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Popkultur

40 Jahre „Colour By Numbers“: Wie Culture Club am Thron von Michael Jackson sägten

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Culture Club
Foto: Chris Walter/WireImage/Getty Images

Boy George und Culture Club brauchen Anfang der Achtziger nur zwölf Monate, um zu Superstars zu werden. Vor 40 Jahren erscheint ihr internationaler Durchbruch Colour By Numbers – ein flamboyanter Pop-Spaziergang mit Welthits wie Karma Chameleon. Da kann 1983 fast niemand mithalten.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr Colour By Numbers hören:

Die ersten Jahre der Achtziger stehen für diese Art von sorgenfreien, unbeschwerten Bubblegum-Pop, wie man ihn seit den Fünfzigern nicht mehr zu hören bekommen hat. Das wurde durch die komplett außer Kontrolle geratene AIDS-Pandemie natürlich sehr schnell anders, bringt mit Culture Club aber auch eine Band hervor, die vor allem durch ihren flambyotanten, androgynen Sänger Boy George schnell Aufmerksamkeit erregt. Im Oktober 1982 erscheint mit Kissing To Be Clever ihr erstaunliches Debüt, das mit Post-Disco, New Wave und elegantem Soul-Sound aus Philadelphia begeistert. Klar, ein Hit vom Kaliber Do You Really Want To Hurt Me schadet da nicht.

Der Sohn von David Bowie

Und eine Figur wie Boy George erst recht nicht. Der heißt eigentlich George Alan O’Dowd, ist damals gerade mal Anfang 20 und hoffnungslos der Londoner New Romantic-Bewegung verfallen. Er wohnt in den verschiedensten besetzten Häusern in Londons Warren Street, er verfällt Glam-Ikonen wie David Bowie oder Marc Bolan. Als David Bowie im Juli 1972 bei seinem berüchtigten Top Of The Pops-Auftritt von Starman seinen Arm um Mick Ronsons Schulter legt, ist ganz England in Schockstarre. Vor dem Fernsehern klebt da auch der 11-jährige George, der in Bowie sofort einen Seelenverwandten erkennt und so werden will wie er. Ein Jahrzehnt später löst Georges ersten eigener Auftritt in derselben Show mit Do You Really Want To Hurt Me dann eine ebenso seismische Kontroverse aus. Der Kreis schließt sich.

Über Bowie und Marc Bolan sagte Boy George mal: „Sie verkörperten eine Art Bohème-Existenz, die ich mir damals nur vorstellen konnte. Ich liebte die Musik. Das erste Mal, als ich Marc Bolan wirklich sah, sang er Metal Guru und ich liebte ihn einfach. Ich glaube nicht, dass man einen Künstler von dem trennen kann, was er trägt oder was er singt – es ist sozusagen das Gesamtpaket. Es ist etwas sehr Organisches und Individuelles.“

Spott und Häme

Das macht er sich zu eigen und wird sich schon bald in eine Reihe mit diesen Figuren stellen, die heteronormative Gender-Normen nicht nur hinterfragen, sondern offen bekämpfen. Das bringt ihm viel Spott ein, 1983 wird er dafür bei Letterman noch vom Publikum verspottet werden. Doch er lässt sich davon nicht entmutigen. Als Stammgast im legendären Blitz Club kommt er in Kontakt mit Gleichgesinnten, singt erst bei Bow Wow Wow und wird dann von Basser Mikey Craig in dessen neue Band eingeladen. Schlagzeuger Jon Moss (der zuvor bei The Damned war) und Gitarrist Roy Hay komplettieren das Bild der noch namenlosen Band.

Doch dieser Name, der kommt schnell. Irgendwann merken sie, dass sie einen queeren Iren als  Leadsänger, einen Schwarzen Briten am Bass, einen blonden Engländer an der Gitarre und den Keyboards und einen jüdischen Schlagzeuger haben. Und nennen sich Culture Club. So divers ist die englische Popmusik bis zu diesem Zeitpunkt selten bis gar nicht gewesen. Der schnelle Erfolg gibt ihrer Mischung recht: 1982 sind sie dann das erste Mal bei Top Of The Pops, danach spricht die ganze Nation über das Auftreten und den Look von Boy George – große Hüte, bunte Kostüme, geflochtene Haare. Pete Burns von Dead Or Alive, behauptet später mal, er sei der erste gewesen, der diesen Look trug, doch George konterte nur trocken: „Es geht nicht darum, wer es zuerst gemacht hat, sondern wer es besser gemacht hat.“ Der Traumstart wird von einer weiteren Bestmarke gekrönt: Seit den Beatles sind Culture Club die erste Band, die drei Songs eines Debüts in den US-Top-Ten platzieren kann. So kann es weitergehen.

Wie bei den Beatles

Und das tut es: Nur ein Jahr später ist der Nachfolger Colour By Numbers da. Wieder aufgenommen mit Steve Levine in den Londoner Red Bus Studios, bringt vor allem die zweite Single Karma Chameleon alles zum Explodieren, was zuvor schon schwelte. Die zehn Songs sind feinster souliger Pop, voller schillernder, optimistischer Melodien, getragen von Boy Georges seltsamer, auch wohltuender Stimme und bisweilen sehr ernsten Lyrics. Vor allem klingt die zweite Platte reifer, ausgefeilter – obwohl nur wenige Monate zwischen den Aufnahmen liegen. „Dieses nächste Album wird beweisen, dass wir sehr musikalisch sind“, so George Anfang 1983 in einem Interview mit The Tube. „Es ist viel reifer und anspruchsvoller als Kissing To Be Clever. Wir arbeiten sehr eng mit Steve Levine zusammen, er ist fast so was wie das fünfte Mitglied von Culture Club. Wir haben alle die gleiche Vorstellung von dem, was wir als Endergebnis haben wollen, nämlich einen gut strukturierten Popsong, und wir haben jetzt unseren eigenen Sound entwickelt.“

Längst gibt es den Culture-Club-Sound, den viele Bands erreichen wollen, die mit Produzent Levine arbeiten. Die Magie, die erschaffen die fünf aber eben nur zusammen. Wie die Beatles mit George Martin. Church Of The Poison Mind, Miss Me Blind, It’s A Miracle oder eben Karma Chameloen (einer der größten Hits der Achtziger) – Culture Club schreiben in dieser Zeit Singles am Fließband und können auch mit den Album-Tracks die meisten anderen Pop-Singles des Jahres übertrumpfen. Kein Wunder, dass Boy George 1984 auch bei Do They Know It’s Christmas ran muss.

Zu viel Erfolg

Auch an der Trophäenwand gelingt Culture Club ein Doppelschlag: Die Band gewinnt 1984 den Brit Award für die beste Gruppe und den Grammy Award für den besten neuen Künstler. Boy George lässt via Satellit eine Rede in die USA schicken, in der er sagt. „Danke Amerika, ihr habt Stil, ihr habt Geschmack und ihr erkennt eine gute Drag Queen, wenn ihr eine seht.“

Der Erfolg ist gewaltig, die Platte rangiert in den Charts wochenlang hinter dem Blockbuster Thriller. Doch mit dem Erfolg kommen auch die Drogen und die inneren Querelen. Boy George und Jon Moss haben eine Affäre, die man euphemistisch als turbulent bezeichnen kann, Leadsänger und Band entzweien sich zusehends. Schon die nächste Platte Waking Up With The House On Fire kann nicht mehr an alte Erfolge anknüpfen. Culture Club werden eine weitere Band, die von ihrem eigenen Erfolg und dessen Schattenseiten eingeholt wird. Colour By Numbers hat das alles überstanden – und ist bis heute ein Epitom für schillernde englische Popmusik.

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Zeitsprung: Am 25.11.1984 nehmen Band Aid ‘Do They Know It’s Christmas?’ auf

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