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Popkultur

Die musikalische DNA von The Doors

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Bild von Elektra Records-Joel Brodsky (eBay item photo front photo back) [Public domain], via Wikimedia Commons

„Wenn die Pforten der Wahrnehmung gereinigt, erschiene dem Menschen alles, wie es ist: unendlich“, schrieb der britische Schriftsteller William Blake in seiner Ideenschrift The Marriage of Heaven and Hell. Aldous Huxley, der Autor der bekannten Dystopie Brave New World nahm diese Worte rund 150 Jahre später für ein Essay über Drogenkonsum wieder auf. Darin fand wieder ein anderer Querulant Inspiration: Jim Morrison. Der Rest ist bekannt.


Hör dir hier die musikalische DNA von The Doors als Playlist an und lies weiter:


The Doors veröffentlichten in nur fünf Jahren acht Alben, die Rockgeschichte schrieben. Die enigmatische Magie der Band lag allerdings nicht nur in Morrisons exzentrischen Volten, seinen verqueren und oftmals polarisierenden Texten oder seinem charismatischen und manchmal transgressiven Auftreten begründet. Mit Mastermind Ray Manzarek, Gitarrist Robby Krieger und Drummer John Densmore hatte er eine Band im Rücken, deren musikalische Visionen den seinen in nichts nachstanden.

Von den Opern Bertolt Brechts und Kurt Weills über klassischen Rock’n’Roll und Blues hin zu Jazz und allerhand globalen Musikstilen reicht die Palette, welche die Doors über ihre Alben erkundeten. Keine Platte klang gleich, jede hat bis heute ihren ganz eigenen Charakter bewahrt. Wie dieser Charakter im Zusammenspiel der vier Genies zustande kam, erscheint uns an den Pforten der Wahrnehmung – äh, wir meinen mit Blick auf die musikalische DNA der Doors.


1. Allen Ginsberg – Nurse’s Song

Wie William Blake der Band über einen Umweg ihren Namen verlieh, das wissen wir bereits. Wir wissen auch alle, dass Jim Morrison ein waschechter Nerd war, wenn es um Literatur geht. Ein cooler Nerd aber. Neben der Philosophie von Friedrich Nietzsche und der Lyrik der klassischen Moderne – von Charles Baudelaire bis Arthur Rimbaud – waren es auch zeitgenössische Schriftsteller, die ihn mit ihren Werken begeisterten. Und nicht nur damit. Allen Ginsberg beispielsweise gehörte zu einer Gruppe von Literaten, die uns heutzutage als die „Beat Poets“ bekannt sind. Diese Schriftsteller suchten ihre Inspiration lieber On The Road (so der Titel von Jack Kerouacs bekanntestem Buch) oder in miefigen Jazzbars, wo sie der Sound des harten Bebop zu rhythmischer Wortkunst zu verdichten suchten.

Ginsberg gehört zu den wenigen Beat-Poeten, die selbst musikalisch aktiv waren. Neben William S. Burroughs, dessen Cut Up-Technik das moderne Sampling vorwegnahm und der selbst mit Musikern wie Kurt Cobain zusammenarbeitete, kann er als einer der definitiven literarischen Einflüsse auf die Musikwelt im Allgemeinen und damit auch die Doors beziehungsweise Jim Morrison im Speziellen gelten. Die beiden haben sich zumindest auf die eine oder andere Art mit dem Werk William Blakes auseinandergesetzt – Ginsbergs Nurse’s Song ist eine von vielen seiner musikalischen Blake-Interpretationen.


2. Bertolt Brecht und Kurt Weill – Alabama-Song

Es war nicht allein die Literatur und die Musik der Beat Poets, die Morrison und seine Band faszinierten, sondern auch ihr ungebrochener und rebellischer Wille, der Mainstreamkultur eine Alternative entgegen zu setzen. Auch das hatte wiederum Tradition: Der Schriftsteller Bertolt Brecht und der Komponist Kurt Weill zettelten während ihrer fruchtbaren Zusammenarbeit eine kleine Revolution gegen die Konventionen der Theaterwelt an und kritisierten die Politik der Weimarer Republik ebenso wie später die der Nazis und der USA, wo sie als Exilanten ein Zuhause fanden.

Weill ereilte ein ähnliches Schicksal wie Manzarek, Krieger und Densmore: Stets stand er im Schatten des Dichters, der ohne seine Musik – und gelegentlich auch Texte – sicherlich nicht den Ruhm erlangt hatte, wie er ihm heute noch nachhallt. Von Louis Armstrong über Ella Fitzgerald hin zu Elvis Costello und Nick Cave allerdings zollten ihm zahlreiche MusikerInnen Tribut. So auch die Doors, die auf ihrem selbstbetitelten Debütalbum mit einer Coverversion des Alabama-Songs brillierten. Der anarchische Spirit des Stücks passte eben nur zu gut zur gelebten Gegenkultur der Doors.


3. Elvis Presley – Jailhouse Rock

Ob in der Literatur der fünfziger und sechziger Jahre oder im Theatertreiben der Weimarer Republik: Die Doors fanden ihre Inspiration nicht allein in der Musik. Und doch: Ganz ohne ging es natürlich nicht. Vergleichbar mit den Revolutionen von Brecht und Weill beziehungsweise später den Beat Poets war sicherlich die Rock’n’Roll-Revolution, an deren Speerspitze Elvis Presley stand. Laut der selbst ziemlich freigeistigen Patti Smith aber hatte „Elvis Demut und Jim nicht.“ Eine ziemlich starke Aussage! Aber stimmt’s?

Eins ist zumindest sicher: Morrisons Gebaren gegenüber Presse und Publikum drohte mehr als einmal, seiner kurzlebigen Band schon viel früher das Licht auszuknipsen. Aber es war gerade Elvis, der ihn zur Ruhe bringen konnte. Angeblich soll er seinen Gesangsstil ausgehend von Frank Sinatra und dem King of Rock modelliert haben und stets um absolute Stille gebeten haben, wenn ein Elvis-Song im Radio lief. Wenn das mal keine Demut ist! Gitarrist Krieger wurde auch durch Elvis für den Rock’n’Roll begeistert: Neben Künstlern wie Fats Domino und den Platters nannte er den King als einen seiner frühesten Einflüsse. Gehört hatte er dessen Musik, na klar, im Radio – und war dabei vermutlich mucksmäuschenstill!


4. Muddy Waters – Close To You

Bevor Elvis maßgeblich dazu beitrug, den schwarzen Rhythm and Blues-Sound als Rock’n’Roll an ein weißes Mainstreampublikum zu verkaufen, gab es den Blues, in dem alle Rockmusik ihre Wurzeln schlägt. Mit Coverversionen von Bo Diddley, Howlin’ Wolf und Muddy Waters zollten die Doors regelmäßig der Musik Tribut, die aus ihren eigenen Kompositionen noch deutlich heraus zu hören war.

Das Doors-Cover von Muddy Waters Close To You, welches 1970 auf dem Absolutely Live-Album veröffentlicht wurde, bietet einige der wenigen Gelegenheiten, Manzarek hinter dem Mikro zu erleben. Neben You Need Meat (Don’t Go No Further) ist es einer der seltenen Doors-Stücke vor Morrisons Tod, bei denen er den Lead-Part übernimmt. Obwohl der Keyboarder aus dem Bereich der Klassik kam, wurde er in seiner Heimatstadt Chicago vom Blues infiziert. Genauer gesagt von eben jenem Muddy Waters, den er dort live erleben durfte.


5. Them – Gloria

Elvis hin, Waters her: Eines der größten kollektiven Vorbilder der Doors kam nicht aus den USA, sondern aus… Nordirland!? Nein, kein Witz: Van Morrison und insbesondere dessen Band Them wurde für die junge Band in Anfangstagen mehr als wichtig. Als die Doors sich in Los Angeles im legendären Whisky A Go Go als Hausband einen Namen machten, durften sie dort auch mit dem „anderen Morrison“ und seiner Truppe die Bühne teilen. Gemeinsam mit ihnen spielten sie dort eine Interpretation von Wilson Picketts In The Midnight Hour und eine 20-minütige (!) Version von Thems Gloria ein.

Die Doors wurden für ihre ekstatischen Jam-Sessions berühmt und Songs wie The End sind ein gutes Beispiel für Kompositionen, die auf der Bühne ihr Eigenleben entwickelten, bevor sie auf Platte gepresst wurden. Auf manchen Mitschnitten aus den Whisky A Go Go-Zeiten der Band sind halbstündige Versionen späterer Doors-Klassiker zu hören! In Sachen Improvisation haben sich die Doors einiges bei den nordirischen Kollegen abgeschaut. Ihre Coverversion von Gloria auf der 1983 veröffentlichten Live-Platte Alive, She Cried ist dennoch „nur“ knapp sechseinhalb Minuten lang.


6. The Kinks – All Day and All of the Night

À propos sich den einen oder anderen Kniff abschauen: Manchmal gingen selbst die Doors zu weit. Als sie 1968 mit dem Album Waiting For The Sun zum ersten Mal die Spitze der LP-Charts in den USA erklommen und mit der Single Hello, I Love You einen absoluten Überhit landeten, waren ein paar Briten davon äußerst irritiert: Die Kinks meinten, darin ihren Song All Day and All of the Night wiederzuerkennen! Doch Kinks-Songwriter Ray Davies entschied sich dazu, die Band nicht der offenkundigen Ähnlichkeit wegen zu verklagen.

Anders sein Bruder und Bandkollege Dave: „Das ist wirklich das Verstörendste überhaupt“, grummelte er in einem Interview. „Letztens habe ich All Day and All of the Night gespielt und einen Part von Hello, I Love You eingebaut. Das gab Reaktionen, ein paar mussten grinsen. Was ich aber nie verstanden habe: Warum niemals jemand etwas darüber gesagt hat. Du kannst über die Doors nichts sagen. Du darfst nicht!! Vielleicht ist es indes aber kein Zufall, dass Morrison selbst bei Konzerten das Mikro manchmal an den Kollegen Manzarek abgab, damit der den Song sang…


7. Art Blakey & The Jazz Messengers – ‘Round Midnight (Live)

Die Momente, in denen Morrison seinen Bandkollegen das Spotlight überließ, waren rar gesät. Dabei lebte die Musik der Doors doch nicht allein von seinem überwältigenden Gesang, sondern ebenso der Rhythmus-Arbeit von Manzarek und Densmore. So wie Manzarek ein klassisches Musikverständnis in die Kompositionen einbrachte, reicherte sie Densmore mit Jazz-Elementen an. Seine eigenen Inspirationen dafür waren unter anderem Elvin Jones, der unter anderem bei John Coltrane hinter der Schießbude saß, und Art Blakey.

„Ich saß in Shelly’s Manhole direkt neben seiner Hi-Hat und habe in sein Kit gestarrt“, erinnerte sich Densmore an die Aufnahmen zu Blakeys legendärem Live-Album, auf dessen Setlist unter anderem auch Jazz-Standards wie ‘Round Midnight standen. „Ich habe sicherlich was ausgeschnappt und an meinen Press Rolls gearbeitet – darin war er ein Meister. Ich habe mich auch an ein paar versucht“, sagte Densmore über die Technik, die er unter anderem im Song Wild Child vom Album The Soft Parade verwendete.


8. Helen Jepson – Summertime

Das Interesse am Jazz wurde nicht nur im Drumming von Densmore und den wilden Akkorden von Manzarek deutlich. Der implizite Jazz-Einfluss, den Morrison über seine Beschäftigung mit den Beat Poets in die Band einbrachte, ist auch nicht zu leugnen – wenngleich er sich ganz anders äußerte. Im Doors-Cover von Summertime allerdings fand sich alles vereint: Das Interesse der Band an Bühnenkunst, breiten Erzählbögen, Jazz und genialem Songwriting.

„Summertime, and the livin’ is easy“, diese Worte klangen bei den Doors aber natürlich ganz anders als bei Helen Jepson, von der die wohl bekannteste Interpretation des George Gershwin-Klassikers aus der Oper Porgy and Bess stammt. Aus dem bittersüßen Wiegenlied, das sich auf afroamerikanische Folk-Weisen stützt, wurde bei den Doors ein schwitziger Ausdauer-Jam, der mit psychedelischen Elementen liebäugelte und Krieger Platz für seine irrwitzigen Gitarrensoli bot.


9. The Rolling Stones – Play With Fire

Neben dem dandyhaften Manzarek und dem Charisma eines Jim Morrisons musste Robby Krieger häufig gemeinsam mit Densmore vom Bühnenrand dabei zuschauen, wie seine Kollegen den Ruhm ernteten. Dabei war er doch für viele Doors-Hits verantwortlich. Light My Fire war sein Songwriter-Debüt, nachdem zuvor Morrison die meisten der Stücke geschrieben hatte. Mehr noch war es Kriegers erste eigene Komposition überhaupt! Kaum zu glauben, dass es sich dabei um einen ersten musikalischen Gehversuch handeln soll.

Die direkte Inspiration kam von Morrison, der dem Gitarristen riet: „Schreib etwas Universelles. Schreib über etwas, das bleibt und nicht nur einen Tag lang hält.“ Gesagt, getan! Die Feuer-Metaphorik übrigens lieh sich Krieger von einer anderen Band: Den Rolling Stones, genauer gesagt deren Song Play With Fire. Die Briten sollten sich später mit den kalifornischen Kollegen anfreunden. Brian Jones war eng mit Manzarek und Morrison verbandelt, der Jones nach seinem tragischen Tod das Gedicht Ode to L.A. While Thinking of Brian Jones, Deceased widmen sollte. Wer hätte ahnen können, dass bald darauf auch die Flamme Morrisons für immer verlöschen sollte…


10. Skrillex – Breakn’ A Sweat

Der Tod Morrisons bedeutete das schlagartige Ende für die Band. Nicht, dass Manzarek, Krieger und Densmore einfach so aufgegeben hätten: Auf ihre Art und Weise trugen sie das Erbe ihrer kurzen Schaffensphase als Doors über Jahrzehnte weiter. Nicht immer lief das reibungslos ab, hin und wieder wurde sich häufiger im Gerichtssaal als auf der Bühne über den Weg gelaufen… Und vor allem schien die typische Doors-Magie diese Welt gemeinsam mit Morrison verlassen zu haben.

2012 aber fanden die drei erneut im Studio zusammen und zwar nicht in ihrem eigenen. Sondern in dem von Sonny Moore, besser bekannt unter seinem Pseudonym Skrillex. Es war eine überraschende Kollaboration, die der 2013 verstorbene Manzarek als „den ersten neuen Doors-Track des 21. Jahrhunderts bezeichnete“. Aufgenommen wurde Breakn’ A Sweat im Rahmen des Dokumentarfilms Re:GENERATION, der DJs mit Artists aus den unterschiedlichsten Genres zusammenbrachte. So sind beziehungsweise waren die drei: Selbst im hohen Alter haben sie nach wie vor keine Berührungsängste. Das machte und macht die Riders of the Storm als Band doch so einflussreich. Weit über den Tod hinaus.


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