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Popkultur

Zeitsprung: Am 6.12.1988 erliegt Roy Orbison einem Herzinfarkt.

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Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 6.12.1988.

von Timon Menge und Christof Leim

Denkt man an Roy Orbison, sieht man vor allem eines: schwarz. Mit seinen getönten Haaren, der stets dunklen Sonnenbrille, seinem schwarzen Anzug und der schwarzen Gitarre gibt der Texaner der Melancholie eine vier Oktaven starke Stimme. Songs wie Only The Lonely, Oh, Pretty Woman oder You Got It verzaubern Hunderttausende. Doch sein Weg verläuft alles andere als geradlinig…


Hört hier in Roy Orbisons beste Songs rein:

Klickt auf „Listen“ für die vollständigen Songs.  

Orbisons Karriere beginnt, als er 1945 im Alter von neun Jahren einen Talentwettbewerb bei einem lokalen Radiosender zu Hause in Texas gewinnt und eine wöchentliche Show im Samstagabend-Programm bekommt. Sein erster öffentlicher Auftritt mit Band lässt deutlich länger auf sich warten: 1953, also acht Jahre später, treten er und The Wink Westerners in einer High School auf. Die Schule befindet sich in seiner langjährigen Heimatstadt Wink in Texas, einem Ort, der vor allem von der Ölindustrie lebt. Die Gruppe hatte Orbison bereits im Alter von 13 Jahren gegründet. Ein Jahr nach dem Konzert schließt Orbison die Schule ab und wechselt zum North Texas State College, um Geologie zu studieren.

Der nächste Schritt ins Musikerdasein folgt 1955: Der Gitarrist und Sänger reist mit seiner Band nach Dallas, um Columbia Records den Song Ooby Dooby vorzuspielen, geschrieben von seinen Studienkollegen Wade Lee Moore und Dick Penner. Das Stück gefällt der Plattenfirma zwar, Orbison selbst stößt allerdings auf weniger Gegenliebe. Stattdessen spielen Sid King And The Five Strings den Titel ein.



Die Musiker lassen sich durch den Rückschlag nicht entmutigen, treten in zahlreichen Radiosendungen auf und benennen sich in The Teen Kings um. Am 4. März 1956 nehmen sie Ooby Dooby doch noch auf, und zwar im Studio von Norman Petty, einem der wichtigsten Rock’n’Roll-Produzenten der Zeit. Am 19. März erscheint der Song über Weldon Rogers’ Plattenfirma Je-Wel Records, doch der Vertrag muss kurz nach Erscheinen der Single annulliert werden: Orbison ist noch minderjährig und hätte ihn gar nicht unterzeichnen dürfen.



Sam Phillips, Inhaber der legendären Vinylschmiede Sun Records, interessiert das nicht. Er bietet dem jungen Musiker einen neuen Vertrag, den dieser annimmt. Phillips gilt als Schlüsselfigur der Fünfziger und entdeckt nicht nur Elvis Presley, sondern auch Johnny Cash und Jerry Lee Lewis. Die Gruppe nimmt Ooby Dooby ein weiteres Mal auf, am 1. Mai 1956 erscheint die Single mit der B-Seite Go Go Go. Der Titel erreicht Platz 59 der nationalen Hitparade und verkauft sich mehr als 350.000 Mal. Um das Momentum zu nutzen, geht Orbison auf eine große Tournee mit Johnny Cash, Carl Perkins, Warren Smith, Sonny Burgess und Faron Young. Die Reise führt den Tross bis nach Kanada.


Im September folgt die zweite Single: You’re My Baby, ein Stück von Johnny Cash. Auf der B-Seite findet sich Rockhouse von Orbison und Harold Jenkins alias Conway Twitty. Der Erfolg mit Sun Records bleibt hinter den Erwartungen zurück, und Orbison wechselt zu RCA Records, wo inzwischen auch Elvis Presley unter Vertrag steht. Auch dort bleibt der Durchbruch aus. Orbison veröffentlicht zwei erfolglose Singles, der Vertrag wird nicht verlängert.

Der Nachwuchskünstler betätigt sich stattdessen als Songwriter für andere Leute. So spielt er den Everly Brothers während einer Konzertpause ein Lied vor, das er für seine Frau Claudette geschrieben hat. Die Brüder mögen das Stück, das einfach Claudette heißt, und nehmen es auf. Später schreibt er den Song Down The Line, interpretiert von Jerry Lee Lewis. Auch Buddy Holly und Rick Nelson greifen auf Orbisons Material zurück.



Ab 1959 kommt allmählich Land in Sicht. Orbison unterzeichnet einen Vertrag bei Fred Fosters Plattenfirma Monument Records. Foster erkennt das Potential des jungen Musikers und liegt goldrichtig: Mit Uptown landet gleich der zweite neue Song des Texaners in den Charts, wenn auch nur auf Platz 72. Orbison nutzt die schützenden Arme des neuen Labels, um seinen balladesken Stil weiterzuentwickeln. Am 9. Mai 1960 gelingt mit Only The Lonely (Know The Way I Feel) der nationale und internationale Durchbruch. Orbisons Falsetto beeindruckt Elvis Presley so sehr, dass er die Single gleich kistenweise kauft und an Freunde verteilt. Vier Jahre lang erreicht jeder Song von Orbison die Top 40.



Eines seiner größten Markenzeichen entsteht zufällig, als Orbison 1963 mit den Beatles durch Großbritannien tourt. Der stark weitsichtige Musiker vergisst seine Brille im Flugzeug und muss aus der Not heraus mit seiner Sonnenbrille auftreten, die ebenfalls seiner Sehstärke angepasst ist. Der Look kommt gut an, so dass man ihn im weiteren Verlauf seiner Karriere nur selten ohne Sonnenbrille sieht. (Während derselben Tour erhält er übrigens auch seinen Spitznamen „The Big O“.) Seine stets dunkle Kleidung vervollständigt das Bild des schüchternen, auf Anonymität bedachten Superstars.



Am 1. August 1964 nimmt Orbison dann die erfolgreichste Single seiner Karriere auf. Oh, Pretty Woman erreicht in unzähligen Ländern der Welt Platz 1 der Charts und verkauft sich noch im ersten Jahr mehr als sieben Millionen Mal. Als Orbison 1965 mit den Rolling Stones durch Australien tourt, inspiriert der Song Mick Jagger und Keith Richards sogar dazu, ein ähnliches Intro für (I Can’t Get No) Satisfaction zu schreiben.

Roy Orbison ohne Sonnenbrille, dafür mit seiner zweiten Frau Barbara Anne Marie Wellhöner

Nach dem späten aber erfolgreichen Start seines Musikerdaseins suchen ihn ab Mitte der Sechziger mehrere Schicksalsschläge heim. 1966 stirbt seine Frau Claudette bei einem Motorradunfall, 1968 kommen zwei seiner drei Söhne bei einem Hausbrand ums Leben. Am 25. Mai 1969 heiratet Orbison seine zweite Frau Barbara Anne Marie Wellhöner, geboren in Bielefeld. Sie überlebt ihren Mann auf den Tag genau um 23 Jahre.

Auch seine Karriere gerät ins Wanken: Beatbands dominieren die Charts, Orbison unterschreibt einen neuen Plattenvertrag über eine Million US-Dollar mit MGM. Die Klangqualität von Monument Records wird nicht mehr erreicht, und auch die kompositorische Klasse leidet, weil Orbison sich vertraglich dazu verpflichtet, regelmäßig neue Songs abzuliefern. Er spielt weiter Konzerte, doch es wird ruhiger um ihn.



Ein furioses Comeback gelingt ihm Ende der Achtziger Jahre mit Mystery Girl und der Single-Auskopplung You Got It. Im November 1988 tritt er beim Diamond Awards Festival in Belgien auf und präsentiert den brandneuen Song vor laufenden Kameras. Ein Raunen geht um die Welt: Roy Orbison ist zurück, besser denn je. Auch abseits seiner Solokarriere bewegt sich etwas: Er schließt sich mit Bob Dylan, Tom Petty, George Harrison und Jeff Lynne zu den Traveling Wilburys zusammen, einer Supergroup, deren Debüt Traveling Wilburys Vol. 1 millionenfach über die Ladentheken geht.

Leider bekommt Orbison den Erfolg seines Comebacks nicht mehr vollständig mit: Bereits seit seiner Kindheit leidet er an Herzproblemen und muss sich während der Siebziger einer Bypass-Operation unterziehen. Am 6. Dezember 1988 erliegt er kurz vor Mitternacht einem Herzinfarkt. Er wird in Los Angeles beigesetzt, Mystery Girl erscheint posthum.

Bis heute zweifelt niemand am Einfluss, den Orbison auf die Musikwelt genommen hat. Dreht sich der Rock’n’Roll üblicherweise um treibende Schlagzeugbeats, verzerrte Gitarren und rebellische Texte, findet all das in der melancholischen Musik des Texaners kaum statt. Stattdessen vergleicht man ihn mit klassisch ausgebildeten Musikern, sogar mit Opernsängern. Kein Wunder: Dank seiner Stimmgewalt füllt er jeden noch so großen Saal aus.

Orbison wird nur 52 Jahre alt. „I still have some love to give“, singt er in Handle With Care von den Traveling Wilburys. Man darf gar nicht darüber nachdenken, welch tolle Songs er sicher noch geschrieben hätte.

Zeitsprung: Am 29.10.1990 erscheint „Traveling Wilburys Vol. 3“.

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