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Popkultur

Zeitsprung: Am 12.1.1959 gründet Berry Gordy die legendäre Hitschmiede Motown Records.

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Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 12.1.1959.

von Timon Menge und Christof Leim

Zu Beginn seiner Karriere arbeitet Berry Gordy als Songschreiber. Als er realisiert, dass es auf der veröffentlichenden Seite des Musikgeschäfts deutlich mehr zu verdienen gibt, schmiedet er einen Plan. Im Januar 1959 leiht er sich 800 US-Dollar von seiner Familie und gründet Tamla Records — den direkten Vorgänger der Motown Record Corporation.


Hört hier in die größten Motown-Hits rein:

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Wer Soul hört, kennt auch Motown. So einfach ist das. Ob Diana Ross, Jackie Wilson, Stevie Wonder, die Jackson Five, Marvin Gaye, die Temptations, die Four Tops, Lionel Richie, Al Green oder Martha Reeves: Die Liste der Künstler, die das Label während der vergangenen Dekaden prägten, ist lang. Doch die Motown-Erfolgsgeschichte spielt sich nicht nur im Musikgeschäft ab, sondern auch in der Politik. So trägt die Plattenfirma während der Sechziger und Siebziger maßgeblich dazu bei, dass afroamerikanische Musiker in den USA stärker akzeptiert werden. Doch beginnen wir vorne…

Eines der finanziellen Zugpferde der Motown Record Company: die Jackson 5 mit Michael in der Mitte

Der Name des Labels spielt auf dessen Herkunft an. So kennt man Detroit vor allem als Dreh- und Angelpunkt der US-amerikanischen Autoindustrie. General Motors, Ford, Chrysler: Was in der Branche Rang und Namen hat, siedelt sich in der „motor town“ oder zumindest in der direkten Umgebung an. Auch Volkswagen betreibt eine Niederlassung in Auburn Hills, einem Vorort der nordamerikanischen Metropole.

1959 erscheint mit Come To Me von Marv Johnson die erste Single des Labels. Der erste Hit gelingt kurz danach mit Money (That’s What I Want) von Barrett Strong. Den ersten Motown-Plattenvertrag unterzeichnet die Gruppe The Matadors, die sich wenig später in The Miracles umbenennt. Vom R&B-Nummer-Eins-Hit Shop Around (1961) der Gruppe verkaufen Motown zum ersten Mal über eine Million Einheiten.

Markieren den Startschuss des Motown-Erfolgs: The Miracles mit ihrem Frontmann Smokey Robinson ganz links

Schnell wird der Erfolg des Labels physisch sichtbar: Noch im Jahr der Firmengründung erwirbt Gordy das legendäre Hitsville U.S.A.-Haus in Detroit und baut das ehemalige Fotostudio zu einem Aufnahmestudio um. Er selbst und seine Familie bewohnen den ersten Stock, sieben weitere Häuser in der Nachbarschaft kauft Gordy innerhalb der nächsten Jahre. Mitte der Sechziger beschäftigt Motown 450 Angestellte und erzielt einen Umsatz von 20 Millionen US-Dollar pro Jahr.

Eine unscheinbare Firmenzentrale, die jahrelang Millionenumsätze erwirtschaftet: Hitsville U.S.A. in Detroit – Pic: Blob4000/Wiki Commons

Die Plattenschmiede entwickelt sich zu einem waschechten Familienunternehmen. So beschäftigt Gordy seinen Vater, seine Brüder Robert und George sowie seine Schwester Esther. Auch seine spätere Frau Raynoma Liles arbeitet für das Label. William „Smokey“ Robinson, seines Zeichens Sänger der Miracles, ernennt er zum stellvertretenden Geschäftsführer, was der ihm unter anderem damit dankt, dass er seine Kinder auf die Namen Tamla und Berry tauft.

1965: The Supremes auf einer Gala in den Niederlanden: Florence Ballard, Mary Wilson und Diana Ross (v.l.) – Pic: Eric Koch (ANEFO)/Wiki Commons

Ebenfalls unter den Angestellten, zumindest von 1962 bis 1967: das Songwriting-Trio Brian Holland, Lamont Dozier und Eddie Holland. Die drei Autoren schreiben Hits wie Heat Wave (Martha And The Vandellas), Baby Love (The Supremes) und Stop! In The Name Of Love (The Supremes) und prägen Motown maßgeblich mit. Ab 1967 übernimmt Norman Whitfield den Job und produziert 1968 zum Beispiel den Marvin Gaye-Klassiker I Heard It Through The Grapewine. Von 1961 bis 1971 erscheinen ganze 110 Top Ten-Hits über die Labels der Motown Record Corporation, zu denen Motown, Tamla, Gordy, V.I.P., Soul, Workshop Jazz, Mel-o-dy und Rare Earth zählen.

Einer der prägendsten Motown-Interpreten: Marvin Gaye

Eine große Rolle für den Motown-Erfolg kommt auch der Gruppe The Funk Brothers zu, die einen Großteil der Instrumentalaufnahmen für das Label einspielt. 2002 arbeitet Regisseur Paul Justman die Karriere der Studiomusiker in seiner Dokumentation Standing In The Shadows Of Motown auf. Im Rahmen des Films betont er unter anderem, dass die Funk Brothers und ihre ständig wechselnden Mitglieder mehr Nummer Eins-Hits eingespielt haben als die Beatles, Elvis Presley, die Rolling Stones und die Beach Boys zusammen.

1972 zieht die Plattenschmiede mit Sack und Pack nach Los Angeles um. Eine Niederlassung betreibt Motown dort schon vorher. Die Umsiedelung in eines der Medienzentren der USA bringt gewichtige Veränderungen mit sich. So gründet Gordy eine Filmfirma, die TV-Specials mit den Motown-Künstlern produziert. Wenig später lockert er die strengen Regeln des Labels und gewährt seinen Musikern mehr Freiheiten. So dürfen langjährige Schützlinge wie Marvin Gaye und Stevie Wonder erstmals eigenes Material schreiben.



Eine besondere Verantwortung übernimmt das Label bezüglich der Akzeptanz afroamerikanischer Musiker in den USA. „Mir war bis in die Sechziger hinein nicht klar, dass wir nicht nur Musik veröffentlichen, sondern Geschichte schreiben“, erinnert sich Smokey Robinson. Erst später sei ihm bewusst geworden, dass Motown Brücken baue und rassistische Barrieren einreiße. Dafür geht das Label einen eigenwilligen Weg. So legt das Artist Development der Plattenschmiede großen Wert darauf, dass die Motown-Künstler ordentlich angezogen und frisiert sind. Stehen Fernsehauftritte an, entwickelt das Label Choreographien für die Musiker.



Afroamerikanische Interpreten gelten zu jener Zeit als verpönt, zumindest bei der weißen, nicht selten rassistischen Bevölkerung; die Unruhen gegen Ende der Sechziger stehen erst bevor. Motown sensibilisiert die Musiker dafür, dass sie eine Vorbildfunktion einnehmen. Um der schlechten Außenwahrnehmung schwarzer Künstler entgegenzuwirken, sollen sie sich bestenfalls verhalten wie Angehörige des britischen Königshauses. Viele der Musiker wachsen in Sozialbauten auf und stehen vor einer entsprechend großen Herausforderung, also hilft das Label mit Etikette- und Bekleidungstipps nach.

Ab Mitte der Achtziger läuft es für Motown nicht mehr so rund. Die Firma verliert Geld, also verkauft Gordy sein Baby für 61 Millionen US-Dollar an MCA Records. Später veräußert er auch die TV-Produktionsfirma Motown Productions. Es folgen unruhige Jahre unter fremder Führung, die zwar Künstler wie Boyz II Men und Johnny Gill hervorbringen, allerdings unter schwierigen Umständen. Immer wieder wird das Label verkauft und umstrukturiert. In manchen Jahren erscheint bloß ein einziges Album. Seit 2014 gehört Motown zu Capitol Records.

Berry Gordy im Jahr 2010 – Pic: Angela George/Wiki Commons

Über Jahre hinweg produziert Berry Gordy Hit um Hit, prägt die öffentliche Wahrnehmung afroamerikanischer Musik und stellt sukzessive eine der größten Plattenfirmen aller Zeiten auf die Beine. Bis heute bleiben Motown und Soul eng miteinander verbunden. Immer wieder hört man die Songs aus der legendären Plattenschmiede im Radio, in Filmen und natürlich auf Tonträgern. Am 12. Januar 1959 beginnt die Erfolgsgeschichte — mit gerade einmal 800 US-Dollar Startkapital.


Titelfoto: Kingkongphoto/Wiki Commons

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