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Popkultur

Zeitsprung: Am 19.5.1993 starten Depeche Mode ihre „Devotional-Tour“ – und drehen auf.

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Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 19.5.1993.

von Christof Leim

Am 19. Mai 1993 starten Depeche Mode  im französischen Lille ihre Devotional-Tour, auf der sie neue Höhen der Dekadenz erklimmen. Das Ganze gipfelt darin, dass Sänger Dave Gahan auf der Bühne einen Herzinfarkt erleidet.

Hört hier in Songs Of Faith And Devotion Live rein:

Als Depeche Mode im März 1993 Songs Of Faith And Devotion veröffentlichen, landen sie damit in etlichen Ländern auf Platz eins, unter anderem in den USA und Deutschland. Die Tour zur Platte taufen sie Devotional, und sie haben Großes vor. Los geht es am 19. Mai 1993 in Lille mit gewaltiger Produktion, einer Setlist voller Hits und einer 120-köpfigen Crew. Doch die Konzertreise macht nicht nur wegen vieler bunter Lichter und tollen Songs in großen Hallen von sich reden: Roadies und andere Augenzeugen erzählen später Geschichten von Orgien, Überdosen und Nachtleben auf der Überholspur. Belegen lässt sich das nicht lückenlos, aber ein paar der Anekdoten zeigen sich in ihren Folgen auch im wirklichen Leben.

Lassen es 1993 auf Tour ordentlich krachen: Depeche Mode

Zur Entourage auf der Devotional-Tour gehört ein Psychiater, heißt es, der sich vor allem um Dave Gahan kümmern soll. Dem bekommt sein Heroinkonsum so gar nicht gut. Dass der Sänger zudem messianische Anwandlungen an den Tag legt, sich vom Rest der Band abkapselt und alleine in Räumen voller Kerzen rumsitzt, gibt ebenfalls Grund zur Sorge. Nur bringt der Mediziner nichts, weil Gahan schlicht nicht mit ihm spricht. Stattdessen lässt es der damals 31-Jährige krachen, dass es nur so eine Art hat. Dem Magazin Q erzählt er ein paar Jahre später: „Ich bin in den 14 Monaten dieser Tour einmal früh ins Bett gegangen, irgendwo außerhalb von Salt Lake City“.

Vollgas. Immer. Überall.

Seine Kollegen stehen ihm in nichts nach, lassen die Rauschmittel rauschen und die Groupies tanzen. Die Musiker bekommen eigene Limousinen und werden in Hotels in verschiedene Stockwerke gepackt, um die Partys im Zaum zu halten. Das scheint nicht zu funktionieren: Im Intercontinental in Berlin erhalten Depeche Mode zum Beispiel Hausverbot. Die Tour brandschatzt sich so erstmal von Mai bis bis Ende Juli elf Wochen durch Europa, von September bis Dezember feiert man sich durch Nordamerika einschließlich eines Abstechers nach Mexico City. Danach geht es erneut kurz zurück nach Europa.

Am 8. September wird Gahan in Montreal verhaftet und für eine Nacht in eine Zelle gesteckt, weil er einen Concierge geschlagen hat. Martin Gore wird am 2. November in Denver festgenommen, weil er in seinem Hotel mit einem Ghettoblaster und der passenden Leckt-mich-doch-alle-Einstellung für „Stimmung“ sorgt. Sein Konsum illegaler Substanzen läuft ebenfalls aus dem Ruder, vor lauter Stress erleidet er krampfartige Anfälle, sein Kollege Andrew Fletcher einen Nervenzusammenbruch.

Herzinfarkt & geistige Instabilität

Der größte Knall passiert am 8. Oktober in New Orleans, als Dave Gahan vor der Zugabe auf der Bühne einen Herzinfarkt erleidet, der vermutlich von seiner Heroinsucht induziert wurde. Die Band spielt die letzten Songs ohne ihn. Natürlich rät man dem Sänger im Krankenhaus, eine Pause einzulegen und vor allem die Drogen sein zu lassen, doch Gahan setzt die Tour fort.

Die endet zwar glücklicherweise fürs Erste am 20. Dezember in London, doch im schon Februar 1994 geht es unter dem Banner Exotic Tour/Summer Tour ’94 weiter. Zunächst steht Südafrika auf dem Plan, im März folgt Asien, im April Südamerika mit einem netten Stopp auf Hawaii, und zum Abschluss windet sich der Tross nochmal bis Ende Juli durch Nordamerika. Ruhiger lassen es die Herren dabei nicht angehen: Andrew Fletcher verlangt im März eine Auszeit wegen „geistiger Instabilität“ und wird für den Rest der Reise durch Daryl Bamonte ersetzt. Und Gahan beißt einem Journalisten in den Hals, weil er gerade von Vampiren so fasziniert ist.

Für die finale Runde durch die USA spielen Primal Scream im Vorprogramm, die ebenfalls nicht als Kostverächter bekannt sind. Doch die Ausschweifungen von Depeche Mode sollen sogar die partyfesten schottischen Rocker zur Mäßigung und Abkehr von den üblichen Sünden inspiriert haben. Und zu guter Letzt versucht sich Gahan beim allerletzten Gig am 8. Juli in Noblesville, Indiana noch an einem Stagedive, der mit Schwung in die Hose geht und ihm angebrochene Rippen beschert… Q bezeichnet die Sause später als „die ausschweifendste Rock’n’Roll-Tour aller Zeiten“. Hier könnten Guns N’ Roses, Mötley Crüe oder Led Zeppelin mit ihrem Luxusflugzeug vielleicht noch ein Wörtchen mitreden, aber es besteht kein Zweifel: Depeche Mode haben es richtig, richtig krachen lassen.

Nachwirkungen

Noch 1993 erscheinen Mitschnitte der Tour, nämlich das Video Devotional von den Shows in Barcelona, Liévin und Frankfurt sowie das Album Songs Of Faith And Devotion Live. Hier finden sich alle Tracks der Studioplatte in Liveversionen, aufgezeichnet größtenteils in Liévin. Ein Song, One Caress, stammt allerdings von der Show in New Orleans, also von dem Abend, an dem Gahans Herz streikte.

Das Livealbum von der Tour

Erwartungsgemäß nehmen sich Depeche Mode nach dem ganzen Wahnsinn erstmal eine Auszeit. Keyboarder Alan Wilder steigt 1995 sogar aus. Dave Gahan flirtet weiter mit dem Sensenmann und muss 1996 nach einer Überdosis wiederbelebt werden – „Nikki Sixx-Style“. 1997 erscheint dann Ultra. Dafür touren Depeche Mode nicht

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