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Popkultur

„Redemption Song“: Die Entstehungsgeschichte von Bob Marleys zeitloser Akustikhymne

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Bob Marley
Foto: Adrian Boot

Es ist einer von diesen Songs, die wirklich jede*r kennt, ja, die jede*r sogar dem Künstler zuordnen kann – selbst Menschen, die sich eigentlich kaum für Musik interessieren: der Redemption Song. Bob Marleys größte und zugleich sanfteste Hymne.

von Ian McCann

Einzig seine Gitarre und ein paar Zeilen, die der Reggae-Sänger kurz vor seinem Tod an uns gerichtet hat, um uns den bisherigen Gang der Menschheitsgeschichte ins Gedächtnis zu rufen. Und um uns etwas an die Hand zu geben, das auch nach seinem frühen Tod bleiben sollte. Wie sehr Bob Marleys Perspektive und sein ganzer Ansatz seither in der musikalischen Landschaft fehlen, beweist ein flüchtiger Blick ins Netz, wo auch vier Jahrzehnte später unzählige Menschen seine Songs hören, um darin Trost und Inspiration zu finden.

„Befreit euch aus der mentalen Unfreiheit“

Die Idee, dass Musik eine erlösende, befreiende Kraft haben kann, ist dabei jahrhundertealt. Der „arme Sünder“, der im Songtext von Amazing Grace (aus den 1770ern) schließlich erlöst wird und so der Hölle entkommt, findet seine Rettung in einem Song – „wie süß der Klang“! Das grausame Verbrechen, das er davor begangen hatte, taucht auch in Marleys Redemption Song auf: Der Autor von Amazing Grace war Kapitän eines Sklavenschiffs gewesen. Marley wiederum war ein Nachfahre jener Sklav*innen, die nach der Entdeckung der Neuen Welt über den Atlantik gebracht worden waren. Seine Songs waren Befreiungsschläge, sie waren sein Sprachrohr – erst durch sie wurde er zu jemandem. Bob Marley wusste sehr wohl, dass es auch mentale Unfreiheit gibt, dass ein Freiheitsversprechen nicht automatisch bedeutet, jener anderen, mentalen Sklaverei entkommen zu sein.

Seht hier das brandneue Video für den Redemption Song:

Da Bob Marley den Redemption Song ausnahmsweise als Solostück aufgenommen hat, ihm die eigene Akustikgitarre als Begleitung genügt, wird der Song häufig als Ausnahme in seinem Backkatalog eingestuft. Dabei ist die Instrumentierung keineswegs überraschend: Wie die meisten seiner Zeitgenoss*innen, war auch Marley vom Folk-Boom der frühen Sechziger beeinflusst. Er kannte den Sound von Bob Dylan, und seine Band The Wailers machte aus dessen Like A Rolling Stone schließlich ihren eigenen Rolling Stone.

Wer im damaligen Jamaika im Besitz einer Akustikgitarre war – ganz egal, wie ramponiert das Instrument war, ja, ob es sich womöglich bloß um einen Selbstbau aus einer Zigarrenkiste handelte –, konnte sich durchaus glücklich schätzen. Überhaupt ein solches „Werkzeug“ zu haben, um sich damit auszudrücken, war Luxus. Als Songschreiber setzte Marley häufig auf seine Akustikgitarre – so entstanden immer wieder auch ruhigere Stücke auf diesem Instrument. Erst als er 1973 seinen Vertrag bei Island Records unterzeichnete und sich damit dauerhafte Bandunterstützung leisten konnte, spielten die Akustiksongs eine immer kleinere Rolle.

Gegen die geistige Unfreiheit

Auch der Songtext von Redemption Song ist streng genommen nichts Ungewöhnliches: Inhaltlich bewegt sich Marley in jenem Rahmen, in dem viele Reggae-Songs anzusiedeln sind. Auch hatte er Verbindungen in die USA und zu Kolleg*innen in Jamaika, die in jenen Tagen ganz ähnliche Dinge zum Ausdruck brachten: Das Konzept der geistigen Unfreiheit, der mentalen Sklaverei, tauchte 1977 zum Beispiel auch in Bob Andys Song Ghetto Stays In The Mind auf – und Marley hatte schon in den Sechzigern zusammen mit Andy im Studio One gearbeitet. Die Kernaussage: Wer lange Zeiträume gegen etwas ankämpfen muss, den begleitet dieser Kampf für den Rest des Lebens.

Hört hier Uprising von Bob Marley & The Wailers:

Auch James Brown, ein wichtiger Einfluss für Marley in den Sechzigern, hatte ein Album mit dem Titel Revolution Of The Mind versehen; dazu hatte er seine Anti-Drogen-Single King Heroin, in der er Abhängigkeit mit Sklaverei gleichsetzt, mit diesen Worten ausklingen lassen. Toots & The Maytals, denen zwar nie ein derart großer Durchbruch vergönnt war, obwohl ihre Karriere sonst viele Parallelen zu Bob Marley & The Wailers aufweist, hatten schon 1973 ihren bewegenden Redemption Song veröffentlicht: ein Ruf nach Erlösung, eine Suche nach den richtigen Worten, die Gott gefallen könnten.

Konkret sollte Bob Marley eine Rede von Marcus Garvey zitieren: Die Worte „Emancipate yourself from mental slavery… none but ourselves can free our minds“ stammen aus einer Rede, die der Aktivist, Philosoph und Panafrikanist mit jamaikanischen Wurzeln im Jahr 1937 gehalten hatte. Bobs Label-Kollege Burning Spear sollte sich später immer wieder auf Garveys Thesen beziehen – wie auch auf die Musik von Mr. Marley. Und dann hatte Bob Marley selbst schon im Jahr 1978 in der Heimat die ähnlich betitelte Single Blackman Redemption veröffentlicht, die letztlich in dieselbe Kerbe schlug wie sein späterer Akustik-Klassiker. Kurzum: Sein Redemption Song war alles andere als eine Ausnahme. Er stand ganz klar in der jamaikanischen Musiktradition, auch wenn das Arrangement deutlich anders klang als die meisten Reggae-Stücke…

Ein letzter großer Wurf

Ein sehr ernstes Anliegen war sein Redemption Song schon deshalb, weil Bob Marley an diesem Punkt wusste, dass ihm nicht mehr viel Zeit auf der Erde blieb. Im Sommer 1977 war ein bösartiges Melanom unter seinem Fußnagel entdeckt worden. Die von den Ärzt*innen vorgeschlagene Amputation kam für ihn nicht in Frage, und er machte einfach weiter: ging auf Tour, schrieb Songs, machte Aufnahmen. Zwei Jahre später sah er ausgemergelt aus. Man sah ihm an, dass die Krankheit auf dem Vormarsch war. Von der Energie, der Ausstrahlung, die er noch Mitte des Jahrzehnts gehabt hatte, war nicht mehr viel übrig. Auch seine Gedanken umkreisten nun immer häufiger den Tod. Laut seiner Frau Rita quälten ihn in jenen Tagen starke Schmerzen, und er habe in seinen Songs „viele Gedanken über den eigenen Tod verarbeitet – ganz besonders sogar in diesem Stück.“

Wie Bob Marley mit „Survival“ den Soundtrack zur Befreiung Afrikas schrieb

Die ersten Aufnahmen von Redemption Song machte Marley noch zusammen mit The Wailers: Allein im Jahr 1980 entstanden 15 verschiedene Versionen mit seinen angestammten Musikern. Dazu gab’s eine Akustikversion und etliche Varianten mit abgeänderten Texten – spezielle Versionen für die in Jamaika verbreiteten Sound Systems. So waren einige dieser Versionen auch richtig tanzbar, ihr Beat ging fast schon in Richtung Ska.

Der Vorschlag, auf die Akustikversion zu setzen, weil gerade das Weglassen sie noch eindringlicher machte, kam von dem Mann, der Bob zu Island Records geholt hatte, dem Gründer und Labelboss Chris Blackwell. Bob stimmte ihm zu – und sie beide lagen damit goldrichtig: Dieser Song brauchte kein Beiwerk, kein großes Arrangement. So wurde eine Akustikaufnahme von Redemption Song zum Abschlusstrack von Uprising, dem letzten Album von Bob Marley & The Wailers, das zu Lebzeiten des Sängers erscheinen sollte. Es war ein letzter großer Wurf, Marleys musikalisches Testament.

Keine Angst

Der Redemption Song vereint seine Gefühle über den eigenen, schon so nah bevorstehenden Tod mit Gedanken über die Sklaverei, besonders deren Auswirkung auf die mentale Grundeinstellung der nachfolgenden Generationen, über Religion und das Schicksal („We’ve got to fulfil the book“) – und er ist ganz direkt an die Fans gerichtet: Habt keine Angst, lautet die Kernaussage. Dein Leben wird nicht von den Mächten dieser Welt bestimmt, nicht von der ganzen Zerstörung, dem Bösen. Deine Bestimmung liegt nicht in den Händen der Mächtigen, sondern allein in denen des Allmächtigen. Kann sein, dass deine Helden und Heldinnen verlieren und sterben, dass du unterdrückt wirst, das Gefühl hast, nichts dagegen tun zu können, dass immerzu Schlechtes geschieht, aber das Universum ist sehr viel größer als das. Schließe dich einfach diesem Song an: Es liegt in deiner Macht, deinen Geist und die eigene Seele zu befreien. Du kannst erlöst werden.

Als Stück, das im Albumkontext wirklich perfekt zur Geltung kommt, geht der Redemption Song sofort unter die Haut – weshalb die Message seither unzählige Menschen rund um den Globus erreichen sollte. Seinen Kampf gegen den Krebs verlor Marley elf Monate nach der Veröffentlichung von Uprising, im Mai 1981. Er war erst 36 Jahre alt. Seine Aufnahmen und sein öffentliches Bild setzen seither das fort, was er zu Lebzeiten begonnen hat: Der Schlusstitel gilt längst als zeitlose Befreiungshymne, als Meilenstein mit einer Message, was der Song auch deshalb werden konnte, weil er kein bisschen nach erhobenem Zeigefinger klingt. Ein todkranker Mann, aufgewachsen in Armut, erhebt die Stimme zu seiner Gitarre und bringt eine Weisheit dermaßen sanft und gefühlvoll auf den Punkt, dass seine Worte bis heute nachhallen und Gehör finden…

Zeitlose Inspirationsquelle

In der kurzen Zeit, die ihm blieb, sollten noch andere Aufnahmen des Stücks entstehen – ein paar davon zusammen mit The Wailers, viele auch live mitgeschnitten, wobei keine so bewegend ist wie die Aufnahme seines allerletzten Auftritts, der am 23. September 1980 in Pittsburgh stattfand. Zwei Tage davor war er beim Joggen in New York City zusammengebrochen, und jetzt stand dieser Schwerkranke in Pittsburgh auf der Bühne und kündigte „diesen kleinen Song“ an. Dann sind Congas zu hören, so wie in den besten Tagen der Wailers. Die Basstrommel wirkt wie ein Herzschlag in Doubletime, so wie bei den Rasta-Schlagzeugern, deren Ansatz seit Mitte der Sechziger den spirituellen Kern von Marleys Musik ausmachte. Es war ein Auftritt, mit dem er dem Schicksal zu trotzen schien: wirklich zeitlos, unglaublich inspirierend.

Auch in großen Hollywood-Produktionen war Marleys Redemption Song danach immer wieder zu hören. Und natürlich wurde er gecovert und wieder gecovert. Von Joe Strummer, von Stevie Wonder, der ein riesiger Fan von Bob war – und zugleich dessen Vorbild. Von Ian Brown oder auch der Girl-Group Eternal. Von Madonna, von Alicia Keys, nicht zuletzt von John Legend zum Gedenken an Nelson Mandela. Es ist und bleibt die ultimative Hymne für alle, die unter Armut leiden, die unterdrückt werden, die unfrei sind, die Hilfe und Zuspruch brauchen. Man kann davon ausgehen, dass der Redemption Song bis in alle Ewigkeit aktuell sein wird: so lange, wie es Menschen auf der Erde gibt. Menschen, die „diesen kleinen Song“ hören und sich davon berühren und inspirieren lassen.

10 Songs, die jeder Bob Marley Fan kennen muss

Popkultur

Vor 55 Jahren feierten Simon & Garfunkel mit „Mrs. Robinson“ eine Nummer eins

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Simon & Garfunkel HEADER
Foto: Hulton Archive/Getty Images

Am 1. Juni 1968 landeten Simon and Garfunkel mit Mrs. Robinson auf Platz 1 der US-amerikanischen Billboard Hot 100 Charts — und blieben dort drei Wochen lang. Wir werfen einen Blick auf die Entstehung des Songs.

von Markus Brandstetter

Es ist einer der größten Songs der Popgeschichte — und entstand zu einem guten Teil sozusagen aus Verlegenheit. Geschrieben hatte Paul Simon den Song eigens für den 1967 erschienenen Film The Graduate. Ganz einfach war die Zusammenarbeit mit dem Regisseur Mike Nichols nicht — dieser hatte nämlich zwei andere Songvorschläge abgelehnt.

Zähe Soundtrack-Zusammenarbeit

Simon hatte ihm zwei Stücke namens Punky’s Dilemma und Overs vorgespielt, so richtig enthusiastisch stimmen Nichols die Songs allerdings nicht. Der Sänger und Songschreiber hatte noch etwas in der Tasche: einen Entwurf eines Stücks namens Mrs. Roosevelt (so der Arbeitstitel des Stücks, der sich ursprünglich auf die Politaktivisten und Ehefrau des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, Eleanor Roosevelt bezog. Dass der Song dann auf Mrs. Robinson umgetauft wurde, macht Sinn — schließlich heißt so der weibliche Hauptcharakter des Films. Die Geschichten, wie es dazu kam, variieren indes ein wenig.

„Paul hatte an dem Song gearbeitet, der jetzt Mrs. Robinson heißt, aber es gab keinen Namen darin und wir füllten ihn einfach mit irgendeinem dreisilbigen Namen. Und wegen des Charakters in dem Film fingen wir einfach an, den Namen Mrs. Robinson zu verwenden, weil er passte […]“, erinnerte sich Art Garfunkel einmal. Eines Tages saßen wir mit Mike zusammen und sprachen über Ideen für einen weiteren Song. Und ich sagte: Wie wäre es mit Mrs. Robinson? Mike schoss auf die Beine. Ihr habt einen Song, der Mrs. Robinson heißt, und ihr habt ihn mir noch nicht einmal gezeigt? Also erklärten wir ihm den Arbeitstitel und sangen ihn ihm vor. Und dann hat Mike ihn für den Film als ‘Mrs. Robinson’ verewigt.“

Paul Simon: „Ich wusste nicht einmal, was ich spielte“

Paul Simon, der am Anfang von der Auftragsarbeit nicht wirklich begeistert war, erinnert sich folgendermaßen: „Mike Nichols rief an und fragte uns. Er sagte, er habe ein Buch und wolle einen Film mit dem Titel The Graduate drehen… Er überzeugte uns, die Musik zu machen. Die Musik sollte größtenteils Originalmusik sein, aber es kam vor, dass wir, um eine Szene zu füllen, ein Musikstück nahmen und es dort einsetzten, nur um zu hören, wie die Musik klingen würde.“ Die Entstehung des Songs sei sehr spontan und intuitiv gewesen, erzählt er: „Mrs. Robinson wurde an Ort und Stelle erfunden”, fährt er fort. “Ursprünglich sollte das eine Verfolgungsszene sein, und sie wollten Gitarrenmusik. Ich spielte… Ich wusste nicht einmal, was ich spielte, ich riffte einfach auf der Gitarre.” Auf dem Soundtrack des Films finden sich zwei Kurzversionen des Stücks. Die volle Version — die sich in einigen Dingen unterscheidet, gab es erst im Jahr darauf zu hören: da veröffentlichten Simon & Garfunkel ihr Album Bookends.

„Das von Harmonien getriebene Lied des schwülen Vorstadtvergnügens“

Textlich ist der Song ganz auf die Filmfigur Mrs. Robinson zugeschnitten, die eine komplexe Beziehung mit einem jungen Mann eingeht. Oder wie es das Magazin American Songwriter beschreibt: „Der berüchtigte Song Mrs. Robinson von Simon & Garfunkel ist die inoffizielle Hymne einer außerehelichen Affäre. Es ist die inoffizielle Hymne der älteren Frau. Es ist das von Harmonien getriebene Lied des schwülen Vorstadtvergnügens.“

Joe DiMaggio: „Ich bin nirgendwo hingegangen!“

Einer soll übrigens über den Text — genauer gesagt die legendäre Zeile „Where have you gone, Joe DiMaggio“ — nicht begeistert gewesen sein: nämlich die Baseball-Legende Joe DiMaggio selbst. Simon berichtet, ihn in einem Restaurant getroffen zu haben. Das Gespräch sei so verlaufen: „Ich war zufällig in einem Restaurant und da war er. Ich nahm meinen Mut zusammen und ging hin, um mich vorzustellen und zu sagen: ‚Hi, ich bin der Typ, der “Mrs. Robinson” geschrieben hat’, und er sagte: ‚Ja, setzen Sie sich… warum sagen Sie das? Ich bin hier, jeder weiß, dass ich hier bin.æ Ich sagte:‚’So habe ich es nicht gemeint – ich meine, wo sind diese großen Helden jetzt?’ Er war geschmeichelt, als er verstand, dass es schmeichelhaft gemeint war.”

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Popkultur

Zeitsprung: Am 1.6.1975 beginnt Ron Wood seine erste Tour als Gitarrist der Rolling Stones.

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Rolling Stones
Foto: Ronnie, Mick und Keith im Sommer 1975 in Texas. Foto: Fin Costello/Redferns/Getty Images

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 1.6.1975.

von Christian Böhm und Christof Leim

Manchmal regelt das Universum die Dinge. So mag es sich zumindest für Ron Wood anfühlen, als er am 1. Juni 1975 die Bühne betritt. Es ist der Beginn der USA-Tour der Rolling Stones zum gerade erschienenen Album It’s Only Rock’n’Roll – und Ron Woods erste Tour als ihr neuer Gitarrist. Sein Einstieg bei der wahrscheinlich größten Rock-Band der Welt stellt sicherlich einen Meilenstein seiner Karriere dar, die bis dato schon beachtlich lief. Und Ron Wood, der davor bei den Birds, der Jeff Beck Band und bei den Faces gespielt hatte, bleibt bis heute Mitglied der Rolling Stones.

Hier könnt ihr euch das damals aktuelle Album It’s Only Rock’n’Roll anhören:

Für einen Kollegen geht mit diesem Anfang natürlich etwas zu Ende – und im Nachhinein sagt Woods Vorgänger bei den Stones, Mick Taylor, dass ihm schon immer irgendwie klar war, dass er in dieser Band nicht ewig spielen würde. Auch für Ron Wood endet gerade etwas, als Mick Jagger anruft und ihm den Job des Tourgitarristen anbietet: Die Faces sind im Begriff, sich aufzulösen, als das Telefon klingelt und für Ron etwas Neues beginnt. Man sagt ja, dass neue Türen sich genau dann öffnen, wenn man die alten schließt.

Touren sind nie langweilig

It’s Only Rock’n’Roll heißt die Tour, und der Titel trifft es wohl ziemlich genau: Vor Beginn fährt die Band Brown Sugar spielend auf einem LKW über die New Yorker 5th Avenue. Ein gelungener Promo-Gag! Nicht ganz so gelungen und auch nicht unbedingt lustig verläuft dann eine Fahrt durch Arkansas. Im Örtchen Fordyce droht die Sause vorzeitig zu enden, als die dortige Polizei die Band stoppt und zumindest einen Teil der nicht gerade wenigen Drogen in ihrem Wagen findet. Ihr Anwalt boxt die Rocker aus der Situation heraus, und so zieht der Tross weiter durch den sogenannten „Bible Belt“, den extrem christlichen Teil der USA. Wem nicht klar ist, wie die Gepflogenheiten in diesem Landstrich so aussehen, dem sei gesagt, das in Arkansas einmal versucht wurde, Rock’n’Roll per Gesetz zu verbieten.

Darüber lacht Keith Richards nicht schlecht in seiner in seiner Autobiografie Life, welche übrigens mit der oben beschriebenen Geschichte beginnt.

Ron (oder auch Ronnie, wie manche ihn nennen) Wood kannte seine neuen Mitstreiter schon vorher: Am Titelsong des Albums It’s Only Rock’n’Roll ist der Gitarrist kompositorisch beteiligt. Jagger und Richards wiederum hatten ihm zuvor bei seinem Soloalbum I’ve Got My Own Album To Do (1974) ausgeholfen. Als er die Platte 1974 schreibt, gehört Ron Wood auch zu den Faces und gibt dort mit Rod Steward ein ähnliches Duo ab wie Mick Jagger mit Keith Richards bei den Stones.

Man kennt sich, man versteht sich

Auf selbiger verstehen Keith und Ron sich fast blind. Schmunzelnd sagt Richards im Interview mit Gitarre & Bass: „Wenn ich mitbekomme, dass er sich irgendwohin bewegt, ziehe ich mich zurück und tauche unter ihm ab. Und wenn er hört, dass ich abhebe, macht er dasselbe. Es ist eben genau wie beim Weben, mit den verschiedenen Fäden – und wir sind die dienstälteste Manufaktur auf Erden. Alt und rostig. Aber hey – es funktioniert.“ Die Chemie zwischen den beiden stimmt also. Seine eigenen Songs aber kann Ronnie bei den Stones eher selten unterbringen. Die meisten Songs kommen dann eben doch von… na, von den beiden anderen eben.

„Ich wäre schon froh, wenn sie meine Stücke überhaupt mal ernsthaft anhören würden, sie könnten ja sagen: „Vergiss es, das Zeugs ist Mist.“ Aber sie könnten meinen Stücken wenigstens eine Chance geben“, sagt Wood dazu. Klingt nicht gerade nach Friede-Freude-Eierkuchen, aber so läuft das Rock’n’Roll-Geschäft ja auch nicht immer. Man sagt, Ron sei nicht immer nur Gitarrist gewesen, sondern musste auch öfter den Streitschlichter geben, wenn die beiden guten Freunde Keith und Mick sich mal wieder in den Haaren hatten.

Nicht ungefährlich

Apropos Rock’n’Roll: Für Präsident Richard Nixon waren die Stones nicht die größte, sondern „die gefährlichste Rock’n’Roll-Band der Welt“, was er dem Anwalt der Band offiziell mitteilen ließ. Ganz ungefährlich lief auch Ron Woods Leben nicht: Mehrmals unterzieht er sich Entziehungskuren, um seiner Alkoholsucht zu entkommen, und auch bezüglich anderer Substanzen galt er nicht als Kind von Traurigkeit. Bis zu acht Pints Guinness (und das sind immerhin über vier Liter Bier!) an einem Tag sollen keine Seltenheit gewesen sein – und obendrauf kamen mehrere Flaschen harter Schnaps. Nüchtern betrachtet war es Ron Wood vielleicht auch deshalb nicht möglich, die Leadgitarre der Band zu übernehmen, obwohl er das eigentlich tun sollte, denn Keith Richards gab seit jeher den Rhythmusgitarristen. Gern nennt man Keith das „Human Riff“, das menschliche Gitarrenriff, aber nun übernimmt er öfter die Leadgitarre. Auf der Bühne bedröhnt waren sie bisweilen beide.

Nochmal zurück zum Anfang der Geschichte: Mick Taylor, der den Platz für Ron Wood im Juni 1975 räumte, hatte die Qualitäten eines Rhythmusgitarristen. Noch weiter zurück findet man den anderen, vielleicht bekannteren Vorgänger Woods: Brian Jones. Auch dieser war bekannt für seinen ausschweifenden Alkohol- und Drogenkonsum. Während man Jones aber 1969 tot im Pool fand, hat Ron Wood seine Eskapaden überlebt.

Ein langer Weg

Vom langen Weg an die Spitze des Rock’n’Roll sang bekanntlich schon eine andere Rock-Größe vom unteren Ende der Welt. Vom Tour-Gitarristen avanciert Ronnie Wood zum festen Bandmitglied. Dann vergehen fast 20 Jahre als angestellter Musiker, bevor er 1993 auch Beteiligter am Unternehmen Rolling Stones wird. Später wird er sagen, dass ihm schon vor dem 1. Juni 1975 irgendwie klar war, dass er letztendlich bei den Stones landen würde. Er musste nur warten, bis das Universum das für ihn regelt.

Zeitsprung: Am 19.7.1989 rebelliert eine Kleinstadt gegen die Rolling Stones.

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Popkultur

„Speaking In Tongues“ wird 40: Die Talking Heads verbrüdern Art-Rock und Schwarzen Soul

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Foto: Paul Natkin/Getty Images

Die Talking Heads sind Ikonen der kunstvollen Popmusik. Ihr größter Erfolg landet vor genau 40 Jahren: Mit Speaking In Tongues gelingt David Byrne und Band der Durchbruch – auch dank Burning Down The House, das man in Europa aber eher wegen Tom Jones kennt.

von Björn Springorum

Die New Yorker Kunstszene der Siebziger ist ein Schmelztiegel radikaler Ideen und freakiger Gestalten. Nur hier kann Andy Warhols Factory entstehen, nur hier fließen Kunst, Pop und Punk so mühelos zusammen. Auch die Talking Heads gehen aus der Kunst-Bubble der Stadt hervor. David Byrne und Chris Frantz besuchen die Rhode Island School Of Design, gehen mit so ziemlich den gegensätzlichsten Ideen in die Bandgründung wie beispielsweise die Ramones. Kunstvoll soll es sein, avantgardistisch, vielschichtig, intelligent. Mit Kommilitonin Tina Weymouth ziehen sie nach New York City, teilen sich ein Loft. Bis dahin also eine ganz normale Studentengeschichte.

Basslernen mit Suzi Quatro

Fast: Weymouth bringt sich nämlich das Bassspielen mit alten Suzi-Quatro-Platten bei, geboren sind auch schon die Talking Heads. Und Apropos die Ramones: Ihren ersten Gig spielen sie ausgerechnet im Vorprogramm der Punk-Rocker aus Queens – am 5. Juni 1975. Danach geht es recht schnell: 1977 landen sie mit Psycho Killer einen riesigen Hit, Ende der Siebziger stecken sie vermehrt mit Frickelguru Brian Eno unter einer Decke. Ihr Ruf als Art-Rock-Band trägt sich in die Welt hinaus, scheinbar mühelos vermengen die Talking Heads Pop, Funk, Rock, Wave oder Afrobeat. Doch die Flamme brennt hell: Vier Alben in vier Jahren zollen ihren Tribut, die Band muss kürzer treten, macht erst mal Pause.

Die Band verfolgt eigene Projekte, trennt sich von Eno (der sich bekanntlich U2 zuwendet) und findet im Sommer 1982 wieder zusammen. Die Akkus sind voll, der Ideenkoffer prall gefüllt. Zwischen Juli 1982 und Februar 1983 entsteht in New York City, Philadelphia und den legendären Compass Point Studios auf den Bahamas Speaking In Tongues – das Album, das ihr kommerzieller Durchbruch werden soll. Denn aller Anerkennung und Reputation zum Trotz: So richtig Kohle gescheffelt wurde mit der anspruchsvollen Musik bisher noch nicht.

Ohne Brian Eno wird es kommerzieller

Nun kann man so etwas natürlich nie planen, doch ohne die Kopflastigkeit ihres Kollaborateurs Eno gelingt ihnen ein leichteres, zugänglicheres Album, das ihre kunstvolle Wave-Sensibilität mit Schwarzem Funk verbrüdert. Slippery People oder Swamp zeigen klare Gospel-Schlagseite, zudem ist da natürlich diese Vielfalt an Effekten, Synthie-Spielereien, seltsamen Arrangements und Sounds. Aber eben nie so viel um einen einfachen Hörgenuss zu schmälern. Ohne es genau zu wissen machen die Talking Heads ihren komplexen Sound offener, eingängiger. Kommerzieller. Die Talking Heads sind 1983 das Mittelstück zwischen Television und Michael Jackson.

Auch der Tiger brennt das Haus nieder

Liegt natürlich auch an Burning Down The House, den sie gleich als Opener auf Speaking In Tongues packen. Ihr einziger Top-Ten-Hit in den USA ist ein unwiderstehlicher Groover, der außerhalb von Nordamerika aber auf legendär wenig Interesse stößt. Da ist das Cover von Tom Jones und den Cardigans aus dem Jahr 1999 deutlich erfolgreicher: Halb Europa heißt die Interpretation in den Top Ten Willkommen.

Für die Band bedeutet der Erfolg finanzielle Sicherheit, eine sehr erfolgreiche Tournee und jede Menge Airplay auf dem neuen Medium MTV. Bis 1988 sollen noch drei weitere Alben folgen, danach löst sich die Band auf. Oder quasi: Bassistin Weymouth erfährt aus der Los Angeles Times vom Ende der Talking Heads. Was bleibt, ist ein riesiger Einfluss auf Bands und Künstler*innen wie Eddie Vedder, Radiohead, St. Vincent, The Weeknd oder Trent Reznor. Und natürlich jede Menge Musik, die zeigt, wie originell Pop eigentlich sein kann. Wenn er von den richtigen Leuten gemacht wird.

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Zum 70. von David Byrne: Die 7 wichtigsten Songs des Talking-Heads-Meinungsmachers

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