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Popkultur

Aus dem Underground in den Mainstream und zurück – Was wurde aus dem Indie-Rock anno 2005?

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The Libertines im Jahr 2015 – mehr Falten, weniger Drogen

Zwängt euch in die skinniest Jeans, werft ein blau-weiß-gestreiftes Streifenshirt (bestenfalls mit tiefem V-Ausschnitt) über und setzt eine (fake) Hornbrille auf, um diesen Artikel besser lesen zu können: Wir werfen einen Blick auf den 2005 so populären Indie-Rock und investigieren, ob sich diese Musikrichtung in einem unbekannten Nimbus verflüchtigte, in dem scheinbar auch alle Bubble Tea Läden und Sonnenbankstudios der letzten Dekade verschwunden sind – oder ob es ihn noch gibt, den tanzbaren Indie á la Franz Ferdinand und Co.

2005 – DAS Jahr des “Glamorous Indie Rock & Roll”

10 Jahre ist es nunmehr also her, dass Bands wie The Kills, Kaiser Chiefs, Bloc Party, Nada Surf, The Rakes, Art Brut oder Clap Your Hands Say Yeah Alben veröffentlichten, die den Begriff Independent Musik (Indie) inflationär werden ließen. Zur kurzen Orientierung: 2005 war das Jahr, in dem Gonzo-Journalist Hunter S. Thompson starb und in dem am 7. Juli die Terroranschläge in der Londoner U-Bahn stattfaden. Es war auch das Jahr, in dem Angela Merkel zur ersten deutschen Bundeskanzlerin gewählt wurde – erstaunlich lange her also.

Doch zurück zum „Glamorous Indie Rock & Roll“ (wie ihn The Killers in gleichnamiger Synthie-Hymne bezeichneten): Wirft man einen Blick auf die 2005 Indie Rock Bestenliste des NME (DIE Bibel für jeden Skinny Indie Bloke bzw. jede Indiecindy jener Zeit), tut sich die Tragweite des Indie-Musikjahres auf. Diverse Debüt- und Durchbruchalben, die auch heute noch Meilensteine des Genres sind, wurden anno 2005 veröffentlicht. Es war das Jahr, in dem Franz Ferdinand mit You Could Have It So Much Better Amerika eroberten, Kings Of Leon Aha Shake Heartbreak und Death Cab For Cutie ihr fünftes Album Plans veröffentlichten. In diesem Jahr kamen außerdem die Debütalben der Kaiser Chiefs, Editors, Art Brut, Bloc Party, CYHSY oder Maximo Park heraus und liefen schlichtweg überall auf heavy rotation. Die Arctic Monkeys wurden als erste Myspace-Band weltweit gefeiert und nahmen ihr Debüt Whatever People Say I Am, That’s What I Am Not auf – der Erfolg der Band steht auch zugleich für eine neue Richtung in der Musiklandschaft: Das Internet wurde immer relevanter und eine positive Review auf Pitchfork.com damit fast wichtiger als eine im Rolling Stone und anderen Printmedien. Zudem schossen Indie-Partys wie Pilze aus dem Boden, große Retailer spezialisierten sich auf Skinny-Jeans, Lederjacken und Fake-Hornbrillen zu Dumpingpreisen. Glitzerstaub und Haarbänder wurden nicht nur auf Festivals, sondern auch Donnerstag bis Samstag im Indie-Club des Vertrauens (u.a. Magnet in Berlin, Amp in Münster, Atomic Cafe in München, Molotov in Hamburg, Pretty Vacant in Düsseldorf, Rose Club in Köln) stolz zur Schau getragen.

Und genau dort liegt die Antwort auf die Frage warum uns 2005 als Peaktime des Indie Rocks in Erinnerung geblieben ist: Ab diesem markanten Veröffentlichungsjahr wurde die Nischen-Musikrichtung zum Mainstream erhoben und in dessen Kanälen auch bestens vermarktet. Vorboten wie The Strokes (Is This It, 2001 / Room on Fire, 2003) oder Yeah Yeah Yeahs (Fever to Tell, 2003) in New York oder The Libertines (Up the Bracket, 2002 / The Libertines, 2004) in London ebneten auf ästhetische wie musikalische Weise den Weg und kurzer Zeit danach entlud sich eine der größten Wellen einer Spielart des Garage Rock seit der Punk Bewegung in den 70er Jahren. Die Bands um ihre extrovertierten Frontmänner und -frauen griffen nicht nur auf alte Muster zurück (Post-Punk, Garage, New Wave), sie boten auch ein neues Identifikationspotential. Weniger melancholisch und wütend als der in den 90ern so populäre Grunge, nicht so oberflächlich daher plätschernd wie der Pop Anfang des Millenniums und weniger stumpf als der Techno, der tagelange Raves untermalen wollte. Julian Casablancas oder Pete Doherty umgab eine abgebrühte und coole Aura: genau so wollte man selbst sein. Es brodelte heftig im New Yorker und Londoner Untergrund, bevor diese Bands sich anschickten, die Welt zu erobern und etliche andere Bands nachzogen. Viele unter ihnen waren nicht sonderlich bemerkenswert und schwammen nur kurz auf der Erfolgswelle der vielen The-Bands mir (The Bravery, The Dandy Warhols, The Blood Arm).

Und heute?

The Hives, The White Stripes, The Strokes oder die Arctic Monkeys zeigten mit jedem Album neue Facetten und entwickelten sich kontinuierlich weiter. The Libertines erlebten dieses Jahr, nach etlichen Skandalen, eine recht gelungene Reunion mit einem soliden dritten Album Anthems For A Doomed Youth. Die Vorzeige Indie Popper Franz Ferdinand schlugen sogar eine neue Richtung ein und schlossen sich für eine Kollaboration mit den 70er Jahre Art Rock/Synth Pop Ikonen The Sparks zum Projekt FFS (mit gleichnamiger Platte) zusammen. Andere Erfolgsbands dieser Jahre schossen über ihr Ziel hinaus und veröffentlichten Alben, die eher an Stadionbands erinnern wollten als an versiffte Kellerclubs (The Killers, Kings of Leon, Bloc Party). Und dann gibt es da noch die Bands mit den großen Debütalben, die während der letzten Dekade langsam in die Bedeutungslosigkeit versanken wie Art Brut, The Futureheads (mit dem besten Kate Bush Cover von Hounds of Love) oder The Rakes (mit dem besten Songnamen The World Was a Mess But His Hair Was Perfect).

Ist die Quintessenz nun, dass es keinen guten Indie Rock mehr gibt? Mitnichten. Trocknet eure Tränen am Zipfel des zerfetzen Bandmerch-Jutebeutels von damals – es gibt sie noch, die guten Indie-Bands. Doch springen sie einem glücklicherweise nicht mehr so in Gesicht und Gehörgänge wie im Jahre 2005. Man muss wieder ein bisschen suchen (doch dank Streaming und diversen Musik Blogs ist das bekanntlich easy as pie): Endlich ist nicht mehr jede iTunes- oder Telefonanbieter-Werbung mit einem schmissigen Gitarrenrefrain unterlegt.

Aktuell gibt es wunderbare Indie-Bands, die nicht nur in diese Schublade passen, sondern sich noch diverse andere Bezeichnungen aufdrücken lassen: Noise-Pop, Experimental Rock, Post Punk, Indietronic etc. Jetzt dröselt sich Indie-Rock in immer weitere Spielarten und Subgenres auf – auch wenn auf Indie-Partys leider nichts mehr geht. Menschen, die damals zu besagtem Genre gefeiert haben, hören heute vermutlich Hip Hop (Kendrick Lamar, Drake, K.I.Z., Haftbefehl, Romano), sexy deutschsprachiger Pop oder -Rock (Wanda, Bilderbuch, Schnippo Schranke) oder elektronischere Spielereien (Grimes, Jamie xx), das ist aktuell ja besonders hip.

R.I.P. Ballermann-Indie

Böse Zungen gaben dem Indie-Rock jener Zeit auch den Stempel Ballermann-Indie – vielleicht nicht ganz zu Unrecht, konnte man wie bei den Kaiser Chiefs doch jede Hookline mitgrölen und/oder stampfen. Irgendwie ist es auch etwas beruhigend, dass der inflationär gebrauchte Begriff Indie (seiner ursprünglichen Bedeutung wieder näher kommend) KEINEN Mainstream mehr meint. Potentielle Datepartner kann man endlich fragen „Was hörst du so?“, ohne die stets selbe Antwort „Ach, so Indiekram wie Strokes, Arctic Monkeys oder Franz Ferdinand“ zu bekommen. Eine Gegenkultur ist wieder zu einer geworden. Zum Glück.

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