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Popkultur

Zeitsprung: Am 11.4.1988 erscheint „Seventh Son Of A Seventh Son“ von Iron Maiden

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Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 11.4.1988.

von Christof Leim

In den Achtzigern machen Iron Maiden nichts falsch. Im Schnelldurchlauf sieht das so aus: Mit dem Debüt Iron Maiden (1980) legen sie eine Grundlage für den traditionellen Heavy Metal, mit The Number Of The Beast (1982) definieren sie eine Sternstunde des Genres. Die Endlostour zu  Powerslave (1984) hätte die Musiker zwar beinahe in die Klapse gebracht, aber immerhin haben sie danach die metallische Weltherrschaft in der Tasche. Jedes Jahr erscheint ein Album, jedes Jahr wird die Band noch ein bisschen größer. Nur 1987 verstreicht zum ersten Mal in der dieser Dekade ein Jahr ohne Maiden-Veröffentlichung. 1988 steht schließlich das siebte Werk an. Iron Maiden stehen an der Spitze, und sie müssen abliefern.

Hier könnt ihr in Seventh Son Of A Seventh Son reinhören:

Dieses Buch inspiriert das Konzept des Albums

Die grundlegende Inspiration findet Bassist und Anführer Steve Harris in einem Buch von Orson Scott Card namens Seventh Son, in dem das mystische Konzept des siebten Sohnes eines siebten Sohnes mit seinen übernatürlichen Kräften behandelt wird. „Am Anfang war das für mich einfach nur ein guter Albumtitel“, erzählt Harris in der offiziellen Bandbiografie Run To The Hills. Bei einem Telefonat mit Sänger Bruce Dickinson spinnen die beiden die Idee dann aber weiter: Ein Konzeptalbum soll es werden über jenen besonderen Sohn, der hellsehen kann und in den immer währenden Kampf zwischen Gut und Böse verstrickt wird. Kurzum: Eine ordentliche Fantasy-Geschichte, wie sie im Metal ab und zu mal halt mal sein muss.

Guter Plan, halbherzig durchgezogen

Dickinson freut sich, denn zum Vorgänger Somewhere In Time (1986) konnte er, ausgebrannt von den Jahren auf der Überholspur, nichts beitragen. Jetzt hingegen ist er völlig angefixt. Die Stücke einer Story unterordnen zu müssen, macht „das Songwriting nicht gerade einfacher“, wie Harris später in einem Kerrang-Interview kommentiert. „Aber die Ideen, die schließlich zusammenkamen, haben mich echt überrascht. Die neuen Sachen waren so viel besser als alles, was wir seit einer Weile geschrieben hatten.“ Dummerweise ziehen Iron Maiden das ambitionierte Konzept nur halbherzig durch: Die Story bleibt unklar, laut Dickinson gibt es genaugenommen keine: „Seventh Son handelt von Gut und Böse, von Himmel und Hölle. Aber gilt das nicht für jede Maiden-Platte?“, fragt er ebenfalls im Kerrang. Das wird um so deutlicher, als wenig später Queensrÿche mit Operation: Mindcrime ein konzeptionelles Meisterwerk abfeuern.

Doch ungeachtet der Tatsache, dass Iron Maiden ihrem neuen Album lediglich einen groben roten Faden und damit eine grundlegende mystische Stimmung verleihen können, gehört die Musik zum Besten der Bandkarriere: Acht starke Songs, davon nur eine halbgute Nummer. Zum ersten Mal in der Geschichte der Briten sind echte Keyboards zu hören, die die Keyboard-Synthesizer des Vorgängers ersetzen und hier hervorragend als Hintergrund und tonale Farbe funktionieren. Dazu wird kein zusätzlicher Musiker engagiert, wie Dickinson in einem Beitrag des englischen Metal Hammer eröffnet: „Das meiste ist Ein-Finger-Zeug von Adrian, Steve, dem Toningenieur oder wer immer gerade einen Finger frei hatte.“ Grundsätzlich regieren jedoch weiterhin die Gitarren: Dabei verlassen sich Adrian Smith und Dave Murray sich nicht nur auf gängige Powerchords, sondern spielen stattdessen oft Single-Note-Linien mit viel Melodie, die sie perfekt mit dem dominanten Bass orchestrieren. Die allgemeine Entwicklung gefällt Kapitän Harris: „Für mich war es das beste Album seit Piece Of Mind. Mir gefällt insbesondere, dass es so progressiv klingt, denn das sind die Einflüsse, mit denen ich aufgewachsen bin. Und die Keyboards passen hervorragend rein.“

Ausschnitt aus dem Booklet: Links der Prophet aus der Geschichte, rechts die Band wie immer unbeeindruckt von den modischen Anforderungen des Mainstreams

Bayrisches Bier

Die Aufnahmen finden statt in den Musicland Studios in München, wo schon Queen und Led Zeppelin gearbeitet hatten. Deshalb existieren natürlich einige Fotos der Musiker im Hofbräuhaus. Als Produzent fungiert erneut Martin Birch. Das Album beginnt mit ein paar Akkorden auf der Akustikgitarre, zu denen Bruce von „Seven deadly sins, seven ways to win“ singt. Sie gehen in Moonchild über, eine flotte Nummer mit dicken Gitarren und markantem Keyboard-Thema, die lose auf einem Buch gleichen Namens von Aleister Crowley basiert. Es folgt das epische Infinite Dreams mit einem geradezu balladesken Anfang. Textlich behandelt Harris hier das Thema „Träume“, die ihm oft als Inspirationsquelle dienen. Das Stück erscheint im Folgejahr in einer Live-Version als vierte Single.

Can I Play With Madness hieß ursprünglich mal On the Wings Of Eagles und war eine Ballade von Adrian, doch Bruce ändert die Strophe und den Titel, Harris steckt noch einen Taktwechsel und Instrumentalteil in die Mitte, außerdem macht die Band die Nummer schneller. Und zack: Fertig ist ein äußerst griffiger, im besten Sinne „kommerzieller“ Hard-Rock-Song, der erfolgreich als erste Single ausgekoppelt wird. Damals lief das Stück in Deutschland sogar im Mainstream-Radio. Im Video hat übrigens Graham Chapman von Monty Python eine seiner letzten Rollen.

Immer dicke Refrains, herrlich

The Evil Than Men Do, ebenfalls in zackigem galoppierendem Rhythmus unterwegs und als zweite Single nachgelegt, besticht durch einen kapitalen XL-Refrain, der bei aller Kraft vor allem durch seine Melodie im Ohr bleibt. Überhaupt besitzt jedes Stück der Platte einen großen, eingängigen Chorus (einzige Ausnahme: The Prophecy), denn Maiden verbinden hier gekonnt Metal mit packendem Songwriting. Der Titel ist angelehnt an ein Zitat von Julius Caesar: „The evil that men do lives after them. The good is oft interred with their bones“, mit dem Songtext hat das aber nichts zu tun.

Im Titelstück schließlich lässt Steve Harris seiner Vorliebe für aufwändige Arrangements freien Lauf: Das schleppend groovende Seventh Son Of A Seventh Son geht erst nach fast zehn Minuten über Ziellinie und nimmt davor etliche Schlenker. Diese Stilmerkmale sollten später insbesondere die Platten ab Brave New World (2000) dominieren. Nach diesem Parforceritt fällt The Prophecy ein wenig ab: Die Nummer, für die Gitarrist Dave Murray einen seiner seltenen Songwriting-Credits bekommt, ist für die meisten Metallerohren der einzige Nicht-Hit der Platte.

Mehr mystische Geschichten

Bei The Clairvoyant handelt es sich um die erste Komposition, die Harris für die Scheibe fertiggestellt hat. Im Text stellt er sich die Frage, ob ein Hellseher auch seinen eigenen Tod vorhersehen kann, inspiriert vom Ableben des damals bekannten britischen „Mediums“ Doris Stokes, die später als Betrügerin enttarnt wurde. The Clairvoyant (live) erscheint im November 1988 als dritte Single.

Der finale Track Only The Good Die Young beschließt die lose Story und endet mit dem akustischen Thema vom Anfang. Überraschenderweise findet er sogar in einer Episode der so gar nicht mystischen Serie Miami Vice Verwendung.

Surreales Cover? Bitte schön.

Iron Maiden nehmen in München noch weitere Stücke auf, die als B-Seiten und in der 1995er-Neuauflage Verwendung finden. Dazu gehören Prowler ’88 und Charlotte the Harlot ’88 vom ersten Album, diesmal aber mit Dickinson am Mikro. Bei Black Bart Blues handelt es sich um eine eher komödiantische Nummer über eine Ritterrüstung und nicht jugendfreie Erlebnisse im Tourbus, Massacre stammt im Original von Thin Lizzy.

Die vier Singles von Seventh Son Of A Seventh Son

Insgesamt sind Iron Maiden im Februar und März 1988 im Studio beschäftigt, schon am 11. April 1988 kommt Seventh Son Of A Seventh Son auf den Markt. Für das Cover erhält Stammzeichner Derek Riggs nur die Anweisung, es möglichst „surreal und sonderbar“ zu machen. Er erschafft deshalb eine Eislandschaft, in der das geschundene Bandmaskottchen weiter massakriert wird: Eddie trägt immer noch die Spuren der Lobotomie von Piece Of Mind und die Cyborg-Ausrüstung von Somewhere In Time, doch mittlerweile fehlt sein Körper vom Brustkorb abwärts. Und trotzdem sieht er immer noch cooler aus alles und jeder. In der Hand hält er sein Herz; wer genau hinguckt, erkennt darin einen kleinen schreienden Menschen. Auch andere Details sind amüsant, etwa der der Düsenfisch und Riggs’ Signatursymbol im Eis.

Das letzte unbestritten großartige Maiden-Album

Um die Veröffentlichung den Medien näher zu bringen, laden Iron Maiden auf die Burg Schnellenberg in Attendorn im Sauerland ein. Die Reaktionen bei Fans und Kritik fallen hervorragend aus: Seventh Son Of A Seventh Son wird allgemein als herausragendes Metal-Werk angesehen und markiert einen Höhepunkt der ersten Phase der Maiden-Geschichte, in der die Band konsequent und konstant Großes abgeliefert hat wie sonst niemand. Man könnte sogar behaupten, Seventh Son sei das letzte Maiden-Album, das im Wesentlichen alle Fans großartig finden. Kritische Stimmen monieren lediglich die Keyboards und die „progressiven“ Tendenzen, fallen aber nicht weiter ins Gewicht. Mit der Scheibe landen Iron Maiden zum zweiten Mal an der Spitze der Charts in Großbritannien, schaffen Platz vier in Deutschland und Platz zwölf in den USA. Alle vier Singles erreichen die britischen Top Ten. Damit sind Iron Maiden Ende der Achtziger die unangefochtenen Anführer im Heavy Metal.

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Zeitsprung: Am 28.4.1988 starten Iron Maiden ihre Welttournee in einem Kölner Club.

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