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Popkultur

Ist der Beatles-Klassiker „Yesterday“ der beste Song, der je geschrieben wurde?

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Beatles

Der in Danny Boyles neuester Komödie aufgestellten These, dass es sich bei Yesterday um „einen der größten Songs, der jemals geschrieben wurde“, handelt, hätte die verstorbene US-Legende Chuck Berry ganz klar zugestimmt.

von Martin Chilton

Berrys Hits wie Maybellene, Roll Over Beethoven oder auch Johnny B. Goode hatten die jungen Beatles während ihrer Anfangszeit sehr stark geprägt, und der Yesterday-Songwriter McCartney sollte die Aufnahmen des US-Rock & Rollers später sogar mit „lebensverändernden Gedichten“ vergleichen. Wenige Jahre vor seinem Tod wurde Berry in einem Interview gefragt, ob er einen Song von einem anderen Künstler nennen könne, den er gerne selbst komponiert hätte. „Das wäre Yesterday“, sagte er dem US-Sender Fox 2. „Ich wünschte, ich hätte den Song Yesterday geschrieben. Er hatte immensen Einfluss auf mein Leben, und der Songtext zeichnet die Entwicklung meines eigenen Lebens nach.“

Im gleichnamigen Film Yesterday gerät der junge Singer/Songwriter Jack Malik (gespielt von Himesh Patel) in einen seltsamen Unfall – und muss danach feststellen, dass er der einzige Mensch auf der Welt ist, der sich noch an die Musik der Beatles erinnern kann. Zunächst weist der junge Musiker aus Suffolk noch auf die Originalversionen hin („Ich hab den nicht geschrieben, das war Paul McCartney.“), doch schon bald verzichtet er auf diesen Hinweis und gibt sich selbst als Autor von Stücken wie Yesterday aus, weil ihm klar wird, dass der Schwindel so oder so nicht auffliegen wird…

Was also macht diesen melancholischen Hit so einzigartig? Was genau macht den am häufigsten gecoverten Song der Musikgeschichte eigentlich so zeitlos?

Die Melodie von Yesterday stammt vom Dachboden

Ende 1964 wohnte der damals 21-jährige Paul McCartney gerade in der Wimpole Street in London, Hausnummer 57: Der Musiker war Dauergast im Haus von Richard und Margaret Asher, mit deren Tochter Jane er gerade zusammen war. Zusammen mit seiner Teenager-Freundin teilte er sich zwar nur eine winzig kleine Kammer unter dem Dach, aber McCartney hatte es trotzdem geschafft, ein Klavier dort unterzubringen, das nun gleich neben dem Fenster stand. „Das war das Klavier, an dem ich saß, als ich quasi gerade aus dem Bett gefallen war und dann die Akkordfolge von Yesterday entdeckte“, wie er 1981 berichten sollte.

Beatles go 2019! Hier könnt ihr euch den Yesterday-Soundtrack anhören:

„Beim Aufwachen hatte ich diese grandiose Melodie im Kopf gehabt. Ich dachte mir: Das klingt ja toll. Mal sehen, wie sie aufgebaut ist. Also stand ich auf, setzte mich sofort ans Klavier und fand die Töne G, dann Fis-Moll-7 – und weiter über B und E-Moll, worauf schließlich wieder das G folgt. Eine vollkommen logische Vorwärtsbewegung. Ich mochte diese Melodie sofort, aber weil sie mir ja im Traum gekommen war, konnte ich kaum fassen, dass ich sie selbst geschrieben hatte. Ich sagte mir: Nein, etwas Derartiges habe ich doch noch nie komponiert. Aber ich hatte die Melodie nun mal; echt magisch war das.“

Zunächst hieß das Stück Scrambled Egg – Rührei

Erst einmal hatte McCartney also bloß diese Melodie, nichts weiter. Er versuchte es mit witzigen Songtexten – wobei z.B. der Reim „Scrambled egg/Oh my baby, how I love your legs“ herauskam. Und so dauerte es noch einige Monate, bis Yesterday 1965 schließlich komplett war. Auch während der Arbeit am Film Help! spielte McCartney ihn andauernd: „Das ging soweit, dass ich ihm irgendwann drohte: ‘Wenn du den verdammten Song noch ein einziges Mal spielst, lasse ich das Klavier von der Bühne entfernen!’“, erinnert sich Regisseur Richard Lister. „‘Entweder du machst ihn jetzt fertig, oder du vergisst ihn einfach.’“


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Den Songtext verfasste Paul im Auto

Seine Freundin hatte schlummernd neben McCartney gelegen, als dem die Melodie zu Yesterday gekommen war, und sie saß wiederum schlafend auf dem Beifahrersitz, als ihm während einer „langen, heißen“ Fahrt durch Portugal im Juni 1965 die berühmten Zeilen („Yesterday, all my troubles seemed so far away“) einfielen. Sie fuhren gerade zu einer Villa, die Bruce Welch gehörte, dem Gitarristen von The Shadows. „Plötzlich kam mir die Idee, die Strophen jeweils mit diesen Ein-Wort-Intros zu beginnen“, so McCartney, der zwar sonst oft gemeinsam mit John Lennon arbeitete, hier aber alles im Alleingang erledigte. „Das ist Pauls Song und Pauls Baby“, kommentierte Lennon 15 Jahre später. „Gute Arbeit. Wunderschön – und ich hatte nie den Wunsch, ihn selbst komponiert zu haben.“

Die Idee mit den Streichern fand er zunächst voll daneben

McCartney verriet später, dass sie bei den Aufnahmen in den EMI Studios im Juni 1965 eine ganze Reihe von Anläufen brauchten, bis der Sound wirklich saß. Als George Martin dann die Idee in den Raum warf, mit Streichern zu arbeiten, habe McCartney davon zunächst gar nichts hören wollen, wie der Produzent später erzählte: „Ich will doch keinen Mantovani!“ Und so habe Martin dann ein klassisches Quartett als Begleitung von McCartneys Akustikgitarre vorgeschlagen. „Das wiederum fand er durchaus interessant“, so Martin, der das Arrangement für die Geiger Tony Gilbert und Sidney Sax, den Bratschisten Kenneth Essex und die Cellisten Peter Halling und Francisco Gabarro ausarbeitete.

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Die zweiminütige Single ging sofort durch die Decke

Wenige Tage nach dem Ende der Aufnahmen in den Londoner Studios traf der Cellist Gabarro in der Kantine auf McCartney: „Da haben wir einen Hit mit Yesterday“, sagte der Autor – der damit goldrichtig liegen sollte. Nach der Veröffentlichung am 13. September 1965 schoss Yesterday in etlichen Ländern an die Spitze der Charts; unter anderem gab’s Erstplatzierungen in Belgien, Holland, Norwegen, Schweden, den USA und Großbritannien. Bei den Ivor Novellos gab’s hinterher den Preis als „Outstanding Song“ des Jahres und dazu jede Menge Airplay: Laut dem Rough Guide To The Beatles lief Yesterday allein in den USA in den ersten 30 Jahren mehr als sieben Millionen Mal.

Schätzungsweise 3.000 Coverversionen existieren

McCartneys Hit schaffte es auch ins Guinness Book: als der am häufigsten gecoverte Popsong aller Zeiten. Inzwischen sollen es mehr als 3.000 Coverversionen sein – Rekord! Etliche Ikonen der Musikgeschichte haben sich an Yesterday gewagt und ihre eigene Version eingesungen – unter anderem Elvis Presley, Frank Sinatra, Shirley Bassey, Aretha Franklin, Michael Bolton, Max Bygraves, Sammy Davis Jr., Perry Como, Judy Collins, John Denver, Neil Diamond, Placido Domingo, Val Doonican, Tom Jones, Brenda Lee und Barry Manilow. Stilistisch war alles von Klassik bis Jazz, von Country über Soul bis zum Pop-Update dabei.

Auch Singer/Songwriter-Legenden wie James Taylor und Bob Dylan gefiel der Song. Letzterer wurde 1968 von George Harrison unterstützt, der Gitarre und Background-Gesang zu Dylans Cover beisteuerte. Lennon hingegen sang Yesterday bloß auf einer Party, und auch McCartneys Band Wings nahm schließlich noch eine Live-Version auf, die auf Wings Over America zu hören ist.

Gar nicht so leicht, Yesterday in etwas Neues zu verwandeln

In ein zeitloses Country-Duett verwandelten Willie Nelson und Merle Haggard den Song, und neben ganz unterschiedlichen Pop-Reinkarnationen von Acts wie Boyz II Men, S Club 7 und Wet Wet Wet ließen sich auch 12 Cellisten der Berliner Philharmoniker auf die McCartney-Komposition ein. Nicht zu vergessen die Jazz-Varianten, denn auch Größen wie Oscar Peterson und Sarah Vaughan nahmen ihre eigene Interpretation von Yesterday auf. Die womöglich beste Jazz-Aufnahme stammt dabei von Count Basie. Auf seinem 1966 bei Verve Records veröffentlichten Album Basie’s Beatles Bag sitzt der Meister selbst am Klavier und Gastsänger Bill Henderson glänzt am Mikrofon.

Die Ballade wirklich in etwas Neues zu verwandeln, sie ganz anders und aufregend klingen zu lassen, ist dabei gar nicht so leicht – was wohl vor allem daran liegt, dass Yesterday so wunderbar schlicht und gradlinig aufgebaut ist. Zwei der größten, bewegendsten Interpretationen stammen von Soul-Sängern: Die Version von Ray Charles geht einfach nur unter die Haut, während Marvin Gaye für seine elegisch-anmutige Aufnahme aus dem Jahr 1970 auch mit Gospel flirtet.

Yesterday im gleichnamigen Kinofilm

Der aus der BBC-Serie EastEnders bekannte Schauspieler Himesh Patel bekam die Hauptrolle im Film Yesterday letztlich, weil seine Interpretation des Titelsongs bei den Probeaufnahmen einfach zu umwerfend war. Sie sei einfach nur „rein“, so Regisseur Boyle über den 28-jährigen Schauspieler, der schon seit 15 Jahren Gitarre spielt. „Er schafft es, die Songs der Beatles wieder neu klingen zu lassen. Sie wirken einerseits noch immer vertraut – aber zugleich auch irgendwie fremd und anders.

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