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Popkultur

Zeitsprung: Am 16.1.1985 stirbt David Bowies Halbbruder Terry.

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Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 16.1.1985.

von Julia Segantini und Christof Leim

In seiner Kunst lotet David Bowie mitunter die Grenzen des Geistes aus und wirkt, als blicke er in andere  Sphären. Für seinen Halbbruder gehören solche Perspektiven jedoch zur Lebenswirklichkeit: Terence “Terry” Burns erkrankt schwer an Schizophrenie und setzt seinem Leben am 16. Januar 1985 ein Ende. Auch über seinen Tod hinaus inspiriert er seinen berühmten Bruder, etwa zum Song Jump They Say von 1993.

Hier könnt ihr euch das Bowie-Album Black Tie White Noise anhören:

Die beiden Männer teilen dieselbe Mutter, liegen altersmäßig aber über ein Jahrzehnt auseinander: Nachdem sich Bowies Mutter Peggy Burns in einen Franzosen verliebt, bringt sie 1935 den kleinen Terry zur Welt. Als außereheliches Kind – zu damaligen Zeiten gesellschaftlich völlig unakzeptabel – hat er es von Anfang an schwer. Er wächst bei seiner Großmutter auf, die ihm, so heißt es, wenig Zuwendung entgegen bringt, ihn womöglich emotional missbraucht. Sein Bruder David erblickt am 8. Januar 1947 das Licht der Welt, ein Jahr nach der Hochzeit von Peggy mit Bowies Vater Haywood Jones. Kurz darauf stößt Terry als Neunjähriger zur  Familie, wird aber vom Stiefvater vernachlässigt. Auch in späteren Jahren meint es das Leben nicht gut mit ihm: Einen großen Teil seines Erwachsenenlebens verbringt er in der Nervenklinik Cane Hill in South Croydon. Diagnose: Schizophrenie.

Persönliche Inspiration

Trotz – oder wegen – seiner vielen Probleme, erweist sich Terry als große Inspiration für den werdenden Popstar. Der Ältere erweckt im Jüngeren ein besonderes Interesse am tibetanischen Buddhismus, an Jazz und Autoren der Beat-Generation wie Jack Kerouac. Ganz direkt zeigt sich Terrys Einfluss auf dem US-Plattencover von The Man Who Sold The World. Dort ist die Cane-Hill-Anstalt als stilisierte Zeichnung zu sehen. Der Langspieler entsteht während einer Zeit, in der der Schizophrenie-Kranke seinen Bruder häufig in Haddon Hall besucht, ein großes Haus in Beckenham, in dem der aufstrebende Star in den späten Sechziger Jahren mit seinen Freunden wohnt.

Tribut zollt Bowie seinem Bruder später unter anderem 1971 in dem Song The Bewlay Brothers auf Hunky Dory. Außerdem basiert die Zeile „A crack in the sky and a hand reaching down to me“ im Track Oh! You Pretty Things auf einer von Terrys Visionen. Krankheiten des Geistes tauchen wiederholt als Thema in Bowies Werken auf, denn psychische Probleme scheinen in der Familie zu liegen. Neben Terry litten auch drei seiner Tanten mütterlicherseits an Psychosen. Ihren Geisteszustand und seine Angst davor, ein ähnliches Schicksal zu erleiden, verarbeitet der Künstler Bowie mehrfach in seiner Musik, zum Beispiel im Song All The Madmen, erschienen 1979 auf The Man Who Sold the World. Nicht zuletzt spiegeln sich in den folgenden Jahren die Grenzen zwischen Wahnsinn, Fiktion, Realität in seinen Kunstfiguren wieder, allen voran in seinem Alter Ego Ziggy Stardust.

Bowie “The Man Who Sold The World” Cover

Das US-Cover von “The Man Who Sold The World” zeigt die Nervenheilanstalt Cane Hill in London, in der Terry Burns behandelt wurde.

Während Davids Karriere aufblüht und er um die Welt tourt, wird sein Halbbruder schließlich ein Vollzeitpatient in Cane Hill. Einer seiner Pfleger beschreibt ihn als einen guten Mann, der keine Probleme verursacht und viel über sein berühmtes Geschwisterkind spricht. Einige Schwestern wollen sich daran erinnern, wie Terry fröhlich singend durch die Stationen läuft, während er versucht, umsonst an Zigaretten zu kommen.

Tragisches Leben, tragischer Tod 

Doch gut geht es Terry nicht: Bereits im Sommer 1982 stürzt er sich aus einem Fenster, kommt dabei allerdings mit zwei gebrochenen Gliedmaßen davon. Der Weltstar besucht den genesenen Patienten im Krankenhaus und schenkt ihm eine kleine Stereoanlage, Platten und Zigaretten.

Am 16. Januar 1985 allerdings verliert Terry schließlich den Kampf gegen seine Krankheit. Kälte und Schnee verursachen einen Personalmangel in Cane Hill, der Unglückliche entkommt unbemerkt aus der Klinik. Er läuft die kurze Strecke zur Coulsdon South Train Station, wo er zum südlichen Ende des Bahnsteigs läuft und sich auf die Gleise legt.

Terry Burns.

Posted by Bromley Bowie on Tuesday, January 15, 2019

Unter den Trauernden finden sich hauptsächlich Personal und Patienten aus Cane Hill sowie Familienangehörige. Bowie – zu diesem Zeitpunkt auf dem Höhepunkt seines Ruhmes – beschließt, der Beerdigung fernzubleiben, um einen Medienrummel zu vermeiden. Er schickt einen Korb mit Blumen und eine Notiz: „Du hast mehr Dinge gesehen, als wir uns vorstellen können, aber all diese Momente gehen verloren wie Tränen, die im Regen weggespült werden.“

„Spring, sagen sie“

Den Selbstmord seines Halbbruders verarbeitet Bowie später im Stück Jump They Say, und das bleibt nicht der einzige Versuch auf dem dazugehörigen Album Black Tie White Noise (1993), mit der Tragödie fertigzuwerden. Dem NME erzählt Bowie: „Es gibt einen persönlichen Grund für die Coverversion von I Feel Free von Cream auf dem Album. Als ich einmal mit meinem Halbbruder ausging, nahm ich ihn zu einem Cream-Konzert in Bromley mit. Etwa nach der Hälfte, ich glaube während I Feel Free lief, begann er, sich sehr, sehr schlecht zu fühlen. Er hatte noch nie etwas so Lautes gehört! Er war zehn Jahre älter als ich und hatte noch nie einem Rockclub besucht.“ Bowie berichtet weiter, dass er seinen Bruder daraufhin nach draußen begleitet habe. Dort sei dieser von Visionen von einem sich auftuenden Boden geplagt worden, aus dem Feuer emporsteigt. „Ich konnte es fast selbst sehen, weil er es so klar beschrieb“, erinnert sich der Sänger.

Jump They Say erreicht in Großbritannien Platz neun, knackt die Top Ten in Dänemark, Norwegen und Spanien und erreicht in den USA Platz sechs in den Billboard Dance Club Charts – vielleicht ein schönes Vermächtnis für Terence “Terry” Burns. Mehr zu seinem tragischen Leben findet sich in diesem Rückblick. Rest in peace.

Terry's plaque at Elmers End.TERENCE G. BURNS5TH NOV.1937-16TH JAN.1985STILL LOVED & SADLY MISSEDPAT & TONYPhoto © Roger Bahari

Posted by Bromley Bowie on Tuesday, January 15, 2019

Depressiv? Hier bekommst du Hilfe: Wenn du selbst depressiv bist oder Selbstmordgedanken hast, kontaktiere bitte umgehend die Telefonseelsorge (www.telefonseelsorge.de). Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhältst du Hilfe von Beratern, die dir Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können.

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