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Popkultur

Zeitsprung: Am 29.5.1999 wird die Leiche des Iron-Butterfly-Bassisten gefunden.

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Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 29.5.1999."

von Christof Leim

Am 29. Mai 1999 finden zwei Fotografen im Decker Canyon im kalifornischen Malibu ein Skelett. Es sind die Überreste des ehemaligen Iron-Butterfly-Bassisten Philip Taylor Kramer. Der war vier Jahre zuvor spurlos verschwunden, nachdem er einige sonderbare Anrufe an einen ehemaligen Mitmusiker, seine Frau und die Polizei getätigt hatte. Bis heute weiß niemand genau, was passiert ist. Wie endet also ein ehemaliger Rocker und späterer Computerwissenschaftler auf dem Grund einer Schlucht?

Hört euch hier die besten Songs von Iron Butterfly an:

Seine Spuren in der Musikwelt hinterlässt Philip Taylor Kramer als Bassist der Classic Rocker Iron Butterfly. Er gehört von 1974 bis 1980 zur zweiten Inkarnation der Band, die vor allem mit dem Gassenhauer In-A-Gadda-Da-Vida von 1968 bekannt wurde. Der US-Amerikaner spielt auf den Alben Scorching Beauty und Sun And Steel, beide 1975 erschienen, die in kommerzieller Hinsicht scheitern und auf Greatest-Hits-Zusammenstellungen meist ausgespart werden. Mit Iron-Butterfly-Gründer Ron Bushy musiziert er zudem in den Bands Magic und Gold.

Iron Butterfly 1975. Ganz rechts: Philip Kramer.

Neue Karriere

Nach seiner Musikkarriere wendet sich der 1952 geborene Kramer seiner zweiten Liebe zu: der Wissenschaft. Schon als Kind hatte der Sohn eines Professors für Elektroingenieurwesen sich dafür interessiert und bei US-Äquivalenten zu „Jugend forscht“ Preise gewonnen. Er erlangt einen Abschluss in Luft- und Raumfahrttechnik und gründet 1990 als 38-Jähriger Total Multimedia Inc. mit Randy Jackson, dem kleinen Bruder eines berühmten Sängers namens Michael. (Ja, genau der.) Die Firma beschäftigt sich mit Datenkompression auf CD-ROMs. (Die waren damals allgegenwärtig, Jüngere unter uns können das gerne hier nachschlagen.) Vier Jahre später geht der Unternehmung das Geld aus, die Besitzer wechseln – ein Rückschlag, der Kramer sehr mitnimmt. Er arbeitet weiter für Total Multimedia, vor allem aber forscht er mit seinem Vater an einem Verfahren, mit dem sich Daten schneller als mit Lichtgeschwindigkeit übertragen lassen. Das widerspricht nicht nur Albert Einsteins Relativitätstheorie und klingt nach Star Trek, Flux-Kompensator und Warp Drive, es verheißt auch lukrative technische Anwendungen…

Am 12. Februar 1995 verschwindet Philip Taylor Kramer jedoch: Er fährt zum Flughafen von Los Angeles, um einen Geschäftspartner und seine Begleiterin abzuholen. Später wollen Kramer und seine Ehefrau mit den beiden zum Essen gehen. Unterwegs macht er mehrere Telefonanrufe, wie die L.A. Times damals berichtet: Er bittet seine Frau Jennifer, den Gästen mitzuteilen, sollten sie sich melden, sie mögen doch bitte mit einem Taxi direkt zu ihrem Hotel fahren. Er würde eine Stunde später dort eintreffen, „mit einer großen Überraschung“ für seine Frau. Der ehemalige Bassist ruft sogar Iron-Butterfly-Drummer Ron Bushy an und erklärt: „Bush, ich liebe dich über alles“. In einem weiteren Gespräch eröffnet er Jennifer: „Was auch passiert, ich werde immer bei dir sein.“ Um 11:59 Uhr geht dann schließlich bei der Polizei folgender Anruf ein: „Ich bin Philip Taylor Kramer, und ich werde mich umbringen.“ Ab da ist er weg, ohne eine Spur. Sein Geschäftspartner kann ihn am Flughafen nicht finden, und auch Ron Bushy, der zufällig am gleichen Terminal landet, begegnet seinem alten Freund nicht. Kramers Auto wird nicht gefunden, seine Kreditkarten und das Handy werden nicht mehr genutzt. Allem Anschein nach hat es der Bassist nie zum Flughafen geschafft.

Keine Spur

Knapp zwei Wochen später allerdings trifft ein Brief bei der Familie ein: Kramer muss 3 Dollar Gebühren für das Parken am Los Angeles Airport nachzahlen. Nach den Aufzeichnungen befand er sich 45 Minuten auf dem Gelände. Gesehen hat ihn niemand, keine Kamera hat ihn eingefangen. Eine umfangreiche Suche beginnt, die Familie engagiert einen Privatdetektiv, und sogar Fernsehsendungen wie die Oprah Winfrey Show greifen den Fall auf. Wenige Wochen später erscheint der schon oben zitierte lange Text zum Leben von Philip Kramer in der L.A. Times. Doch der 42-Jährige Musiker/Wissenschaftler bleibt verschwunden. Er hinterlässt eine damals fünfjährige Tochter, einen 13 Jahre alten Sohn und seine Ehefrau.

Am 29. Mai 1999 begeben sich zwei Fotografen in den Decker Canyon, eine Schlucht in der Nähe des kalifornischen Küstenortes Malibu, die an einer Straße liegt und 100 Meter in die Tiefe führt. Walter Lockwood und Bryce Taten wollen dort unten alte Autowracks fotografieren. Sie finden einen zerschmetterten Minivan, wie Kramer ihn vier Jahre zuvor gefahren hatte, darin ein Skelett. Wenig entfernt liegt ein menschlicher Schädel. Von Details zu diesen Funden berichten sie seiner Zeit in Maxim; der Artikel wurde hier konserviert. Suchmannschaften müssen mit Helikoptern anrücken und entdecken Kramers Führerschein. Die Untersuchung der sterblichen Überreste bestätigen das Offensichtliche fast sicher.

Unbekannte Probleme

Ein Herr namens Rick Gagnon aus dem Umfeld von Iron Butterfly postet zwei Tage später auf der Band-Website eine Nachricht unter der Überschrift „Abschluss“: „Anscheinend ist sein Van in die Tiefe gestürzt, was Phil das Leben gekostet hat. Nach den Umständen kann man nur von Selbstmord ausgehen. Im Namen von Iron Butterfly und allen Fans gilt mein Mitgefühl seiner Familie und seinen Freunden. Meine Gedanken gehen auch zu Ron Bushy, der Phil vermutlich näher stand als die meisten. Es tut mir leid, Ron. Phil war ein toller Kerl.“

Die Behörden stufen Kramers Tod als „wahrscheinlichen Suizid“ ein, doch seine Angehörigen glauben das nicht. So stand der Mann vor seinem Verschwinden massiv unter Druck, befasste sich aber gleichzeitig fast manisch mit seinen Forschungen, die angeblich kurz vor einem Durchbruch standen. Kramer schlief nicht mehr und legte ungewohntes Verhalten an den Tag, das nicht seinem positiven, fröhlichen Naturell entsprach. Sein Vater kommentiert später: „Taylor hat mir schon lange vorher erklärt, dass es Probleme mit einigen Leuten gibt. Sie wollten das haben, woran er gerade arbeitet, manche haben ihn sogar bedroht. Einmal hat er mir gesagt: ‘Wenn ich jemals behaupte, dass ich mich umbringe, glaube davon kein Wort. Dann brauche ich Hilfe.’“ In der Folgezeit entspinnen sich sogar einige Verschwörungstheorien, auch soll der Mann an verschiedenen Orten gesichtet worden sein. Doch neue Erkenntnisse gibt es nicht. Die wahren Gründe für Philip Taylor Kramers Verschwinden sind bis heute nicht bekannt.

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