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25 Jahre Nirvana Nevermind – Teen Rage auf Konserve

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Kein Superlativ schien bombastisch genug für jenes Gefühl, das man beim ersten Hören von Nirvanas Nevermind hatte. Damals mit 16, als das Album zwar schon einige Jahre auf dem Markt war, man selbst aber nun erst im richtigen Alter für die teen rage, zu der Nevermind den Soundtrack lieferte. Und diese jugendliche Wut gab es natürlich nicht nur in Seattle, der Geburtsstadt des Grunge, sondern auch in der süddeutschen Provinz.


 

Nirvana waren so laut und so gewaltig, dass man sich wie vom Kometen getroffen fühlte. Endlich hatte da eine Band aus unscheinbaren Jungs, die aussahen wie Skater ohne Sponsorenverträge, das eigene Lebensgefühl vertont. Mit Nirvana konnte man sich abgrenzen, denn ihre Musik war neu, den Eltern zu laut und wer sie als Mädchen hörte, galt auf dem Pausenhof als verwegen und auch ein bisschen gefährlich. Mit Nevermind im Discman traute man sich endlich, bei Rossmann die grüne Haarfarbe zu kaufen und seine Jeans zu zerschneiden.


Nirvana---UMG-News


Daran, wo und wann man das erste Mal Smells Like Teen Spirit gehört hatte, kann man sich auch heute noch akkurat erinnern: die Gartenparty von F. und K., zu der hoffentlich auch S. kommen würde. Als dieser Song lief, hatte man das Gefühl, dass hier etwas Großes passierte, dem man die Ehre hatte, beizuwohnen. Man tanzte mit all den anderen pickeligen, hormongeplagten Kapuzenpullis, schüttelte seine Haare und schrie sich die Stimmbänder wund.


 


With the lights out it’s less dangerous

Here we are now, entertain us

I feel stupid and contagious

Here we are now, entertain us

Nun wird Nevermind 25 Jahre alt und es lohnt ein (nostalgischer) Rückblick auf dieses wundersame Album, das Musikgeschichte schrieb und dessen Einfluss auf unzählige Bands kaum zu ermessen ist.


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Wie bei vielen großen Würfen ging dem Schreibprozess eine Trennung voraus, die Kurt Cobain von Riot Grrl und Bikini Kill Drummerin Tobi Vail erlebte, als deren von Auseinandersetzungen geprägte Beziehung auseinanderbrach. Cobains Biograph Charles R. Cross argumentiert in “Heavier Than Heaven” überzeugend dafür, dass viele der Songs auf Nevermind von der Beziehung Cobains zu Vail handeln. “In den vier Monaten nach der Trennung schrieb Kurt ein halbes Dutzend seiner unvergesslichsten Songs, alle über Tobi Vail.” Cross nennt zum Beispiel den Song Drain You:

One baby to another says ‘I’m lucky to have met you’

I don’t care what you think unless it is about me

It is now my duty to completely drain you

I travel through a tube and end up in your infection

Ja gut, das klingt nicht so gesund und nach Schmerzen. Aber so ist das leider meist mit Trennungen. Auch “Lounge Act” und “Lithium” sollen Bezug nehmen auf die Ex-Freundin Cobains. Das Gute an Nevermind: Hört man es selbst mit Liebeskummer, kann man durch die aufpeitschenden Riffs immer noch wütend genug sein, um die von Cobain stets genuschelten Texte mitzuschreien und nicht im Liebesleid zu versinken.



Die Texte standen für Cobain auch nie an erster Stelle. Drummer Dave Grohl sagte einmal: “Music comes first and lyrics come second”. Und so werkelte Cobain noch bis kurz vor den Aufnahmen zu Nevermind an Texten herum, änderte sie ständig ab oder fügte neue Strophen hinzu. Und während sein Gemurmel oft schwer verständlich war – schon zweimal für einen süddeutschen Teenie mit schlechtem Englisch-Vokabular – hatte man doch immer das Gefühl: voll heavy, was der singt!

Cobain selbst regte sich nach dem Kometenerfolg des Albums – es verkaufte sich bis heute weltweit mehr als 24 Millionen Mal – oft über die Fragen der Journalisten auf, die seine Texte mit viel zu viel Bedeutung aufluden: “Wieso zur Hölle bestehen Journalisten darauf, eine Freud’sche Evaluierung mit meinen Texten durchzuführen, wenn sie sie gleichzeitig in 90 Prozent der Fälle vorher falsch transkribiert haben?”, soll er mal geschimpft haben.



Der musikalische und stilistische Einfluss von Nirvana und speziell von Nevermind, ihrem zweiten Album, ist unbestritten. Von Affendorf bis Wladiwostok zogen Hunderttausende Fans gammelige Flanellhemden an und kauften sich billige Gitarren, um dann im Powerchord-Style das Jugendzentrum mal ein bisschen aufzumischen.

Hört man das Album heute, kommt man nicht umhin, alles ein bisschen laut und schrill zu finden. Und man erwischt sich dabei, an das MTV Unplugged Album von Nirvana zu denken, dass doch nun viel besser zum Rotwein passen würde, mit dem man es sich auf der Couch gemütlich gemacht hat. Nun ja, man ist gerade einfach nicht wütend genug, altersbedingte Hormonschwankungen und Liebeskummer gibt es auch keinen zu beklagen und dann kommt auch noch die Katze angeschnurrt.

Und doch: Nevermind, das wird für immer zum Leben gehören. Es verbindet einen musikalisch mit diesem unglücklichen, grünhaarigen Mädchen, das man einmal war und dem man aus heutiger Sicht zurufen will: “Hang in there!”


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