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Popkultur

Zeitsprung: Am 3.7.1990 erscheint „Lights… Camera… Revolution!“ von Suicidal Tendencies.

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Suicidal Tendencies Lights Camera Revolution Cover

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 3.7.1990.

von Christian Böhm und Christof Leim

„Revolution“ – ein starkes Wort! Als Teil dieses Albumtitels ergibt es jedoch Sinn, denn die zehn Songs auf Lights… Camera… Revolution! kommen für viele Fans mindestens in musikalischer Hinsicht durchaus revolutionär rüber. Anderen wiederum ist es zu viel: Statt neuer Einflüsse wollen sie die alten Suicidal Tendencies zurück – ein Phänomen, dass viele Künstler kennen, die etwas Neues probieren statt zu stagnieren. Für die Band kann ihr am 3. Juli 1990 erscheinendes viertes Werk allerdings nur als großartiger Einstieg in die Neunziger gelten.

Hier kannst du dir das ganze Album anhören:

Oh! Oh, ja! Er regt sich wieder auf! Man kann kaum anders, als sich zu freuen, wenn Mike Muir in seinen Songs in die Luft geht. Wenn der Sänger und Frontwahnsinnige direkt im ersten Song „You can’t bring me down!“ ins Mikrofon schreit. Dieses „Du kannst mich nicht unterkriegen!“ geht an das PMRC, mit der Muirs Band schon lange auf Kriegsfuß steht. So versucht die berüchtigte Vereinigung besorgter amerikanischer Eltern ein paar Jahre zuvor die Veröffentlichung des Albums Controlled By Hatred zu verhindern. Ihren ersten „Parental Advisory“-Sticker erhalten Suicidal aber seltsamerweise erst 2016 auf ihrem Album World Gone Mad. 

Vielseitig und ohne Kompromiss

Man kann den Text auch so verstehen: All die Kritiker, denen der Crossover der Band in den Jahren zuvor zu wirr war, den einen zu viel Metal, den anderen zu viel Punk, können Suicidal nichts anhaben. Die Zeile könnte aber auch „Du kannst mich nicht runterbringen!“ bedeuten, und das erscheint gar nicht so unwahrscheinlich, da Mike Muir nicht gerade bekannt dafür ist, die Ruhe zu bewahren. In seinen Texten ärgert er sich gerne und oft über so manchen fragwürdigen Zustand dieser Welt sowie über Fragwürdiges des eigenen Selbst.

You Can’t Bring Me Down nimmt uns direkt mit auf die Reise: Nach einem leicht Joe-Satriani-esken Gitarrenintro geht es ziemlich gnadenlos weiter: Schnell, aggressiv und kompromisslos! Der Gesang melodisch bis psychotisch, der Zwischenteil fast fröhlich, um überzugehen in eine Hasssalve in Sprechgesangsform, die im zugehörigen Video durch Zensurpiepser zerschnitten wird, denn ohne Schimpfwörter kommt dieser Part nicht aus. Am Ende ist Muir dann sprichwörtlich am Ende: Erschöpft und heiser kreischt er die Worte ins Mikrofon, will schreien, aber röchelt nur noch. Er hat sich völlig fertig gemacht. Wir wollen mehr!

Der Blick nach innen

In Lost Again kämpft ein Mensch mit mit seinen eigenen Unzulänglichkeiten. Erst in mittlerem Tempo, später doppelt so schnell: „Lost it! Lost again“ – ach, schon wieder aufgeregt! Alone beschreibt den Blick eines Einsamen nach Innen. Schreien ist einfacher als weinen: „I scream at the sky, It’s easier than crying.“ Dazu Mike Muirs klarer Gesang. Er kann nämlich auch richtig singen, was den Hardcore-Fans der ersten Stunde nicht immer gefällt. Aber die Suicidals haben sich noch nie um Genregrenzen geschert. Was sich auch zeigt, wenn man Alone im Netz sucht und eine ganz und gar andere Version einer jungen Künstlerin findet, die – ja, tatsächlich – von Mike Muir persönlich produziert wurde: Nisha Star macht aus dem Lied eine geradezu soulige Akustik-Version.

Weiter geht der Trip mit Send Me Your Money, eine Predigt der „Church of Suicidal“ und ironische Anspielung auf Fernsehpriester und Sektenführer, die versprechen, dass alles besser wird – natürlich nur gegen einen entsprechend hohen Obolus. Give It Revolution kommt dann politisch und persönlich daher: „You got to break the chains that hold you down“, also: sprenge die Ketten und mach dich frei!

Der Höhepunkt

Auf dem von Mark Dodson produzierten Album stimmt irgendwie alles: Die Band tight, die Songs extrem vielseitig und mit lauter Tempowechseln, der Sound rund. Die Gitarren klingen fett, das Schlagzeug trocken, der Gesang präsent, aber nicht zu sehr in den Vordergrund gemischt.

Die Suicidal Tendencies: Zuerst eine Hardcore-Punk-Band, bekannt dafür, schnell zu spielen und schnell Skateboard zu fahren, weshalb sie bald zum Aushängeschild der Skate-Punk-Bewegung avancieren. Nach dem Debüt von 1983 geben sie beim zweiten Album Join The Army (1987) eine ordentliche Portion Metal dazu und führen diese Entwicklung auf How Will I Laugh Tomorrow… When I Can’t Even Smile Today (1988) fort, erweitert um gewieftere Arrangements. Und nun kommt dieses Album, bei dem sie den den Stilmix perfektionieren, ergänzt um eine weitere Variante.

Die Neuigkeit

Gibt es bereits bei Send Me Your Money eine funkige Bass-Einlage (gesanglich kommentiert mit „Give me some bass – yeah, that was funky!“), ist der Song Lovely ganz und gar Funk. Moment! Funk? Ja, tatsächlich geht es hier neuerdings sehr funky zu. Mitgebracht hat diesen Einfluss ein Mann, der später Metallicas Bassist werden wird: Ab 1989 fungiert Robert Trujillo bei Suicidal als der Neue mit dem funkigen Bass.

Für Suicidal läuft es danach gut: Zusammen mit Testament, Slayer und Megadeth teilen sie sich die Bühne auf der Clash Of The TitansTour (bei der es hinter der Bühne allerdings zu Differenzen kommt) und spielen im Vorprogramm von Queensrÿche in den USA. Metallica werden sie erst auf der Konzertreise zum nächsten Album The Art of Rebellion von 1992 (das kommerziell ihr erfolgreichstes sein wird) begleiten. Im Fahrwasser von Lights… Camera… Revolution! stibitzen Metallica den Suicidals auch erstmal einen Grammy, denn 1991 sind die Tendencies in der Kategorie „Best Metal Performance“ nominiert, aber die Auszeichnung geht an Hetfield & Co. für die Neuauflage des Queen-Songs Stone Cold Crazy. Irgendwie seltsam, aber vermutlich nehmen Suicidal die Sache nicht so wichtig, und Metallica hatten ihren ganz speziellen Grammy-Moment ohnehin bereits zwei Jahre zuvor. Freddie Mercury wundert sich wahrscheinlich noch heute.

Noch immer verrückt…

You Can’t bring Me Down schafft es auf den Soundtrack des Films Guncrazy und Send Me Your Money in die legendäre Neunziger Metal-Serie Beavis and Butt-Head wie zuvor schon Suicidals älterer Song Institutionalized. Mike Muir wetzt heute wie damals wie ein Verrückter über die Bühne. Nach einer Rücken-OP vielleicht nicht mehr ganz so wild, aber noch immer mit seinem Markenzeichen, dem bis fast über die Augen gezogenen Bandana.

Den Funk hatte er zwischenzeitlich ausgelagert in sein Nebenprojekt Infectious Grooves, nur um ihn 1997 wieder bei Suicidal zu integrieren, als er die Band nach einer zweijährigen Pause reuniert. Muir agiert noch immer ziemlich verrückt. Nicht umsonst nennt er sich selbst den Psycho-Mike, den „Cyco Miko“. Statt zu skaten, geht der 1963 geborene Kalifornier inzwischen wahrscheinlich eher joggen – und dazu ist Lights… Camera… Revolution! mehr als geeignet.

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