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Bob Dylans „Rough And Rowdy Ways“: Der alte Mann und das Land

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Foto: Cover

Wieso denn ausgerechnet jetzt, Bob? Unverhofft haut uns Dylan mit Rough And Rowdy Ways doch noch mal ein Album mit Eigenkompositionen um die Ohren. Warum sein 39. Buch gleichzeitig Trost spendet und den Finger in Wunden steckt, haben wir uns mal ganz genau angehört.

von Björn Springorum

Was würde uns ein Gott, egal welcher, eigentlich damit sagen wollen, wenn er uns seinen falschen Propheten Bob Dylan ausgerechnet in diesem apokalyptischen Sommer wieder vor die Füße setzt? In diesem Sommer, der in den USA das Pulverfass endgültig zur Explosion gebracht hat? Hätte er Dylan abkommandiert, um uns einen Lichtbringer in diesen dunklen Zeiten zu schicken, ganz der gütige Menschenfreund? Wohl kaum. Rough And Rowdy Ways klingt eher so wie die Rache eines beleidigten Gottes. Wie ein bitteres Lachen im Angesicht seiner versagenden Schöpfung. Ein düsteres, krasses, brutales und schepperndes Album. Ein Album, das wir verdient haben.

Lieder aus einem gespaltenen Land

Dylan ist kein Heilsbringer. Das wollte er nie sein. Dennoch nahm ihn eine ganze Nation so wahr. Den Jungen mit dem Wuschelkopf, der Mundharmonika und der Gitarre, der den friedvollen Marsch auf Washington mit seinen unschuldigen, expressiven Lieder von Zeiten, die sich veränderten, untermalte. Den Wuschelkopf hat er immer noch. Der Rest ist längst eher selbst Gottvater, Racheengel. Friedvoll ist in seiner Heimat gar nichts mehr. Ein blutendes, zerrissenes, gespaltenes Land wie zuletzt zu Zeiten von Malcolm X, Polizeigewalt, Straßenschlachten, ein Präsident, der seiner eigenen Nation einen Pflock ins Herz rammt. Ein in sich gefangenes Land of the free, das langsam erstickt.

Das Cover von  „Rough And Rowdy Ways“.

Und dann kommt ausgerechnet einer wie der gefürchtete Brummbär mit einem neuen Album zurück. Vollkommen überraschend noch dazu. Und bei aller Schwere seines Materials hat seine Rückkehr etwas seltsam Tröstendes. Die ersten neuen Songs seit acht Jahren versammelt er auf Rough And Rowdy Ways, vergessen die kruden letzten Werke, in denen er eher Swing-Nummern interpretierte, weil er mal wieder keine Lust hatte, sich sonderlich Mühe zu geben. Das Problem ist:

Jedem Menschen, der sich mit einem Werk von Bob Dylan auseinandersetzt, egal welchem, muss eines klar sein: Jedweder Versuch einer klassischen Kritik grenzt an Hybris. Alles andere als eine Einordnung des jeweiligen Albums in seinen schier unfassbaren Kanon zu unternehmen, ist bloße Selbstüberschätzung. Nichts weiter. Natürlich darf man es gut oder schlecht finden. Und das auch begründen. Einer wie Dylan sprengt jedoch die Ketten der Musikkritik. Nicht weil er über jedes Gesetz erhaben ist; sondern weil er sich noch nie um Regeln, Meinungen oder Rollen gekümmert hat.

Songbook der sagenumwobenen USA

Der Protestsänger der Sechziger wollte er nie sein, wehrte sich mit Country-Alben fast schon bockig gegen seine Inthronisierung als Stimme der Gegenkultur, der Antikriegsbewegung. Nicht, dass Dylan nicht politisch war, im Gegenteil; er wollte nur nicht in diese Rolle gedrängt werden. Wollte nicht zum Lehrbuch verkommen, was er letztlich natürlich dennoch wurde. Wenn sich irgendetwas als roter Faden durch seine 60-jährige Karriere zieht, dann diese ablehnende Haltung. Denn selbst nach dieser Phase ist Dylan politisch, vielleicht politischer denn je. Stücke wie Hurricane von 1976 sind in ihrem Narrativ eindringlicher als alles, was er davor gemacht hat.

Das lässt sich in aller Kürze auch über Rough And Rowdy Ways sagen. Der egozentrische Mystiker Bob Dylan ist allein lyrisch auf einem Zenit angekommen. Das Doppelalbum ist mehr Musik gewordene Beat-Poesie als Rock‘n‘Roll-Erzählung, ein Gedichtband, mal biblisch, mal sexuell, mal popkulturell, den Dylan mit mal nasalem Brummen, mal mit Tom-Waits-Gedächtnisknurren vorträgt wie einst sein Zeitgenosse Allen Ginsberg, den er mit auf seine Rolling Thunder Revue nahm. Das hier ist ein ganz eigenes Songbook der sagenumwobenen USA, getränkt in der Mystik des Abendlandes und in ihrer ergreifenden Artikulierung weder Abgesang noch Loblied auf ein zerrissenes Land. Sondern eher eine Dylan‘esque Bestandsaufnahme von all dem, das in diesem eigentlich glorreichen Land schiefgeht. Und das nicht erst seit George Floyd.

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Anne Frank und Indiana Jones

Dafür verweilt er nicht in der Gegenwart. Im Gegenteil. Die Grenzen von Zeit und Raum gibt es für Dylan in seiner ureigenen Schöpfungsgeschichte nicht. Er reist durch die Epochen, zitiert Wegbegleiter, Vorbilder, in einer eindringlichen Zeile auch mal Anne Frank neben Indiana Jones. Wenn jemand noch Zweifel hatte, weshalb man einem wie ihm den Nobelpreis für Literatur verlieh, findet auf Rough And Rowdy Ways mehr als genug Gründe, um diese Meinung zu revidieren. Dylan wird endgültig zum Chronisten eines untergehenden Amerikas, zu einem umherwandernden Poeten mit wachem Blick und scharfer Zunge. Seine Texte sind voller Brüche wie auch das Land, über das er sie schreibt, voller Brüche ist.

Auch musikalisch ist das Album überwältigend. Groß, dunkel, bedrohlich und ohne viel Licht. Aber irgendwie auch verdammt lässig. Eine Ausnahmeerscheinung, weit davon entfernt, ein brüchiges Alterswerk zu sein. Das hat nichts damit zu tun, dass sich Dylan mit seinen 79 Jahren nichts mehr zu beweisen hat. Sondern eher damit, dass er sich noch nie etwas beweisen musste. Ob das nun Blues, Folk oder sonst was ist, was Meister Dylan da fabriziert, spielt deswegen auch gar keine Rolle. Dylan war irgendwie immer schon da in der Popkultur. Und nährte sich von Anfang an aus der Ursuppe all dessen, was wir heute so fleißig in Genres einteilen. Wer möchte, findet deswegen auch Myriaden an Verweisen und Zitaten auf Musikerkolleg*innen. Dylanologen werden mit Gusto und besserwisserischer Miene eintauchen in diese Texte und Klänge, werden sezieren, was es jetzt mit dem Namensgeber im infernalisch scheuernden Blues Goodbye Jimmy Reed auf sich hat.

Der Knurrhahn kanalisiert den Zeitgeist

Muss man das, um die Funken schlagende Nummer zu lieben? Natürlich nicht. Es zeigt nur, auf wie vielen Ebenen ein Album wie dieses funktioniert. Dylan selbst sieht seine 39. Platte seit 1962 als Collage, als Gemälde, das man von weiter weg betrachten muss, um es zu verstehen. Tritt man drei Schritte zurück, wird man zwar immer noch nicht verstehen, warum sein Kennedy-Mantra Murder Most Foul ausgerechnet 17 Minuten dauern muss. Man nimmt es aber hin, begreift es als weiteres unerklärliches, übernatürliches Detail eines Albums, das unsere Aufmerksamkeit zu keinem Moment will. Aber dennoch uneingeschränkt bekommt. Weil das Herz, das Hirn und der Fuß unweigerlich spüren, dass das hier etwas Echtes ist. Etwas Wahrhaftiges. Mehr durfte man von Musik noch nie erwarten. Und ob es der Knurrhahn, der ewige Antagonist der Popmusik so spät in seiner Karriere wollte oder nicht: Mit Rough And Rowdy Ways gelingt ihm erstmals seit den Sechzigern wieder ein Werk, das den Zeitgeist in seiner ganzen grausamen Schönheit kanalisiert. Und noch in vielen Jahren herangezogen werden wird, um über dieses Jahr zu sprechen.

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