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Popkultur

50 Jahre „Immigrant Song“: Led Zeppelins Weg durch Feuer und Eis

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Led Zep auf Tour - hier im Jahr 1975. Foto: Chris Walter/WireImage/Getty Images

Ein unwirklicher Ort wie Island lässt selbst die Urgewalt Led Zeppelin nicht kalt: Vor 50 Jahren spielen sie ein mythisches Konzert im Land aus Feuer und Eis. Und werden so ganz nebenbei zu einem ihrer besten Songs inspiriert.

von Björn Springorum

Im Sommer 1970 eilt Led Zeppelin ihr Ruf voraus. Unermüdliches Touren seit 1968, zwei epochale Platten und eine Aura des Geheimnisvollen haben die Londoner binnen zweier Jahre zu eine der wichtigsten und berüchtigtsten Live-Bands reifen lassen. Anstatt, wie damals üblich, auf Singles zu setzen, huldigen Led Zeppelin dem Album als Kunstform und geben lieber entfesselte Marathonkonzerte anstatt ihre Visagen in die Kameras der Presse zu halten. Die ist insbesondere in Großbritannien zunehmend erzürnt über diese Rüpel, die es nicht für nötig befinden, Interviews zu geben oder in altbackenen Fernsehshows aufzutreten.

Naturgewalt trifft Naturgewalt

Jimmy Page und Robert Plant – die Generation eins nach den Beatles und den Stones – haben viel von ihren Vorläufern gelernt. Sie sind weniger Fabrikate findiger Manager und Plattenbosse und eher der Blueprint für den wilden, unzähmbaren Künstler, der macht, was er will. Ihr Ruf einer Naturgewalt reicht sogar bis ins entlegene Island. Heute längst ein Trend-Reiseland, durch das Touristenmassen in Bussen geschleust werden, ist das Island des Jahres 1970 noch eine sehr abgelegene Insel im Nordatlantik, touristisch kaum erschlossen und außerhalb von Reykjavik vor allem eines: jede Menge unberührter Natur.

Genau dorthin verschlägt es Led Zeppelin im Sommer 1970. Als Teil eines kulturellen Austauschprogramms wird ausgerechnet die Band um Löwenmähne Robert Plant ausgewählt, um das Vereinigte Königreich musikalisch zu repräsentieren. Wenn man bedenkt, welch einen Aufschrei es noch fünf Jahre zuvor gab, als man den Beatles einen royalen Orden um den Hals hängte, kann man nur staunen. Gestaunt haben dürften auch Led Zeppelin, als sie im Juni in Island eintreffen. Es ist Hochsommer, die Sonne geht über dem fremdartigen Ort so gut wie gar nicht unter. Das ganze Land ist in ein mystisches Licht getaucht, ein Licht, das die Lavafelsen und Eisfelder zum Leben erweckt.

Der längste Tag

Led Zeppelin treffen am 21. Juni 1970 in Island ein. Es ist der längste Tag des Jahres, der Tag, an dem auf dem Laugavegur in Reykjavik noch um 23 Uhr die Sonne scheint und lange Schatten auf den Boden gießt. Die Band ist wie in Trance, hellwach, ohne jedwedes Zeitgefühl. Ihr Manager Peter Grant reist nicht mit ihnen, auch das britische Fernsehteam, das sie auf dieser einzigartigen Mission begleiten soll, ist aus unerfindlichen Gründen nicht zur Stelle. Dafür jede Menge streikende Beamte. Das Konzert am Folgetag droht, ins Wasser zu fallen.

Tut es natürlich nicht: Am 22. Juni 1970 stürmen Led Zeppelin die Bühne der Laugardalshöll in Reykjavik. 5.000 meist junge Isländer bekommen die Show ihres Lebens, die viel von dem vorweg nimmt, was die Band in den Folgejahren rasch zum größten Rock-Ereignis der Welt werden lässt: Gut dosierte Arroganz, gerechtfertigte Überlegenheit, exzentrisches Auftreten, massiver Sound und ein Zusammenspiel von einem anderen Stern. „Selten brachte ein Mann eine solche Stärke rüber“, heißt es in einer isländischen Konzertbesprechung über die gottgleiche Aura Plants. Die Show ist ein Triumph. Das ist natürlich keine allzu große Überraschung, Led Zeppelin lassen in dieser Zeit absolut nichts anbrennen. Und wenn man als Band ein Konzert mit Dazed And Confused eröffnen und mit Whole Lotta Love beschließen kann, dann müssten die Götter aber auch schon sehr, sehr zornig sein, um einen Triumphmarsch abzuwenden.

Die Götter sind mit ihnen

Doch die Götter, so scheint es, sind Led Zeppelin wohlgesonnen. Sie bescheren ihnen nicht nur ein sensationelles Konzert; sie inspirieren sie auch zu einem ihrer berühmtesten Songs. Merklich im Bann der außerirdisch schönen Natur, der entrückten Aura und dem magischen Farbenspiel der isländischen Landschaft, schreibt Plant wie im Fieberwahn einen Songtext, bei dem er in die Rolle eines Wikingerfürsten schlüpft. Er erzählt die Geschichte des Anführers, der mit seinen Langbooten eine Invasion vorbereitet und in mythischen Prophezeiungen und Visionen von seinem eigenen Tod heimgesucht wird. Allein die erste Zeile ist Rock-Mythos pur: We come from the land of ice and snow…

Späte Rache

Nicht nur der Text ist der Stoff, aus dem Legenden sind: Plants Urschrei, Pages brutales Stakkato-Riffing, der polternde Drum-Beat und die dringliche Kürze des Songs kondensieren alles, wofür diese Band steht, in zweieinhalb Minuten. Und wie es damals bei dieser Ausnahmeband eben so war, wird nicht lang rumgemacht: Schon sechs Tage später, beim Bath Festival Of Blues And Progressive Music, spielen die Briten den Song zum ersten Mal live. Der Gig vor über 150.000 Zuschauern wird zum vorläufigen Klimax ihrer Popularität in Großbritannien. Und die Ouvertüre zu ihren folgenden vier Konzerten in Westdeutschland im Juli 1970. Danach erklimmen Led Zeppelin Höhen, die noch keine Hard-Rock-Band vor ihnen erreicht hat. Immigrant Song wird in Headley Grange aufgenommen, dann – mal wieder gegen den Willen der Band – auch als Single ein großer Erfolg. Und der nordisch geprägte Text, der wird in seinem ganzen Pathos der Urvater des Heavy-Metal-Songtexts. Nachdem die Wikinger am 8. Juni 793 das englische Kloster Lindisfarne überfallen haben, hat sich England gerächt. 1177 Jahre später.

Zeitsprung: Am 30.3.1970 feiern Led Zeppelin in Pittsburgh mit Polizei und Schampus.

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