Bowie bereits andeutet, mag Fallon es, wenn seine Vorbilder mehr als nur solides Musikerhandwerk mitbringen. Musik ist für ihn immer auch Teil eines kohärenten Gesamtkunstwerks. Deshalb zieht es ihn auch im Punk-Bereich zu genresprengenden Bands wie The Clash oder Gruppen wie Social Distortion, die Punk mit Rockabilly und der entsprechenden Ästhetik zusammen dachten. Wer aber wie Fallon aus New Jersey stammt, der hat auch den örtlichen Punk-Sound in sich aufgesogen. Neben den Bouncing Souls gehören die Horror-Punks von den Misfits zweifelsfrei mit zu den wichtigsten Impulsgebern.

Ehrensache also, dass Fallon gerne mal Misfits-Cover in seine Solo-Sets einbaut und sich nicht zweimal bitten ließ, als das Alkaline Trio ihn für ein Cover von Astro Zombies auf die Bühne bat. Der gesalbte Gesang von Gründungsmitglied Glenn Danzig hallt schließlich zweifellos auch in Fallons eigener Stimme nach. Kaum jemand verband grässliche Inhalte mit dermaßen eingängigen Hooks – ob nun in New Jersey oder sonst irgendwo. Denn dort gibt es ebenfalls mehr zu entdecken als nur die Musik vom Boss!


7. Hot Water Music – No Division

Doch nicht nur mit alten Helden des Punk-Genres, sondern auch deren Erneuerern bezieht Fallon seine Inspiration. Schon auf The 59‘ Sound hatte Chris Wollard von Hot Water Music mitgewirkt, eine noch engere Freundschaft verbindet ihn allerdings mit Chuck Ragan, dem anderen Gitarristen und Sänger der Band aus Gainesville, Florida. Oft teilen sie sich mit ihren akustischen Solo-Projekten eine Bühne und nahmen im Jahr 2009 sogar eine gemeinsame Split-Single mit dem Titel Gospel Songs auf. Ein Geständnis an ihre gemeinsame Liebe für Folk- und Americana-Sounds, vielleicht aber auch ein augenzwinkender Hinweis auf Fallons Glauben, den er sonst aus seiner Musik herauszuhalten pflegt.

Hot Water Music machten sich einen Namen mit einer komplexen und aufreibenden Interpretation von Punk, die frontal und doch emotional aufgeladen war. Mit Alben wie dem 1999 veröffentlichten No Division etablierten sie sich als eine der besten Bands des Genres und konnten den damals erst 19-jährigen Fallon wohl direkt überzeugen. Und weil Wollard, Ragan sowie Drummer George Rebelo und Bassist Jason Black es mit der Message ihrer Songs stets ernst meinten, halfen sie auch der jüngeren Generation aus – Fallon und seiner damals nur im Underground bekannten Band mit eingeschlossen. Dass die sich mit einigen musikalischen Respektbekundungen bedankten, verstand sich da wie von selbst.


8. Pearl Jam – Smile

In seiner Teenager-Zeit aber konnte sich Fallon dem Sound der Stunde nicht entziehen. Wieso denn auch, wenn Bands wie Nirvana und Pearl Jam die Charts stürmten? Die Revolution der sogenannten Grunge-Musik – bis heute ein unliebsames Schlagwort für jede Band, die in der entsprechenden Schublade landete – hinterließ auch bei ihm seine Spuren. Gemeinsam mit The Gaslight Anthem zollte Fallon mit Nirvana durch ein Cover ihres Songs Sliver Tribut und zog auch seinen Hut vor Pearl Jam: Nachdem die Band 2011 im Rahmen ihrer iTunes Session das Stück State of Love and Trust neu einspielte, fand sie sich im September 2012 mit Eddie Vedder auf der Bühne wieder, der es mit ihnen gemeinsam sang.

Als Fallon die Gaslight Anthem-Platte Handwritten ankündigte, nannte er Pearl Jam neben dem seinerseits für die Grunge-Generation als Vorbild dienenden Neil Young als Inspiration. An beiden schätzt er, dass auch sie mit den Konventionen und Erwartungshaltungen ihres jeweiligen Publikums zu brechen bereit waren. „Ich will die No Code-Platten machen“, sagte er mit Verweis auf das gleichnamige Pearl Jam-Album, das im Stück Smile Young Tribut zollte. „Sie hatten drei Rock-Platten veröffentlicht und kamen dann plötzlich damit ums Eck. Und alle nur so: ‚Was zur Hölle?‘ Doch später, fünf Jahre oder so, konnten sich alle einigen: ‚Das ist großartig!‘“ Typisch Fallon: Nicht nur um die Musik, sondern ebenso um die Haltung dahinter geht es ihm.


9. Sam Cooke – Bring It On Home to Me

Im Laufe seiner Karriere ist Fallon stets seinen eigenen Weg gegangen und hat sich trotz aller Zuschreibungen – Punk hier, Springsteen dort – wieder und wieder als freimütiger und wagemutiger Songwriter bewiesen. Außerhalb überholter Konventionen entfaltet er seine typische Magie, die Punk-Fans ebenso begeistert wie das Publikum von eher klassischen Sounds wie dem Heartland Rock oder Folk und Americana. Eine besondere Beigabe ist der Soul, der in seinem unverwechselbaren Gesang mitschwingt. Kein Wunder, denn von Soul ist es nicht weit zum Gospel und dem Blues – beides ebenso wichtige Genres für Rock im Gesamten und Fallons Musik im Speziellen.

Auf Soul stieß Fallon laut eigener Aussage, nachdem er sich mit Käuzen wie Tom Waits angefreundet hatte und auf der Suche nach mehr emotionalem Sprengstoff war. „Bring It On Home to Me war für mich ein Riesensong. Er zeigte mir, dass es möglich war, direkt aus dem Herzen zu singen. Ich wusste zwar, dass ich niemals auf diese Art und Weise singen oder die Instrumente spielen würde, aber das war mir egal.“ Die Rede ist von „The Man Who Invented Soul“, Sam Cooke. Dessen Platten bringen selbst den einschweißten Tanzmuffel Fallon dazu, die Hüfte zu schwingen. Was fürs Herz und die Hüften also. Passt doch!


10. The Killers – All These Things That I’ve Done

Wo wir schon beim Soul waren: „I got soul but I’m not a soldier“, hieß es einmal anderswo und fast hätte diese Zeile auch aus Fallons Mund kommen können. Fast. Denn natürlich hat sie Brandon Flowers, Sänger und Songwriter der Band The Killers, ersonnen. Es gibt viel, was Flowers und seine Truppe von Fallon und seinen zahlreichen Projekten trennt. Wo die Killers den Glanz und die Gloria ihrer Heimatstadt Las Vegas in pompösen Bühneninszenierungen und einem noch pompöseren Rock-Sound verarbeiten, gehört Fallon zu einem erdigen Schlag von Musikern an.

Doch nicht allein ihre gemeinsame Liebe zu den Großen des Fachs – ja, allen voran natürlich Bruce Springsteen! –, sondern auch persönliche Bindungen machte das ungleiche Paar im Jahr 2013 zu Tourpartnern. Nachdem The Gaslight Anthem im Jahr 2015 ankündigten, ihre musikalischen Aktivitäten bis auf Weiteres einzustellen, sangen ihnen die Killers zwei Jahre später ein kleines Ständchen: Bei einem Konzert in New York coverten sie den Song American Slang. Anlässlich der Veröffentlichung seines Albums Sleepwalkers gab Fallon zu, dass er sich die Band als erneute Tourpartner wünschen würde. „Sie haben American Slang gecovert und ich dachte mir: ‚Das ist cool, also… habt ihr’n Schlafplatz für mich? Wie wär’s, ruft mich doch einfach zurück!‘“ Ob das jemals passieren wird? Wir hoffen es! Nicht nur für Fallon…


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