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Popkultur

Zeitsprung: Am 12.7.1979 kracht es gewaltig bei der „Disco Demolition Night“.

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Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 12.7.1979."

von Christof Leim

Ende der Siebziger befindet sich die USA fest im Griff der Disco-Welle. Doch unter Rock- und anderen Musikfans macht sich Widerstand breit. Ein DJ geht sogar so weit, als Attraktion während eines Baseball-Spiels Tausende von Disco-Platten in die Luft sprengen zu wollen. Was soll da schon schief gehen? Leider geht es bei der ganzen Geschichte unterschwellig auch um mehr als Musik.

Hier könnt ihr in die heißesten Disco-Beats (yeah, yeah) reinhören:

Seit 1977 herrscht in den USA Saturday Night Fever: Der Soundtrack zum gleichnamigen Film mit John Travolta von 1977 lässt eine ganze Reihe an Verkaufsrekorden einfach hinter sich. Funkige Disco-Sounds sind angesagt, Tanzbarkeit heißt das oberste Gebot. Dazu gehört eine Glitzerkultur um Stil und Schönheit sowie ein ordentlich hedonistischer Lebensstil. (Letzteres gilt genau genommen für fast alle Strömungen der Populärmusik. Anders formuliert: In diesen Branchen saufen sie doch alle.)

Geknalle, Geschreie… und Gemecker

Das gefällt natürlich nicht allen: Große Teile der Rock-Szene skandieren „Disco sucks“, denn jeder teiladulte Genrefan egal welchen Lagers braucht ja ein Feindbild. Das Time Magazine hält sogar aus musikalischen Gründen nicht viel von Disco und bezeichnet den Stil als ein „diabolisches Geknalle und Geschreie“. (Allerdings haben die gleichen Leute in ihren Feuilleton-Artikeln vermutlich genauso über Rock’n’Roll geschimpft.) Daneben missfällt vielen die Oberflächlichkeit in den Tanztempeln, in denen das äußere Erscheinungsbild eine wichtige Rolle spielt. Manche Medien machen zudem eine unangebracht große Sache daraus, dass Disco teilweise in der Schwulenszene entstanden war und oft von Schwarzen gespielt wird. Und als dann noch unzählige Radiosender ihr Programm komplett von Rockriffs auf Tanztheater umstellen, platzt manchem Fan gestern noch etablierter Krachmusik der Kragen…

Bringt die Disco-Welle richtig ins Rollen: der Film „Saturday Night Fever“

Ganz vorne steht bei diesem Widerstand ein DJ aus Chicago namens Steve Dahl. Der 24-Jährige hatte an Weihnachten 1978 seinen Job beim Sender WDAI verloren, weil der ebenfalls auf den Disco-Zug aufgesprungen war. Mit seinem neuen Arbeitgeber, dem Rockkanal WLUP, genannt „The Loop“, heckt Dahl eine besonders tolle Aktion aus:  Am 12. Juli 1979 soll die heimische Baseball-Mannschaft Chicago White Sox zwei Spiele gegen die Detroit Tigers absolvieren. In der Pause will der tapfere Streiter für die Rockkultur auf dem Rasen demonstrativ Disco-Platten in die Luft sprengen. Jawohl, richtig gelesen: Sprengen. Zur Explosion bringen. In die Luft jagen. Auf so einen Quatsch muss man erstmal kommen.

Das ist Steve. Steve hasst Disco. Er nimmt sogar eine Parodie-Single auf.

So sieht das Baseball-Feld in Chicago vor der „Disco Demolition Night“ aus… Credit: Rdikeman

Dafür trifft der Sender „The Loop“ mit den Verantwortlichen der Chicago White Sox eine Vereinbarung: Wer eine Disco-Platte mitbringt, muss nur 98 Cent für den Eintritt ins Comiskey Park Stadion zahlen. Dieser willkürlich erscheinende Betrag kommt zustande, weil man einfach die Sendefrequenz 97,9 aufgerundet hat. Der Vereinsvorstand freut sich, dass endlich mal mehr Leute zum Spiel erscheinen, Steve Dahl erhält Öffentlichkeit für seinen Kreuzzug gegen die schändliche Disco-Musik. Klare Sache: Ein toller Plan für alle, bei dem nichts schief gehen kann.

Die White Sox und „The Loop“ hoffen auf 20.000 Menschen, ein Viertel mehr als sonst, der Marketingchef der Mannschaft heuert Sicherheitsleute für 35.000 an. Allerdings tauchen an diesem späten Nachmittag 50.000 Schaulustige auf. Weil die gar nicht ins Stadion passen, versuchen viele, über die Zäune und Absperrungen zu klettern, was große Teile der Ordner und Security-Leute dauerhaft beschäftigt. Das ist schon mal schlecht. Offiziell werden 47.795 Köpfe gezählt, und davon ist ein großer Teil wegen der Explosion am Start, nicht wegen Baseball. Das merkt man etwa daran, dass Dutzende an „Disco sucks“-Bannern an den Rängen hängen und es im Gegensatz zu sonst im Stadion merkwürdig süßlich riecht. Damit nicht genug: Da viele mitgebrachte Disco-Platten gar nicht eingesammelt werden können, fliegen sie irgendwann wie Frisbees durch die Gegend und erreichen auch das Spielfeld. Die Spieler tragen deshalb sogar auf den Positionen Helme, für die das eigentlich nicht nötig ist. Weil außerdem Knallkörper und Flaschen durch die Lüfte segeln, wird das erste Spiel mehrmals unterbrochen.

Bescheuerte Idee

Die Pause beginnt um 20:16 Uhr, um 20:40 Uhr betritt Steve Dahl mit Helm und Militärjacke die Szene und fordert die Meute zu, natürlich, „Disco sucks“-Chören auf. In der Mitte des Feldes steht eine große Kiste voll mit den verhassten Disco-Tonträgern, an ihr sind Sprengladungen angebracht. Und die jagt Dahl feierlich in die Luft. Damit hat er allerdings nicht nur das verhasste Vinyl zerstört: Im Rasen klafft jetzt ein großes Loch. Oops. Es geht noch weiter: Weil die Sicherheitsleute hauptsächlich die Eingänge bewachen, rennen jetzt mehrere Tausende Fans auf das Spielfeld und sorgen für noch mehr Verwüstung. Sogar ein ordentliches Feuer brennt dort mittlerweile.

Fans stürmen nach der Explosion das Spielfeld.

Also rückt um 21:08 Uhr die Polizei in voller Kampfmontur an, zerstreut den Mob und nimmt 39 Leute fest. Das zweite Spiel wird – Überraschung! – abgesagt und mit 0:9 zum Nachteil der White Sox abgerechnet. Die „Disco Demolition Night“ geht damit nicht nur in die Musik-, sondern auch in Baseball-Geschichte ein. Und das alles, weil ein paar Dumpfbirnen ein musikalisches Genre nicht gefällt. Eine Fotogalerie der Ereignisse findet sich im Archiv des Chicago Reader, auch die New York Times hat berichtet.

Hintergründe

Allerdings steckt womöglich mehr dahinter: Manche Fachkundige benennen Rassismus und Homophobie der weißen Vorstadt-Rockszene als weitere Gründe für den Widerstand gegen harmlose Tanzmusik, ebenso eine generelle Anti-Haltung gegenüber gesellschaftlicher und/oder kultureller Veränderung. Initiator Steve Dahl widerspricht dem. (Mehr über soziale Hintergründe steht hier gut zusammengefasst.) Bei dieser hirnverbrannten Sause handelt es sich nicht mal um ein isoliertes Ereignis: 1979 kam es auch zu anderen „Anti-Disco-Vorfällen“. In Seattle zum Beispiel hatten einige Hundert Rock-Fans eine mobile Tanzfläche attackiert, in Portland hatte ein Discjockey unter Applaus einer riesigen Menschenmenge einen Stapel Disco-Vinyl mit einer Kettensäge zerstört. Die Discowelle ebbt übrigens schon im Folgejahr von selber ab. In der Folge können die Achtziger ihre eigenen Schrecken und Herrlichkeiten hervorbringen. Aber das ist mal wieder eine andere Geschichte…

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