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Popkultur

Die musikalische DNA von Janis Joplin

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„Sie wagt es, anders zu sein”“, schrieb das Käseblatt der Universität von Austin im US-amerikanischen Bundesstaat im Jahr 1962 über eine Studentin, die das Anderssein neu definieren sollte. „Sie läuft barfuß, wenn es ihr gefällt, trägt Levis zum Unterricht, weil sie bequemer sind und trägt eine Autoharp mit sich herum für den Fall, dass sie den Drang verspürt, einen Song zu singen. Ihr Name ist Janis Joplin.“ Joplin stach schon immer aus der Masse heraus wie ein Mittelfinger aus der Faust. „Ich war eine Außenseiterin“, erinnerte sie sich an ihre Schulzeit. „Ich las, malte, dachte. Ich habe Schwarze nicht gehasst.“ Kein Wunder, dass ein solcher Freigeist in die weite Welt hinaus wollte, anstatt im engstirnigen Texas zu bleiben. Joplin verließ die Heimat bald und wurde zu einem der größten Stars ihrer Zeit. Bis ihr Leben mit nur 27 Jahren ein viel zu frühes Ende fand.

In nur kurzer Zeit prägte Joplin mit ihrem unvergleichlichen Stimmregister den Sound einer ganzen Generation, ohne sich dabei sonderlich um ihren Ruhm zu scheren. Sowieso ist die Musik der Sängerin mehr als unbekümmert. „Ich denke nicht wirklich nach“, gab Joplin zu Protokoll, als sie der Talk-Show-Host Dick Cavett fragte, was während ihrer Auftritte in ihrem Kopf vorging. „Ich versuch lediglich, was zu fühlen.“ Vor allem aber fühlte ihr Publikum etwas: Schmerz, Liebe, Leidenschaft. An Joplins Ausdrucksfähigkeiten konnte sich zu ihrer Zeit neben Joe Cocker vielleicht niemand messen. Was die Sängerin aber so besonders machte, das erfahren wir mit Blick auf ihre musikalische DNA. Die enthält einen Stilmix, so einzigartig wie Joplin selbst.


Hör dir hier Janis Joplins musikalische DNA als Playlist an und lies weiter:


1. Roger Miller – Me And Bobby McGee

„Das ist ein Song von einem guten Freund von mir, einem Songwriter aus Vegas. Er wird sehr erfolgreich sein, ich gebe ihm gut ein Jahr dafür“, ist Joplin auf einer Live-Aufnahme zu hören, bevor sie ihren wohl größten Hit Me And Bobby McGee anstimmt. Gemeint war Kris Kristofferson, der das Stück – wie der Großteil ihrer erfolgreichsten Singles handelte es sich um ein Cover – mit Fred Foster zusammen geschrieben hatte.

Das Konzert, bei dem Joplin diese Worte sagte, wurde 1970 aufgenommen. Ein Jahr später war Kris Kristofferson immer noch kein Weltstar und sie selbst tot. Es bleibt ihre Version von Me And Bobby McGee. Ausgerechnet ein waschechter Country-Song sollte den Spirit der Hippie-Zeit am besten einfangen. Es brauchte für die richtige Version nur die passende Stimme. Roger Miller, für den Kristofferson und Foster das Stück geschrieben hatten, war einfach zu brav. Joplin aber hauchte dem Stück die notwendige Melancholie und Lebenslust ein.


2. Joan Baez – In The Quiet Morning

Dass sich Joplin als Südstaatlerin dem Country und auch dem Folk zuwand, das dürfte niemanden überrascht haben. Aber sie fand ebenso in der Folk-Tradition ihres Landes Inspiration, insbesondere in ihrer Gegenwart. Joan Baez gehörte zu den großen Stars dieser Tage und gilt als die Speerspitze des Folk-Revivals in den sechziger Jahren. Sie war auch eine gute Bekannte von Joplin, der sie mit ihrem Cover von Mimi Baez Farinas In The Quiet Morning nach dem Tod der Freundin einen denkwürdig schönen Song widmete.

Bevor sie in Gedenken an Joplin aber die traurigen Zeilen „The poor girl, tossed by the tides of misfortune“ sang, erlebte sie mit der zwei Jahre jüngeren Rockröhre aber unvergessliche Momente. Das erste Mal trafen sich die beiden ungleichen Sängerinnen im Jahr 1968 auf dem legendären Newport Folk Festival. Joplins Road-Manager John Byrne Cook erinnerte sich in seinem Buch über Joplin an eine unangenehme Begegnung. Besser kamen die beiden schon auf ihrem nächsten Festivalzusammentreffen zurecht: Bei einem Helikopterflug zum Woodstock-Gelände lud Baez die zwei Jahre jüngere Kollegin zum Teetrinken bei ihrer Familie ein. „Tee!? Was für Whiskeymarken habt ihr zuhause?“, soll die Antwort gelautet haben.


3. Grateful Dead – Turn On Your Lovelight (Live)

Unhöflich? Vielleicht, aber Baez hat es keineswegs so aufgenommen. Sie wusste ja auch ganz genau, wen sie da fragte: Joplin war für ihren Konsum berüchtigt. Sie war eben anders als die zurückhaltende Baez ein Kind der Flower-Power-Bewegung und somit, sagen wir mal experimentierfreudig. Mit ihrer Band Big Brother and the Holding Company wohnte sie bisweilen gemeinsam in einem Haus in kommunenartigen Verhältnissen und feierte wilde Partys mit der Band Grateful Dead, der vielleicht ikonischsten aller Hippie-Bands.

Kaum etwas ist legendärer als die orgiastischen Grateful Dead-Konzerte, die auf unzähligen Mitschnitten verewigt wurden. Wusstet ihr aber, dass auch Joplin mit der Band auf der Bühne stand? Am 7. Juni 1969 performte sie gemeinsam mit der Band eine 20-minütige Version von Turn On Your Lovelight, einem Rhythm and Blues-Song von Bobby Bland aus dem Jahr 1961. Sie sang das Stück gemeinsam mit Ron „Pigpen“ McKernan, einem Gründungsmitglied der Band, mit dem Joplin in einer kurzen Beziehung war und der wie sie tragischer Weise in den „Club 27“ eintrat. Das exzessive Rockstar-Leben hatte nicht allein Joplin ruiniert: Die Siebziger forderten reihenweise Opfer.


4. Jimi Hendrix – Woodstock Improvisation

Eines der bekanntesten ist wohl Jimi Hendrix. Wie Joplin und Pigpen verstarb der geniale Gitarrist mit nur 27 Jahren, nur 16 Tage vor Joplin. Nicht auszudenken, wie viel fantastische Musik die beiden der Welt noch hätten schenken können! Das Schicksal aber hatte andere Pläne für die beiden, die zuerst im Jahr 1967 beim Monterey Pop Festival die Bühne teilten und sich nur wenig später bei einem Gedenkkonzert für den im April des Folgejahres erschossenen Martin Luther King wiedersahen.

Die Wege der beiden Ausnahmegenies sollten sich im Laufe ihrer kurzen Karrieren häufiger kreuzen. Nicht allein bei Woodstock, wo Joplin gemeinsam mit Joan Baez aus Joe Cockers Van dem Kollegen dabei zusah, eines der legendärsten Konzerte aller Zeiten zu geben. Was das für ein Anblick gewesen sein muss! Und wie es wohl geklungen hätte, wenn die beiden ihre Talente vereint hätten? Obwohl sich hartnäckige Gerüchte halten, nach denen Hendrix auf einer Version von Summertime zu hören ist, konnte das nie bestätigt werden. Wir werden ja aber noch mal tagträumen dürfen…


5. Eddie Head and his Family – Down On Me

Ihre Inspiration fand Joplin aber nicht allein bei ihren Kollegen und Zeitgenossen, sondern auch in der reichhaltigen Tradition afroamerikanischer Musik. Joplin, die wie unter anderem auch Baez eine Vertreterin schwarzer Bürgerrechte war, beschäftigte sich parallel zu Country, Folk und Rock unter anderem mit Gospel. Am bekanntesten dürfte wohl ihre Version des Traditionals Down On Me sein, dessen frühste Aufnahme aus dem Jahr 1930 stammt.

Die Version von Eddie Head and his Family stellt so etwas wie eine musikalische Querverbindung dar, nimmt sie doch gleichermaßen Elemente aus dem klassischen Gospel, der Country-Musik und dem Blues auf. Kein Wunder, dass Joplin die Nummer zusagte. Ihre eigene Version mit Big Brother and the Holding Company kanalisiert all diese musikalischen Aspekte in einer treibenden Rock-Nummer, dessen spiritueller Flair von Joplins meisterhafter Gesangsleistung getragen wird.


6. Big Mama Thornton – Ball N’ Chain

Dass Joplin einen dermaßen durchmischten Musikgeschmack hatte, erklärt sich unter anderem mit ihrer Rolle als Außenseiterin. Noch zu Schulzeiten freundete sich mit einer Gruppe von Gleichgesinnten an, durch die sie an ihre ersten Blues-Platten kam. Ma Rainey, Lead Belly und Bessie Smith standen auf dem Programm. Nur wenig später begann Joplin, selbst zu singen und bereicherte die Welt um eine Blues-Interpretation, wie sie zuvor noch nicht gehört wurde.

Joplin aber hatte für ihren einzigartigen Klang eindeutige Vorbilder und schämte sich nicht, das zuzugeben. Im Gegenteil! Ihre Coverversion von Big Mama Thorntons Ball N’ Chain bedeutete eine Verbeugung vor der Blues-Legende, deren Stimme ganz ähnliche Gänsehauteffekte hervorrief wie später Joplins. Die leider nur als Live-Aufnahmen erhältlichen Cover-Versionen Joplins zeichnen sich wie auf dem Monterey Pop Festival durch einen entgrenzten Rock-Sound aus, der den satten Blues Big Mama Thorntons mit der Hippie-Mentalität der späten Sechziger vereinte.


7. Bessie Smith – Nobody Knows You When You’re Down And Out

Kaum eine Sängerin hat Joplin aber dermaßen geprägt wie Bessie Smith. Nachdem die aufstrebende Sängerin zuerst im Teenage-Alter in Berührung mit der Musik der vielseitigen Künstlerin kam, nahm sie ihren Mut zusammen und versuchte sich selbst am Mikro. „Sie hat mir die Luft gezeigt und wie ich sie füllen kann“, sagte Joplin in schwärmerischen Tönen von Smith. „Sie ist der Grund, warum ich überhaupt mit dem Singen begonnen habe.“ Nicht selten soll sie in ihrem Freundeskreis behauptet haben, die wiedergeborene Smith höchst selbst zu sein.

Wie Joplin später war die 1937 verstorbene Smith eine musikalische Grenzgängerin, die den Sound des Delta Blues ins Radio brachte. Was Smith auszeichnete, waren ihre ausdrucksstarken Phrasierungen. Um sich trotz der damals noch recht bescheidenen Aufnahmetechnik Gehör zu verschaffen, brauchte es im Studio gehörigen Druck. Smith brachte genau den mit. Nur logisch, dass Joplin sich daran ein Beispiel nehmen sollte. Denn insofern war sie wohl wirklich die Wiedergeburt von Bessie Smith oder zumindest ihre einzig wahre musikalische Erbin.


8. Otis Redding – I Can’t Turn You Loose

Vom bittersüßen Jazz-Blues der großen Smith führt ein direkter Weg zum Soul-Sound, der sich in den sechziger Jahren etablierte. Der tragisch früh verstorbene Otis Redding gehörte zu den Stars des Labels Stax und schaffte, was zu seiner Zeit nur wenigen schwarzen Künstlern vergönnt war: Seine Musik wurde auch auf weißen Radiostationen gespielt und machte sich in den Charts prächtig.

Joplin sah Redding zuerst im Jahr 1966 live und sollte schon im Jahr später mit ihm auf dem für sie so schicksalsträchtigen Monterey Pop Festival die Bühne teilen. Reddings Einfluss auf die Musik der Kollegin kann kaum unterschätzt werden. Hatte Smith ihr das Singen beigebracht, so lehrte er sie, wie sich „ein Song pushen ließ anstatt einfach nur mit der Stimme drüber zu glitschen“, wie Joplin es selbst ausdrückte. Was sie damit meint, zeigt sich unter anderem in einem Live-Mitschnitt ihrer Kozmic Blues Band aus dem Jahr 1969: Nach einer regulären Coverversion fängt sie an mit ihrer Band zu jammen. So klingt das, wenn ein Song wirklich gepusht wird!


9. Erma Franklin – Piece of My Heart

Die Beschäftigung mit Soul äußerte sich auf verschiedene Weisen in Joplins Werk. Mit am bekanntesten dürfte ihr Song Piece Of My Heart sein, einer ihrer größten Hits, und wie einige andere eine Coverversion. Ursprünglich wurde er von Erma Franklin eingesungen, die unverständlicher Weise immer noch im Schatten ihrer großen Schwester Aretha steht, bei der sie ihr einzigartiges Talent als Backgroundsängerin verschwendete.

Piece Of My Heart immerhin trug dazu bei, dass Franklin etwas mehr Aufmerksamkeit zukam. Sogar einen Grammy bekam sie dafür. Es sollte jedoch ihr einziger großer Erfolg sein und die meisten werden bei der markanten Gesangsmelodie wohl doch zuerst an Joplins leidenschaftliches Kreischen denken. Dabei hatte sie mit ihren Coverversionen doch selbst stets nur ihren Vorbildern danken wollen. Eine eigentlich traurige Ironie des Schicksals.


10. Nina Simone – Stars (Live at Montreux)

Joplin hat im Laufe ihrer kurzen Karriere viele Künstlerinnen gecovert, ist in den vergangenen Jahrzehnten oft gecovert worden und einige Songs wurden ihr gewidmet. Die Resultate variierten, am besten aber hat es Nina Simone gemacht. Wie, werdet ihr euch fragen, wieso weiß ich nichts davon, dass Simone einen Song über die große Joplin geschrieben hat? Das aber genau ist der Punkt: Sie hat genau das nicht getan. Was in ihrem Fall die größtmögliche Respektsbekundung überhaupt ist.

„Ihr wisst, dass ich 35 Alben eingespielt habe, und siebzig kursieren als Bootleg“, erzählte sie ihrem Publikum bei ihrem legendären Auftritt auf dem Montreux Jazz Festival im Jahr 1976. „Oh, jeder hat sich sein Stück von mir genommen. Und gestern habe ich hier Janis Joplins Film gesehen. Und was mich am meisten verstört hat, und ich habe sogar angefangen, einen Song darüber zu schreiben, aber entschied mich, dass ihr dessen nicht wert seid. Weil ich schätze, dass ihr des Festivals wegen hier seid. Jedenfalls, was mich schmerzte war, mitanzusehen, wie hart sie gearbeitet hat. Weil sie süchtig war, und nicht nach Drogen. Sie war süchtig nach einem Gefühl und sie ist vor Leichen aufgetreten.“ Starke, richtige Worte. „Stars, they come and go“, nur Joplins Musik bleibt uns ewig erhalten.


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