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Popkultur

Vor 60 Jahren wachen die Beatles nach ihrem ersten Konzert in Hamburg auf

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The Beatles
Die frühen Tage: The Beatles Anfang 1962 – noch mit Pete Best als Drummer. (Foto: Michael Ochs Archives/Getty Images)

Vom internationalen Durchbruch sind die Beatles noch weit entfernt, als sie vor genau 60 Jahren ihr erstes Engagement zwischen den zwielichtigen Schuppen St. Paulis antreten. Dafür lernen sie im Sündenpfuhl Hamburgs, was sich später als essentiell herausstellen wird: Selbstbewusstsein, Entertainment und das wilde Leben des Rock’n’Roll.

von Björn Springorum

1960 sind die Beatles noch junge Lausbuben, die naiv vom ganz großen Ruhm träumen. Natürlich ohne recht zu wissen, wie sie das anstellen sollen. Nach eher mauen Engagements in Liverpool, nach einer ersten, recht chaotischen Tournee durch Schottlands Hinterland als Backing-Band von Johnny Gentle und nach vielen, vielen Rückschlägen flattert im Sommer 1960 dann doch ein erstes vielversprechendes Angebot ins Haus. Und das wirklich keine Sekunde zu früh: Immer noch fehlt ihnen der feste Drummer, alles, was sie gerade beschäftigt, ist ein Engagement in einem Strip Club in Liverpool, wo sie für jeweils zehn Schilling ihre Gitarren zupfen, während eine Tänzerin namens Janice ihrer Arbeit nachgeht.

„Bitte schickt nicht diese Schnarchnasen rüber!“

Mehr durch Zufall als durch Glück fallen die Beatles der halbseidenen Figur des Bruno Koschmider ins Auge, der den Kaiserkeller in Hamburg betreibt. Der erweist sich mehr und mehr als Epizentrum der heißesten britischen Bands und gilt in Liverpool längst als Karrieresprungbrett. Weil die eigentlich gewünschten Rory Storm And The Hurricanes zeitlich verhindert sind und auch der Ersatz woanders verpflichtet ist, werden widerwillig die Beatles über den Kanal geschickt. Noch hatten die aber einen derart schlechten Ruf, dass es von den britischen Bands aus Hamburg Protest hagelt: „Bitte schickt nicht diese Schnarchnasen rüber“, sollen die bereits auf St. Pauli etablierten Seniors ausgerufen haben.

Es kommt dann aber eben doch alles ganz anders. Die Beatles können ihre Eltern überreden, angeln sich Pete Best als Schlagzeuger und machen sich bereit für ihre ersten zwei Monate auf der Reeperbahn. Es wird eine Zeit, so viel ist klar, die alles verändern wird. Anfangs sieht es aber nicht danach aus. Schon die Reise nach Hamburg wird fast zum Desaster: John Lennon hat noch keinen Pass, sie haben eigentlich keine Kohle für ein Bühnenoutfit und George Harrison ist noch nicht volljährig.

Von wegen Kaiserkeller

Irgendwann, irgendwie rollen sie dann aber doch erstmals über die Reeperbahn. Man kann sich kaum vorstellen, wie die Neonreklame, die Etablissements, die zwielichtigen Typen, die Energie auf diese fünf (neben Paul McCartney, Lennon, Harrison und Neuzugang Best zählt damals noch Stu Sutcliffe zur Besetzung) gewirkt haben müssen – die gedrungene Gestalt des Impressarios Koschmider eingeschlossen. Der zeigt ihnen erst den pompösen, nautisch dekorierten Kaiserkeller, bei dessen Anblick sich die Beatles bereits wie Rockstars gefühlt haben dürften; doch dann nimmt er sie mit in seinen anderen Club, Indra, in einer dann doch eher wenig wünschenswerten Ecke des Amüsierviertels.

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Hier, in einem heruntergekommenen Kellerkabarett, sollen die Beatles die nächsten acht Wochen unterhalten, für viereinhalb Stunden an Werktagen und sechs Stunden an Wochenenden. Noch schlimmer dürfte ihnen ihre Unterbringung erschienen sein: Auf der anderen Straßenseite des Clubs befindet sich das ebenfalls von Koschmider betriebene Bambi Kino, wo die Beatles sich fortan einen Raum direkt hinter der Leinwand teilen – und die Kinotoiletten als Badezimmer nutzen.

Geboren in Liverpool, aufgewachsen in Hamburg

Am 17. August 1960 spielen sie ihr erstes Konzert im Indra. Ein halbes Dutzend Besucher*innen schaut ihnen desinteressiert zu, während die alte Dame von oben ständig mit dem Besen auf den Boden hämmert und sich bei der Polizei über den Lärm beschwert. So etwas darf man aber natürlich mit John Lennon nicht machen: Um das stoische Publikum zu verballhornen, denkt er sich die absurdesten Moves aus – und um die alte Dame zur Weißglut zu treiben, stampfen die vier Beatles wie verrückt mit den Füßen auf den Boden, während Pete Best einfach nur so laut wie möglich spielt. Das kommt an: Nach und nach kommen mehr Besucher*innen, um diese wilden Typen aus Liverpool zu sehen – darunter auch die anderen britischen Bands, mit denen die Beatles bald schon grölend, trinkend und feiernd um die Häuser ziehen. Preludin und Bier sei Dank werden ihre Konzerte zu manischen, frenetischen Exzessen, die Lennon mal zu seinem berühmten Ausspruch brachten, er sei in Liverpool geboren, aber in Hamburg groß geworden.

Das bemerkt natürlich auch der findige Koschmider, der sie bald darauf in den Kaiserkeller transferiert. Endlich! Die Beatles spielen vor hunderten ausrastenden Seefahrern aus England und den USA, vor Hamburger*innen, vor dem bulligen Türsteher Horst Fascher, der die Beatles sofort ins Herz schließt und mit Argusaugen beschützt. In den lauten, schwitzigen, dröhnenden Kaiserkeller stolpert eines Abends auch Klaus Voormann. Ein Streit mit seiner Freundin Astrid Kirchherr hat den Intellektuellen erstmals in solch einen verruchten Club gelockt – und erst viele Stunden später, nach dem Ende des Beatles-Sets, tritt er als anderer Mensch hinaus in die Hamburger Nacht.

Wie von Edgar Allan Poe

Er überzeugt Kirchherr, ihn zu begleiten, doch er kann sie erst davon überzeugen, als er sich längst mit Stu Sutcliffe angefreundet hat. „Ich verliebte mich in der ersten Nacht in Stu“, sagte Kirchherr später. „Er war wie ein Charakter aus einer Geschichte von Edgar Allan Poe.“ Beide sollen für die weitere Geschichte der Beatles unabdingbar sein: Astrid Kirchherr als die Fotografin, die die Beatles als erste professionell und unvergesslich in Szene setzt; und Voormann als Designer, der unter anderem das Revolver-Cover gestaltet.

Beatles Star Club

Ab 1962 traten die Beatles im legendären Star Club auf. (Foto: K & K Ulf Kruger OHG/Redferns/Getty Images)

Kirchherr ist auch für die Transformation des Beatles-Looks verantwortlich: Mit ihrer neuen Flamme Stu als dankbarem Model arrangiert sie Garderobe und Haare des Beatle neu. Nach anfänglichem Gelächter ziehen die übrigen Beatles schnell nach. Sie sind mittlerweile Trendsetter auf der Reeperbahn. Binnen weniger Wochen ist aus den unerfahrenen Liverpoolern eine Sensation geworden. So selbstbewusst und erfolgsverwöhnt sind sie da bereits, dass sie Koschmiders Vertrag einfach platzen lassen und sich stattdessen vom größeren, eleganteren Top Ten Club verpflichten lassen wollen, der ihnen sogar mehr zahlt.

Ein brennendes Kondom

Diese Desertion wird vereitelt. Fürs Erste: Vielleicht auch durch einen Hinweis Koschmiders stürmt die Polizei eines Nachts die neue Wirkungsstätte der Band und will Harrisons Pass sehen. Der ist eben erst 17 und wird prompt in den Zug nach Hause gesetzt. Der Rest der Bande folgt wenig ruhmreich, nachdem man sich zurück ins Bambi Kino schlich, um ihre restlichen Sachen zu holen und dabei das Kino fast in Brand steckte. Laut Pete Best vollkommen unabsichtlich, laut Paul McCartney, indem man versuchte, ein Kondom anzuzünden. Was man eben so macht als junger Liverpooler auf der Reeperbahn nachts um halb zwei.

Die Polizei kassiert sie ein, lässt sie rasch wieder gehen und schickt sie auf direktem Weg nach Hause. Das erste Engagement in Hamburg endet wenig glanzvoll. Doch das nächste, das lässt nicht lange auf sich warten: Im April 1961 kehrt die Band zurück auf ihre Reeperbahn. Diesmal spielen sie im Top Ten Club. Und dann, ab April 1962, endlich im legendären Star Club. Alles abendfüllende Geschichten für sich, natürlich. Und alles typisch Beatles.

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