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Popkultur

Zum Todestag von Ian Stewart, dem sechsten Rolling Stone: Der Boogie-Gott im Poloshirt

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Nein, er war nicht der schlaksige Typ mit den Wuschelhaaren. Er trug Poloshirt statt Lederjacke. Er zog ein Hummer-Dinner Heroin und Kokain vor und jedem Groupie einen Golfplatz vor dem Hotelfenster.

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Im Umkreis vieler Bands gibt es diese Menschen – künstlerische oder Organisations-Genies – von denen die Musiker sagen: Der gehört zu uns. Aber keine Band außer den Rolling Stones hatte einen Ian Stewart, so viel kann mit Sicherheit gesagt werden. Keith Richards nannte ihn einmal die „Vision” der Stones. Stewart kam aus Schottland, spielte seit frühester Kindheit Klavier, vorzugsweise Songs im Stil von Rhythm & Blues, Boogie-Woogie und Big-Band-Jazz und arbeitete als Angestellter bei Imperial Chemical Industries. Er trug am liebsten Cardigan, liebte sein dunkles Pale und spielte den Rest der Stones mit seiner Technik und Leidenschaft am Klavier um ein Leichtes an die Wand.

Ein Angestellter eines Chemiekonzerns

Im Mai 1962 meldete sich Stewart bei Brian Jones auf eine Anzeige hin, die dieser in dem Magazin Jazz News geschaltet hatte, um eine Band zu gründen. Die Beiden verstanden sich auf Anhieb und begaben sich nun auf die Suche nach weiteren Musikern. Mick Jagger und Keith Richards schlossen sich einen Monat später an. Richards erinnert sich in seiner Autobiografie Life an das erste Mal, als er Stewart, den alle Stu nannten, spielen hörte:

„He used to play boogie-woogie piano in jazz clubs, apart from his regular job. He blew my head off too, when he started to play. I never heard a white piano player play like that before.”

Als Ende 1962 und Anfang 1963 schließlich Bill Wyman und Charlie Watts eine Reihe wechselnder Drummer und Bassisten ersetzte, war die Band komplett. Doch bevor die Stones richtig durchstarteten, entfernte Bandmanager Andrew Loog Oldham Stewart aus dem Line-up der Band.

Fred Mott/Evening Standard/Hulton Archive/Getty Images

Liebe zum Blues

Die Begründung: Stu passte nicht in die wilde, jugendliche Ästhetik der Stones. Er war fünf Jahre älter als der Rest der Stones und hatte nicht, was Oldham mit den Stones wollte: Sie sollten als Gegengewicht zu den all zu braven Beatles die bad boys der britischen Insel werden. Und Stu wirkte eben eher wie ein Angestellter eines Chemiekonzerns. Da konnte Stu den Boogie noch so brillant spielen.Die Entscheidung Oldhams entlarvt den Mythos der Authentizität, die dem Musikbusiness früherer Zeit gerne nachgesagt wird. Auch in den 60ern ging Stil vor Talent. Und das, obgleich keiner der Stones ein Adonis war.

Umso erstaunlicher ist, wie Stewart darauf reagierte. Statt Oldham eine reinzuhauen oder dessen Wagen anzuzünden, nahm er seinen Platz hinter der Bühne ein, wurde Tourmanager und spielte als Session-Musiker auf jeder Platte zwischen 1964 und 1986 Klavier. Richards, mit dem Stewart die Liebe zum Blues verband, erinnert sich an diese Szene:

„I’d probably have said, ‘Well, fuck you’, but he said ‘OK, I’ll just drive you around.’ That takes a big heart, but Stu had one of the largest hearts around.”

Stewart war das musikalische Gewissen der Band

Aber Stewart tauschte nicht nur Gitarrenseiten und organisierte Hotelübernachtungen, er war auch so etwas wie das musikalische Gewissen der Band. Die Stones spielten für Stewart, er war ihr Mentor, ihr größter Kritiker, ihn wollten sie beeindrucken. Auch Mick Jagger erinnert sich an diese Dynamik:

Die Rolling Stones am 24. Juli 1966 am Londoner Flughafen, auf dem Weg nach New York um ihre US-Tour zu starten. VLnR: Charlie Watts, Keith Richards, Bill Wyman, Mick Jagger, Brian Jones und Ian Stewart. (Photo by George Stroud/Daily Express/Getty Images)

Die Rolling Stones am 24. Juli 1966 am Londoner Flughafen, auf dem Weg nach New York um ihre US-Tour zu starten. VLnR: Charlie Watts, Keith Richards, Bill Wyman, Mick Jagger, Brian Jones und Ian Stewart. (Photo by George Stroud/Daily Express/Getty Images)

„Stu was the one guy we tried to please. We wanted his approval when we were writing or rehearsing a song. We’d want him to like it.”

Die Rolling Stones betrachteten Stewart als einen der ihren. Und das, obwohl er wenig Verständnis für all das Drama und die Klischees hatte, von denen die Stones irgendwie dachten, das gehöre zu diesem ganzen Rockstar-Ding dazu. Stewart hielt sich von Drogen fern, erst recht, als er sah, wie rapide es mit Brian Jones bergab ging. Stewart machte einen Bogen um die viel zu jungen Mädchen, die vor den Hotels der Stones campierten. Konnte er es einrichten, buchte er der Band ein Hotel außerhalb der Stadt, vorzugsweise mit Golfplatz. Das fanden die Stones nicht so toll. Es leuchtete ihnen aber ein, dass irgendwer auf diesen Tours die Kontrolle behalten und einigermaßen nüchtern bleiben musste.

Trotz Nüchternheit ein all zu abruptes Ende

Diese Rolle akzeptierte Stewart demütig und Jagger, Richards und Co. liebten ihn dafür. Als die Band 1989 in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen wurde, nannten sie als Bedingung, dass Stewart mit aufgenommen würde. Trotz Nüchternheit nahm es mit Stewart ein all zu abruptes Ende. Er hatte vielleicht keine ungesunde Vorliebe für „Brown Sugar”, dafür war sein Ernährungsstil wohl eine Katastrophe. Der englische Boogie-Woogie-Pianist Ben Waters, der 2011 das Tribut-Album Boogie 4 Stu herausbrachte, sagte über Stewart: „By all accounts, Stu had a terrible diet — that’s what let him down.”

Mit nur 47 Jahren, im Jahr 1985, klagt Stewart über Atemprobleme, wird ein paar Tage später ins Krankenhaus gebracht, um untersucht zu werden – und stirbt im Wartezimmer an einem Herzinfarkt. Es gehört zur traurigen Ironie dieser Band, dass der große Bruder der exzessiven Chaosgang um Jagger und Richards sich als erster verabschieden musste. Keith Richards schreibt in seiner Autobiographie, Stewarts Tod habe ihn wie wenig anderes in seinem Leben schockiert: „Ian Stewart. I’m still working for him. To me the Rolling Stones is his band. Without his knowledge and organisation… we’d be nowhere.”

Der zurückhaltende Angestellte im Cardigan, der Boogie-Klavier spielte wie kaum ein anderer Musiker zu seiner Zeit, er hinterließ auf jeden Fall bleibenden Eindruck.

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