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Popkultur

40 Jahre „Pornography“: The Cure starren in den Abgrund

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THE CURE
Foto: Icon and Image/Getty Images

Ihre dunkelste Stunde soll ihre Wiedergeburt ermöglichen: Mit einem Fuß im Abgrund veröffentlichen The Cure im Frühling 1982 ihre vierte Platte Pornography. Was eigentlich als morbider, düsterer Schwanengesang gedacht ist, erweist sich als Katharsis.

von Björn Springorum

Vor der Dämmerung ist es immer am dunkelsten: 1982 stecken The Cure in einem langen dunklen Tunnel, der einfach kein Ende findet. Frontmann Robert Smith versinkt in alles verschlingenden Depressionen, die gesamte Band trinkt exzessiv, nimmt Drogen. Seit der Veröffentlichung des Vorgängers Faith im Jahr zuvor war die Band praktisch ununterbrochen auf Tour, gefangen im Hamsterrad, in sich selbst, allein gelassen mit ihren Dämonen und Lastern.

Nicht unbedingt die beste Idee für einen Studioaufenthalt. Doch genau der steht den Engländern im Januar 1982 bevor. Sie beziehen ihr Lager in den Londoner RAK Studios, schlafen in den benachbarten Büros ihrer Plattenfirma Fiction und arbeiten jeden Tag nur für einige Stunden an den neuen Songs. Für mehr reicht ihre Energie nicht, mehr Zeit gönnen sie sich nicht, ehe sie sich König Alkohol und Königin Lysergia bereitwillig in die Arme werfen.

Die Sinnlosigkeit jedweder Existenz

Das schlägt sich musikalisch ebenso nieder wie textlich. Pornography ist das düsterste, desolateste und extremste Album von The Cure, ein Zeugnis ihres Zustandes. Schon die erste Zeile des Openers One Hundred Years bringt das auf den Punkt: It Doesn’t Matter If We All Die. Puh. Anführer der Kaputten ist zweifelsfrei Robert Smith, der über das Album sagt: „Ich hatte damals zwei Möglichkeiten: Endgültig aufgeben oder dieses Album machen und all meine Probleme zu entfesseln.“ Mit „aufgeben“ meint der Sänger Selbstmord, das hat er mehrfach betont. So oder so sieht er The Cure damals am Ende: „Ich dachte wirklich, das war es für uns. Ich hatte die Absicht, danach alles zu beenden. Daher wollte ich das ultimative Fuck Off-Album schreiben und dann die Band auflösen.“

Getragen von dieser fatalistischen Grundhaltung, befeuert von Alkohol, Drogen und labiler Verfassung und geprägt von den Werken von The Psychedelic Furs und Siouxsie And The Banshees schneiden The Cure Songs aus purer Dunkelheit, vertonen Angst, Depression, Lebensmüdigkeit und die Sinnlosigkeit jedweder Existenz. Als Produzent kommt Phil Thornalley für ihren langjährigen Partner Mike Hedges. Conny Plank, ihre eigentliche Wahl, macht letztlich doch nicht das Rennen.

Krähennester und Kajal

Und vielleicht ist das auch ganz gut so: Pornography ist ein vertonter Albtraum, ein dichter Soundwald aus psychotischer Epik, klaustrophobischer Stimmung und monotoner Tristesse, ein Wall aus Moll und Tränen – der Inbegriff eines Genres, das man bald darauf als Gothic Rock bezeichnen wird. Insbesondere der schleppende Beat und die wallenden Gruselorgeln in Cold sollen sich als Geburtshelfer einer ganzen Subkultur erweisen. Ganz zu schweigen von Lol Tolhursts monumentalem Drumsound, der klingt, als habe er das Schlagzeug in einer leeren Kathedrale aufgenommen. Dazu passt der neue Stil, den The Cure auf der dazugehörigen Tour erstmals präsentieren sollen: Die Haare als Krähennest, schwarze Klamotten, verschmiertes Make-Up.

Wie The Cure dieses Album fertiggestellt haben, ist aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbar. Robert Smith singt um sein Leben, hängt alles in jeden Ton, gibt Preis, wie es um ihn steht. Er weiß, dass nur noch dieses Album zwischen ihm und dem Abgrund steht. Und setzt während der dreiwöchigen Aufnahmen alles auf eine Karte. „Damals verlor ich jeden Freund, den ich jemals hatte, einfach ausnahmslos alle, weil ich einfach nur abscheulich, unausstehlich, egoistisch war.“ All das lässt er in die Songs fließen, um endlich damit loszukommen.

Nihilismus und eine Skulptur aus leeren Bierdosen

Nihilismus und Exzentrik prägen die Aufnahmen. Selbsthass, Weltschmerz, dazu ein Monster von einer Skulptur aus leeren Bierdosen, die The Cure in einer Ecke des Studios auftürmen – weder das Studiopersonal noch das Label sind so richtig glücklich mit The Cure. Auch die Presse reagiert anfangs sehr verhalten, ist sichtlich überfordert mit diesem extremen, schmerzenden Album. Heute, 40 Jahre nach seiner Veröffentlichung, sind wir natürlich schlauer. Pornography ist ein Klassiker, ein Vorreiter, das wichtigste Album von The Cure.

Wie gut es Robert Smith getan hat, zeigt der weitere Weg seiner Band: Anstatt sie aufzulösen, veröffentlicht er 1984 das deutlich hellere The Top, dem Anbeginn einer regelrechten Pop-Phase. Die Dämonen, die hat er erfolgreich auf Pornography gebannt. Dort sorgen sie aber auch 40 Jahre später noch für Gänsehaut und Frösteln.

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