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Popkultur

U2 Joshua Tree Tour – Live in Seattle

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Als Bono 1991 erklärte, dass der U2-Song The Fly den Sound widergebe, den “vier Männer beim Schlagen des Joshua Tree” machten, hätte wohl niemand erwartet, dass das irische Quartett ihn noch einmal neu pflanzen würde. Das 1987 erschienene Album zementierte damals ihren Status als absolute Weltstars, aber bekanntermaßen sind U2 eine Band, die nicht zurückblickt. So gesehen ist die The Joshua Tree Tour 2017 ihr bisher größtes Wagnis; welches sich aber schon bei der ersten amerikanischen Show der Tour – im CenturyLink Field in Seattle – auszahlte.


Hört euch hier das ganze U2 Konzert in der essentiellen Playlist an:

Hinweis: Während ihrer mitreißenden Zugabe spielten U2 als vorletzten Song The Little Things That Give You Away. Dieser ist leider auf Spotify nicht verfügbar und fehlt daher in der Playlist.


Vor einer gigantischen Videowand, aus der die Äste des Joshua Tree in den Himmel ragten, erweckte die Band das Album – mit allen Songs in Originalreihenfolge – wieder zum Leben: von ihrer Hymne Where the Streets Have No Name bis zu den tiefen Widersprüchen von Mothers of the Disappeared. The Joshua Tree huldigt den amerikanischen Ursprüngen des Rock’n’Roll (verkörpert in Bonos Mundharmonikaspiel in bluesigen Trip Through Your Wires), zeichnet Bilder von den überwältigenden Landschaften das Landes (beeindruckend repräsentiert durch die nach Weite klingenden Gitarrenriffs von The Edge) und kritisiert seine Ungleichheit und Außenpolitik. All diese Elemente wurden in U2s leidenschaftlichem Auftritt und den Filmen, die ihr langjähriger Fotograf Anton Corbijn dazu gedreht hat, vereint.



Aber was an der Show am meisten auffällt, ist ihre reinigende Stimmung, eine Atmosphäre der Erlösung. U2 eröffneten das Set mit dem gegen eine religionsbasierte Gesellschaft gerichteten Song Sunday Bloody Sunday – mit seinem bekannten Refrain “Tonight, we can be as one” – und setzten dann mit dem kompletten Auftritt ein Zeichen für die ungebrochene Bedeutung der Rockmusik – nicht als Mittel der Konfrontation, sondern al seine Kunstform, die Einigkeit erzeugen kann. In einer Zeit tiefer Spaltung ist es wirklich ein beeindruckendes Erlebnis, 55.000 Menschen wie aus einer Kehle singen zu hören.


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Der Gedanke der Einigkeit wird mit New Year’s Day noch einmal verstärkt (hier singt Bono “I will be with you again”) und setzt sich fort mit A Sort of Homecoming (“Tonight, we’ll build a bridge”) und Pride (In the Name of Love). Danach verleiht Bono seiner Hoffnung auf die Wiedererweckung eines “Amerikas des Mitgefühls, des Gemeinschaftssinns, der Gerechtigkeit und der Freude” Ausdruck. Die Überleitung zu Where the Streets Have No Name fällt dann nicht schwer. Untermalt wurde der Song mit einer von Corbijn gedrehten Fahrt über einen Highway durch die Wüste auf eine schneebedeckte Bergkette zu, unter einer dunklen Wolkendecke hindurch und vorbei an Menschen, die wie Flüchtlinge aussehen.


Schaut euch hier ein Live-Video-Mitschnitt von dem U2 Konzert in Seattle an:


Der für U2 typische Optimismus funktioniert deswegen so gut, weil er nicht eindimensional ist. Es gibt immer eine weitere Ebene – Unsicherheit oder Traurigkeit oder Wut auf die Ungerechtigkeit. Und im Vergleich zu den 1980ern, wo U2 – und insbesondere Bono – sein Herz auf der Zunge trug, ist die Band im Jahr 2017 zwar dramatischer, aber auch zurückhaltender. Kleine Gesten bekommen eine größere Bedeutung – so z. B. als Bono bei dem schneidenden Gitarrensolo von The Edge auf Bullet the Blue Sky den Scheinwerfer auf ihn hält und damit direkt Erinnerungen an die ursprüngliche Joshua Tree-Tour wachruft.

Der düsterste Song des Albums heißt Exit und ist das Portrait eines Serienkillers. Die Einleitung bildete an diesem Abend ein Auszug aus einem alten Western, in dem ein Schurke namens Trump als Lügner bloßgestellt wird. Es war die einzige Spitze in Richtung aktueller Ereignisse in der Show. An diesem Punkt kam endlich der extrovertierte Bono heraus: Er schritt mit einem schwarzen Hut auf die B-Stage und gebärdete sich wie ein böser Prediger. Für den letzten Song, Mothers of the Disappeared, kam der Local Hero Eddie Vedder und die Support Band Mumford and Sons auf die Bühne und sangen gemeinsam mit U2 den eindringlichen Refrain – ein Hoffnungsschimmer in der Dunkelheit des Songs.


Schaut euch hier einen Live-Mitschnitt von U2 Mothers Of The Disappeared mit Eddie Vedder & Mumford & Sons an:


Die Zugabe war energiegeladen und politisch und enthielt viele aktuelle Songs: Anlässlich des Muttertages diente “Ultraviolet” als Bühne für alle politisch aktiven Frauen (wie z. B. die in Seattle lebende Melinda Gates, deren Ehemann Bill im Publikum stand und strahlte); One wurde mit einem Gruß an die “amerikanischen Steuerzahler” eingeleitet, da sie beim Kampf gegen AIDS halfen; und der Anfang des Songs Miss Sarajevo von 1995 wurde passenderweise von Bildern aus einem Lager für syrische Flüchtlinge in Jordanien begleitet, während gleichzeitig eine gigantische Leinwand mit dem Abbild eines seiner Bewohner über den Köpfen des Publikums durch das Stadion gereicht wurde.


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Auch der Zukunft wandte sich die Band zu: Das für Songs of Experience vorgesehene The Little Things That Give You Away begann als schlichte Ballade und baute sich zu einem große Finale auf. “I Will Follow” war eine überraschende weitere Zugabe, denn die Lichter im Stadion waren bereits wieder angeschaltet worden, als Bono das Publikum anfeuerte, “das Dach einzureißen!” CenturyLink Field hat zwar kein Dach, aber die Atmosphäre war so überwältigend, dass es schien, als ob die Wolken vertrieben und die Gemüter von Optimismus erfüllt waren.


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