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Popkultur

Zeitsprung: Am 6.7.1972 löst David Bowie bei „Top Of The Pops“ einen Skandal aus.

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Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 6.7.1972."

von Andrea Hömke und Christof Leim

Als kurz vor Weihnachten 1971 David Bowies Hunky Dory erscheint, überschlagen sich die Kritiker vor Lob. Das vierte Studioalbum soll dem Musiker nach einem semierfolgreichen Werk und zwei Ladenhütern nun endlich den erwünschten Durchbruch bringen. Gerade hatte der Sänger mit Hilfe seines neuen Managers Tony DeFries zur Plattenfirma RCA Records gewechselt, die ein ordentliches Sümmchen einsetzt, um die Platte zu bewerben. Zum Kassenschlager wird Hunky Dory, auf dem Songs wie das legendäre Changes und die Ballade Life on Mars? zu finden sind, trotzdem nicht. Doch Bowie arbeitet längst an einer neuen Idee: an der Kunstfigur Ziggy Stardust.

Hier könnt ihr in Bowies Ziggy-Stardust-Album reinhören:

Rostrote Haare, knallbunte Anzüge, androgyne Schminke und High Heels gehören zu dessen Erkennungszeichen. Ziggy Stardust wird auf der Bühne von seiner Band The Spiders From Hell begleitet und spielt bewusst mit Spekulationen um seine sexuelle Orientierung.

Das Album The Rise And Fall Of Ziggy Stardust And The Spiders From Mars erscheint in Großbritannien am 16. Juni 1972, nur ein halbes Jahr nach Hunky Dory. Die neue Scheibe erzählt die Geschichte eines promiskuitiven und von Drogenexzessen gezeichneten Rockstars, der der Menschheit eigentlich die Botschaft von Liebe und von Frieden verkünden will, wegen seines Lebensstils daran jedoch scheitert und letztlich ganz abstürzt.

Auffallen ist Pflicht

Vermutlich um die Gerüchteküche noch ein wenig anzuheizen, bezeichnet sich Bowie in einem Interview als bisexuell, kurz bevor Ziggy Stardust in der legendären Fernsehshow Top Of The Pops auftreten soll. Und das taugt im konservativen Großbritannien ohnehin schon für einen kleinen Skandal. Als der komplett veränderte Bowie in seiner Rolle als Ziggy dann am 6. Juli 1972 die Bühne des Fernsehstudios betritt, sehen die Fans die Kunstfigur zum ersten Mal und reagieren gleichermaßen fasziniert wie geschockt.

Zwei Besonderheiten verleihen diesem Auftritt seine Signifikanz: Zweimal legt Bowie seinen Arm lässig und ein bisschen kokett um die Schultern von Gitarrist Mick Ronson. Das klingt für heutige Verhältnisse komplett belanglos, aber damals, im England von 1972 und nach der Äußerung zu seiner Bisexualität, machte es aus dem bisher eher folkigen Bowie einen Rebell. Bowie-Biograf Dylan Jones sagt rückblickend über die Show: „Ich hatte das Gefühl, wir seien endlich in der Zukunft angekommen.“

Jetzt klappt’s

Noch ein weiterer Moment bleibt den Zuschauern im Kopf: Bei der Liedzeile „I had to phone someone so I picked on you“ schaut Bowie direkt in die Kamera und zeigt mit dem Finger. Das wirkt natürlich, als spräche er jede einzelne Person am Bildschirm persönlich an. Ein wahrer Rockstar-Moment, den es bis zu diesem Zeitpunkt so noch nicht gegeben hatte.

Der Auftritt zeigt genau die erwartete Wirkung: Durch London und die Musikszene Großbritanniens gehen Aufschreie, die einen vor Verzückung, die anderen vor Empörung. Ziggy Stardusts Performance verändert das Leben der Band quasi über Nacht. Ihre außergewöhnliche Optik macht die Truppe weltweit bekannt, in Russland erhalten sie wegen ihrer provokanten Art sogar Auftrittsverbot. Starman wird zum Hit und klettert in den UK-Charts bis auf den fünften Platz. Nach dem Erfolg des Ziggy Stardust-Albums gelingt dann auch Hunky Dory der erhoffte Durchbruch. Die Scheibe klettert bis auf Platz 3 der nationalen Hitparade, das nachträglich ausgekoppelte Life on Mars? schafft es ebenfalls bis auf Rang 3 der Single-Charts und hält sich dort 13 Wochen. (Mehr zur Hunky Dory findet ihr hier.)

Tiefenwirkung

Vor allem aber gelingt David Bowie mit der Erschaffung von Ziggy Stardust eines: Sein Alter Ego vermittelt anderen, dass es vollkommen in Ordnung ist, eine unkonventionelle Seite an sich zu entdecken und sie auch auszuleben. Modedesigner Jean-Paul Gaultier sagt, das Bowie Menschen den Mut vermittelt hat, sich nicht länger verstecken zu müssen. Sänger Adam Lambert (heute bei Queen) erinnert sich: „Es war, als wäre mir dank Bowie ein Licht aufgegangen. Ich war kein Drag-Fan und wollte mich nicht wie eine Frau anziehen. Aber ich wollte die Möglichkeit haben, meine künstlerische Identität anders auszuleben als der Mainstream.“

Der Rolling Stone würdigt Ziggy Stardust sogar als Nummer 35 der „500 besten Alben aller Zeiten“. Das Werk erhält am 25. Januar 1972 in Großbritannien Auszeichnungen in Gold und Platin, am 12. Juni 1974 folgt der Goldüberzug in den Vereinigten Staaten. Damit hat David Bowie den Durchbruch geschafft.

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Zeitsprung: Am 18.3.1976 erscheint David Bowies erster Kinofilm „Der Mann, der vom Himmel fiel“.

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