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Popkultur

Die musikalische DNA von Tedeschi Trucks Band

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Ein Dutzend Menschen versammelt die Tedeschi Trucks Band auf der Bühne und ihr Sound weist mindestens so viele verschiedene Einflüsse auf. Blues Rock als Label zumindest wäre unzureichend bei dem dichten Sound, den die Band während ausgiebiger Konzerte auch mal ausufern lässt. Trotzdem: Ziellos wird es bei der Tedeschi Trucks Band nie, dafür sorgen ihre beiden Masterminds. »Ein Song muss schon ordentlich Speck haben, eine Bedeutung«, erklärt Sängerin und Gitarristin Susan Tedeschi. »Es kann nicht einfach nur der reine Flausch sein – das ist es mit dieser Band auch nicht.« Ihr Ehemann Derek Trucks übernimmt dabei so etwas wie die kreative Leitung, fordert von seiner Crew aber viel Selbsteinsatz: Jede Jam-Session kann schließlich noch verwertet werden!


Foto: Stuart Levine

Foto: Stuart Levine


Tedeschi und Trucks sind ein einzigartiges, um nicht zu sagen eigenartiges Paar. Beide waren sie noch ausgesprochen jung, als ihre jeweiligen Solo-Karrieren sie auf die größten Bühnen führten. Zusammengenommen haben sie mehr Grammys und Grammy-Nominierungen eingefahren, als manch große Popstars am Ende ihrer Karriere verbuchen können. Doch sind die beiden, die neben ihren jeweiligen sowie ihrer gemeinsamen Karriere auch noch als Eltern von zwei Kindern gut zu tun haben, umwerfend bescheiden geblieben: Allüren sind im gut geölten Mechanismus im Kern der Tedeschi Trucks Band nicht zu finden – dafür aber eine Menge musikalischer Einflüsse, die so vielleicht nicht zu erwarten wären. Werfen wir also einen Blick auf die musikalische DNA der Tedeschi Trucks Band, diesem kleinen musikalischen Mikrokosmos!


Hört euch hier die musikalische DNA von Tedeschi Trucks Band in einer Playlist an und lest weiter:


01. »I’d Do Anything« (aus dem Musical »Oliver«)

Alle fangen irgendwann mal irgendwo an, kaum jemand aber so früh und am selben Ort wie Susan Tedeschi: »Meine Mutter erzählte mir, ich hätte bereits in der Wiege gesungen«, lachte sie in einem Interview. »Sie meinte, ich hätte mir damals selbst Songs ausgedacht.« Und das, bevor sie überhaupt sprechen konnte! Mutter Tedeschi bekräftigte das Kind in ihren Mühen, war sie doch selbst oft auf den Brettern zu finden, die die Welt bedeuten: »Anstatt uns in eine Krippe zu stecken, brachte uns meine Mutter in den Stücken unter, in welchen sie selbst zu sehen war«, erinnert sich Tedeschi an diese doch etwas ungewöhnliche Erziehung, die ihr im zartesten Alter den ersten Job auf dem Broadway einbrachte. »Da war ich also, sechs Jahre alt und am Vorsingen für das Musical Oliver. Sie war in der Show und mein Bruder und ich spielten Jungs aus dem Armenhaus.« Sogar einen Cockney-Akzent legte sich das Kind für die Oliver Twist-Adaption zu! Keine Frage: Von der Kleinen war noch Großes zu erwarten – wenngleich in einem anderen Bereich. »Als ich irgendwann das Schauspiel an den Nagel hängte, konzentrierte ich mich stärker auf das, was ich eigentlich machen wollte.« Der Erfolg sollte ihr recht geben.


02. Bonnie Raitt – Any Day Woman

Was aber Tedeschi letztlich zur Sängerin machte? Die biederen katholischen Chorstunden ihrer Jugend waren es zumindest nicht! Tatsächlich fühlte sich die Teenagerin vielmehr vom beseelten Gospel inspiriert und suchte lieber baptistische Kirchen in der schwarzen Community auf, um dort ihren Glauben mit der passenden Musik zu feiern. Als sie sich nach der High School am international renommierten Berklee College of Music einschrieb, wurde der dortige Gospel-Chor zum wichtigsten Punkt auf dem Lehrplan und das Wunderkind Dennis Montgomery III ihr einflussreichster Lehrer. »Er dirigierte einen Chor, als er gerade acht Jahre alt war. Er hat perfektes Gehör, spielt Klaiver und Orgel und dirigiert den Chor so ziemlich allein mit dem Kopf!«, schwärmt Tedeschi heute. Die intensive Auseinandersetzung mit dem Gospel-Sound machte sich auch in ihrem Gesang bemerkbar: »Vorher klang ich wohl eher wie Linda Ronstadt«, sagte sie. »Dann aber kamen Leute zu mir und sagten: ‘Wow, du klingst wie Bonnie Raitt!’ und ich fragte ‘Wer ist das?’.« Das Unwissen hielt nicht lange an und schon bald fand Tedeschi in der Blues-Sängerin ein echtes Vorbild. Allein schon deshalb, weil Raitt in einer männerdominierten Industrie die Saiten selbst in die Hand nahm. Alles andere  als eine »Any Day Woman« – genauso wie Tedeschi nach ihr!


03. Otis Rush – I Can’t Quit You Baby

Raitt aber ist natürlich nicht die einzige, die Tedeschi in ihrem Spiel beeinflusst hat. Wieder aber musste sich die junge Musikerin selbst um Inspiration bemühen. »In Norwell dachte ich noch, die einzigen afro-amerikanischen Gitarristen seien Bobby King, John Lee Hooker, Chuck Berry und Jimi Hendrix«, erinnerte sie sich an ihre Kindheit im beschaulichen Massachusetts. Im College angekommen aber wühlte sie sich durch die Plattenläden und stieß auf Freddie King und Magic Sam. »Ich dachte, ‘Alter, wer hat die ganzen Leute nur vor mir versteckt?’ Sie wurden zu meinen Lieblingen und es machte mir schlagartig bewusst, wie wir kulturell voneinander getrennt werden und dadurch so viel Gutes verpassen.« Einen anderen Gitarristen nannte Tedeschi ebenso in der Reihe schwarzer Musiker: Otis Rush. Sein Song I Can’t Quit You Baby ist ein Gänsehautgarant einerseits und ein fantastisches Stück unterschätzter Blues-Geschichte andererseits. »Der Song kriegt mich jedes Mal«, gestand Tedeschi angesichts einer legendären Live-Aufnahme. »Es ist alle die rohe Schönheit des Blues in Form einer fünfminütigen Performance.« Dem lässt sich nichts hinzufügen!


04. Derek and the Dominos – Layla

Derweil seine spätere Gattin bereits in der Wiege sang, als er selbst noch nicht geboren war, so wurde Derek Trucks doch einiges an Talent in dieselbe gelegt. Sein Anfang 2017 verstorbener Onkel Butch Trucks war Gründungsmitglied der Allman Brothers Band, bei denen auch Derek die Gitarrenpflichten übernehmen sollte und der jüngere Bruder Duane ist ebenfalls ein verdienter Musiker. Ob’s vielleicht am Namen liegt? Den nämlich haben sich Trucks’ Eltern eventuell von Eric Clapton, genauer gesagt seiner Band Derek and the Dominos, geliehen. »Yeah, die Platte wurde im Haus rumgereicht, das Layla-Album«, gestand Trucks. »Meine Eltern waren Riesenfans von dieser Periode von Erics Kram. Ich denke schon, dass es etwas mit dem Namen, und sei’s nur der Schreibweise, zu tun hatte.« Wie der Nachwuchs wohl gehießen hätte, wäre es ein Mädchen geworden? Wir haben da einen Verdacht! So oder so: Schon bald wurde aus dem Namensgeber ein ebenbürtiger Partner. Nachdem Trucks nämlich im Alter von neun Jahren seine erste Gitarre auf einem Flohmarkt kaufte, seine erste bezahlte Performance im Alter von elf hinlegte und vor seinem zwanzigsten Geburtstag bereits die Bühne mit Bob Dylan und anderen Stars geteilt hatte, kollaborierte er 2006 mit Clapton und JJ Cale auf The Road to Escondido und begleitete die »Slowhand« im folgenden Jahr auf Tour. Als hätten’s die Eltern geahnt!


05. The Allman Brothers Band – Statesboro Blues (Live)

Moment – Trucks’ Bruder hieß Duane? Das erinnert doch auch an jemanden, sehr deutlich sogar: Duane Allman nämlich, der mit Trucks’ Onkel Butch in einer Band spielte. Na klar, bei den Allman Brothers! Außerdem? Außerdem war auch er auf Layla and Other Assorted Love Songs zu hören! Im Hause Trucks wohl wirklich eine wichtige Platte, ebenso wie auch der tragischer Weise im Alter von 24 Jahren verstorbene Duane einen maßgeblichen Einfluss auf Derek Trucks ausüben sollte, der bis zur endgültigen Auflösung der Band selbst bei den Allman Brothers die Gitarre schwang. Es blieb ja irgendwie schon in der Familie! Neben Elmore James nennt Trucks den Allman-Bruder als wichtigsten Einfluss auf sein markantes Slide-Gitarrenspiel. »Sein Sound war vielleicht der Grund, warum ich überhaupt mit der Gitarre anfing«, betonte er mit Nachdruck in einem Interview. Wie einzigartig dieser Sound war, zeigt allein ein Song wie »Statesboro Blues«, dessen erste Takte sich allein tief in die Musikgeschichte eingeschrieben haben. Wer von Allmans außergewöhnlichem Talent nicht überzeugt ist, kann vielleicht das isolierte Gitarrensolo von Layla auf sich wirken lasssen. Eric Clapton selbst gab zu, ohne Allman nie auf die Slide-Gitarre gekommen zu sein. Trucks hingegen? Der hat sie mittlerweile für sich gemeistert und gibt doch zu, dass er hin und wieder ganz im Geiste Duanes spielt.


06. Ravi Shankar – Ragas In Minor Scale

Das Zusammenspiel von ihrer großen Band und die Einflüsse, die Susan Tedeschi und Derek Trucks selbst mit einbringen, ergibt ein rundes Gesamtpaket. Es ist dermaßen rund, dass Ausflüge in überraschende Gefilde darin ganz organisch scheinen. Auf dem Debütalbum Revelator etwa integriert sich eine Sitar in einen beschwingten Midtempo-Rhythmus, während Tedeschi mit raunender Stimme darüber singt, wie eine Frau an verregneten Wochenenden immer noch der Liebe ihres Lebens nachtrauert. Wo der indische Hauch herkommt? Vor allem von Trucks’ Seite. »Er spornt sich selbst an und bringt uns ständig dazu, neue Dinge zu lernen und zu schreiben, um es für das Publikum und die MusikerInnen frisch zu halten«, schwärmte Tedeschi vom Arbeitsethos ihres Partners. Der holt sich seine Inspiration eben hin und wieder aus pakistanischer Qawwali-Musik oder der klassischen hinduistischen Musik, wie sie Nusrat Fateh Ali Khan (mit dessen Neffen Trucks auf dem Album Joyful Noise zusammenarbeitete) oder natürlich Ravi Shankar im Westen bekannt gemacht haben. Gerade Shankars Einfluss ist aus der Pop-Geschichte nicht wegzudenken: Die Byrds und insbesondere die Beatles hätten ohne seinen Einfluss ganz anders geklungen. »Sein Kram war kugelsicher, da kamst du nicht ran«, äußerte sich Trucks kurz nach Shankars Tod gegenüber dem Rolling Stone. »Aber er ist total mit der Erde verwurzelt. Nicht zu verkopft, obwohl es unglaublich komplexe Musik ist.«


07. Joe Cocker – With A Little Help From My Friends (Live)

Etwas komplexer noch als die Musik Ravi Shankars gestaltet sich das Verhältnis der Tedeschi Trucks Band zu Joe Cocker. Zur Gründung der Band schauten Trucks und Tedeschi die Dokumentation Mad Dogs & Englishmen über die legendäre US-Tour des Briten. »Wir meinten, ‘Hey, das sieht nach Spaß aus!’«, scherzte Trucks über die zum Teil mehr als beschwerliche und zugleich unvergleichlich erfolgreiche Tour. »Unsere Band basiert zu Teilen auf diesen Konzertmitschnitten!« Keine Frage, dass die Band ihrem Idol auch Tribut zollen wollte – und zwar gemeinsam! Doch Cocker zeigte ein »gesundes Maß an Skepsis«, wie Trucks im Nachhinein berichtete. Nur langsam ließ sich der Sänger zu einem gemeinsamen Auftritt auf dem Lockn’ Festival im Jahr 2014 erweichen – trat dann aber doch überrraschend zurück. Wieso, wurde im Dezember desselbe Jahres klar: Cocker war an Krebs erkrankt und verstarb. Aus der gemeinsamen Feier eines überlebensgroßen Albums wurde so 2015 auf dem Lockn’ der ausgiebige Abschied eines Ausnahmetalents, das seinem ganzen Schaffen gewidmet war. Mit dabei waren allerdings Teile der Original-Crew oder Stargäste wie Chris Robinson von den Black Crowes. Ein bisschen Hilfe aus dem Freundeskreis war Cocker ja noch nie abgeneigt, wie auch sein legendäres Beatles-Cover bewies.


08. Sly & The Family Stone – Sing A Simple Song

Mit allen Gospel- und Blues-Wassern gewaschen ist die Tedeschi Trucker Band, da ist der Soul natürlich nicht weit. Während Cockers exaltierte Performances und seine markante Reibeisenstimme definitiv viel Soul in sich aufgesogen haben, zollte die Gruppe natürlich auch den wichtigsten Stifterfiguren des Genres Tribut. Sly & The Family Stones Songs Sing A Simple Song und I Want To Take You Higher aus der Stand!-Ära der Band verblenden sie für gewöhnlich live zu einem Medley, welches auch mit der Pre-Order-Version vom Live-Album Everybody’s Talkin’ für Fans erhältlich gemacht wurde. Es sind bei Weitem nicht die einzigen Nummern von Sly & The Family Stone im Band-Repertoire. Der stolze schwarze Protest-Soul der Family Stone passt natürlich zu einer Band, die einen sehr bewussten Umgang mit den schwarzen Wurzeln ihrer Musik pflegt.


09. Herbie Hancock – Watermelon Man

Dazu gehört natürlich auch der Jazz mit dazu, ein leicht zu übersehender Einfluss auf die Band. Während Trucks insbesondere vom mysteriösen Kosmologen Sun Ra schwärmt, ist die Gattin vor allem Fan eines ganz anderen Rebells. »1999 hätte ich nie geglaubt, dass ich 2010 mit Herbie Hancock rumhängen würde«, lachte sie in einem Interview. 2000 war sie mit Trucks bei der Grammy-Verleihung, um ihrer ersten Nominierung entgegenzufiebern. »Die erste Person, auf die ich zulief, war Herbie! Ich glaube, ich rannte schnurstracks zu ihm und Aretha Franklin und sagte: ‘Hi, ich bin ein Fan!’« Das unschuldige Geständnis sollte den Grundstein für eine spätere Zeit im Studio legen. 2010 waren Tedeschi und Trucks auf dem Album The Imagine Project zu hören. »Wir hatten so einen Spaß mit ihm, er ist so ein fantastischer Mensch«, schwärmte Tedeschi über Hancock und die Aufnahmen des Songs Space Captain – im Übrigen wiederum die Coverversion eines Joe Cocker-Stücks! Der musikalische Kosmos der Tedeschi Trucks Band reicht zwar von den US-amerikanischen Südstaaten bis ins ferne Pakistan und weiter, darin aber ist alles verbunden. So wie etwa auch in Hancocks Werk, das mit Stücken wie »Watermelon Man« einen entscheidenden Brückenschlag zwischen Jazz-Traditionen und frischen Sounds vorlegte.


10. David Bowie – Lazarus

Der Kosmos der Tedeschi Trucks Band lebt, atmet und gedeiht. Er öffnet sich dabei auch in andere Richtungen. 2013 stieß mit Tim Lefebvre ein weiterer Hochkaräter zum Line-Up, der ab dort an am Bass aushalf. Bei weitem nicht die erste Band, bei der er in die tiefen Saiten griff, denn schon Elvis Costello und Sting setzten auf seine Qualitäten! Eine besondere Ehre kam ihm 2016 zuteil, als er für die Aufnahmen eines ganz besonderen Albums angefragt wurde: Blackstar von David Bowie. Das obwohl die Tedeschi Trucks Band doch selbst schon an der LP Let Me Get By arbeitete? Die Gruppe zeigte sich verständig und Lefebvre durfte bei einer der vielleicht wichtigsten Projekte seines Lebens mithelfen. Rekrutiert worden war er übrigens von Bowie persönlich, der eine CD Donny McCaslin zugesteckt bekommen hatte und die beiden kurz darauf live auftreten sah – »Ich hatte einen furchtbaren Abend«, lachte Lefebvre dazu in einem Interview aus dem Dezember 2015 – einen Monat vor Veröffentlichung der Platte, die Bowies letzte werden sollte: Zwei Tage später starb er.


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