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Popkultur

Die musikalische DNA von Cream

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Fto: Chris Walter/WireImage/GettyImages

Wenige Sekunden nach Gründung von Cream wäre es fast zu einem Unfall gekommen, der die Karriere des Trios für immer vereitelt haben könnte. Nach einem Gig der Band Bluesbreakers waren deren Gitarrist, ein gewisser Eric Clapton, und ein Schlagzeuger namens Ginger Baker auf dem Weg zurück nach London, als Baker dem Kollegen vorschlug, eine Band zu gründen. Der sagte prompt zu, hatte aber eine Bedingung: Jack Bruce sollte dabei sein. Das überraschte Baker dermaßen, dass er fast die Kontrolle über den Wagen verlor! Denn grün waren sich die beiden, die zuvor schon zusammen in Bands gespielt hatten, keineswegs. Und das ist nur milde ausgedrückt: Angeblich soll Baker Bruce mit einem Messer bedroht haben, um ihn aus einer Band zu schmeißen!

Hört euch hier das Album Wheels Of Fire von Cream an und lest weiter:

Clapton aber bekam seinen Willen und der Rest ist Musikgeschichte. Innerhalb von nur zwei kurzen Jahren avancierten Cream – so benannt, weil sich darin die crème de la crème der britischen Blues- und Jazz-Szenen vereinte – zu einer der erfolgreichsten Rock-Bands ihrer Zeit. Ihr drittes Album Wheels Of Fire brach alle bis dato aufgestellten Erfolgsrekorde und auch ihr Einfluss auf andere Rock-Bands jeglicher Couleur kann kaum unterschätzt werden. Der Prog Rock von Yes oder Rush? Ohne Cream nicht denkbar. Led Zeppelin, Deep Purple, Black Sabbath? Sie alle nannten Cream als Inspiration. Selbst in den Südstaaten der USA wurden Cream für ihren eklektischen Sound gefeiert und beeinflussten Bands wie die Allman Brothers Band und Lynyrd Skynyrd.


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Das Ende der Band wurde aber ebenso schnell besiegelt wie die spontane Gründung auf der Autofahrt nach London. Baker klagte in Interviews über Hörprobleme und die alten Zankereien zwischen ihm und Sänger Bruce flammten wieder auf – sehr zum Leidwesen Claptons, der zwischen ihnen vermitteln mussten. Und das obwohl er selbst gehörig kriselte! Positiv gesprochen machten Cream allerdings genau dann Schluss, als sie eigentlich alles erreicht hatten. Welche Musik sich in ihre musikalische DNA einschrieb und den Cream-Sound so einzigartig machte, das erfahrt ihr bei uns.

1. Howlin’ Wolf – Spoonful

Cream waren nicht nur – pardon – allererste Sahne, sie bewiesen ebenso selbst insbesondere in Sachen Blues den allerbesten Geschmack. Auf ihrem Debütalbum legte die dezidiert als gleichberechtigtes Songwritertrio angelegte Supergroup ihre Einflüsse offen dar. Ironischerweise war eine Coverversion allerdings nicht auf der US-Version von Fresh Cream enthalten: Mit dem 1960 von Howlin’ Wolf aufgenommenen Spoonful interpretierten die Drei ein Stück des Delta-Blues-Masters Willie Dixon neu, einem der produktivsten Songwriter seiner Zeit. Während der ebenfalls von Cream gecoverte Robert Johnson zu dieser Zeit bereits seine verdiente Aufmerksamkeit erhalten hatte, konnten Cream ihrem Idol noch zusätzliche Aufmerksamkeit einbringen. Wen würde es nicht glücklich machen, den eigenen Held endlich ins verdiente Spotlight zu rücken? Zugleich aber bewiesen Cream mit ihrer Coverversion ebenso, wie weit ihre musikalische Vorstellungskraft reichte: Die im Filmore eingespielte Live-Version des kargen Stücks uferte auf fast 17 Minuten aus! Nachzuhören ist die umwerfende Jam-Session auf Wheels Of Fire. Ihre Wurzeln im Blues waren für Cream lediglich die Basis für Größeres.

2. The Modern Jazz Quartet – The Golden Striker

Nicht zuletzt klangen Cream dermaßen einzigartig, weil sie auch dezente Jazz-Noten in ihre Musik einfließen ließen. Hauptverantwortlich dafür war Jack Bruce, dessen Spiel deutlich von den Großen des Genres geprägt war und der im Laufe seiner Karriere einige Jazz-Platten aufnahm. Das bereitete ihm zu Uni-Zeiten sogar Probleme: Nachdem er ein Stipendium für Cello und Komposition an der Royal Scottish Academy of Music and Drama gewonnen hatte, kam er für seine Mitgliedschaft in Jim McHargs Scotsville Jazz-Band in Schwierigkeiten, weil die Akademie ihren Schüler nicht Jazz spielen sehen wollte. Sie fanden es raus und sagten mir: ‚Entweder hörst du auf oder verlässt die Uni.‘ Also verließ ich die Uni“, erinnerte sich Bruce trocken in einem Interview. Während seiner Uni-Zeiten noch kam er allerdings mit der Musik von The Modern Jazz Quartet in Berührung. „The Golden Striker war die erste Platte, die ich während meines Studiums der klassischen Musik kaufte“, erinnerte sich der Bassist im Frühjahr 2014 im britischen Express. „Obwohl sie eine Jazz-Gruppe waren, spielten sie in einem vorzüglichen klassischen Stil und ich fand es großartig!“ Anders als seine Uni sah Bruce keinen Unterschied zwischen den beiden Welten – das machte ihn auch als Musiker aus.

3. Koola Lobitos – Highlife Time

Ein weiteres zentrales Element des Cream-Sounds war natürlich das druckvolle Drumming Ginger Bakers, der sich ebenfalls als Jazzer betrachtete und mit der Lautstärke seiner Band so seine Schwierigkeiten hatte. Baker ist eben ein Mann fürs Feine, auch wenn er beispielsweise mit dem Song Toad eines der frühesten Beispiele für Schlagzeug-Soli in der Rock-Geschichte für sich verbuchen kann. Eine ganz besondere Leidenschaft aber hat der aufbrausende Drummer für die Afrobeat-Rhythmen von Fela Kuti, mit dem er sogar gemeinsam auf Tour ging, als er nach dem Ende von Cream für einige Jahre nach Nigeria zog. Felas Rhythmussektion wurde indes von Tony Allen perfektioniert, dem Ausnahmedrummer des Genres. Bevor sie gemeinsam mit Kutis Band Africa ‘70 über 30 (!) Alben aufnahmen, spielten beide Mitte bis Ende der siebziger Jahre in der Band Koola Lobitos, welche den nigerianischen Highlife-Sound mit Jazz zusammenführte. „Tony Allen motzte die Band auf“, sagte Baker später über den Kollegen und Africa ‘70. „Er hatte nahezu komplette Kontrolle über die gesamte Situation.“ Ein Drummer mit Vorbildfunktion also: Baker schließlich musste seine jamwütigen Kollegen nicht selten zur Räson bringen.

4. The Beach Boys – Wouldn’t It Be Nice

Es fällt nicht gerade schwer zu verstehen, warum Baker mit seinem Bandkollegen Jack Bruce nie zurechtkam. Charakterlich waren beide an ganz verschiedenen Polen angesiedelt. Anders als der hitzige Baker hat der reservierte Bruce ein Faible für Pop-Musik. Den Cream-Song I Feel Free aus dem Dezember 1966 hätte es wohl nicht ohne die Pet Sounds-LP der Beach Boys gegeben, welche früher im Jahr die Pop-Musik revolutioniert hatte. „Es hatte dieselbe Auswirkung wie Sgt. Pepper“, erinnerte sich Baker. „Es war so frisch und kreativ. Es zeigte uns, was im Rahmen eines Pop-Songs alles möglich war und trieb meine Ambitionen an, I Feel Free zu schreiben.“ Vielleicht werden es insbesondere die komplexen Harmonien von Ohrwürmern wie Wouldn’t It Be Nice gewesen sein, die Bruce den Mut dazu verliehen. Zur Freude Claptons wohl, denn der wollte lieber bei der Gitarre bleiben anstatt zu singen. Es half aber nichts und alle mussten am Mikro aushelfen – schließlich galt es sich mit den Beach Boys zu messen!

5. Big Bill Broonzy – Hey Hey

Warum Clapton lieber schweigen wollte? Na, die „Slowhand“ hatte schließlich den Takt zu halten. Allein, weil einer seiner größten Helden aus Anfangstagen einen strammen Beat vorlegte. „Sein Rhythmus, er ist einfach so perfekt“, stöhnte Clapton begeistert beim Hören von Big Bill Broonzys Hey Hey. Auf der Aufnahme des Songs nämlich ist neben der Stimme und dem Gitarrenspiel des 1958 verstorbenen Blues-Pioniers noch ein anderes Instrument zu hören: sein Fuß! Der klopft mit der Ruhe und Genauigkeit eines Metronoms den Takt mit. So steppt Talent! Zumal Broonzy selbst mit einer Akustikgitarre bewaffnet noch einen Raum für sich gewinnen konnte – während Clapton zu Cream-Zeiten auf hohe Verstärkertürme und auf Anschlag aufgerissene Lautstärkeregler setze. Sehr zum Leidwesen seines Kollegen am Schlagzeug natürlich. Die Akustikgitarre meisterte er aber schlussendlich ebenso. Sein Unplugged-Album gehört zu einem Höhepunkt der Rockgeschichte. Darauf zu hören: Ein Cover von Hey Hey. Wer genau hinhört, wird im Hintergrund ein stetes Tapsen hören…

6. Albert King – Oh, Pretty Woman

Wie seine Bandkollegen war auch Clapton allerdings schon immer ein Freund von musikalischen Grenzüberschreitungen, wie nicht allein seine Annäherung an Reggae und andere Genres bewies. Dem Blues allerdings blieb er dabei stets treu – manchmal sogar zu sehr! Creams Durchbruchsalbum Disraeli Gears verblendet die neue britische Psychedelik von Bands wie Pink Floyd mit US-amerikanischem Blues, durchgehend originell aber daran war nur die Mischung an sich. Beim Opener Strange Brew nämlich bediente sich Clapton frech und frei an Albert Kings Oh, Pretty Woman, dessen Gitarrensolo er Note für Note nachspielte! King wird es dem jungen Kollegen aber wohl nachgesehen haben, denn tatsächlich teilten sich die beiden viele Zeit später mit anderen Blues-Giganten wie B. B. King und Etta James die Bühne. Puh, noch mal Glück gehabt… Zumal es nicht das einzige Mal bleiben sollte, das eine Clapton-Band sich von King mehr als nur Inspiration lieh: Das Gitarrenriff von Layla etwa basiert auf der Melodie von Kings As Years Go Passing By! Der Übeltäter war in dem Falle nicht Clapton, sondern der während der Aufnahmensessions zu Derek & The Dominos gestoßene Duane Allman.

7. Bond + Brown – Lost Tribe

Albert King sollte die Band aber noch weiter begleiten. Tatsächlich findet sich auf ihrem Überalbum Wheels Of Fire ein – diesmal offizielles – Cover von seinem Stück Born Under A Bad Sign. Das nahmen die Drei auf Bitten ihrer Plattenfirma auf, die ebenso King unter Vertrag hatten. Nicht ganz freiwillig also, aber mit großem Erfolg. Sogar bei ihrer Aufnahme in die Rock and Roll Hall Of Fame im Jahr 1993 spielten sie das Stück. Mit Wheels Of Fire deutete sich ein Stilwechsel an, der Folgen haben sollte. Komplexere Taktarten waren angesagt, der Sound wurde opulenter. Es war ein Album, zu dem Clapton ausnahmsweise recht wenig beitrug und zu dem Baker und Bruce jeweils drei beziehungsweise vier Stücke beisteuerten. Bruce’ schrieb seine Songs zusammen mit dem Lyriker Pete Brown, der schon die Texte zu I Feel Free und anderen Stücken verfasst hatte. Manche Fans handeln Brown deshalb als inoffizielles viertes Mitglied der Band, tatsächlich aber kann auch er auf eine eigene musikalische Karriere mit Bands wie Piblotko, The Interoceters und anderen zurückblicken. Nach dem Ende von Cream fand er sich unter anderem mit dem Keyboarder Graham Bond zusammen, mit dem er gemeinsam ein Album mit dem vielsagenden Titel Two Heads Are Better Than One einspielte. „Jack und ich hatten immer diese Chemie, eine Telepathie, genau zu wissen, was gebraucht wurde“, verlautbarte er vor wenigen Jahren mysteriös über seine Zusammenarbeit mit Bruce. Eine Symbiose, der seine Kollaboration mit Bond in nichts nachsteht!

8. The Band – Tears Of Rage

Wheels Of Fire markierte zugleich jedoch den Anfang vom Ende der zu diesem Zeitpunkt noch so jungen Band. Das letzte gemeinsame Jahr war ein beschwerliches und anstrengendes für die drei Mitglieder. Clapton insbesondere driftete auf eine kreative Krise zu, die in einer Rolling Stone-Rezension von Jon Landau gipfelte, in welcher dieser den Gitarristen abfällig als einen „Meister des Blues-Klischees“ bezeichnete. Das saß! Dazu kam seine Frustration mit den Live-Auftritten der Band. Angeblich hörte er während eines Gigs einfach auf zu spielen – und seine Kollegen bemerkten es über die irrwitzige Lautstärke der Marshall-Türme hinter ihnen überhaupt nicht! Es stand fest: Clapton wollte sich neu orientieren. Halt fand er in der Musik Bob Dylans und insbesondere deren früherer Band mit dem nüchternen Namen The Band. Deren Album Music From Big Pink soll seine Welt regelrecht auf den Kopf gestellt haben. „Ich wurde sehr, sehr unzufrieden mit meinem eigenen Kram“, erinnerte er sich Jahrzehnte später in einem Interview. „Ich habe dieses Album gehört und dachte mir: ‘Das ist es. Da hätte Musik hingehen sollen und endlich ist genau das passiert.‘“ Besonders reizte Clapton das Miteinander von Einflüssen aus schwarzen und weißen Musiktraditionen, die einzigartige Mischung aus Blues und Folk. Schon der Albumopener Tears Of Rage scheint eine perfekte Synthese aus psychedelischen Rock-Elementen, dezenten Bluegrass-Noten und einer gehörigen Portion Soul. Kein Wunder, dass sich Clapton sofort in die Platte verliebte! „Sie wussten ganz genau, was sie wollten.“ Anders als seine eigene Band also.

9. The Beatles – Let It Be

Lasst es sein! Das haben vielleicht auch einige Menschen der maroden Band geraten, als sie sich an die katastrophalen Aufnahmen ihres letzten Albums mit dem sprechenden Titel Goodbye machten. Darauf zu hören war auch das Gitarrenspiel eines ominösen Gasts: Als L’Angelo Misterioso, als mysteriöser Engel, war der Rhythmusgitarrist in den Credits der Platte genannt, welcher auch als Ko-Songwriter involviert war. Dahinter verbarg sich niemand anderes als George Harrison. Clapton und er kannten sich bestens, hatte das Cream-Mitglied doch auf dem White Album der Beatles mit einem Gitarrensolo auf Harrisons Song While My Guitar Gently Weeps einen Auftritt und war ebenso auf Harrisons erster Solo-Platte Wonderwall Music zu hören. Im Folgejahr übrigens, kurz nach der Auflösung von Cream, sah es auch bei den Beatles nicht zum Besten bestellt aus: Während der Aufnahmen von Let It Be verließ Harrison sogar für einige Tage die Band. Kein großes Drama für John Lennon, der bereits einen Ersatzgitarristen im Hinterkopf hatte. Ihr könnt bestimmt erraten, welchen…

10. Jimi Hendrix – 1983… (A Merman I Should Turn To Be)

Zwei Jahre nur existierten Cream, nahmen lediglich vier Alben auf und doch kann ihr Einfluss auf spätere Generationen nicht unterschätzt werden. Die crème de la crème der britischen Rock-Szene begeisterte nicht nur Fans in aller Welt, sondern ebenso zahllose Bands. Ein ganz besonderer Musiker sollte schneller vom Fan zum ebenbürtigen Konkurrenten aufsteigen, als es den ehrgeizigen Cream und vor allem ihrem Gitarristen lieb war: Jimi Hendrix war bereits auf den ersten Konzerten der Band zugegen und improvisierte sogar bei einem Auftritt im Oktober 1966 gemeinsam mit der Band über Howlin’ Wolfs Killing Time – in doppelter Geschwindigkeit! Zu viel für Clapton, der prompt die Bühne verließ und noch viel später aufgelöst den Kollegen Chas Chandler fragte: „Ist der immer so verfickt gut?“ Chandlers Antwort ist nicht überliefert, wir können sie uns aber denken: Ja, ist er. Hatten Cream schon mit Feedback experimentiert und mit protzigen Verstärkertürmen um Aufmerksamkeit geheischt, setzte Hendrix dem noch ganze andere Feinheiten entgegen. Wah-Wah-Pedale, psychedelische Soundeffekte und aufwändige Studiospielereien machten seinen Sound einzigartig. Ginger Baker übrigens freundete sich mit dem früh verstorbenen Genie sogar an und hatte noch Jahrzehnte später nur warme Worte für ihn übrig. „Jimi trug seine Band. Er trug sie allein. Da hatten die anderen kaum einen Anteil dran.“ Vielleicht hätte es einen dermaßen entschiedenen Bandleader bei Cream gebraucht, die über ihren Egos zerbrachen.

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