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Popkultur

Zeitsprung: Am 5.1.1969 kommt Marilyn Manson zur Welt.

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Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 5.1.1969.

von Timon Menge und Christof Leim

Als selbsternannter Antichrist schockiert er in den Neunzigern eine ganze Elterngeneration. Clever und provokant rechnet er mit der US-amerikanischen Gesellschaft ab und bricht mit Konventionen, wo er nur kann. Die Öffentlichkeit zerreißt sich das Maul, doch wer Marilyn Manson verstehen möchte, muss ihm bloß zuhören. Am 5. Januar feiert er Geburtstag.


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Was Alice Cooper und KISS anstoßen, führt Marilyn Manson in aller Konsequenz weiter. Ohne ihn wären die Neunziger vermutlich anders verlaufen. Er provoziert, legt den Finger dahin, wo es wehtut. Abseits der Bühne outet er sich als geistreicher Interviewpartner, der so manchen Talkmaster problemlos an die Wand argumentiert. Und nicht nur das: Neben der Musik malt, schreibt und schauspielert er. Doch beginnen wir vorne…

Die Kindheit

Am 5. Januar 1969 erblickt Marilyn Manson das Licht der Welt. Seine religiösen Eltern Barbara Warner Wyer (gest. 2014) und Hugh Angus Warner (gest. 2017) taufen ihn auf seinen bürgerlichen Namen Brian Hugh Warner. Sein Vater gehört der römisch-katholischen Kirche an, doch der kleine Brian zieht die Episkopalkirche seiner Mutter vor. Von der ersten bis zur zehnten Klasse besucht der angehende Rockstar eine christliche Schule, wo die Lehrer den Schülern zeigen, welche Musik sie lieber meiden sollten. Es verwundert nicht, dass Manson seine Schulzeit hasst und eine Faszination für genau jene verbotenen Früchte entwickelt.

Sieht so das Böse aus?

Der Musikjournalist

Als seine Familie nach Florida umzieht, besucht Manson das Broward Community College in Fort Lauderdale. Er möchte Journalist werden und arbeitet für das Lifestyle-Magazin 25th Parallel, für das er zum Beispiel Kiss und Trent Reznor von Nine Inch Nails interviewt. Auf der Website marilynmansonimages.com könnt ihr euch einige Artikel von Manson anschauen. Doch er schlägt einen anderen Weg ein.

Der Musiker

1989 begegnet er dem Gitarristen Scott „Daisy Berkowitz“ Putesky. Gemeinsam gründen die beiden Marilyn Manson & The Spooky Kids, verkürzen den Namen aber schnell auf Marilyn Manson. Bassist Gidget Gein und Keyboarder Madonna Wayne-Gacy komplettieren das Line-up, erste Demos lassen nicht lange auf sich warten. Mansons exzentrisches Make-up sowie die selbstgebastelten Special Effects der Band sorgen für Aufsehen, und als die Musiker den Schlagzeuger Sara Lee Lucas kennenlernen, legen sie richtig los. 1992 gehört das Industrial Rock-Quintett bereits zu den bekanntesten Künstlern in Südflorida. 1993 entdeckt Trent Reznor von Nine Inch Nails die Gruppe und nimmt sie auf seinem Label Nothing Records unter Vertrag. Das Debüt Portrait Of An American Family erscheint 1994. Ab da überschlagen sich die Ereignisse: Manson holt mit Twiggy Ramirez einen neuen Bassisten an Bord, sein wohl bekanntestes Bandmitglied. Ein Jahr später schafft die Gruppe mit Smells Like Children den Durchbruch, nicht zuletzt wegen der gelungenen Coverversion des Eurythmics-Klassikers Sweet Dreams (Are Made Of This).



Der Name

Bis 1996 setzt sich jeder Künstlername in der Band Marilyn Mansons aus dem Vornamen eines weiblichen Sexsymbols und dem Nachnamen eines Serienkillers zusammen — so auch sein eigener. Er sucht Marilyn Monroe und Charles Manson als seine Namensgeber aus, weil er beide für ikonische Figuren der Sechzigerjahre hält. Außerdem passen die beiden Berühmtheiten zu Mansons Gesamtkonzept: der Unzertrennlichkeit von Gut und Böse. „Marilyn Monroe hat eine dunkle Seite“, erklärt der Musiker in seiner Biografie The Long Hard Road Out Of Hell, „und Charles Manson eine gute, intelligente.“

Der Provokateur

Schon zu Beginn seiner Karriere löst Manson die ersten Skandale aus. So zerreißt er während einer Performance das Book Of Mormon auf der Bühne. Anton LeVey, seines Zeichens Gründer der Church Of Satan, ernennt ihn zum „Reverend“. Die konservative Öffentlichkeit spitzt die Ohren und bekommt Angst. Mit der steigenden Popularität nehmen die Anfeindungen zu. Viele seiner Konzerte rufen Proteste hervor, verbale Attacken aus dem konservativ-religiösen Lager gehören zur Tagesordnung. Vor allem der US-Senator Joe Lieberman hat es auf Manson abgesehen und greift seine Plattenfirma MCA öffentlich an.

Viele schockierende Gerüchte entpuppen sich beim näheren Hinsehen allerdings als Quatsch. Zum Beispiel wirft man Manson vor, er habe auf der Bühne Sex mit Tieren und würde sie anschließend töten. In seiner Biografie stellt der Künstler klar, dass die Family Association USA die Behauptung in die Welt gesetzt habe, um seinem Ruf zu schaden. Tatsächlich simuliert(!) Manson auf der Bühne sexuelle Handlungen, zieht aber keine Tiere in Mitleidenschaft. Dass er sich während seiner Konzerte selbst verletzt, lässt sich hingegen nicht leugnen. Als 1998 seine Biografie erscheint, zieren schon stolze 450 Narben seinen Körper.

Manson will auffallen. Und schafft es. – Pic: Joseph Cultice/Nothing Records

Die Drogen

Was Kokain und Co. angeht, tritt Manson nicht als Kostverächter in Erscheinung, zum Beispiel während der Produktion von Antichrist Superstar (1996). „Noch nie in meinem Leben habe ich meine Nase mit so viel weißem Pulver gefüllt“, schreibt der Musiker in seinem Buch. „Wir haben uns jeden Tag so zugedröhnt, dass wir es nicht mehr hinbekommen haben, etwas aufzunehmen. Es gab viel Streit, und wir wurden immer paranoider und unbrauchbarer.“ Dass es noch abgefahrener geht, verrät er im Interview mit dem Rolling Stone: „Ich habe menschliche Knochen geraucht und LSD genommen. Ich werde beides nicht wiederholen, denn dann tauchen all deine Dämonen auf. Je älter du wirst, desto mehr Dämonen verfolgen dich und suchen dich in deinen Alpträumen heim.“ Aber hey, es scheint auch gute Seiten zu geben: Dem britischen Guardian erzählt Manson: „Die Drogen und der Alkohol sorgen dafür, dass Keime in meinem Körper keine Chance haben. Mir geht es gut. Hoffen wir, dass es so bleibt.“

Der Sündenbock

Am 20. April 1999 erschießen zwei Schüler der Columbine High School in Littleton, Colorado zwölf Mitschüler sowie einen Lehrer und verwunden weitere 21 Menschen. Zum Schluss töten sie sich selbst. Die Mörder stehen auf deutsche Gruppen wie Rammstein und KMFDM, doch die sind nicht greifbar. Stattdessen stellt die Öffentlichkeit Marilyn Manson an den Pranger. Schlagzeilen wie „Killer verehrten Rock-Freak Manson“ und „Teufelsanbetender Irrer befahl, Kids zu töten“ machen die Runde, der Künstler gerät ins Kreuzfeuer. Kurz nach der Tat sagt die Band aus Respekt vor den Opfern die restlichen Termine ihrer Rock Is Dead-Tour ab. Dennoch formuliert Manson folgendes Statement, wie die New York Times berichtet: „Die Medien haben die Musikindustrie und so genannte Gothic-Kids unfairerweise zu Sündenböcken gemacht und ohne wirkliche Grundlage gemutmaßt, dass Künstler wie ich in gewisser Weise verantwortlich seien. Diese Tragödie war das Produkt von Ignoranz, Hass und einem Zugang zu Waffen. Ich hoffe, dass das unverantwortliche Fingerzeigen der Medien nicht dazu führt, dass Kids, die anders aussehen, noch mehr diskriminiert werden.“

Der Schauspieler

Sein Filmdebüt gibt Manson 1997 in Lost Highway von David Lynch, anschließend übernimmt er regelmäßig Neben- und Cameo-Rollen, ob in Californication, Eastbound & Down oder Sons Of Anarchy. Als Tim Burton Charlie und die Schokoladenfabrik von Roald Dahl verfilmt, bewirbt er sich für die Rolle des Willy Wonka. Den Zuschlag erhält allerdings sein guter Freund Johnny Depp, der später angibt, er habe sich für die Rolle von Manson inspirieren lassen.

2005 spielt er sogar mit dem Gedanken, sich vollständig auf die Schauspielerei zu konzentrieren. „Die Welt ist es gerade nicht wert, dass man ihr neue Musik gibt“, befindet er. „Ich möchte keine Kunst mehr erschaffen, damit andere Leute – vor allem Plattenfirmen – sie in ein Produkt verwandeln können. Ich möchte einfach nur Künstler sein.“

Der Maler

2003 veröffentlichen Manson und seine Band The Golden Age Of Grotesque, inspiriert durch die Zeit während der Weimarer Republik. Im weitesten Sinne stellt Manson eine Verbindung zwischen seinem eigenen Schaffen und der „Entarteten Kunst“ während des Dritten Reiches her. Das Spiel mit Nazi-Symbolen und die Orientierung an den Dreißiger Jahren sorgen für reichlich Gegenwind.

Im Anschluss zieht er sich für kurze Zeit aus dem Musikgeschäft zurück und widmet sich der Malerei. Dabei handelt es sich nicht etwa um ein neu entdecktes Hobby, sondern um eine Leidenschaft, die er seit mindestens 1999 hegt. Manson beschäftigt sich im Rahmen seiner Bilder nicht nur mit sozialen Themen, sondern lässt sich auch von Literatur und Geschichte inspirieren. Vor allem Adolf Hitler taucht immer wieder in seinen Kunstwerken auf, meist als Dämon dargestellt. Als Einfluss nennt Manson Künstler wie Salvador Dalí, Egon Schiele und Francis Bacon.

Manson zu Zeiten von „The Golden Age Of Grotesque“ – Pic: Perou/Nothing Records

Der Rebell

Marilyn Manson gehört zu den wichtigen Künstlern der letzten Dekaden, nicht nur in musikalischer Hinsicht. Er hält der Menschheit den Spiegel vor, kämpft gegen Bigotterie und die Unterdrückung der Jugend. „Als Künstler möchte ich der lauteste und hartnäckigste Wecker sein, den es gibt“, schreibt er in The Long Hard Road Out Of Hell, „denn es scheint keinen anderen Weg zu geben, die Menschheit aus ihrem vom Christentum und den Medien verursachten Koma zu wecken.“


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