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Popkultur

Die musikalische DNA von Gregory Porter

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Es hätte alles anders laufen können und dann wäre Gregory Porter vielleicht nicht für seinen samtigen Jazz-Bariton bekannt geworden, sondern vor allem Sport-Fans ein Begriff. Die Football-Karriere aber erledigte sich nach einer Verletzung, lediglich das College-Stipendium blieb – und damit genug Zeit für den jungen Studenten, die eigene Stimme zu entdecken und weiterzuentwickeln. Nachdem sich der charismatische Sänger mit Musicals einen Namen machte, veröffentlichte er eine Reihe von Alben, die Jazz- und Soul-Fans gleichermaßen zum Schwärmen brachten. »Im Jazz habe ich mich selbst gehört«, sagt er zwar. Doch ist seine Musik angereichert mit Gospel- oder eben Soul-Elementen und der politisch engagierte Sänger hat auch ein Ohr für frische Hip Hop-Sounds. Dementsprechend breit strecken sich die Stränge seiner musikalischen DNA aus. Wie divers Porters musikalische Einflüsse sind, zeigt sich allein daran, wo seine Musik ihre Wirkung hinterlässt – und sei’s auf dem House-Dancefloor!


Höre dir hier Gregory Porters musikalische DNA in einer Playlist an und lies weiter:


01. Nat King Cole – A Portrait Of Jenny

Gregory Porter war 21, als er den größten Schicksalsschlag seines Lebens einstecken musste. Seine Mutter Ruth, welcher er mit seinem Mother’s Song vom Album Be Good einen einfühlsamen Tribut zollte, starb an den Folgen einer Krankheit. »Ich habe so viel über meine Mutter gesprochen, dass meine Band genau weiß, wie sie tickt«, sagte er einmal in einem Interview. Der christliche Background der Mutter überlebt in den dezenten Gospel-Einflüssen von Porters Musik, und nicht zuletzt hätte ohne sie seine Karriere wohl ganz anders ausgesehen. Als er mit fünf Jahren (!) seinen ersten Song schrieb, ermutigte sie ihn zu mehr und selbst auf dem Sterbebett hatte sie klare Worte für den Sohn parat: »Sing, baby, sing!« Anders sein Vater Rufus, den der junge Gregory kaum kennenlernte. Stattdessen fand er einen Ersatzvater in Nat King Cole. »Wenn ich als Junge gesungen habe, sagte sie [seine Mutter] stets: ‘Du klingst wie Nat King Cole.’ Deshalb begann ich irgendwann, mich durch ihre Nat King Cole-Platten zu hören«, erinnert sich Porter. »Dabei malte ich mir aus, er wäre mein Dad.« Diese Wahlverwandtschaft verarbeitete er sogar im Musical Nat King Cole and Me. Die Songs des legendären Jazz-Musikers begleiteten ihn sein gesamtes Leben lang. Stücke wie A Portrait Of Jenny, erzählte Porter einst, habe er selbst beim Football-Spielen durch den Mundschutz gesummt!


02. Ella Fitzgerald & Louis Armstrong – Summertime

Nat King Cole ist nicht das einzige Multitalent, das für Porter Vorbildfunktion hatte. Ein anderes war ein Reibeisen, das viel heiße Luft in noch heißere Sounds verwandeln konnte. »Für mich als Sänger, musst du denke ich mit der Stimme beginnen«, erklärte Porter einmal. »Mit Louis Armstrong und Billie Holiday in den Dreißigern (obwohl Armstrong zuvor für Jahrzehnte die Trompete gespielt hatte). Um dich durch ein Gespräch über den frühen Jazz zu mogeln, kannst du immer darüber schwadronieren, wie eindrucksvoll Armstrongs Sprechstimme schon klingt. Er hatte eine irre Sprechstimme, eine irre Singstimme und eine irre Spielstimme!« Ein heißer Tipp von einem, der’s wissen muss – und übrigens noch die regelmäßige Armstrong-Duettistin Ella Fitzgerald als eine der »zentralen Stimmen des Jazz« bezeichnete. Gemeinsame Kollaborationen der beiden wie etwa ihr Evergreen Summertime lassen keine Fragen auf, wieso Porter die beiden so sehr für ihr Ausdrucksvermögen und Können schätzt.


03. John Coltrane – Blue Train

Nachdem Porter zwei Alben über Motéma veröffentlicht hatte, konnte er sich am 17. Mai 2013 einen Traum erfüllen und bei Blue Note unterschreiben. Jazz wäre ohne das 1939 in New York gegründete Label in seiner Form nicht denkbar gewesen. Fast alle großen Heldinnen und Helden haben hier veröffentlicht und damit Geschichte geschrieben. So auch John Coltrane, der ein ausnehmend produktives Jahr 1957 mit seinem ersten Blue Note-Release krönen durfte, Blue Train. Noch 60 Jahre später klingt ‘Tranes Saxofon-Spiel mit seinen eleganten Phrasierungen und subtilen Ausbrüchen absolut einzigartig. Obwohl der zehn Jahre nach Release des bahnbrechenden Albums verstorbene Musiker eher selten hinter dem Mikro zu finden war, zählt ihn der posthume Labelmate Porter zu seinen Einflüssen und konnte ihm im Rahmen des 6. Coltrane Jazz Festivals im Jahr 2016 Tribut zollen. »Was Jazz von allem anderen unterscheidet, ist, dass du den Jazz nicht voraussagen kannst«, sagte Porter einmal. »Es geht um Freiheit. Sobald du denkst, dass du weißt, was du gleich hören wirst, kommt schon die nächste Abzweigung.« Eben das machte doch Coltranes Spiel aus.


04. Miles Davis – So What

Zwei Jahre nach Blue Train sollte ein anderes Jazz-Album das Genre auf immer verändern. Miles Davis’ Kind Of Blue markierte seinen Wechsel zu einer modaleren Spielart und war doch in seiner atmosphärischen Dichte radikal. Nachdem Porter in seiner Jugend von Nat King Cole vorgeprägt wurde, begann erst am College seine Jazz-Leidenschaft aufzublühen. Einer seiner Mentoren zu dieser Zeit wurde Kamau Kenyatta, der Porters Karriere noch lange begleiten sollten. Er traf ihn über den Posaunisten George Lewis, der ihn bei einer Jam-Session seiner Studenten beim Skat-Singen zuhörte. Lewis lud ihn sofort zu einem seiner Uni-Kurse ein, obwohl der junge Porter eigentlich Stadtplanung studierte. Als er allerdings den Kurs das erste Mal besuchte, war von Lewis keine Spur – stattdessen leitete Kenyatta eine Interpretation von Miles Davis’ So What, über der Porter als einziger Sänger sein Bestes gab. Mehr als genug für Kenyatta, der ihn nach Ende der Sitzung sofort beiseite zog. Es sollte der Beginn einer langen Freundschaft werden, in deren Verlauf beide Grammys für sich einheimsen konnten. Wie sagte doch schon Porter selbst in Hinsicht auf Jazz: »Du musst mit Miles Davis anfangen!« Diese (Erfolgs-)Geschichte tat es.


05. Robert Johnson – Crossroad Blues

Bevor die Beiden allerdings ihren gemeinsamen internationalen Siegeszug beginnen konnten, fing Porter klein an. Kenyatta stellte den jungen Sänger Hubert Laws vor, der Porters Leidenschaft für Nat King Cole teilte. Während gemeinsamer Sessions, in welcher Porter die Vocals für den Klassiker Smile (bekannt vor allem durch die Charlie Chaplin-Interpretation) übernahm, lernte er die beiden Laws-Schwestern Debra und Eloise kennen. Sie erkannten sofort das Ausnahmetalent des Sängers, dessen Bühnenerfahrung noch recht bescheiden ausfiel, und drängten ihn dazu, beim Casting für das Musical It Ain’t Nothin’ But the Blues vorstellig zu werden. Fast wäre das Vorsingen ein Desaster geworden: Weder wusste Porter, wo genau er eigentlich hin musste, noch hatte er eine Ahnung, welchen Song er performen sollte. Er entschied sich für eine bluesige Improvisation über eines der vielen Sprüchlein, das ihm seine geliebte Mutter auf den Weg gegeben hatte und stand schon bald zusammen mit den Laws-Schwestern auf einer Broadway-Bühne, wo er – vermutlich bestens vorbereitet – Klassiker wie den Crossroad Blues im Stile eines Robert Johnson vortrug. Eine Kette von glücklichen Zufällen brachte ihn dorthin, behaupten aber konnte er sich allein mit seinem außergewöhnlichen Talent.


06. Marvin Gaye – What’s Going On

Nicht allein Jazz und Blues fließt durch die Adern Porters, ähnlich wichtig für ihn war immer schon der Soul. Als Teenager gehörte die legendäre Sendung Soul Train selbstverständlich zum Bildungsprogramm im Hause Porter. Dort gaben sich Größen wie die Chi-Lites, James Brown oder natürlich Marvin Gaye die Ehre. Ähnlich wie Gaye vereint Porter einnehmende Sensibilität mit politischen Ansprüchen: So wie Gaye mit What’s Going On das politische Bewusstsein einer gesamten Nation in Hinsicht auf Vietnamkrieg, Drogenprobleme und Armut in den Innenstädten wachrüttelte, so ist der erlebte Rassismus ein ständiges Thema Porters. Der Song 1960 What? von seinem Debütalbum Water bezieht sich einerseits auf den ermordeten Bürgerrechtler Martin Luther King (»There was a man, voice of the people / Standing on the balcony of the Lorraine Motel / Shots rang out, yes, it was a gun / He was the only one to fall down, y’all / That ain’t right«) und verarbeitet andererseits die Geschichte von Porters Bruder, der ebenfalls angeschossen wurde (»Young man, coming out of a liquor store / With three pieces of black liquorice, in his hand, ya’ll / Mister policeman thought it was a gun, thought he was the one / Shot him down, ya’ll, that ain’t right«). »Weil er als Schwarzer in einer weißen Gegend herumlief!«, empört sich Porter heute noch über den Vorfall von 1980. »Als sie mit Urin gefüllte Bierflaschen in unsere Fenster schmissen, als sie ein Kreuz in unserem Vorgarten verbrannt haben!« Eine Verbitterung, die auch im Song On My Way To Harlem mitschwingt, in welchem Porter die sozialpolitische Entwicklung des New Yorker Viertels mit schwarzer Musikgeschichte und seiner eigenen Karriere zusammenbringt: »Marvin Gaye used to play What’s Going On right over there«.


07. Nina Simone – Sinnerman

Nina Simone war nah dran, als ihr Freund Martin Luther King an der Speerspitze der Bürgerrechtsbewegung fundamentale Rechte für die schwarze Bevölkerung der USA einforderte. Auch in ihrer Musik war Politik eine Konstante, vor allem aber war ihr einzigartiger Sound ein Sammelbecken von Stilen, welche afro-amerikanische Traditionen einem Mainstream-Publikum nahe brachten. Wie Porter war der Gospel eine ihrer großen Leidenschaften, wie bei ihm wurde sie vor allem als einzigartige Jazz-Sängerin bekannt, die ebenso versiert den Blues performen konnte. Kein Wunder, dass sich Porter auch an ihren Interpretationen tradierter Spirituals wie etwa dem fiebrigen Sinnerman versuchte, welches er im Jahr 2015 coverte. Auf der Compilation Nina Revisited: A Tribute To Nina Simone fand er sich zwischen Ms. Lauryn Hill, User und nicht zuletzt Lisa Simone in bester Gesellschaft wieder, die kampfeslustige Atmosphäre von Simones Interpretation aber bleibt ohne Frage unerreicht. Keine Schande allerdings, denn selbst ein Martin Luther King musste sich von der temperamentvollen Musikerin mit der tragischen Lebensgeschichte einiges anhören!


08. Kendrick Lamar – For Free?

»Vieles im HipHop ist Jazz«, betonte Porter mal in einem Interview. »Ich glaube, dass es Künstler gibt, die sich den Kopf darüber zerbrechen, was guter HipHop ist. Selbstreflexion und Selbstkritik waren immer ein wichtiger Bestandteil von Rap, Protest ebenso. Dasselbe finden sie im Jazz. Protest gehört zu den Grundlagen des Jazz, der aus dem Blues entstanden ist. Da lässt sich eine direkte Verbindungslinie zum HipHop ziehen.« Kaum einer hat das in den letzten Jahren so gut verstanden wie Kendrick Lamar, auf dessen Werk Porter im selben Gespräch prompt verweist. Lamars Album To Pimp A Butterfly war eine Kampfansage an die gescheiterte Idee eines post-racial Amerikas, das noch ein Martin Luther King herbeigeträumt hatte und zugleich eine harsche (Selbst-)Kritik an der schwarzen Community. Zugleich war das Album eine musikalische Wundertüte, das ungemein wissend schwarze Musiktraditionen von Funk über Soul bis natürlich Jazz in sich aufgesogen hatte. Am deutlichsten wird das bereits am Anfang im Interlude For Free?, einer harschen Abrechnung mit der Musikindustrie, die auf rumpeligen Bebop-Grooves delivert wird. Das weckt fast den Wunsch nach einer Kollaboration zwischen Lamar und Porter, oder?


09. Max Roach & Abbey Lincoln – Lonesome Lover

»Das, worüber ich am leidenschaftlichsten singe, sind meine persönliche Erfahrungen und andere Menschen«, erklärte Porter über seine einfühlsamen Lyrics. Von seiner Mutter ausgehend über Ella Fitzgerald hin zu Nina Simone und anderen Sängerinnen wie Carole King oder Amy Winehouse, denen er ebenfalls Tribut zollte, waren es auch innerhalb der Männerdomäne Jazz oftmals Frauen, die ihren Einfluss auf ihn ausübten. Wie Simone coverte Porter eine, die ihn ganz besonders prägt: Abbey Lincoln. Das 1962 auf Max Roachs Album It’s Time veröffentlichte Stück Lonesome Lover interpretierte er auf Liquid Spirit neu. »Sie war so persönlich in ihrem Stil und ihren musikalischen Gaben«, schwärmte er und gab auch zu, dass so eine Coverversion kein leichtes Unterfangen ist: »Es ist fast unmöglich, sich vorzustellen, dass jemand anderes ihre Songs singt! Sie schreckte nicht davor zurück, ihre politische Haltung in in Musik zu übertragen. Das Leben als Politik – sie hat daraus Musik gemacht und das hat mich und mein eigenes Verhältnis zu Musik sehr geprägt.« Seine Version von Lonesome Lover strotzt dementsprechend nur so vor Leidenschaft.


 10. Disclosure – Holding On

Ob auf dem Broadway oder auf Jazz-Festivals, Gregory Porters Zuhause ist die Bühne. Trotzdem ist seine charismatische Stimme ebenso im Club zu hören. Insbesondere ein Track schien sich – seiner treibenden Rhythmen sei Dank – für den Dancefloor zu eignen: Der Stockholmer DJ und Produzent Peter “Opolopo” Major fertigte einen Edit des Stücks 1960 What? an, um das politisch aufgeladene Stück in seinen eigenen Sets zu spielen. »Jedes Mal, wenn ich es spielte, dachte ich daran, wie es in einem Clubkontext funktionieren könnte, wenn es nur einen Beat hätte«, gab Major zu Protokoll. »Es ist ein sehr eingängiger Song, obwohl es sich um ernsthaften Jazz mit ausdrucksstarken Lyrics handelt.« Der Erfolg des “Kick & Bass Rerubs” von Major hat vielleicht auch das britische Brüderpaar Disclosure auf den Plan gerufen, die Porter für ihr zweites Album Caracal rekrutierten. Die Mischung aus Charts-orientiertem UK House und Porters Vocals klang zuerst befremdlich, er selbst betonte ausdrücklich: »Ich bleibe immer ein Jazzsänger!« Wohin es ihn nämlich verschlägt, Porter wird seine Wurzeln wohl immer ehren.


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