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Popkultur

„Jeder Song hat ein paar Fehler!“ – Airbourne im Interview zu ihrem neuen Album „Boneshaker“

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Airbourne 2019
Foto: Travis Shinn

Für die Aufnahmen ihres fünften Studioalbums Boneshaker zog es die australischen Hard-Rocker von Airbourne in die USA – genauer gesagt ins geschichtsträchtige Studio A in Nashville. Dort spielte die Band, unter Anleitung des dort ansässigen Produzenten Dave Cobb in wenigen, live eingespielten Takes das gesamte Album ein.

Boneshaker ist auf das absolut Wesentliche reduziert: Zehn Songs und dreißig Minuten lang gibt es Oldschool-Rock’n’Roll, der die Vorbilder und Wegbereiter*innen (allen voran AC/DC) ordentlich hoch- und vor allem aufleben lässt. Wir trafen Schlagzeuger und Gründungsmitglied Ryan O’Keefe und Gitarrist Matt „Harri” Harrison zum Interview in Berlin.

 von Markus Brandstetter

Hört hier in die Single Boneshaker von Airbourne rein

Für euer neues Airbourne-Album Boneshaker habt ihr erstmals mit dem Produzenten Dave Cobb gearbeitet. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Ryan: „Wir wollten das Album live aufnehmen – zusammen in einem Raum, als Band. Gerade in den letzten Jahren und Jahrzehnten trifft man aber meistens auf Produzenten, die alles isoliert aufnehmen wollen. Das macht das Mixen ja auch einfacher. Man hat das Schlagzeug in einem Raum, die Verstärker in einem anderen. Man hört die Dinge anders. Wenn die Band in einem Raum aufnimmt, kann das für einen Produzenten zum Albtraum werden, vor allem, wenn es ihm um Perfektion geht. Aber darum ging es uns gar nicht.

Mit Dave war es toll, denn er ließ Imperfektion auf den Songs zu. Ich denke, jeder Song auf dem Album hat ein paar Fehler, aber das gibt den Stücken Charakter. Die Leute, die das Album kennen, erzählen uns außerdem, dass sie jedes Mal neue Dinge in den Songs entdecken. Das macht die Sache speziell.”

Wie viele Takes habt ihr denn pro Song so gebraucht?

Harri: „Ein oder zwei Takes, mehr nicht. Es ging sehr schnell. Schließlich haben wir mit Dave viel über unsere Lieblingsalben gesprochen – und nie ging es dabei um perfekte Alben. Egal, ob es sich um Alben von The Rolling Stones, The Beatles, AC/DC oder Led Zeppelin handelt: Es gibt Fehler darauf, aber sie fangen alle eine bestimmte Energie ein. Genau das wollten wir ebenfalls erreichen. Die Hälfte der Zeit schafften wir die Takes, ohne dass wir es selbst mitbekommen hätten. Wir dachten, wir arbeiten gerade an Teilen, stecken die Songs erstmal ab – dann kam Cobb rein und sagte: ‚Das ist es, Jungs. Wir haben’s!’


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Es brauchte ein, zwei Wochen um uns auf diese Arbeitsweise einzustellen. Zunächst dachten wir uns: Häh, wie soll das fertig sein, wir kennen ja das Stück noch nicht mal richtig. Aber dann hörten wir es uns mit etwas Abstand an und merkten, dass die Energie durch die Lautsprecher auf uns zukam. Das war eine tolle Art, zu arbeiten. Alles fühlte sich neu an. Dave Cobb hilft wirklich dabei, den modernen Anspruch an Recording wieder in diese Richtung zurückzuführen – und nicht alles zu polieren. Viele moderne Alben klingen alle gleich, zu perfekt und seelenlos. Es ging darum, dass das Album Seele und Energie versprühen soll.“

Spürt man einen gewissen Druck, wenn man weiß: Es geht jetzt um den perfekten Take?

Ryan: „Nein, das ist ganz leicht. Es fühlte sich nicht anders an, als in unserem Proberaum in Melbourne zu stehen. Der einzige Unterschied: Da war eben ein Typ, der uns dabei aufnahm. Seit ich elf Jahre alt bin und das erste Mal mit meinem Bruder [Airbourne-Sänger Joel O’Keefe – Anm. d. Red.] gespielt habe, erinnere ich mich daran, wie es sich anfühlt, ein Riff zum ersten Mal zu spielen. Wenn du es danach spielst, ist es immer noch cool – aber wenn du es zum ersten Mal spielst, schaust du dich gegenseitig an und weißt, du bist gerade auf irgendwas gestoßen.

Dave Cobb hat einfach recht, wenn er sagt, der erste Take ist immer der bemerkenswerteste. Deswegen war das genial – man muss als Produzent aber schon viel Mut haben, ein Album so anzugehen. Das ist in dieser Industrie oft so: Leute, die etwas total einfach aussehen lassen, machen meistens einen extrem guten Job.“

 

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Die Rolle eines Produzenten ist ja nicht ganz definiert: Manche greifen ins Songwriting ein und sind quasi Teil der Band, andere drücken einfach nur den Aufnahmeknopf. Wo war Dave Cobbs Rolle anzusiedeln?

Ryan: „Ein bisschen was von allem. Er war der Projektmanager. Er wusste, wann die Songs gut waren, die Lyrics gut waren oder noch Arbeit brauchten. Er wusste, was zu tun war und machte Vorschläge. Er ist sehr smart in dem, was er tut – und sehr bewandert in der Musikgeschichte.”

Ihr kamt also großteils mit unfertigen Songs ins Studio?

Ryan: „Wir hatten viel Zeit, an Riffs zu arbeiten, Songs zu schreiben. Demos hatten wir keine gemacht, aber über diesen Punkt sind wir bereits hinweg. Wir wollen nicht mehr mit 15 Demoaufnahmen ankommen und diese im Studio polieren. Die Band ist an einem Punkt, an dem wir etwas besonderes an einem Tag einfangen wollen. Es gibt keinen Song in Melbourne, den wir in Nashville dann genau so aufgenommen hätten. Es wurde alles neu gemacht.”

Harri: „Wir haben einfach jeden Tag etwas ganz Neues gemacht. Es gibt keinen Song, an dem wir am Vortag gearbeitet hatten und gesagt: ‚Lass uns morgen weitermachen’.“

Wie lange wart ihr insgesamt im Studio?

Ryan: „Sechs Wochen, fünf davon haben wir aufgenommen. Das Mixing dauerte anschließend noch eine Weile.“

Wir reden hier natürlich nicht von irgendeinem Studio, sondern dem Studio A in Nashville, ein historischer Ort. Wie war es, in dieser Umgebung aufzunehmen

Ryan: „Die Umgebung, in der du aufnimmst, ist extrem wichtig für das Album. Man zehrt von den Geistern im Raum. Das half, die Platte so werden zu lassen. Dass Johnny Cash einen Meter von meinem Drumkit gesungen hat, das ist schon toll. Die Dellen im Boden sind wahrscheinlich von ihm gewesen.“

Harri: „Ja, von seinen Cowboystiefeln. Dave ist der Typ, der sich verantwortlich für die Geschichte des Studios fühlt und den Künstlern, die bei ihm aufnehmen, die Geschichte des Ortes näherbringt. Fast jeden Tag kam er mit irgendwelchen Fotos, zum Beispiel von den Rolling Stones, Johnny Cash oder Elvis, wie sie hier aufgenommen haben. Es war cool, ein Teil dieses Ortes zu sein, des Erbes eines berühmten Studios“.

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Habt ihr auf Bandmaschine aufgenommen?

Ryan: „Ja, auf Tape. Wir haben immer schon auf Tape aufgenommen, das ging soweit, dass ich mir aus russischen Warenhäusern Bänder liefern ließ. Wir hätten es bei diesem Album nicht vorausgesetzt, aber Dave meinte nur: ‘Oh, das werden wir definitiv so machen. Natürlich nehmen wir auf Tape auf!’ “

Harri: „Dave meinte nur: ‘Warum zum Teufel sollten wir denn NICHT auf Band aufnehmen?’ Das war seine Antwort.”

Ryan: „Als ich Dave erzählte, dass ich mir immer Tape aus Russland kommen ließ, meinte er nur: ‘Das ist seltsam! Der Drummer sollte sich nicht darum kümmern müssen, Bänder zu besorgen. Ihr sollt euch um die Songs kümmern, der Produzent kümmert sich um sowas.’“

Hattet ihr auch die Möglichkeit, etwas von Nashville zu sehen?

Ryan: „Ja, wir sind ein paar Mal ausgegangen. Tolle Stadt. Eine Menge Musik, tolle Musiker. Es ist schön, in einer Stadt zu sein, die Gitarrenmusik schätzt. Denn viele Orte auf dieser Welt tun das ja nicht. Die schätzen nur Computer, USB-Sticks und schräg aufgesetzte Baseballcaps. Es ist gut, ein Schulterklopfen zu fühlen. Du gehst aus dem Studio und da steht plötzlich ein Typ auf der Straße und spielt Thunderstruck. Das ist cool, ein perfekte Stadt für Musik.“

 

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Wie würdet ihr die Platte denn selbst beschreiben?

Ryan: „Die hier macht mehr Spaß als die davor. Es ist Good Time Rock’n’Roll. Die Band hat viele verschiedene Sachen gemacht, aber Boneshaker zeigt, worum es bei der Band geht. Nämlich darum, eine gute Zeit zu haben. 30 Minuten, du sollst sie auflegen und Spaß dabei haben.“

Wann kamen die Lyrics ins Spiel?

Ryan: Wir kümmerten uns zunächst um die Instrumentals, Schlagzeug, Gitarren, Bass, alles zusammen. Wir haben die Energie eingefangen – und dann nutzen wir diese Aufnahmen, um Inspiration für die Texte zu finden. Das ging dann ziemlich einfach.“

Waren die Gesangsaufnahmen dann auch spontan und intuitiv?

Ryan: „Das dauerte nicht lange. Joel hat die Gesangsspuren nicht in der Gesangskabine aufgenommen, sondern am Mischpult.“

Harri: „Bei ein paar Songs sogar mit einer extrem laut laufenden Anlage. So, als wäre es ein Live-Gig. Ein paar Bier, ein bisschen rumhüpfen und ausflippen”.

Ryan: „Deswegen gibt’s da eine Menge Bleed auf den Aufnahmen.“

Harri: „Es gab ja auf den Instrumentalaufnahmen schon extrem viel Bleed – die Bassmikros, die ins Schlagzeugmikrofon ausstreuten, das Schlagzeugmikrofon, das in die Mikros der Gitarrenamps ausstreute. Und dann nimmt Joels noch die Vocals auf mit einer PA, die ihm ins Gesicht bläst.“

Airbourne kündigen ihr neues Album „Boneshaker“ an

Nahmt ihr euer eigenes Equipment mit ins Studio?

Harri: „Es war ja meine erste Platte mit der Band – aber mir wurde gesagt, es war die kleinste Menge an Equipment, das wir je mitnehmen mussten. Wir sind rübergefahren mit der Einstellung, ohne riesige Optionen vorzugehen und nicht mit dreißig Gitarren rumzuspielen und Zeit zu verschwenden. Ein paar Gitarren, ein paar Amps, mehr haben wir nicht mitgenommen. Nicht nur das Studio, auch Dave Cobb hat eine riesige Sammlung an Schlagzeugen, Amps, Gitarren.

Die ersten ein, zwei Tage waren wir wie Kinder im Süßwarengeschäft. Dave Cobb ist da genau so wie wir. Er hat mit Joel und mir über Gitarren abgenerdet. Am Ende wurde es dann eine Mischung aus Equipment, das wir mitgebracht hatten und Dingen, die bei ihm rumstanden. Wir entschieden uns einfach für das, was gut klang und machten uns nicht allzu viele Gedanken. Es sollte nicht zu kompliziert werden. Die Songs sollten wie der Raum klingen, in dem sie aufgenommen worden. Wenn ich mir die Aufnahmen anhöre, fühle ich mich in den Raum zurückversetzt. Das ist wirklich cool.”

Man hört also das Studio A raus.

Ryan: „Ja, absolut.“

Lasst uns über das Mixing sprechen – das ist ja bei einer live aufgenommen Platte wie eurer – Stichwort: Bleeding – ja nochmal ein ganz eigenes Thema.

Ryan: „Ich glaube, Mixing wird zu wenig Respekt gezollt. Die Platte ist wahrlich nicht fertig, bevor der Mix fertig ist. Greg Gordon hatte wirklich eine Menge Arbeit vor sich. Wenn man alles isoliert aufnehmen, ist es einfacher zu mixen – aber eine Platte zu mischen wie damals in den 1970er-Jahren, dazu braucht es einen echten Profi. Aber es gibt diese Typen noch, und wir hatten das Glück, einen von ihnen zu haben.“

Harri: „Mit Isolierung und Sound-Replacement ging die Kunst des Mixing auch irgendwie verloren. Für die Art von Album, die wir machen wollten und schlussendlich auch machten, brauchte es einen Oldschool-Typen wie Greg Gordon.“

Ryan: „Wir sind eine Oldschool-Band, wir brauchten einen Oldschool-Producer und einen Oldschool-Mixer, um das ganze zu schaffen.“

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