Popkultur
Formatverwandlungen & immer neue Coverstars: So wandelte sich das Album-Packaging in den letzten 60 Jahren
Auf die Frage, wie ein Album visuell und haptisch auszusehen hat, wurden in den letzten sechs Jahrzehnten immer neue Antworten gefunden. Offiziell von der Recording Academy in Betracht gezogen wird das Thema seit 1959, als der erste Grammy in der Kategorie „Best Recording Package“ verliehen wurde – an Frank Sinatra.
von Martin Chilton
Angeblich soll er selbst die Rolle des Art Directors für sein Album Frank Sinatra Sings For Only The Lonely übernommen haben, auf dem ein Porträt von Nicholas Volpe zu sehen war: Mr. Ol’ Blue Eyes als trübselige Harlekinfigur, mit Clowns-Make-up und viel Schatten drum herum. Die Stimmung war ziemlich passend gewählt, wo Sinatra doch gerade erst die Trennung von Ava Gardner hinter sich hatte.
Die Innovationen der Sechziger
Das erste prämierte Artwork war zwar durchaus gut gemacht, aber die eigentliche Verpackung der Musik – das Album-Packaging und die Art der Designelemente – war recht gewöhnlich. Doch in den Sechzigern sollte sich auch in diesem Bereich vieles tun, wobei die Beatles ganz klar wegweisend waren: Unvergessen ist das Design von Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band aus dem Jahr 1967. Die Rückseite ganz in Rot gehalten, dazu nur ein kleines Foto der Fab Four, quasi als Fußnote, wobei die Songtexte über die gesamte Rückseite, also auch über das Foto liefen. Lyrics auf einem (Back-)Cover hatte es davor noch nie gegeben! Und es waren die Beatles selbst, die darauf bestanden, obwohl ihre Publishing-Firma arge Bedenken hatte, dass sich die Bonus-Bleiwüste schlecht auf die Verkaufszahlen auswirken könnte, vor allem auf die der Notenverkäufe. (Für das kürzlich veröffentlichte Super Deluxe Boxset wurde das Frontcover sogar in 3D als Lenticular-Artwork erweitert.)
Im Jahr drauf erregten die Beatles sogar noch mehr Aufsehen mit der Aufmachung ihrer Hits: Dieses Mal war der Entwurf dermaßen radikal, dass das Design dem dazugehörigen, ursprünglich gleichnamigen Album sogar einen bis heute gebräuchlichen Alternativ- und Spitznamen bescheren sollte: The White Album. Das Cover der 2LP im Gatefold-Sleeve hatte Richard Hamilton so gestaltet, dass die Vorderseite einfach nur glänzend weiß war, dazu war ihr Bandname in den Karton geprägt. Außerdem gab’s einen Stempel mit einer Seriennummer – wobei Ringo Starr sich die Nummer 0000001 sicherte, die im Jahr 2015 für 790.000 US-Dollar versteigert werden sollte.
Überhaupt waren die Beatles ihrer Zeit in Sachen Promotion und Marketing meilenweit voraus: Zwischen 1963 und 1969 veröffentlichten sie jedes Jahr eine exklusive Weihnachtsaufnahme auf Flexi-Disc – jene biegsamen, billigeren Vinyl-Varianten, die später oft Zeitschriften beigelegt wurden –, die sie an die Mitglieder ihrer Fanclubs verschickten. Die Idee, solche Vinyl-Giveaways auch Publikationen beizulegen, kam zuerst in Japan auf, und manchmal nutzten Bands das Format, um so seltene Tracks zu veröffentlichen: Elvis Costellos 23 Minutes Over Brussels beispielsweise, oder auch Adam Ants Version von YMCA (woraus hier ANTS wurde) erschienen als Flexi-Discs. Obwohl dieses Format inzwischen weitestgehend verschwunden ist, gibt es hin und wieder doch noch Promo-Kampagnen auf biegsamem Vinyl – Freedom At 21 zum Beispiel, ein Stück von Jack Whites Blunderbuss-Album, erschien im Jahr 2012 in diesem Format.
Kreative Innovationsschübe
Da inzwischen immer mehr Verlage, Labels und Musiker*innen neue Wege gingen und sich kreativ zeigten, wuchs auch die Zahl der Verpackungsformate immer weiter: Stereotomy von The Alan Parsons Project kam im durchsichtigen Plastik-Sleeve, und das Artwork fürs Second Album von Curved Air hatte gleich fünf Schichten in verschiedenen Farben. Eine Sache war dabei immer wieder ein Thema: 3D-Cover. Vorreiter waren hier The Rolling Stones mit Their Satanic Majesties Request. Das Frontcover des Gatefold-Sleeves zierte ein 3D-Bild, wobei es auf der Innenseite richtig schön psychedelisch wurde (siehe auch das Deluxe Boxset zum 50. Jubiläum). Noch weiter gingen die Stones für Sticky Fingers: Hier hatte das Sleeve einen echten Reißverschluss, unter dem eine Unterhose (aus Stoff) verborgen war – und die Worte „THIS PHOTOGRAPH MAY NOT BE – ETC“ zusammen mit dem Verweis auf den Schöpfer: Andy Warhol.
Es gab auch Fälle, in denen das Werk und die gesellschaftlichen Umstände ein neues Design nahelegten: Unfinished Music No.1: Two Virgins von John Lennon und Yoko Ono war dermaßen umstritten, dass es in einer braunen Papiertüte verkauft werden musste – die beiden waren einfach zu unbekleidet.
Auch das Originalvinyl von Jefferson Airplanes Bark (1971) kam im braunen Papiertüten-Look daher: Neben dem „JA“-Logo (was an die Supermarkt-Kette A&P angelehnt war) war das Bild eines Fischkopfs mit menschlichen Zähnen zu sehen, schön eingewickelt und verschnürt. Das beigelegte Lyric-Sheet war rosa und sah aus wie ein Bestellzettel vom Schlachter.
Fast schon religiös verehrt wurden die Arbeiten von Larry Shaw, der sich bei Stax Records um Packaging und Artwork kümmerte. Von ihm stammt beispielsweise das ikonische Cover von Isaac Hayes’ Black-Moses-Album (1971), das seit rund fünf Jahrzehnten zu den größten Coverdesigns der Musikgeschichte gezählt wird. Während Hayes hier die Moses-Rolle übernehmen durfte, ließ sich das Sleeve der 2LP so ausfalten, dass man ein riesiges Kreuz von 1,20m Höhe und 90cm Breite erhielt.
Design-Ikonen
Manchmal reicht ein* brillante*r Designer*in, um ganz neue Impulse zu setzen und größere Veränderungen ins Rollen zu bringen. Der Fotograf Dennis Morris, der in den Jahren davor ikonische Bilder von den Sex Pistols und Bob Marley gemacht hatte, wurde 1979 von Public Image Ltd. als Album-Designer beauftragt. Als er dann sagte, er wolle statt des regulären Albumformats drei 45rpm-Singles in eine Metallbox packen – daher auch der Titel Metal Box –, war man beim Label zunächst sehr skeptisch, weil die Kosten einfach zu hoch schienen. Morris jedoch machte in London eine Firma ausfindig, die Filmdosen produzierte, und die Größte passte perfekt zum Vinylformat: „Also haben wir einfach einen Restposten aufgekauft“, erinnerte sich Dennis später, „und haben dann das PiL-Logo aufgeprägt. War dadurch hinterher viel billiger als erwartet.“
Die Produktionskosten waren natürlich immer wieder ein wichtiger Faktor: Das Album Ogdens’ Nut Gone Flake von Small Faces erschien 1968 zunächst in einer ganz besonderen Verpackung – nämlich als überdimensionierte Tabakdose. Allerdings war das dann doch etwas zu luxuriös, zu teuer, und nicht nur das: Die Dosen rollten auch regelmäßig aus den Regalen der Plattenläden und fielen auf den Boden. Also gab’s danach nur noch die eckige Variante im Gatefold-Sleeve.
Jahre später entpuppte sich Mark Farrows Arbeit für die Rockband Spiritualized als bahnbrechend: Das Design zu Ladies And Gentlemen We Are Floating In Space bescherte ihm 1997 eine ganze Reihe von Preisen. Sein Entwurf basierte auf einem Satz, den Sänger Jason Pierce gleich im ersten Design-Meeting gesagt hatte: Musik sei letztlich „Medizin für die Seele“, so Pierce. Also erschien das Album apothekenkonform in einer so genannten Blisterverpackung, wie sonst Tabletten also, und für die Linernotes war natürlich reichlich Platz auf dem Beipackzettel, wo sonst die Nebenwirkungen aufgelistet sind.
Auch Design-Bruchlandungen gab’s gelegentlich: Craig Brauns Entwurf für Alice Coopers School’s Out, bei dem sich das Sleeve so ausklappen ließ, dass es wie ein Schultisch aussah, beinhaltete neben dem Vinyl auch ein paar Shorts. Viel Aufwand – was besonders ärgerlich war, als sich herausstellte, dass die Produktion vorzeitig eingestellt werden musste, weil die Verpackung zu leicht brennbar war.
Die Ära der Deluxe-Boxsets
Schon vor ein paar Jahren hat schließlich die Ära der Deluxe-Editionen und Boxsets begonnen, und den Sammler*innen wurden da immer neue Specials und Innovationen präsentiert – zusammen mit viel Bonusmaterial: Badmotorfinger beispielsweise, der Soundgarden-Klassiker von 1991, kam 25 Jahre später mit gleich sieben Discs daher – und das Logo war beweglich und batteriebetrieben.
2018 waren es Guns N’ Roses, deren „Locked N’ Loaded“-Edition von Appetite For Destruction noch sehr viel weiter ging: Das 12-Zoll-Format wurde hier zum dreidimensionalen Holzwürfel erweitert, dazu gab’s ein aufwendiges Design aus Lederimitat und diverse Specials von Kopftuch und Ring bis hin zu Lithografien für jeden Song, Münzen, Ticketnachdrucke und, und, und. Mehr Bonusmaterial geht eigentlich gar nicht.
Während manche Boxsets eher das Konzeptionelle unterstreichen (z.B. die „End Of The World“-Edition von Ryan Adams’ Prisoner), setzen andere eher auf Effekte: The Complete Early Years von Motörhead kam beispielsweise im Schädeldesign mit rot leuchtenden Augen.
Neue Wege, neue Formate
In den letzten Jahren hat kaum eine Band so viel mit neuen Formaten und Medien herumexperimentiert wie The Flaming Lips. So erschien eine EP im Jahr 2011 auf einem USB-Stick, der wiederum in einem essbarem Fruchtgummischädel steckte – wobei man erst 3,5 Kilo Gummizeug verzehren musste, um die Songs zu entpacken. Da die Edition sofort ausverkauft war, setzten sie noch einen drauf: Drei weitere Songs kamen als nächste EP, wieder auf USB, aber nun in einem Fruchtgummifötus verborgen. 2014 veröffentlichte Julian Casablancas (The Strokes) sein Soloalbum Tyranny auch auf einem USB-Stick, nur war dieses Modell zugleich ein Feuerzeug.
Auf der Jagd nach Originalität war jedoch keiner so radikal und wortgetreu wie der Wu-Tang Clan – denn es gab wirklich nur eine einzige Kopie von The Wu: Once Upon A Time In Shaolin, das 2014, nun ja, nicht wirklich für die Allgemeinheit erscheinen sollte. 31 Tracks, verpackt in einer Silber-Nickel-Schatulle des Künstlers Yahya. Für rund 5 Millionen US-Dollar ging das gute Stück an einen dubiosen Freund von Mr. Trump, der wenig später zu mehreren Jahren Haft verklagt werden sollte.
In den kommenden Jahrzehnten erwarten uns viele digitale Innovationen, die auch in den Bereich Design und Packaging überschwappen werden – man denke etwa an Motion Graphics. Wie innovativ man bis heute mit Papier und Karton sein kann, bewies dabei erst kürzlich der Designer Jonathan Barnbrook, der für David Bowies letztes Album Blackstar den Grammy in der Kategorie „Best Packaging“ abräumte: Weil sich im ausgeschnittenen Stern auf dem Albumcover nach Sonnenbelichtung tatsächlich ein Sternenhimmel abzeichnete.
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Popkultur
„Atomic City“: Neuer U2-Song feiert die Post-Punk-Jahre
Und plötzlich ist ein brandneuer Song von U2 gelandet: Auf Atomic City schwelgen die Iren im Sound früherer Jahre und läuten zugleich eine furiose neue Ära ein. Hier bei uns gibt es Song samt Video!
U2 fahren die Motoren langsam hoch. Kürzlich erst gaben sie einen Überraschungsauftritt mitten auf dem Strip in Las Vegas, um ihre furiose Residence im Sphere zu bewerben. Die startet am heutigen Freitag und verspricht ein revolutionäres Konzerterlebnis: 160.000 Lautsprecher und 260 Millionen Videopixel läuten dieses Wochenende eine neue Ära in Sachen Livemusik ein.
Hommage an Las Vegas
Passend dazu erscheint heute die brandneue Single Atomic City. Produziert wurde der Song von Jacknife Lee und Steve Lillywhite und ist als Hommage an Las Vegas zu verstehen – die Stadt wurde in den fünfziger Jahren als Atomic City bezeichnet. Musikalisch ist der Song ein Kniefall vor dem magnetischen Geist des Post-Punk der Siebziger und Bands wie Blondie oder The Clash, die U2 beide stark beeinflussten. Hier gibt es die starke Nummer zu hören:
Aufgenommen wurde die Single in Los Angeles und erscheint passend vor den anstehenden Terminen der Band im Sphere in Las Vegas, wo sie ihr bahnbrechendes Album Achtung Baby aus dem Jahr 1991 zelebrieren. Der Frontmann Bono selbst sagt über die Single: „Es ist ein Liebeslied an unser Publikum: Where you are is where I’ll be.“ Das dazugehörige Musikvideo wurde unter der Regie von Ben Kutchins gedreht und zeigt U2s nächtlichen Überraschungsauftritt des Songs in Downtown Las Vegas letzter Woche. Da hat sich mal jemand mit Schnitt und Post-Production beeilt.
Jetzt können wir nur noch warten und morgen schon die Bilder dieser grandiosen neuen Show mit Ersatzschlagzeuger Bram van den Berg bestaunen. Oder doch vielleicht eher gleich Flüge buchen?
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Popkultur
„Monsters Of California“: Alles über den UFO-Film von Blink-182-Sänger Tom DeLonge
Blink-182-Fans wissen: Frontmann Tom DeLonge hat nicht nur ein Faible für Rock, sondern auch für Roswell. Schon seit vielen Jahren interessiert er sich für UFOs, außerirdische Lebensformen und alles, was damit zu tun hat. Mit Monsters Of California bringt er bald seinen ersten Film raus. Und darin geht es natürlich um …
von Timon Menge
Hier könnt ihr euch Nine von Blink-182 anhören:
… genau. In Monsters Of California hängt der Teenager Dallas Edwards am liebsten mit seinen verpeilten Freund*innen herum. Eines Tages findet die südkalifornische Clique zufällig einige Unterlagen von Dallas’ Vater, die darauf schließen lassen, dass er beruflich mit mysteriösen und paranormalen Ereignissen zu tun hat. Die Jugendlichen verknüpfen ihre Erkenntnisse miteinander, stellen Theorien auf — und werden auf einmal von uniformierten Männern mit Maschinengewehren umstellt. Spätestens jetzt wissen sie, dass etwas Großem auf der Spur sind. Doch sie haben natürlich noch keine Ahnung, wie groß ihre Entdeckung wirklich ist …
Tom DeLonge: Pop-Punk-Ikone und UFO-Fan
Die meisten kennen Tom DeLonge als Sänger und Gitarrist der erfolgreichen Pop-Punks Blink-182. Doch der Kalifornier ist auch ein ausgewiesener Alien-Fan, der sich in seiner Freizeit ausgiebig mit UFO-Sichtungen, Area-51-Theorien, außerirdischen Lebensformen und paranormalen Aktivitäten beschäftigt. (Mit dem Song Aliens Exist vom Blink-182-Album Enema Of The State brachte er DeLonge beiden Leidenschaften 1999 unter einen Hut — und genau diese Nummer ist natürlich auch im Trailer von Monsters Of California zu hören.) Immer wieder hinterfragt und forscht er im Namen der Wissenschaft nach Aliens und sucht Erklärungen für diverse Verschwörungstheorien. Schräg, oder?
DeLonges Engagement geht so weit, dass er am 18. Februar 2017 zum Beispiel den „UFO Researcher of the Year Award“ von OpenMindTV verliehen bekam. 2015 erzählte er in einem Interview von einer mutmaßlichen Begegnung mit Außerirdischen — während eines Camping-Trips nahe der sagenumwobenen Area 51. „Mein ganzer Körper hat sich angefühlt, als sei er statisch aufgeladen gewesen“, versicherte der Sänger. Auch Freunde von ihm könnten über Begegnungen mit Aliens berichten. Außerdem verfüge er über Regierungsquellen und auch sein Telefon sei aufgrund seiner Forschungen schon abgehört worden. Wenn er meint …
Monsters Of California: Wann startet der erste Film von Tom DeLonge?
In den USA läuft Monsters Of California am 6. Oktober 2023 an, doch wann der Streifen in Deutschland erscheinen soll, ist bisher nicht klar. So oder so: Der Trailer verspricht mindestens einen unterhaltsamen Kinobesuch — nicht nur für Blink-182-Fans.
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Popkultur
Zeitsprung: Am 29.9.1986 trumpfen Iron Maiden erneut auf mit „Somewhere In Time“.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 29.9.1986.
von Christof Leim
In den Achtzigern stürmen Iron Maiden von einem Triumph zum nächsten. Dabei reiben sie sich fast bis zur Überlastung auf, halten aber konsequent Kurs und Niveau und entdecken neue Sounds. Am 29. September 1986 erscheint Somewhere In Time – und Eddie wird zum Cyborg.
Hier könnt ihr das Album hören:
Die Geschichte von Somewhere In Time beginnt mit völliger Erschöpfung. Kann nach einer Welteroberung schon mal passieren: 1984 hatten die fünf Briten auf der World Slavery Tour elf Monate lang in 28 Ländern auf vier Kontinenten gespielt – und zwar satte 193 Shows vor geschätzten 3,5 Millionen Fans. Der Preis: Bruce Dickinson (Gesang), Steve Harris (Bass), Dave Murray (Gitarre), Adrian Smith (Gitarre) und Nicko McBrain (Schlagzeug) sind fix und fertig. Deshalb fordern die Musiker sechs Monate Pause. Daraus werden zwar nur vier, doch zum allerersten Mal seit Jahren steht die Maiden-Maschine ein Weilchen still.
Neues Spielzeug
Die Konsequenzen hört man: Harris, Smith und Murray experimentieren mit Gitarrensynthesizern, mit denen sich Keyboardsounds über die Gitarre und den Bass erzeugen lassen. Dickinson indes zweifelt an seiner Motivation und will musikalisch in eine andere Richtung. Er komponiert vor allem akustisches (also stromloses, ruhiges) Material, das von den Kollegen und dem Produzenten aber abgelehnt wird. Der Sänger zeigt sich verletzt, freut sich aber darüber, für eine Weile „nur“ singen zu müssen. Für ihn springt Adrian Smith in die Bresche und liefert im Alleingang mehrere fertige Tracks, die auf einhellige Begeisterung stoßen und Somewhere In Time maßgeblich prägen sollten.
Futuristische Fahrzeuge, klassische Patronengurte: Iron Maiden auf dem Pressefoto für „Somewhere In Time“ – Foto: Aaron Rapoport/Promo
Erst im Januar 1986 geht es zurück ins Studio, genauer: in mehrere Studios. Drums und Bass nehmen Iron Maiden in den Compass Point Studios auf den Bahamas auf, in dem auch AC/DC Back In Black eingespielt hatten. Gitarren und Gesänge bringen die Musiker in den Wisseloord Studios im niederländischen Hilversum auf Band, abgemischt wird schließlich in den Electric Lady Studios in New York. Damit wird Somewhere In Time nicht nur zum teuersten Album der bisherigen Bandkarriere, sondern auch zum technisch ambitioniertesten. Wie für die Beständigkeit in der Maiden-Welt der Achtziger typisch, ändert sich an der sonstigen Formel wenig. Die Produktion übernimmt ein weiteres Mal Stammproduzent Martin Birch.
Fünf Minuten mindestens
Somewhere In Time erscheint am 29. September 1986 und steigt in Großbritannien auf Platz drei ein. In den USA schafft die Band mit Platz elf ihre bis dato beste Platzierung. Auf dem Cover prangt natürlich das unvergleichliche Iron Maiden-Monster Eddie in einem aufwändigen Science-Fiction-Gemälde. Schon im Intro der ersten Nummer, dem vom Film Blade Runner inspirierten Quasi-Titelstück Caught Somewhere In Time aus der Feder von Steve Harris, hören die Fans die besagten Gitarren-Synthesizer. Doch am grundsätzlichen Stil von Iron Maiden hat sich nichts geändert. Es galoppiert der Bass, wie es sich gehört, die Gitarren riffen, und Dickinson lässt seine Sirenenstimme aufheulen. Wo Iron Maiden drauf steht, ist Heavy Metal drin, vermutlich bis ans Ende aller Tage. Allerdings klingt Somewhere In Time insgesamt weniger rau, sondern bei gleichem Energieniveau erwachsener, vielschichtiger und, wenn mal so will, futuristischer.
Von den acht Songs fällt keiner kürzer aus als fünf Minuten aus, das Gros stammt von Steve Harris, drei Beiträge kommen von Adrian Smith. Dazu gehört die erste Single Wasted Years, in der Maiden so eingängig klingen wie es nur geht, ohne ihren eigenen Sound zu verlieren. Der Text erzählt von Heimatlosigkeit und Entfremdung – ein klarer Kommentar zur endlosen World Slavery Tour. Als Wasted Years drei Wochen vor dem Album als Single ausgekoppelt wird, sieht man auf dem Cover das Cockpit einer Zeitmaschine, in deren Armaturenbrett sich der Kopf von Eddie spiegelt. Der Grund: Sein neues Aussehen sollte nicht vor Erscheinen des Albums verraten werden, schließlich hat das Maskottchen mittlerweile Kultstatus erreicht.
Auf der Vorabsingle durfte Eddie sich noch nicht ganz zeigen…
Filme und Bücher als Inspiration
Das folgende Sea Of Madness, ein dramatischer Uptempo-Banger, stammt ebenfalls von Smith, setzt aber keine besonderen Akzente. Für Heaven Can Wait, einen Harris-Song über eine Nahtoderfahrung, rekrutieren Maiden die Gäste einer Kneipe, um die „Oh-Oh“ -Fußballchöre im Mittelteil einsingen zu lassen.
Das ebenso harte wie vertrackte The Loneliness Of The Long Distance Runner basiert nicht nur im Titel auf einer Kurzgeschichte des britischen Autoren Alan Sillitoe. Stranger In A Strange Land hingegen geht direkt ins Ohr und wird deshalb als zweite Single ausgekoppelt. Inspiriert wurde Adrian Smith hierfür durch ein Gespräch mit einem Arktisforscher, der einen gefrorenen Körper im Eis gefunden hatte. Vom gleichnamigen Science-Fiction-Roman von Robert A. Heinlein hingegen leiht sich Smith lediglich den Titel.
Egal, wo und wann: Eddie ist immer cool
Die Credits für Deja-Vu teilt sich Harris mit Dave Murray, der im Schnitt für jedes zweite Album einen Song beisteuert. Alexander The Great stammt vom Bassisten alleine und reiht sich mit einer Spielzeit von achteinhalb Minuten in den Reigen der großen Maiden-Epen ein, diesmal mit explizit historischem Bezug.
Ein Cover wie ein Bildband
Ein sicherer Hit ist zweifelsfrei das Artwork der Platte: Hier steht Eddie als Weltraum-Terminator mit Cyborg-Auge und Laserpistolen in einer futuristischen Stadt, die vor Details nur so überquillt. Der Künstler Derek Riggs, der Künstler hinter diesem Werk, erinnert sich an den Arbeitsauftrag: „Wir haben uns eigens in Amsterdam getroffen und drei Tage lang über das Cover gesprochen. Sie wollten eine Kulisse wie in Blade Runner, eine Science-Fiction-Stadt.“ Um das zu erreichen, erschafft Riggs eine Skyline mit Werbeslogans und Firmennamen, die er größtenteils erfindet, um Copyright-Probleme zu vermeiden. Dabei dreht er richtig auf und auch ein wenig durch.
Immense Detailfülle und jede Menge versteckte Späßchen: Das Artwork aus der Feder von Derek Riggs
Wer genau hinguckt, kann unter anderem erkennen: den Sensenmann und die Katze mit Heiligenschein von Live After Death, den abstürzenden Himmelsstürmer aus Flight Of Icarus, ein Flugzeug über der „Aces High Bar“ , das „Ancient Mariner Seafood Restaurant“, ein Straßenschild zur „Acacia Avenue“ , ein Konzertposter mit dem Ur-Eddie, die Dame aus Charlotte The Harlot, die Tardis aus Doctor Who, Batman, eine Uhr, die zwei Minuten vor Mitternacht anzeigt, das „Phantom Opera House“ , den Ruskin Arms Pub (eine der ersten Spielstätten der Band) sowie die exakt gleiche Straßenlaterne wie auf dem Cover des Debüts. Irgendwo steht sogar auf Japanisch „Pickelcreme“ , auf Russisch „Joghurt“ und in Spiegelschrift „Dies ist ein sehr langweiliges Gemälde“. Drei Monate sitzt Derek Riggs an dem Werk, mitgezählt eine mehrwöchige Zwangspause, weil er irgendwann Halluzinationen bekommt und aussetzen muss. Kurzum: Das Cover ist Wahnsinn. Und absolut großartig.
…und die Rückseite ist genauso bombastisch.
Auf die Straße. Natürlich.
Natürlich geht es für die fünf Musiker umgehend auf Konzertreise: Der Somewhere On Tour getaufte Trek zieht von September 1986 bis Mai 1987 um die Welt, mit dabei ein überdimensionaler Cyborg-Eddie, der über die Bühne spaziert, zwei riesige Podeste rechts und links in Form von Monsterkrallen, eine aufwändige, sehr helle Lightshow sowie ein pulsierendes Leuchtherz als Teil von Bruces Bühnenoutfit.
Somewhere On Tour: Dave Murray schreddert, Eddie guckt kritisch – Foto: Ebet Roberts/Redferns/Getty Images
So stressig und geradezu selbstmörderisch wie zwei Jahre zuvor auf der World Slavery Tour sollte es jedoch nicht mehr werden, auch die Zeiten, in denen Iron Maiden jedes Jahr ein Album und eine Welttour hinlegen, sind mit Somewhere In Time vorbei. Doch die Metal-Weltherrschaft der Achtziger haben Iron Maiden da längst inne.
Zeitsprung: Am 28.4.1988 starten Iron Maiden ihre Welttournee in einem Kölner Club.
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