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Popkultur

Zeitsprung: Am 30.1.1972 inspiriert der „Bloody Sunday“ in Nordirland einige berühmte Protestsongs.

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"Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 30.1.1972.

von Andrea Leim und Christof Leim

An einem Sonntag im Januar 1972 eröffnet das Militär in der irischen Stadt Derry das Feuer auf unbewaffnete Menschen bei einem Bürgerrechtsmarsch. Der „Bloody Sunday“ wird zur Vorlage vieler Protestsongs, die bekanntesten stammen von Paul McCartney und U2.

Hört euch Sunday Bloody Sunday von U2 hier an:

Dieser 30. Januar 1972 erlangt als einer der tödlichsten Tage im Konflikt zwischen Nordirland und England traurige Bekanntheit. In Derrys katholischem Viertel Bogside gehen die Menschen gegen die Internment-Politik der Regierung auf die Straße, also gegen die Inhaftierung vermeintlich IRA-naher Personen durch die britische Armee ohne Gerichtsverfahren. Zwar sind solche Proteste verboten, doch die Demonstrierenden sind unbewaffnet, alles läuft friedlich. Dann eröffnen die Soldaten das Feuer auf die Menge: 14 Menschen sterben, darunter mehrere Teenager, 13 weitere werden zum Teil schwer verletzt. Als Grund wird später angeben, die Schüsse hätten bewaffneten Angehörigen terroristischer Vereinigungen gegolten.

Schockierte Songwriter

Paul McCartney und seine Frau Linda erfahren in New York von den Todesfällen. Sie besuchen dort John Lennon und Yoko Ono. „Ich habe eigentlich nie politische Songs geschrieben“, erzählt McCartney später. „Das war eher Johns Ding.“ Doch die Geschehnisse in Irland schockieren ihn so, dass er gemeinsam mit Linda sofort Give Ireland Back To The Irish komponiert. Noch von New York aus arrangiert er für den nächsten Tag eine Aufnahmesession in den Abbey Road Studios in London mit seiner neuen Band Wings. Give Ireland Back To The Irish erscheint am 25. Februar 1972 als Debütsingle der Band – und wird prompt von von allen Radiostationen Großbritanniens ignoriert. Die Kritik wirft McCartney vor, die Nummer vertrete einen Pro-IRA-Standpunkt, und er wolle mit diesem Protestlied lediglich Aufmerksamkeit für seine neue Band erzeugen.

Die Wings-Single Give Ireland Back To The Irish.

„Zum ersten Mal überhaupt hinterfragten Menschen, was wir da eigentlich machen“, erinnert sich McCartney. „Das war ziemlich schockierend.“ Sofort nachdem er den Song aufgenommen hatte, erhielt er einen Anruf von Sir Joseph Lockwood, dem Chef der Plattenfirma EMI: „Er sagte mir, dass er das Lied nicht veröffentlichen werde. Er hielt es für zu provokant. Doch ich habe ihm erklärt, wie wichtig mir das Stück ist und dass er es unbedingt rausbringen muss“, erzählt der Ex-Beatle. „Der Track wird verbannt werden“, warnte Lockwood ihn vor. „Und so kam es natürlich auch. Aber das war mir egal. Dass der Song keine einfache Nummer werden würde, wusste ich. Aber die Zeit war gekommen, den Mund aufzumachen.“

Schlussendlich brachte es Give Ireland Back To The Irish in den UK-Single-Charts auf Platz 16, in Irland selbst landete er an der Spitze. Zum ersten Mal auf einem Wings-Album erschien der Song erst 1993, nämlich als Bonustrack der Neuauflage von Wild Life. Beim Boxset Wingspan vor 2001 fehlt er, da McCartney angesichts eines Terroraktes im gleichen Jahr nicht den Eindruck aufkommen lassen wollte, er würde die IRA-Gewalt gutheißen.

U2 brauchen Zeit

U2 brauchen etwas mehr Zeit, um sich mit dem „blutigen Sonntag“ auseinanderzusetzen. Mehr als zehn Jahre nach den tödlichen Schüssen schreibt Gitarrist The Edge 1982 die Basis für das Lied Sunday Bloody Sunday. Sänger Bono, der sich gerade mit seiner Frau Ali auf Hochzeitsreise nach Jamaika befindet, überarbeitet den Text nach seiner Rückkehr, danach nimmt ihn die Band in den Windmill Lane Studios in Dublin auf. Sunday Bloody Sunday gehört seitdem zu den erfolgreichsten Protestsongs der Musikgeschichte und wurde schon unzählige Male gecovert. Vor allem aber spielen U2 das Lied bei fast jedem ihrer Konzerte. Über die Aufnahmen erzählte Bono einmal, dass der anwesende Boss eines Plattenlabels ihm riet: „Lass das ‚bloody’ weg. ‚Bloody’ funktioniert im Radio nicht.“ So kann man sich irren…

Die Liste der Künstler und Künstlerinnen, die die traurigen Geschehnisse des 30. Januar 1972 in ihren Werken aufgreifen, ist lang: Zum Beispiel gibt es auf dem Album Some Time in New York City von John Lennon ebenfalls ein Stück namens Sunday Bloody Sunday sowie die Nummer The Luck Of The Irish. Sowohl McCartney als auch Lennon haben irische Vorfahren.

Gemälde zum Gedenken an den „Bloody Sunday“ in Derry. Credits: Ian S [CC BY-SA 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)], via Wikimedia Commons und Vintagekits at English Wikipedia [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html), CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/) or CC BY 2.5 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.5)], via Wikimedia Commons

Wegen des „Bloody Sunday“ leitete die britische Regierung übrigens zwei Untersuchungen ein. Die erste kurz nach den Vorfällen spricht die Soldaten und Autoritäten weitgehend von allen Vorwürfen frei, da sie auf eine Bedrohung reagiert hätten. Ein weiteres Verfahren 26 Jahre später kommt zu dem gegenteiligen Ergebnis und bezeichnet die Schüsse als „unberechtigt“ und „nicht zu rechtfertigen“. In der Folge wird wegen Mordes ermittelt.

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Zeitsprung: Am 8.6.2000 verärgert Bruce Springsteen mit „American Skin (41 Shots)“ die New Yorker Polizei.

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