Popkultur
Die musikalische DNA von Cream
Wenige Sekunden nach Gründung von Cream wäre es fast zu einem Unfall gekommen, der die Karriere des Trios für immer vereitelt haben könnte. Nach einem Gig der Band Bluesbreakers waren deren Gitarrist, ein gewisser Eric Clapton, und ein Schlagzeuger namens Ginger Baker auf dem Weg zurück nach London, als Baker dem Kollegen vorschlug, eine Band zu gründen. Der sagte prompt zu, hatte aber eine Bedingung: Jack Bruce sollte dabei sein. Das überraschte Baker dermaßen, dass er fast die Kontrolle über den Wagen verlor! Denn grün waren sich die beiden, die zuvor schon zusammen in Bands gespielt hatten, keineswegs. Und das ist nur milde ausgedrückt: Angeblich soll Baker Bruce mit einem Messer bedroht haben, um ihn aus einer Band zu schmeißen!
Hört euch hier das Album Wheels Of Fire von Cream an und lest weiter:
Clapton aber bekam seinen Willen und der Rest ist Musikgeschichte. Innerhalb von nur zwei kurzen Jahren avancierten Cream – so benannt, weil sich darin die crème de la crème der britischen Blues- und Jazz-Szenen vereinte – zu einer der erfolgreichsten Rock-Bands ihrer Zeit. Ihr drittes Album Wheels Of Fire brach alle bis dato aufgestellten Erfolgsrekorde und auch ihr Einfluss auf andere Rock-Bands jeglicher Couleur kann kaum unterschätzt werden. Der Prog Rock von Yes oder Rush? Ohne Cream nicht denkbar. Led Zeppelin, Deep Purple, Black Sabbath? Sie alle nannten Cream als Inspiration. Selbst in den Südstaaten der USA wurden Cream für ihren eklektischen Sound gefeiert und beeinflussten Bands wie die Allman Brothers Band und Lynyrd Skynyrd.
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Das Ende der Band wurde aber ebenso schnell besiegelt wie die spontane Gründung auf der Autofahrt nach London. Baker klagte in Interviews über Hörprobleme und die alten Zankereien zwischen ihm und Sänger Bruce flammten wieder auf – sehr zum Leidwesen Claptons, der zwischen ihnen vermitteln mussten. Und das obwohl er selbst gehörig kriselte! Positiv gesprochen machten Cream allerdings genau dann Schluss, als sie eigentlich alles erreicht hatten. Welche Musik sich in ihre musikalische DNA einschrieb und den Cream-Sound so einzigartig machte, das erfahrt ihr bei uns.
1. Howlin’ Wolf – Spoonful
Cream waren nicht nur – pardon – allererste Sahne, sie bewiesen ebenso selbst insbesondere in Sachen Blues den allerbesten Geschmack. Auf ihrem Debütalbum legte die dezidiert als gleichberechtigtes Songwritertrio angelegte Supergroup ihre Einflüsse offen dar. Ironischerweise war eine Coverversion allerdings nicht auf der US-Version von Fresh Cream enthalten: Mit dem 1960 von Howlin’ Wolf aufgenommenen Spoonful interpretierten die Drei ein Stück des Delta-Blues-Masters Willie Dixon neu, einem der produktivsten Songwriter seiner Zeit. Während der ebenfalls von Cream gecoverte Robert Johnson zu dieser Zeit bereits seine verdiente Aufmerksamkeit erhalten hatte, konnten Cream ihrem Idol noch zusätzliche Aufmerksamkeit einbringen. Wen würde es nicht glücklich machen, den eigenen Held endlich ins verdiente Spotlight zu rücken? Zugleich aber bewiesen Cream mit ihrer Coverversion ebenso, wie weit ihre musikalische Vorstellungskraft reichte: Die im Filmore eingespielte Live-Version des kargen Stücks uferte auf fast 17 Minuten aus! Nachzuhören ist die umwerfende Jam-Session auf Wheels Of Fire. Ihre Wurzeln im Blues waren für Cream lediglich die Basis für Größeres.
2. The Modern Jazz Quartet – The Golden Striker
Nicht zuletzt klangen Cream dermaßen einzigartig, weil sie auch dezente Jazz-Noten in ihre Musik einfließen ließen. Hauptverantwortlich dafür war Jack Bruce, dessen Spiel deutlich von den Großen des Genres geprägt war und der im Laufe seiner Karriere einige Jazz-Platten aufnahm. Das bereitete ihm zu Uni-Zeiten sogar Probleme: Nachdem er ein Stipendium für Cello und Komposition an der Royal Scottish Academy of Music and Drama gewonnen hatte, kam er für seine Mitgliedschaft in Jim McHargs Scotsville Jazz-Band in Schwierigkeiten, weil die Akademie ihren Schüler nicht Jazz spielen sehen wollte. Sie fanden es raus und sagten mir: ‚Entweder hörst du auf oder verlässt die Uni.‘ Also verließ ich die Uni“, erinnerte sich Bruce trocken in einem Interview. Während seiner Uni-Zeiten noch kam er allerdings mit der Musik von The Modern Jazz Quartet in Berührung. „The Golden Striker war die erste Platte, die ich während meines Studiums der klassischen Musik kaufte“, erinnerte sich der Bassist im Frühjahr 2014 im britischen Express. „Obwohl sie eine Jazz-Gruppe waren, spielten sie in einem vorzüglichen klassischen Stil und ich fand es großartig!“ Anders als seine Uni sah Bruce keinen Unterschied zwischen den beiden Welten – das machte ihn auch als Musiker aus.
3. Koola Lobitos – Highlife Time
Ein weiteres zentrales Element des Cream-Sounds war natürlich das druckvolle Drumming Ginger Bakers, der sich ebenfalls als Jazzer betrachtete und mit der Lautstärke seiner Band so seine Schwierigkeiten hatte. Baker ist eben ein Mann fürs Feine, auch wenn er beispielsweise mit dem Song Toad eines der frühesten Beispiele für Schlagzeug-Soli in der Rock-Geschichte für sich verbuchen kann. Eine ganz besondere Leidenschaft aber hat der aufbrausende Drummer für die Afrobeat-Rhythmen von Fela Kuti, mit dem er sogar gemeinsam auf Tour ging, als er nach dem Ende von Cream für einige Jahre nach Nigeria zog. Felas Rhythmussektion wurde indes von Tony Allen perfektioniert, dem Ausnahmedrummer des Genres. Bevor sie gemeinsam mit Kutis Band Africa ‘70 über 30 (!) Alben aufnahmen, spielten beide Mitte bis Ende der siebziger Jahre in der Band Koola Lobitos, welche den nigerianischen Highlife-Sound mit Jazz zusammenführte. „Tony Allen motzte die Band auf“, sagte Baker später über den Kollegen und Africa ‘70. „Er hatte nahezu komplette Kontrolle über die gesamte Situation.“ Ein Drummer mit Vorbildfunktion also: Baker schließlich musste seine jamwütigen Kollegen nicht selten zur Räson bringen.
4. The Beach Boys – Wouldn’t It Be Nice
Es fällt nicht gerade schwer zu verstehen, warum Baker mit seinem Bandkollegen Jack Bruce nie zurechtkam. Charakterlich waren beide an ganz verschiedenen Polen angesiedelt. Anders als der hitzige Baker hat der reservierte Bruce ein Faible für Pop-Musik. Den Cream-Song I Feel Free aus dem Dezember 1966 hätte es wohl nicht ohne die Pet Sounds-LP der Beach Boys gegeben, welche früher im Jahr die Pop-Musik revolutioniert hatte. „Es hatte dieselbe Auswirkung wie Sgt. Pepper“, erinnerte sich Baker. „Es war so frisch und kreativ. Es zeigte uns, was im Rahmen eines Pop-Songs alles möglich war und trieb meine Ambitionen an, I Feel Free zu schreiben.“ Vielleicht werden es insbesondere die komplexen Harmonien von Ohrwürmern wie Wouldn’t It Be Nice gewesen sein, die Bruce den Mut dazu verliehen. Zur Freude Claptons wohl, denn der wollte lieber bei der Gitarre bleiben anstatt zu singen. Es half aber nichts und alle mussten am Mikro aushelfen – schließlich galt es sich mit den Beach Boys zu messen!
5. Big Bill Broonzy – Hey Hey
Warum Clapton lieber schweigen wollte? Na, die „Slowhand“ hatte schließlich den Takt zu halten. Allein, weil einer seiner größten Helden aus Anfangstagen einen strammen Beat vorlegte. „Sein Rhythmus, er ist einfach so perfekt“, stöhnte Clapton begeistert beim Hören von Big Bill Broonzys Hey Hey. Auf der Aufnahme des Songs nämlich ist neben der Stimme und dem Gitarrenspiel des 1958 verstorbenen Blues-Pioniers noch ein anderes Instrument zu hören: sein Fuß! Der klopft mit der Ruhe und Genauigkeit eines Metronoms den Takt mit. So steppt Talent! Zumal Broonzy selbst mit einer Akustikgitarre bewaffnet noch einen Raum für sich gewinnen konnte – während Clapton zu Cream-Zeiten auf hohe Verstärkertürme und auf Anschlag aufgerissene Lautstärkeregler setze. Sehr zum Leidwesen seines Kollegen am Schlagzeug natürlich. Die Akustikgitarre meisterte er aber schlussendlich ebenso. Sein Unplugged-Album gehört zu einem Höhepunkt der Rockgeschichte. Darauf zu hören: Ein Cover von Hey Hey. Wer genau hinhört, wird im Hintergrund ein stetes Tapsen hören…
6. Albert King – Oh, Pretty Woman
Wie seine Bandkollegen war auch Clapton allerdings schon immer ein Freund von musikalischen Grenzüberschreitungen, wie nicht allein seine Annäherung an Reggae und andere Genres bewies. Dem Blues allerdings blieb er dabei stets treu – manchmal sogar zu sehr! Creams Durchbruchsalbum Disraeli Gears verblendet die neue britische Psychedelik von Bands wie Pink Floyd mit US-amerikanischem Blues, durchgehend originell aber daran war nur die Mischung an sich. Beim Opener Strange Brew nämlich bediente sich Clapton frech und frei an Albert Kings Oh, Pretty Woman, dessen Gitarrensolo er Note für Note nachspielte! King wird es dem jungen Kollegen aber wohl nachgesehen haben, denn tatsächlich teilten sich die beiden viele Zeit später mit anderen Blues-Giganten wie B. B. King und Etta James die Bühne. Puh, noch mal Glück gehabt… Zumal es nicht das einzige Mal bleiben sollte, das eine Clapton-Band sich von King mehr als nur Inspiration lieh: Das Gitarrenriff von Layla etwa basiert auf der Melodie von Kings As Years Go Passing By! Der Übeltäter war in dem Falle nicht Clapton, sondern der während der Aufnahmensessions zu Derek & The Dominos gestoßene Duane Allman.
7. Bond + Brown – Lost Tribe
Albert King sollte die Band aber noch weiter begleiten. Tatsächlich findet sich auf ihrem Überalbum Wheels Of Fire ein – diesmal offizielles – Cover von seinem Stück Born Under A Bad Sign. Das nahmen die Drei auf Bitten ihrer Plattenfirma auf, die ebenso King unter Vertrag hatten. Nicht ganz freiwillig also, aber mit großem Erfolg. Sogar bei ihrer Aufnahme in die Rock and Roll Hall Of Fame im Jahr 1993 spielten sie das Stück. Mit Wheels Of Fire deutete sich ein Stilwechsel an, der Folgen haben sollte. Komplexere Taktarten waren angesagt, der Sound wurde opulenter. Es war ein Album, zu dem Clapton ausnahmsweise recht wenig beitrug und zu dem Baker und Bruce jeweils drei beziehungsweise vier Stücke beisteuerten. Bruce’ schrieb seine Songs zusammen mit dem Lyriker Pete Brown, der schon die Texte zu I Feel Free und anderen Stücken verfasst hatte. Manche Fans handeln Brown deshalb als inoffizielles viertes Mitglied der Band, tatsächlich aber kann auch er auf eine eigene musikalische Karriere mit Bands wie Piblotko, The Interoceters und anderen zurückblicken. Nach dem Ende von Cream fand er sich unter anderem mit dem Keyboarder Graham Bond zusammen, mit dem er gemeinsam ein Album mit dem vielsagenden Titel Two Heads Are Better Than One einspielte. „Jack und ich hatten immer diese Chemie, eine Telepathie, genau zu wissen, was gebraucht wurde“, verlautbarte er vor wenigen Jahren mysteriös über seine Zusammenarbeit mit Bruce. Eine Symbiose, der seine Kollaboration mit Bond in nichts nachsteht!
8. The Band – Tears Of Rage
Wheels Of Fire markierte zugleich jedoch den Anfang vom Ende der zu diesem Zeitpunkt noch so jungen Band. Das letzte gemeinsame Jahr war ein beschwerliches und anstrengendes für die drei Mitglieder. Clapton insbesondere driftete auf eine kreative Krise zu, die in einer Rolling Stone-Rezension von Jon Landau gipfelte, in welcher dieser den Gitarristen abfällig als einen „Meister des Blues-Klischees“ bezeichnete. Das saß! Dazu kam seine Frustration mit den Live-Auftritten der Band. Angeblich hörte er während eines Gigs einfach auf zu spielen – und seine Kollegen bemerkten es über die irrwitzige Lautstärke der Marshall-Türme hinter ihnen überhaupt nicht! Es stand fest: Clapton wollte sich neu orientieren. Halt fand er in der Musik Bob Dylans und insbesondere deren früherer Band mit dem nüchternen Namen The Band. Deren Album Music From Big Pink soll seine Welt regelrecht auf den Kopf gestellt haben. „Ich wurde sehr, sehr unzufrieden mit meinem eigenen Kram“, erinnerte er sich Jahrzehnte später in einem Interview. „Ich habe dieses Album gehört und dachte mir: ‘Das ist es. Da hätte Musik hingehen sollen und endlich ist genau das passiert.‘“ Besonders reizte Clapton das Miteinander von Einflüssen aus schwarzen und weißen Musiktraditionen, die einzigartige Mischung aus Blues und Folk. Schon der Albumopener Tears Of Rage scheint eine perfekte Synthese aus psychedelischen Rock-Elementen, dezenten Bluegrass-Noten und einer gehörigen Portion Soul. Kein Wunder, dass sich Clapton sofort in die Platte verliebte! „Sie wussten ganz genau, was sie wollten.“ Anders als seine eigene Band also.
9. The Beatles – Let It Be
Lasst es sein! Das haben vielleicht auch einige Menschen der maroden Band geraten, als sie sich an die katastrophalen Aufnahmen ihres letzten Albums mit dem sprechenden Titel Goodbye machten. Darauf zu hören war auch das Gitarrenspiel eines ominösen Gasts: Als L’Angelo Misterioso, als mysteriöser Engel, war der Rhythmusgitarrist in den Credits der Platte genannt, welcher auch als Ko-Songwriter involviert war. Dahinter verbarg sich niemand anderes als George Harrison. Clapton und er kannten sich bestens, hatte das Cream-Mitglied doch auf dem White Album der Beatles mit einem Gitarrensolo auf Harrisons Song While My Guitar Gently Weeps einen Auftritt und war ebenso auf Harrisons erster Solo-Platte Wonderwall Music zu hören. Im Folgejahr übrigens, kurz nach der Auflösung von Cream, sah es auch bei den Beatles nicht zum Besten bestellt aus: Während der Aufnahmen von Let It Be verließ Harrison sogar für einige Tage die Band. Kein großes Drama für John Lennon, der bereits einen Ersatzgitarristen im Hinterkopf hatte. Ihr könnt bestimmt erraten, welchen…
10. Jimi Hendrix – 1983… (A Merman I Should Turn To Be)
Zwei Jahre nur existierten Cream, nahmen lediglich vier Alben auf und doch kann ihr Einfluss auf spätere Generationen nicht unterschätzt werden. Die crème de la crème der britischen Rock-Szene begeisterte nicht nur Fans in aller Welt, sondern ebenso zahllose Bands. Ein ganz besonderer Musiker sollte schneller vom Fan zum ebenbürtigen Konkurrenten aufsteigen, als es den ehrgeizigen Cream und vor allem ihrem Gitarristen lieb war: Jimi Hendrix war bereits auf den ersten Konzerten der Band zugegen und improvisierte sogar bei einem Auftritt im Oktober 1966 gemeinsam mit der Band über Howlin’ Wolfs Killing Time – in doppelter Geschwindigkeit! Zu viel für Clapton, der prompt die Bühne verließ und noch viel später aufgelöst den Kollegen Chas Chandler fragte: „Ist der immer so verfickt gut?“ Chandlers Antwort ist nicht überliefert, wir können sie uns aber denken: Ja, ist er. Hatten Cream schon mit Feedback experimentiert und mit protzigen Verstärkertürmen um Aufmerksamkeit geheischt, setzte Hendrix dem noch ganze andere Feinheiten entgegen. Wah-Wah-Pedale, psychedelische Soundeffekte und aufwändige Studiospielereien machten seinen Sound einzigartig. Ginger Baker übrigens freundete sich mit dem früh verstorbenen Genie sogar an und hatte noch Jahrzehnte später nur warme Worte für ihn übrig. „Jimi trug seine Band. Er trug sie allein. Da hatten die anderen kaum einen Anteil dran.“ Vielleicht hätte es einen dermaßen entschiedenen Bandleader bei Cream gebraucht, die über ihren Egos zerbrachen.
Ein kaputtes Fahrrad und fünf weitere Anekdoten aus dem Leben von Ginger Baker

Popkultur
Zeitsprung: Am 27.3.1970 veröffentlicht Alice Cooper „Easy Action“.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 27.3.1970.
von Bolle Selke und Christof Leim
Die Rock’n’Roll-Welt steht nicht gerade in Flammen für die Alice Cooper Band, als sie am 27. März 1970 ihr zweites Album Easy Action veröffentlicht. Das könnte nicht zuletzt an der lustlosen Produktion liegen. Trotzdem bietet sich hier ein perfektes Zeitdokument einer sich entwickelnden Band, das man fast als Vorproduktion für den Meilenstein Love It To Death im folgenden Jahr ansehen könnte.
Hier könnt ihr euch Easy Action anhören:
Geneigte Fans und Hardrock-Aficionados wissen vermutlich, dass Alice Cooper für eine Band steht, die sich 1975 auflösen wird. Erst danach adaptiert deren Sänger Vincent Furnier den Namen und wird so zu einem hochgeschätzten Heavy-Metal-Entertainer und Gottvater des Shock Rock.
Psychedelische Scheißmusik
1970 allerdings stehen solche Superlative noch in weiter Ferne. Die Truppe schraubt an ihrem zweiten Album, das ebenso wie der Vorgänger Pretties For You bei Frank Zappas Plattenfirma Straight erscheinen soll. An den Reglern sitzt David Briggs, der heutzutage vor allem bekannt dafür ist, mehr als ein Dutzend Neil-Young-Alben produziert zu haben. Schlagzeuger Neal Smith sagt später über Briggs: „David hasste unsere Musik und uns. Ich erinnere mich, dass unsere Song für ihn ‚psychedelischer Scheiß‘ waren. Wenn man mich fragt, klang Easy Action zu trocken, eher wie eine TV- oder Radiowerbung. Er half in keiner Weise beim Arrangement der Lieder oder lieferte irgendwelchen positiven Input.“ Und so wird kein einziges der Stücke von Easy Action nach der Love It To Death-Tour jemals wieder live von Cooper aufgeführt.
Nichtsdestotrotz bezeichnen manche gerade diese Scheibe als das „große unentdeckte“ Cooper-Album. Während Pretties for You eine schwierige Platte ist und Love It to Death ein Klassiker, könnte man Easy Action als das perfekte Bild einer sich entwickelnden Band ansehen. Beim ersten Stück Mr. And Misdemeanor lässt sich zum Beispiel miterleben, wie Sänger Furnier seinen bösartig klingenden Gesangsstil definiert. Alice Cooper steht später für drei Minuten lange Hits mit eingängigen Melodien und negativen Themen, welche dann gegen Ende der Alben durch längere Stücke ergänzt werden. So gesehen liefern die Rocker mit Easy Action also fast eine Vorproduktion für Love It to Death, obwohl die Band auf ersterem mehr Erfindergeist zeigt.
Unisex, roh und gewalttätig
Hinter dem Albumtitel steckt eine Zeile aus einem Lieblingsfilm von Furnier und Bassist Dennis Dunaway, dem Musical West Side Story mit der Musik von Leonard Bernstein. Zitate daraus wie „got a rocket in your pocket“ und „when you’re a Jet, you’re a Jet all the way“ werden auch bei dem Song Still No Air verwendet. Das Motiv der halbstarken Gang aus West Side Story wird auch an anderen Stellen von Alice Copper aufgegriffen. Auf dem Cover wendet sich die Band von der Kamera ab, deren unbedeckte Rücken sind nur durch ihr langes Haar bedeckt. Eine Radiowerbung von 1970 pries die Band dann auch als „unisex, roh, miteinander und gewalttätig – genau wie ihr, amerikanische Mitbürger“.
Als ob die Band den fehlenden kommerziellen Erfolg von Easy Action geahnt hätte, beginnt der letzte Song, das psychedelisch abgedrehte Lay Down And Die, Goodbye, mit den Worten des Komikers Tom Smothers: „Ihr seid der einzige Zensor. Wenn euch das, was ich sage, nicht gefällt, habt ihr die Wahl: Ihr könnt mich ausschalten.“
Die Kritiker zerreißen das Album hauptsächlich. Robert Christgau bezeichnet es im Magazin The Village Voice als „unmelodisches Singen, unmelodisches Musizieren, unmelodische Melodien und pseudomusikalischen Beton“. Erst bei Love It To Death entdeckt die Band mithilfe von Produzent Bob Ezrin den Sound für den Alice Cooper heutzutage geliebt wird…
Zeitsprung: Am 5.6.1977 gibt es einen Todesfall bei Alice Cooper – wegen einer Ratte.
Popkultur
Der Beginn einer Weltkarriere: Das ABBA-Debüt „Ring Ring“
Auch wenn es 150 Millionen verkaufte Alben später kaum noch vorstellbar ist: ABBA waren nicht immer so erfolgreich wie heute. So landete die Gruppe mit ihrem Debüt Ring Ring im Jahr 1973 noch keinen allzu großen Hit. Ein Jahr später klingelten allerdings tatsächlich die Telefone — und bescherten ABBA den Durchbruch.
von Timon Menge
Hier könnt ihr euch Ring Ring von ABBA anhören:
Als ABBA zu Beginn der Siebziger zusammenfinden, haben die vier Mitglieder der Gruppe schon einiges an musikalischer Erfahrung auf dem Buckel. Benny Andersson konnte bereits große Erfolge mit The Hep Stars feiern, Björn Ulvaeus verdiente sich seine Sporen bei den Hootenanny Singers. Anni-Frid „Frida“ Lyngstad singt damals schwedische Schlager, ebenso wie Agnetha Fältskog. Doch durch die Irrungen und Wirrungen des Musikgeschäfts finden die vier Talente Stück für Stück zusammen, zunächst als Paare, dann als Pop-Quartett. Im April 1970 treten ABBA zum ersten Mal gemeinsam auf, und zwar ganz spontan am Strand von Zypern. Die Chemie stimmt. Deshalb dauert es auch nicht lange, bis die ersten gemeinsamen Songs entstehen.
Ring Ring: Wie ABBA ihre Identität fanden
Es sind vor allem Benny und Björn, die für ABBA komponieren. Dabei entstehen zunächst schwedische Stücke wie Hej, gamle man und Det kan ingen doktor hjälpa. Polar-Music-Chef Stig Anderson glaubt fest an das kreative Doppel und prophezeit: „Eines Tages werdet ihr einen Song schreiben, der zum weltweiten Hit wird.“ Vermutlich ahnt damals noch niemand, wie sehr er recht behalten wird. Bereits im März 1972 landen Benny und Björn mit She’s My Kind Of Girl überraschend einen Top-Ten-Hit in Japan; nur ein Vorbote auf die Erfolge der nächsten Jahrzehnte. Ab Mitte 1972 rücken ABBA ihre Frauenstimmen stärker in den Vordergrund. Im Juni erscheint die Single People Need Love — erstmals unter dem Namen Björn & Benny, Agnetha & Anni-Frid.
Mit der Single springen die Musiker*innen auf Platz 17 der schwedischen Charts und merken, dass sie zusammen funktionieren. In den USA landen sie immerhin auf Platz 114 und steigen zum ersten Mal in die Hitparade jenseits des großen Teichs ein. Nachdem sich Benny und Björn zuvor schon einmal beim schwedischen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest beworben hatten, startet die Gruppe diesbezüglich einen neuen Versuch. 1973 reichen die Vier den Song Ring, Ring ein, in der Hoffnung, mit dem Stück für Schweden beim Wettbewerb antreten zu dürfen. Das klappt zwar noch nicht ganz, doch einmal mehr gelingt ABBA mit ihrer Musik ein voller Erfolg. Am 26. März 1973 erscheint ihr Debütalbum Ring Ring und legt viele wichtige Grundsteine.
Wie zahlreiche klingelnde Telefone ABBA zum Durchbruch verhalfen
Die ganz großen ABBA-Hits enthält Ring Ring noch nicht. Auch die Performance in den Charts und die Verkaufszahlen lösen noch keine Begeisterungsstürme aus. Zwar erreicht das Quartett in Schweden den zweiten Platz der Hitparade und in Norwegen einen soliden zehnten Platz, ebenso wie in Australien. Doch woanders auf der Welt interessiert man sich noch nicht so sehr für die vier Schwed*innen. Zu Unrecht: Mit dem Titeltrack, People Need Love und She’s My Kind Of Girl enthält das ABBA-Debüt einige echt starke Songs. Auch die unbekannteren Stücke Disillusion und Love Isn’t Easy (But It Sure Is Hard Enough) können sich mehr als nur hören lassen. Bis zum großen Erfolg von ABBA soll es trotzdem noch ein paar Monate dauern.
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Ab Oktober 1973 nimmt das schwedische Musikmärchen langsam Form an. Zum ersten Mal bezeichnet sich die Gruppe selbst als ABBA. Wenig später melden sich die Vier ein weiteres Mal zum schwedischen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest an. Der Glam Rock erobert inzwischen die Welt und ABBA passen sich an. Mit der recht rockigen Nummer Waterloo können die Vier ihr Heimatland überzeugen. Am 6. April 1974 dürfen ABBA für Schweden antreten. Und nicht nur das: Sie gewinnen den Wettbewerb, weil die Telefone klingeln. „Ring, Ring“, quasi. Belgien, Dänemark, Großbritannien, Deutschland, Finnland, Irland, Niederlande, Südafrika, Schweiz: Überall landet Waterloo auf dem ersten Platz der Singlecharts. Doch das ist eine andere schwedische Erfolgsgeschichte.
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Ola Brunkert: Der langjährige ABBA-Schlagzeuger, den kaum jemand kennt
Popkultur
Eins der letzten großen Rockalben: „Meteora“ von Linkin Park
Geht man nach den Verkaufszahlen, sind Linkin Park die bisher letzte große Rockband der Musikgeschichte. Besonders von 2000 bis 2003 führte kaum ein Weg an den Kaliforniern vorbei. Am 25. März 2003 veröffentlichte die Band ihr zweites Album Meteora — und schlug dafür einen anderen Weg ein als zuvor.
von Timon Menge
Hier könnt ihr euch Meteora von Linkin Park anhören:
Der blitzartige Raketenstart gelingt Linkin Park schon mit ihrem Debütalbum Hybrid Theory (2000). Mehr als 30 Millionen verkaufte Exemplare, Top-5-Platzierungen in den USA, Großbritannien und Deutschland sowie 12-faches Platin: Es wirkt damals fast, als hätte die globale Musikwelt bloß auf die kalifornische Gruppe und ihre einzigartige Rock-Hip-Hop-Mischung gewartet. Doch mit ihrem Einstand legen Linkin Park nur den Grundstein für eine jahrelange Erfolgsgeschichte. Das zweite Kapitel der Story: Meteora. Als die Platte am 25. März 2003 erscheint, brechen einmal mehr alle Dämme. Diesmal gelingt sowohl in den USA als auch in Großbritannien und Deutschland der erste Platz der Albumcharts. Entstanden ist der Nachfolger ein wenig anders als das Debüt.
Meteora von Linkin Park: Mehr Einfluss am Mischpult
Um das zweite Linkin-Park-Album zu verstehen, müssen wir zunächst einen kleinen Haken schlagen. Zwischen Hybrid Theory und Meteora bringen Linkin Park im Jahr 2002 nämlich noch die Remix-Platte Reanimation raus. Darauf verpasst die Gruppe den Songs von ihrem Debüt eine Frischzellenkur und interpretiert das Material von Hybrid Theory noch einmal völlig neu. Ein wichtiger Unterschied zwischen den beiden Veröffentlichungen: Während das erste Linkin-Park-Album vollständig von Produzent Don Gilmore betreut wird, legt für die Remixe vor allem Linkin-Park-Rapper und Multi-Instrumentalist Mike Shinoda Hand an das Mischpult. Linkin Park stellen fest, dass ihnen das Produzieren liegt — und machen deshalb genau so weiter.
Zwar setzen die Kalifornier auch für ihr zweites Album auf die Dienste von Gilmore. Doch diesmal möchten Linkin Park stärker mitreden und mehr experimentelle Ideen in ihren Sound einfließen lassen. „Wir wussten was wir wollten, und bis zu einem gewissen Grad wussten wir auch, wie wir das umsetzen konnten“, verrät Linkin-Park-Frontmann Chester Bennington in einem Interview. „Wir haben einfach losgelegt.“ Die Songs von Meteora entstehen sowohl im Heimstudio von Shinoda als auch während der finalen Produktion. Die Band arbeitet damals paarweise; lediglich Shinoda weiß jederzeit über alles Bescheid. Im Dezember 2002 stellen Linkin Park ihr zweites Album schließlich fertig — und damit auch einige ihrer größten Hits.
Das zweite Album von Linkin Park: Die letzten großen Rock-Hits?
Ob Somewhere I Belong, Faint, Numb oder Breaking The Habit: Meteora strotzt nur so vor einigen der größten Linkin-Park-Songs, genau wie zuvor Hybrid Theory. Inhaltlich beschäftigen sich die Stücke auf Album zwei mit Themen wie Depressionen und Wut, aber auch mit Besserung und Hoffnung. „Wir sprechen in unseren Texten nicht über Situationen, sondern über die Gefühle hinter Situationen“, erklärt Sänger Bennington in einem Interview mit MTV. „Mike und ich sind zwei verschiedene Menschen und können deshalb nicht über dieselben Dinge singen, aber wir kennen beide Frustration und Wut und Einsamkeit und Liebe und Glück. Auf diesen Ebenen können wir uns aufeinander beziehen.“
Im Nachhinein muss man sagen: Mit Meteora legen Linkin Park im Jahr 2002 eins der bisher letzten großen Rockalben vor. Bloß American Idiot (2004) von Green Day und A Rush Of Blood To The Head (2002) von Coldplay gehen ähnlich häufig über die Ladentheke; in ihrer eigenen Diskografie fahren Linkin Park nur mit ihrem Debüt Hybrid Theory noch größere Erfolge ein. Nicht nur das: Ihren Aufstieg verdanken Chester Bennington und Co. nicht zuletzt der Tatsache, dass sie eben keinen lupenreinen Rock spielen, sondern das Genre organisch mit den Hip-Hop-Sounds des 21. Jahrhunderts vermischen. Ob es noch einmal Alben dieser Größenordnung geben wird? Vermutlich schon. Ob es Rockalben sein werden, darf allerdings angezweifelt werden.
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