Popkultur
Die musikalische DNA von Bilderbuch
Sorry, dass ihr es auf die Art erfahren musst, aber: Nein, Wanda sind nicht die geilste Band der Welt (aus Österreich). Sondern Bilderbuch. Genau, die mit den vielen Autos und noch mehr Autotune, die mit dem Funk und den überdrehten Videos. Die ehemaligen Klosterschüler, die als Teenager ihre eigene Band gründeten und kein Englisch konnten, weshalb sie sich einen beliebigen deutschen Namen zulegten, der bis heute funktioniert. Denn Bilderbuch sind Bild und Buch, das heißt grell und smart in einem. Die Art Band, die sich jahrelang den Arsch abspielt und von der dann trotzdem alle denken, sie käme aus dem Nirgendwo.
Hört euch hier die musikalische DNA von Bilderbuch in einer Playlist an und lest weiter:
Bilderbuch haben in jeglicher Hinsicht ihren eigenen Stil gefunden, ob nun musikalisch, visuell oder in den wilden auf Denglisch vorgetragenen Texten von Maurice Ernst, dem wasserstoffperoxiden Sprachrohr der Band. Bilderbuch sind aber eben auch mehr als ihr sorgsam konstruiertes Image. »Stimmung und Gefühl geht über das perfekte Popbild«, wird Ernst nicht müde, zu betonen. Zugleich lamentiert er, dass das heute eben nicht mehr so selbstverständlich sei wie früher. Wenn wir uns also die musikalische DNA der geilsten Band der Welt (aus Österreich) anschauen, dann wandert unser Blick schnell in die Vergangenheit.
1. Prince – If I Was Your Girlfriend
Fangen wir also bei der Legende aus dem Paisley Park an: Prince. Der hatte vorgemacht, dass sich Funk mit elektronischer Musik vermischen lässt und trotzdem Sex-Appeal dabei herumkommt. Ernst sieht in Prince ein »Riesenvorbild«, einen der wenigen »Künstler, die sich über einen längeren Zeitraum immer wieder verändert und trotzdem qualitativ Hochwertiges abgeliefert« haben. Ein Anspruch, der deutlich aus dem Werk von Bilderbuch spricht, die auf jedem ihrer drei Alben anders klangen als zuvor oder danach. Nebenbei kratzen Bilderbuch wie auch Prince – Selbstbekenntnis: »I’m not a woman / I’m not a man / I’m something you’ll never understand« – gehörig an den gängigen Männlichkeitsvorstellungen, welche die Indie-Szene noch bis heute bestimmen. Wir drehen dann mal If I Was Your Girlfriend auf – Gruß und Bussi an die Brudis von Wanda!
2. David Bowie – Lady Stardust
À propos Gestaltenwandler, à propos angekratzte Männlichkeitsbilder: David Bowie ist natürlich ebenso zu einem der Vorbilder Bilderbuchs zu zählen. Ernst nennt ihn in einer Reihe mit Prince als einen Ausnahmekünstler. »Natürlich gibt es Ausrutscher, Phasen, die jetzt nicht so cool sind, aber die Rezeption verändert sich ja auch. Vor vier Jahren hätte ich noch gesagt: Scary Monster von Bowie, das ist ein Schas«, gab er in einem Interview zu und fügte hinzu, dass er früher vor allem auf Bowies Überalbum The Rise And Fall Of Ziggy Stardust And The Spiders From Mars im Player rotieren ließ. Er begreift aber Bowie als sich wandelndes Gesamtkunstwerk und sieht auch seine Band in dieser Tradition. »David Bowie hat so viele Stimmen und so viele Weisen, sich auszudrücken«, schwärmte er. »Ich habe auch mehr als eine Stimme. Ich singe mal Kopfstimme, mal wieder tief, habe auf jedem Album versucht, meine Stimme ein wenig zu verändern, sie weiterzutreiben und dann auf Altes zurückzugreifen.« Und wenn schon auf Altes zurückgreifen, dann aber auch auf die richtigen Klassiker, oder?
3. Falco – Vienna Calling
Der größte Bowie-Fan Österreichs ist Ernst aber damit noch lange nicht. Ein noch viel größerer nämlich fand sich im exaltiertesten Funkverteidiger des Landes: Falco. Der modelte sein eigenes Image in Anfangsjahren nach dem großen Idol, fand aber auch schnell zu seiner eigenen Existenz. Mit seiner Hip Hop-Affinität, seinem glamourösen Auftreten und seinen textlichen Spagaten zwischen Wiener Schmäh und US-amerikanischem Rap muss Falco doch Modell für den Bilderbuch-Style gestanden haben, oder? Von wegen! »Natürlich gibt es Gemeinsamkeiten, aber auch riesige Unterschiede«, ließ sich Ernst genervt von den ständigen Vergleichen zitieren. »Mit Falco ist das so eine Sache in Österreich. Er ist einfach ein Synonym für Popstar.« Eins aber gibt doch zu: »Nur diese Attitüde, das Selbstverständnis, einen Popsong hinzuknallen, der einfach kompromisslos sagt: ‚Da sind wir!‘ Das ist Falco, das ist wie Punk.« In der Hinsicht ist der ständige Vergleich eben doch ein Kompliment.
4. Kanye West – Monster (feat. Jay-Z, Rick Ross, Nicki Minaj & Bon Iver)
Vor allem können wir auch mal fünf gerade sein lassen und Falco in diese Liste aufnehmen, weil Rap ohne ihn vermutlich nicht so schnell im deutschsprachigen Raum angekommen wäre. Rap, Hip Hop, R’n’B sowie Trap sind Spielarten, die Bilderbuch ebenfalls in ihren wilden Stilmix integrierten. Nehmen wir Autotune: Das wurde als musikalisches Stilmittel von Cher bekannt gemacht, von T-Pain verfeinert und von Kanye West perfektioniert, bevor sich Crews zwischen Atlanta und dem Hanuschplatz draufstürzten. Kanye West ist eines der erklärten Vorbilder der Band und der Hip Hop-Ansatz ein essentieller Bestandteil des Bilderbuchschen Arbeitsprozesses. »Man bringt einfach zusammen, was einem gefällt«, sagt Ernst über den Arbeitsprozess seiner Band. »Ich würde sagen, es hat etwas mit R’n’B zu tun, mit Soul, es ist sehr amerikanische Musik.« Und was ist amerikanischer als Kanye Wests My Beautiful Dark Twisted Fantasy? Ernst schwärmt vor allem von Nicki Minajs – sonst für ihn eine »grenzwertige Künstlerin« – Feature-Auftritt auf Monster. Da komme ihre schöne Seite zum Vorschein. Die haben Bilderbuch zwischen all dem Glam und Glitter schließlich auch.
5. Bon Iver – Woods
Wer genau hinhört, wird auf Monster noch eine Stimme wiedererkennen: die von Bon Iver. Die sensibelste als Folk-Seelchen hatte Kanye Wests Interesse ebenfalls mit krassem Autotune-Einsatz geweckt. Der Song Woods von der EP Blood Bank war eine absolute Kuriosität, denn die Stimmangleichungssoftware schien mit der um Authentizität buhlenden Singer/Songwriter-Ästhetik des Genres doch so gar nicht zu vereinbaren. Das aber gerade macht den Clou von Justin Vernons neueren Songs aus und das steht ebenso im Zentrum von Bilderbuchs musikalischem Ansatz, die unter anderem für Vernons Album 22, A Million lobende Worte fanden. Alle Vorwürfe der Inszenierung prallen deswegen auch Bilderbuch ab. So wie der Autotune fester Bestandteil von Bon Ivers Sound geworden ist, so ist ihre überzogene Selbstdarstellung Ausdruck davon, wie sie selbst sind. Klingt paradox, ist es aber nicht.
6. The Strokes – Last Nite
Wo wir schon bei Authentizitätsfragen waren: Rock-Musik war immer die letzte Bastion des Echten und Handgemachten. Aber wie authentisch sind eigentlich ein paar US-amerikanische Kids, die sich auf einer feinen Privatschule in der Schweiz kennenlernen und eine Band gründen? Auch die Frage wollen und können wir hier nicht beantworten. Die einen auf dem Internat, die anderen in der Klosterschule – das ist noch nicht alles, was The Strokes mit Bilderbuch eint. Tatsächlich begannen Bilderbuch ihre bescheidene Karriere zu Teenagerzeiten damit, die Songs der Band nachzuspielen, die mit ihrem Album Is This It im Jahre 2001 die richtigen Fragen stellten und eine beispiellose Erfolgsgeschichte schrieben. Bilderbuch mussten da schon mehr ackern, es sollte sich aber ebenso auszahlen. Und vielleicht erspart ihnen die harte Arbeit auch das Schicksal der späten Strokes, die zunehmend in der Bedeutungslosigkeit versanken… Dann doch lieber Champagner im Jacuzzi schlürfen!
7. Ja, Panik – DMD KIU LIDT
Nicht nur The Strokes wie auch britischer Indie Rock von Oasis bis zu den Arctic Monkeys waren für Bilderbuch prägend. Auch der Einfluss einer anderen österreichischen Band auf das Quartett lässt sich nicht leugnen. Ja, Panik versetzten spätestens 2011 mit ihrem Album DMD KIU LIDT (spricht sich übrigens Die Manifestation des Kapitalismus in unserem Leben ist die Traurigkeit aus) die Indie-Welt in helle Aufregung. Da war plötzlich eine Band, die den Protestsong zu retten schien, vor Glanz und Gloria aber trotzdem nicht zurückschreckte! Ja, Panik waren damit auch eine der wegbereitenden Bands des revitalisierten Austropop-Crazes, dem Bilderbuch höchst kritisch gegenüber stehen: Nein, nur weil sie da herkommen, wollen sie darauf nicht reduziert werden. Dennoch: Was deutschsprachigen Rock angeht, bleiben sie lieber im Süden. »Die Bands der Hamburger Schule, die waren so kalt«, sagte Ernst. Zumal Ja, Paniks politischer Anspruch dem von beispielsweise Tocotronic in nichts nachstehen mag, der emphatische Stil der Landsmänner den Zappelphilippels von Bilderbuch schon eher reingehen wird. Die übrigens verpacken ihre Gesellschaftskritik lieber in Zweideutigkeiten. Das auf ihrem letzten Album besungene Magic Life findet schließlich in der Festung Europa statt und das wissen sie auch.
8. UB40 – Red, Red Wine
Die zwei österreichischen Acts – Falco und Ja, Panik – in dieser Liste haben eine Gemeinsamkeit, die ihnen Bilderbuch zugutehalten: ihre Haltung. Und Haltung ist nun mal nicht auf Herkunft herunterzubrechen, sondern ebenso international wie der Musikgeschmack der Bilderbuch-Boys. »Wir sind sehr offen und konsumieren jegliche Musik von ZZ Top bis zur ärgsten Jamaika-Mucke. Das ist uns so ein bisschen wurscht«, zuckt Ernst gerne die Schultern. »Und wenn du dann das alles zueinanderfügst, dann kriegst du wieder Bilderbuch raus.« Auf die Stichelei eines Interviewers, dass Bilderbuch dann schnell mal nach UB40 und ihrem Blue-Eye-Reggae-Hit Sunshine Reggae klängen, antwortete Ernst wie aus der Pistole geschossen: »Du hast schon recht. Wobei du dir auch mal die drei Hits von UB40 anhören musst. Die sind super geil. Das ist natürlich auch in den Dreck gezogen worden. Logischerweise, weil es eben totgespielt wurde und ein bisschen unsympathisch ist. Und trotzdem muss man sagen: Hey, das törnt schon richtig an, irgendwie.« Überraschende Worte – aber typisch Bilderbuch: Da wird sich nicht geschämt, da werden Zugeständnisse gemacht.
9. Tina Turner – Don’t Give Up (live with David Bowie)
Dass dann Ernst bei einer Show im österreichischen Radio einen Tina Turner-Song auflegt, überrascht da eigentlich nicht mehr. Vor allem nicht, wenn ein alter Bekannter dabei ist: David Bowie. Als Turner und Bowie 1984 gemeinsam Don’t Give Up aufnahmen, war zwar noch keines der Bandmitglieder geboren und Ernst gibt offen zu, dass sie ihre Kindheit nicht in geschmackssicheren Elternhäusern verlebt haben. Aber irgendwann kommen eben alle auf die Achtziger – und was ist denn schon der größte Bezugspunkt von Bilderbuch, wenn nicht die Hairspray-Dekade? Na, klar: Die Zukunft, oder die »Future«, wie Ernst gerne sagt. Der Weg in die führt aber meistens mit einem kleinen Umweg durch die Vergangenheit über die Gegenwart. Und Don’t Give Up ist doch letztlich die beste Losung für eine zukunftsorientierte Band, oder nicht?
10. Casper – Auf und davon
Gegenwart ist das Stichwort. In den vergangenen Jahren haben Bilderbuch in der zeitgenössischen Musiklandschaft ihre Spuren hinterlassen. Cloud Rap österreichischen Zungenschlags, der wild mit Autotune experimentiert etwa wurde von ihnen vorbereitet. »Wer Schick Schock kennt, der kennt unseren Song Barry Manilow und das ist ja im Prinzip der erste Cloud Rap-Song, den es in Österreich gegeben hat«, brüstete sich Ernst. »Von der Struktur, von der Sprache, Autotune. Diese Drugginess, dieser R’n‘B im Song, auch der Sprachwechsel im Song.« Na, wenn er das sagt! Einen Rapper, wenngleich einen deutschen, hat zumindest das Video Karibische Träume dermaßen inspiriert, dass er die wilde Husky-Jagd auch in einem seiner Videos auftauchen ließ. Caspers Auf und davon blieb aber bei weitem nicht das einzige Zugeständnis der Rap-Szene an Bilderbuch. Juicy Gay zum Beispiel hat sich den Track Sweetlove geschnappt und kaum mehr getan, als ein paar Lines darüber zu legen. »Aber wir nehmen das hin und freuen uns, dass er was macht. Weil wir realistisch sind. Solange das nicht ein Riesenhit wird, braucht sich da niemand anscheissen«, so Ernst. Und eh: Ist doch schön, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.
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Popkultur
Zeitsprung: Am 20.3.2000 veröffentlichen Metallica „No Leaf Clover“.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 20.03.2000.
von Christof Leim
Neue Songs gab es von Metallica um die Jahrtausendwende wenige. Eine der Ausnahmen taucht 1999 bei der Orchesterkollaboration S&M auf: No Leaf Clover. Am 20. März 2000 erscheint die Single dazu.
Hier könnt ihr euch S&M anhören:
Endlich neuer Stoff: Als Metallica im November 1999 unter dem Titel S&M den Mitschnitt ihrer Auftritte mit dem San Francisco Symphony Orchestra veröffentlichen, liegt Reload schon zwei Jahre zurück, Garage Inc. von 1998 enthält nur Coverversionen. Auf S&M ballert die Band im Wesentlichen ihre sattsam bekannten Hits und ein paar „deep tracks“ unverändert runter, während das Orchester unter der Leitung von Michael Kamen dazu spielt, quasi „draufgeflanscht“ wurde. Dabei schafft das klassische Ensemble manchmal mehr emotionale Tiefe und Spannung, oft genug sucht es aber auch vergeblich die Lücken im Riffgeknatter. (Wie das alles so kam, erzählen wir ein andermal bei einem Zeitsprung über S&M.)
Zwei Welten
Metallica-Freaks weltweit können sich dabei über zwei unveröffentlichte Stücke freuen: den Godzilla-gleichen, recht einfachen Stampfer – Human (ausgesprochen: „Minus Human“) und ein Lied namens No Leaf Clover. Beide sollen Überbleibsel der Load/Reload-Sessions sein, und das hört man. Damals hatten Metallica unter viel Wehklagen der Szenewächter den Pfad des „Stählernen“ verlassen und sich für ein paar Jahre von Metal und Thrash allgemein Richtung Rock orientiert.
Metallica und Michael Kamen (l.) im Dezember 1999 bei den Billboard Music Awards – Foto: Brenda Chase Online USA, Inc./Getty Images
Im Rahmen des S&M-Projektes funktionieren die beiden neuen Songs deshalb gut, da hier Orchester und Metallica eben nicht nur nebeneinander spielen, sondern weil die beiden Welten sich ergänzen. No Leaf Clover beginnt mit einem dramatischen Intro mit Pauken, Streich- und Blasinstrumenten, das die Band heute noch vor Liveeinsätzen des Stückes laufen lässt. Es folgen unverzerrte Akkorde von Meister Hetfield, über die sich fast so etwas wie Filmmusik spinnt. Natürlich lassen die harten Riffs nicht lange auf sich warten, und für die Strophen bräuchten Metallica und der Song das Orchester nicht mehr. Im Laufe von 5:43 Min. wechseln sich laut und leise, hell und dunkel, rockig-direkt und klassisch-umspielt immer wieder ab und machen aus No Leaf Clover ein kleines Schätzchen aus der zweiten Reihe der Metallica-Werke.
Keinblättriges Kleeblatt
Textlich scheint sich James Hetfield hier mit den Fallstricken von Ruhm und Reichtum zu beschäftigen: Ein Protagonist spürt seine Chance („feels right this time“) auf einen Durchbruch („crash course with the big time“), ignoriert aber Warnungen („pay no mind to the distant thunder“). Doch das scheint zu kurz gedacht zu sein („sucker for that quick reward“), denn im Chorus stellt sich heraus, dass hinter dem „beruhigenden Licht am Ende des Tunnels“ doch nur ein Zug steckt. Dazu passend verbirgt sich die schwarzmalerische Aussicht schon im Titel, der auf ein „four leaf clover“ anspielt, ein vierblättriges Kleeblatt also. Damit meint ein No Leaf Clover also alles andere als einen Glücksbringer.
Abgesehen davon, dass die abgenutzte Licht/Tunnel/Zug-Metapher für Hetfields Verhältnisse ziemlich schwach daherkommt, schlägt No Leaf Clover damit in eine ähnliche Kerbe wie The Memory Remains. Dass sich ein sensibler Texter wie der Metallica-Frontmann noch eine knappe Dekade nach dem unfassbaren Erfolg des Black Album mit Ruhm, Erfolg und ihren Nachteilen beschäftigt, verwundert nicht. Nachzulesen sind die Textzeilen hier.
Kunstanalystische Tresengespräche
Der Blog Toilet Ov Hell (heißt wirklich so, cooler Name) schreibt in einem gelungenen Kommentar, dass No Leaf Clover womöglich „der letzte Windstoß echten künstlerischen Wachstums“ für Metallica gewesen sein könnte, bevor sie sich in ihre „enttäuschende, aber verdiente“ Rolle als so genannter „Legacy Act“ zurückgezogen haben. So bezeichnet man üblicherweise eine Gruppe, die vor allem von ihrer und durch ihre gewaltige Geschichte lebt. Verständlich wäre es im Falle unserer Helden, denn die glorreichen Zeiten der ebenso innovativen wie alkoholgetränkten Ballerei auf Großtaten wie Ride The Lightning (1984) und Master Of Puppets (1986) ist mit dem Jahreswechsel 1999/2000 schon anderthalb Dekaden her.
T-Shirt-Motiv zum Titel
Ob das so stimmt, kann man diskutieren, und das machen wir auch gerne an jedem Festivaltresen der Welt, aber ganz Unrecht haben die Leute von Toilet Ov Hell nicht. Und zwar aus folgendem Grund: Man darf die lärmige Therapiestunde St. Anger (2003) und die unfassbar unerträglich beschissene Kollaboration mit Lou Reed auf Lulu (2011) zwar als künstlerische Statements bezeichnen, aber unstreitbar Großes wie in den ersten zehn Jahren ihrer Geschichte haben Metallica damit wohl nicht geleistet. Auf Death Magnetic (2008) und Hardwired…To Self-Destruct (2016) liefert das Quartett zwar guten Stoff, wiederholt aber bekannte Formeln und Formate. Ob das reicht, muss die Headbangerschaft noch am Tresen klären.
Liveeinsätze
Als erste Single von S&M wird zeitgleich Nothing Else Matters ausgekoppelt, No Leaf Clover folgt erst vier Monate später am 20. März 2000. Mit der Nummer erreichen Metallica einen Platz 74 in den allgemeinen US-Charts und sogar die Spitze der Mainstream Rock Charts. In Deutschland reicht es für Platz 40.
Für die Konzerte packen sie den Song immer mal wieder auf die Setlist, bis März 2020 insgesamt 125 Mal, wie etwa beim Konzert in Köln im Sommer 2019 (vollständiger Bericht hier). Die andere neue Nummer – Human bringt es nur auf vier Einsätze. Zum Vergleich: Das Stück Master Of Puppets haben die Burschen schon 1671-fach gespielt. Auch bei der einmaligen Neuauflage des Orchesterprojektes im Jahr 2019 unter dem Titel S&M2 gehört die Nummer natürlich zum Aufgebot. Für ein Schätzchen aus der zweiten Reihe ist das schon in Ordnung.
Popkultur
Zeitsprung: Am 19.3.1955 kommt Sänger & Schauspieler Bruce Willis zur Welt.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 19.3.1955.
von Timon Menge und Christof Leim
Er hat Hochhäuser gesichert, als Preisboxer um sein Leben gefürchtet und mehrfach den Planeten gerettet, zumindest auf der Kinoleinwand. Was die meisten nicht wissen: Action-Star Bruce Willis kann auch Blues. Heute feiert er Geburtstag.
Hier könnt ihr euch The Return Of Bruno anhören:
Alles beginnt in Rheinland-Pfalz, denn Walter Bruce Willis kommt am 19. März 1955 in Idar-Oberstein zur Welt. Das liegt daran, dass sein Vater David als US-Soldat in Deutschland arbeitet und dort Marlene kennenlernt, die Mutter von Bruce. 1957 zieht die Familie wieder in die USA und lebt ihr Arbeiterleben weiter; Mutter Marlene arbeitet bei einer Bank und Vater David als Schweißer, Mechaniker und Fabrikarbeiter.
Vom Stotterer zum Schulsprecher
Als Willis auf die High School kommt, entwickelt er ein Stotterproblem, und zwar so stark, dass seine Mitschüler ihm den Spitznamen „Buck-Buck“ verpassen. Das ändert sich, als er der Schauspiel-AG beitritt. Er bekommt das Stottern in den Griff, sammelt erste Schauspielerfahrung und arbeitet an seinem Selbstbewusstsein. Schließlich wird er sogar zum Schulsprecher ernannt.
Filmposter von Armageddon
Nach dem High-School-Abschluss 1973 arbeitet Willis in einem Atomkraftwerk, später als Privatdetektiv. Danach widmet er sich voll und ganz seiner Schauspielkarriere und wir wissen, was daraus wurde. Filme wie Stirb langsam (1988), Pulp Fiction (1994), Armageddon (1998) und The Sixth Sense (1999) verhalfen Bruce Willis zu internationaler Berühmtheit, viele der Streifen sind heute Klassiker. Er kann aber auch anders.
Bruce und der Blues
Viele wissen es nicht: Willis hat auch zwei Musikalben veröffentlicht und zwar noch vor seinem Durchbruch als Schauspieler. Sein Debüt The Return Of Bruno bringt die legendäre Plattenschmiede Motown am 20. Januar 1987 auf den Markt. Darauf singt er einerseits Blues-Stücke von Ry Cooder, Jerry Leiber/Mike Stoller und Allen Toussaint; für Jackpot (Bruno’s Bop) betätigt er sich aber auch als Komponist. Under The Boardwalk, ein Drifters-Cover, erreicht sogar Platz zwei der britischen Single-Charts. Die Kritiken fallen allerdings durchwachsen aus.
Das Album gehört zu einem großen Special des US-Fernsehsenders HBO, das kurz nach der Veröffentlichung der Platte ausgestrahlt wird. Nicht zuletzt wegen dieser Größenordnung werden Willis hochkarätige Musikerinnen und Musiker zur Seite gestellt, wie Booker T. Jones, die Pointer Sisters und die Temptations. Mit If It Don’t Kill You, It Just Makes You Stronger erscheint 1989 noch ein zweites Album.
Bruce Willis heute
Heute lebt Willis mit seiner Frau Emma Heming und seinen beiden Töchtern in Los Angeles. Ob wir nochmal auf ein Album hoffen dürfen? Wir wissen es nicht. Vielleicht singt Willis nur noch unter der Dusche. Es wäre schade, denn seine beiden bisherigen Veröffentlichungen sind gar nicht schlecht. Seine Schauspielkarriere musste er zudem beenden, da Anfang 2022 bei ihm Aphasie diagnostiziert wurde, eine Störung der Sprache. Ein Jahr wurde zudem Demenz festgestellt. Willis zog sich deshalb aus der Öffentlichkeit zurück. Wir wünschen nichtsdestotrotz alles Gute zum Geburtstag!
Zeitsprung: Am 27.2.2015 stirbt der Schauspieler – und Musiker – Leonard Nimoy.
Popkultur
Zeitsprung: Am 18.3.1965 pinkeln die Rolling Stones an eine Tankstelle.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 18.3.1965.
von Tom Küppers und Christof Leim
Seien wir ehrlich: Mehr oder weniger ungehöriges Benehmen gehört einfach zum Rock’n’Roll. Die Rolling Stones könnte man vielleicht sogar die ersten Rebellen der modernen Rockgeschichte nennen. Am 18. März 1965 jedenfalls produzieren sie einen kleinen Skandal, der mit unverhandelbarer Dringlichkeit und anatomischen Besonderheiten zu tun hat…
Hier könnt ihr euch die frühen Stones anhören:
Wer in einer Band spielt, egal ob als Hobbyist oder Profi, kennt die Situation. Nachts, Rückweg vom Gig, die Blase drückt. Damals wie heute gilt: ran an die nächste Tankstelle. So geht es auch den Rolling Stones am 18. März 1965. Die Band und ihre Crew fahren also vor, Bassist Bill Wyman (gilt als einer der ruhigen Vertreter in der Gruppe) fragt Charles Keeley, einen 41-jährigen Angestellten wo man denn „mal kurz Wasser lassen könnte“. Keeley, der Wyman später als „zotteliges Monster mit dunkler Brille“ beschreiben wird, entgegnet, dieses Etablissement verfüge nicht über Sanitäranlagen.
Blasendruck & Schreihals-Modus
Mit dieser unglaubwürdigen Antwort hat keiner gerechnet, wie sich Wyman in seiner Biografie erinnert. „Ich musste inzwischen wirklich dringend, ging zum Auto zurück und erklärte, was eben passiert war.“ Sänger Mick Jagger will der Sache auf den Grund gehen und betritt mit Gitarrist Brian Jones sowie Wyman im Schlepptau nochmal die Tankstelle. Er fragt noch mal nach dem Abort, doch der Mitarbeiter ist inzwischen im Schreihals-Modus angelangt.
Ein zotteliges Monster ohne Brille, aber mit Artgenossen: Bill Wyman (2.v.r.) und die Rolling Stones
„Na gut“, denkt sich Jagger und erklärt, das man sch eben woanders erleichtern würde. Die Stones (minus Schlagzeiger Charlie Watts, der später zu Protokoll gibt: „Ich habe im Auto geschlafen, Mann!“) steuern eine nahegelegene Mauer an, reihen sich auf und lassen der Natur ihren freien Lauf. Gitarrist Keith Richards erinnert sich in seinen lesenswerten Memoiren namens Life daran, das als nächstes – wie aus dem Nichts – die Polizei auftaucht. „Wir stehen da, lassen laufen, und auf einmal zückt ein Polizist seine Taschenlampe und beleuchtet Bills Genital.“ Unangenehm. Am nächsten Tag wird gegen Jagger, Wyman und Jones Anzeige erstattet.
Anatomische Besonderheiten
Als Zeuge dient ein an diesem Abend ebenfalls anwesender Kunde, der sich persönlich von den Musikern auf den Schlips getreten fühlt und ihnen „ekelhaftes Benehmen“ unterstellt. Als das ganz dann im Juli 1965 vor Gericht landet, stehen die Stones mit (I Can’t Get No) Satisfaction auf der Nummer eins der Charts. Die Verhandlung selbst verläuft ohne größere Zwischenfälle, es gibt ein kleine Geldstrafe und eine Standpauke von Richter Morey. „Bloss weil sie die höchsten Weihen ihrer Profession erreicht haben, gibt ihnen das nicht das Recht sich so aufzuführen.“
Richards lüftet dann in seinem Buch Jahrzehnte später den mutmaßlichen Grund dafür, warum die Band überhaupt erwischt wurde. „Die Sache mit Bill ist die, und das ist wahrscheinlich eine der am besten gehüteten Geheimnisse der Rolling Stones: Er besitzt eine der größten Blasen in der Geschichte der Menschheit.“ Bitte was? Der Stones-Gitarrist führt gerne aus: „Wenn der aussteigt um zu pinkeln, dann weißt du genau, das du erstmal die nächste Viertelstunde festhängst. Meines Wissens nach hat Bill es noch nie unter fünf Minuten geschafft.“ Mit anderen Worten: Die Rock-Helden wurden erwischt, weil sie zu lange gebraucht haben. Trotzdem: Verglichen mit dem, was Popstars heute abziehen, um in den Schlagzeilen zu gelangen, wirkt dieser kleine Ausrutscher vom 18. März 1965 doch geradezu niedlich, oder?
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