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Popkultur

10 Jahre „Born To Die“: Lana Del Reys amerikanischer Albtraum

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Lana Del Rey
Foto: Kevin Winter/Getty Images

Es ist das wahrscheinlich wichtigste Indie-Pop-Debüt der letzten zehn Jahre: Auf ihrem nostalgischen Epos Born To Die nimmt Lana Del Rey vieles von dem vorweg, was seither nicht aus der Popkultur wegzudenken ist.

von Björn Springorum

Born To Die ist ein Meisterwerk. Das definierende Pop-Album der letzten Dekade, eine rauschhafte Elegie, die das mythische Amerika der Fünfziger auferstehen lässt und im selben Atemzug mit einer Überdosis in die Entzugsklinik schickt. Lana del Rey klingt auf ihrem Major-Debüt so wie niemand sonst zu dieser Zeit, eine Art seelisch kaputte Reinkarnation von Nancy Sinatra, die zu schwelgerischen Streichern, melancholischer Kino-Nostalgie und Hip-Hop-Beats von geplatzten Träumen, toxischen Beziehungen, Drogen und der dunklen Seite Kaliforniens raunt.

Die Kritik zerreißt sie

Das Album ist ein riesiger Erfolg, verkauft sich in den ersten zwei Jahren über sieben Millionen Mal. Doch ihrer schüchternen Schöpferin wird diese Bruchlandung im Mainstream fast zum Verhängnis. Sie wird den (überwiegend männlichen) Kritikern zum Fraß vorgeworfen, sie wird demontiert, seziert, belächelt. Man zerreißt sie und ihr aufgesetztes Lolita-Image, verkennt den wegweisenden musikalischen Ausdruck ebenso wie die neue Zeitrechnung, die die wallenden Streicher des Titeltracks und Openers im Januar 2012 einläuten. Gesanglich holprige Auftritte wie bei Saturday Night Live helfen da wenig (auch wenn sie heute längst dazu steht und den Gig sogar auf ihrem offiziellen YouTube-Kanal zeigt).

Ihre Geschichte beginnt natürlich schon vor der barocken Schwelgerei und ersten Single Video Games, die sie im Herbst 2011 ins Rampenlicht katapultierte. Elizabeth Woolridge Grant, geboren am 21. Juni 1985, wächst als schüchternes und einsames Mädchen auf, hat schon in der Schule ein Alkoholproblem, will dazugehören, findet nur schwer Anschluss. Also versucht sie es mit Musik, spielt und singt in Bars rund um New York City.

Ennui im Schatten der Palmen

Ein Imagewechsel später wird aus Elizabeth Grant Lana Del Rey, nach der Schauspielerin Lana Turner und dem Ford Del Rey Sedan. Ein erstes Album, Lana Del Ray (sic) veröffentlicht sie unter ihrem bürgerlichen Namen und macht mehr und mehr findige Produzenten auf sich aufmerksam. Nach und nach verwandelt sich Grant in ihre Kunstfigur, baut um sich herum das Image eines morbiden Hollywoods auf, wo Leichen im Pool schwimmen, während nebenan eine ausschweifende Party gefeiert wird.

Video Games bleibt kein Einzelfall. Auch Born To Die, Blue Jeans und Summertime Sadness verbreiten sich in Windeseile. Ein Millionenpublikum verfällt ihrer rauchigen, koketten Stimme, versinkt in ihrem wissenden Blick vom Albumcover herab auf eine Welt, die noch nicht bereit ist für sie. „Trist und langweilig“ nennt der Rolling Stone ihre Songs, die Los Angeles Times vergleicht das Album mit der Einnahme von Schlaftabletten. Und in der Tat liegt eine lakonische Tristesse in den Songs, ein Ennui im Schatten der Palmen. Doch gerade das birgt eine tiefe Kraft, die auch nach zehn Jahren nicht nachgelassen hat.


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Bond-Streicher und Rap-Beats

Radikal differierend von allem, was 2012 in Sachen Popmusik als Maßstab gilt, setzten Del Rey und ihr Hauptproduzent Emile Haynie auf vollkommen andere Eckpunkte. Klassische Arrangements wie in einem Bond-Film, harte Beats wie im Rap, eine allumfassende nostalgische Traurigkeit als hätte man etwas unwiederbringlich verloren und Del Reys betörender, hypnotisierender Gesang erfinden 2021 ein neues Genre. Hollywood Sadcore, so sagt sie selbst dazu. Es ist Musik für eine verlorene Generation. Und sie ihr Sprachrohr.

Oft hat man Del Rey antifeministische Tendenzen vorgeworfen, weil sie toxische Beziehungen und häusliche Gewalt in ihren Songs zu glorifizieren scheint. Doch das Gegenteil ist der Fall. Sie spricht offen über diese Dinge, sie bricht die Tabus. Dass sie sich stoisch damit abzufinden scheint, ist nur eine Illusion. Sie trägt es, sie erträgt es. Sie lässt sich davon nicht kaputtmachen, nicht darauf reduzieren. Auch das ist ein Gamechanger.

Born To Die ist der große Pop-Anachronismus seiner Zeit. Und zugleich ein Weichensteller, ein prägendes Ereignis für die Popkultur der nächsten zehn Jahre. In diesem Album liegt die Saat all dessen, was wenige jahre später erblühen wird: Die Tristesse, die Melancholie, die Depressionen, die Songs über Drogen und toxische Beziehungen, über die Schattenseite des amerikanischen Traums. Ohne eine Lana del Rey hätte es eine Billie Eilish nie gegeben.

Doch die Welt war 2012 einfach noch nicht bereit für sie.

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