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Popkultur

Die musikalische DNA von Neil Diamond

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Neil Diamond

„Es gibt zwei Sorten Menschen auf dieser Welt“, heißt es 1991 im Film What About Bob?. „Diejenigen, die Neil Diamond mögen und die, die es nicht tun.“ Das ist vermutlich keine Übertreibung, denn tatsächlich scheiden sich an dem US-Amerikaner die Geister. Er selbst ist daran vielleicht nicht ganz unschuldig, kann er doch manchmal auch ätzend sein. Als er etwa im Jahr 1976 eine ausverkaufte Show im Aladdin Hotel in Las Vegas gab, für die er satte 650.000 Dollar kassierte, begann er den legendären Gig mit einer Anekdote über eine Ex-Freundin, die ihn wegen seines mangelnden Erfolgs geschasst hatte. „Du hast mir wohl zu früh den Laufpass gegeben“, knurrte Diamond, „denn schau mal, wer heut Abend hier steht!“

Hört euch hier Neil Diamonds musikalische DNA in einer Playlist an:

Diamond hat allerdings allen Grund, stolz zu sein. Zuhause stehen Golden Globes, Grammys und Auszeichnungen der Songwriters Hall of Fame wie auch der Rock and Roll Hall Of Fame im Schrank, selbst auf dem Hollywood Boulevard ist ein Stern mit dem Namen des Musikers zu finden, der einer der kommerziell erfolgreichsten US-Künstler aller Zeiten ist. Aber es gibt auch seine andere Seite: Vier Jahre lang nahm der Sohn armer Eltern sich Mitte der siebziger Jahre auf einem der Höhepunkte seiner Karriere eine Auszeit, um sich seinem Kind zu widmen. Selbst seine berühmten farbfrohen Hemden hatten vor allem einen Zweck: Auf Konzerten sollten ihn seine Fans auch aus der Ferne erkennen können.


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Neil Diamond hat schließlich genug Zeit im Hintergrund verbracht, um seine Lektionen in Sachen Demut zu lernen. Die meisten seiner Songs wurden durch andere Bands bekannt gemacht: The Monkees’ I’m A Believer? Ein Diamond-Song! Genauso wie Red, Red Wine, das die meisten als Reggae-Version von UB40 kennen oder Solitary Man, das im Jahr 2000 von Johnny Cash und später der Band HIM mit großem Erfolg neu aufgenommen wurde. Welche Musik aber beeinflusste ihn eigentlich? Wir finden es mit einem Blick auf die musikalische DNA des kontroversen Songwriters heraus!

1. Barbra Streisand – My Coloring Book

Obwohl allein schon sein Nachname anderes vermuten lässt, kommt Neil Diamond aus sehr einfachen Verhältnissen. Er wuchs in Brooklyn auf, wo er die Erasmus Hall High School besuchte und erste Gesangserfahrungen im hiesigen Chor sammeln konnte. Mit von der Partie? Barbra Streisand! „Wir waren zwei arme Kids aus Brooklyn“, erinnerte sich Diamond. „Wir hingen vor der Schule ab und rauchten Zigaretten.“ Obwohl eine geplante Filmversion von You Don’t Bring Me Flowers später ins Wasser fallen sollte, zu einem überaus erfolgreichen Duett der beiden reichte es im Jahr 1978 allemal. Gar nicht mal so schlecht für zwei arme Kids aus Brooklyn, oder?

Diamond sprach ehrfürchtig von der Kollegin als der „besten Sängerin seiner Generation“. Wer hätte das alles im Jahr 1962 geahnt, als beide mit ihren ersten Singles ins Rampenlicht traten? Derweil Diamond als Teil des Duos Neil and Jack sowie später im Jahr mit der Single At Night nur mäßige Erfolge einfuhr, machte sich Streisand mit ihrer Version von Fred Ebbs und John Kaders My Coloring Book einen Namen und veröffentlichte im Folgejahr das überaus erfolgreiche The Barbra Streisand Album, bevor sie mit The Second Barbra Streisand Album zurückkehrte. Darauf zu finden: eine neue Version ihres ersten Hits.

2. Pete Seeger – If I Had A Hammer

Die gemeinsamen Chorstunden mit der bald berühmten Klassenkameradin aus der Raucherecke waren eins, die erste eigene Gitarre ein anderes. Zum 16. Geburtstag wurde dem kleinen Neil dieser Traum erfüllt. Im Surprise Lake Camp für jüdische Kinder aus dem New Yorker Raum hatte er einen Auftritt gesehen, der sein Leben endgültig verändern sollte: Pete Seeger spielte dort ein kleines Konzert und ließ sich von den Kids sogar Songs vorsingen, die sie selbst geschrieben hatten. „Ich bekam eine Gitarre, nachdem es nach Brooklyn zurückging, nahm Unterricht und begann sofort, selbst Songs zu schreiben“, erinnerte er sich an die Konsequenzen dieses Erweckungsmoments.

Die frühe Inspiration vergaß er nie. „Pete Seeger war ein Bote für universellen Frieden und Liebe“, schrieb er sichtlich ergriffen zum Tod des Songwriters im Jahr 2014. „Er war meine erste Inspiration dafür, selbst Lieder zu schreiben und sie auf meine Art mit den Menschen zu teilen.“ Wie heißt es doch in Seegers größtem Hit: „Well I got a hammer / And I got a bell / And I got a song to sing, all over this land“. Welches Land das war? Klar! America, wie Diamond es später in einem ähnlich politisch aufgeladenen Song selbst besingen sollte. Nicht allein die Songwriter-Kniffe des Folk-Sängers scheinen ihn inspiriert zu haben!

3. The Walker Brothers – Love Her

Vielen aus dem Musikbusiness aber war der Kollege nicht aufmüpfig genug. Levon Helm etwa, Drummer von The Band, schrieb in seinen Memoiren über Martin Scorseses Film The Last Waltz: „Als ich hörte, dass Neil Diamond mitspielen sollte, fragte ich nur: ‚Und was zur Hölle hat Neil Diamond mit uns zu tun?‘“. Bandkollege Robbie Robertson versuchte mit den Worten „Neil ist wie die Tin Pan Alley“ zu schlichten und konnte damit seinen Schlagzeuger nur mäßig überzeugen. Er hatte aber durchaus Recht. Zu Collegezeiten schwänzte Diamond lieber, um zum legendären Straßenzug zu fahren und dort seine Songs anzubieten.

Eine Songwriterin von Aldon Music erinnerte sich an einen jungen Mann, der sich nicht mal darüber im Klaren war, ob er seinen Nachnamen behalten sollte. „Ach, ich weiß nicht“, soll er gebrummelt haben. Eins aber war dem jungen Studenten klar: Er wollte Songwriter werden, nicht Arzt! Mit Cynthia Weil traf er da eigentlich die Richtige: Sie war für eine Vielzahl von Hits verantwortlich, unter anderem Love Her von den Walker Brothers – ein Stück, das auch die Everly Brothers als Single veröffentlichten. Die wiederum waren ein Haupteinfluss für den Sänger und standen später sogar gemeinsam mit ihm auf der Bühne. Es dauerte noch etwas, bis aus Diamond ein erfolgreicher Songwriter werden sollte, aufgeben kam für ihn aber nicht in Frage. Seine knochenharte Anfangszeit verarbeitete er später in einem seiner berühmtesten Songs: Solitary Man.

4. The Monkees – I’m A Believer

Noch bevor Diamond sich selbst einen Namen machen konnte – denn natürlich behielt er seinen Nachnamen bei! –, brachte er die gecastete Folk-Rock-Band The Monkees auf Touren. Das Quartett war als US-amerikanische Antwort auf die Beatles konzipiert, dessen Leben in einer Sitcom verfolgt werden sollte. Tatsächlich ließ sich selbst John Lennon zu wohlwollenden Worten hinreißen: „Versucht ihr doch mal, eine wöchentliche Show zu bestreiten, die nur halb so gut ist!“, hielt er der Kritik entgegen.

Den Erfolg fuhren die Monkees allerdings vor allem ihrer Musik wegen ein, der 1966 veröffentlichte Song I’m A Believer stammte wie einige andere von Neil Diamond. Sein erster Instant-Hit – gesungen von einer anderen Band! Es sollte Diamond noch fast seine gesamte Karriere über verfolgen, im Grunde aber hätte es kaum besser für ihn kommen können: Zeitgleich nämlich machte er sich selbst als Sänger einen Namen und konnte so doppelten Ruhm ernten. Auch wenn die Monkees also streng genommen keinen direkten musikalischen Einfluss auf ihren Songwriter ausübten, so wäre Diamond doch ohne sie sicher nicht so weit gekommen. I’m A Believer zumindest ist selbst über ein halbes Jahrhundert (!) nach Erstveröffentlichung immer noch nicht aus dem Pop-Kanon wegzudenken.

5. Elvis Presley – Blue Suede Shoes

An einem wird sich Diamond wohl sicher bis an sein Lebensende messen müssen: Elvis Presley, seines Zeichens King of Rock’n’Roll und Diamonds vormaliger Nachbar. In einem Fernsehinterview erzählte Diamond, dass die beiden sich gerne mit ungewollten Gästen einen Spaß erlaubten und sie zum Haus des jeweils anderen schickten und ihre Kinder miteinander spielten – von einem Maschendrahtzaun abgetrennt und mit Bodyguards an ihrer Seite!

Dass Presley auf Diamond einen Einfluss ausübte, das steht so oder so fest. Seine eigene Verehrung gegenüber dem Kollegen machte er aber genauso öffentlich: Mit Sweet Caroline coverte er einen von Diamonds größten Hits, der heute noch bei vielen Sportevents erklingt. Auf einem Konzert in Las Vegas wollte er den im Publikum sitzenden Diamond sogar vors Mikrofon holen. Der aber lehnte ab. „Ich bin froh, es nicht getan zu haben“, sagte er später und fuhr mit geschwungenen Worten fort: „Weil es keine gute Idee gewesen wäre, den Saum eines Gottes anzufassen. Er war wundervoll. Er war warmherzig und mir gegenüber sehr großzügig. Ich denke, dass es am besten war, es dabei zu belassen.“ Seine Großzügigkeit stellte Elvis nicht allein Diamond gegenüber unter Beweis: Auch sein Hit Blue Suede Shoes war als Tribut gedacht und brachte seinem eigentlichen Songwriter Carl Perkins nachträglich viel Aufmerksamkeit ein.

6. Bill Withers – Ain’t No Sunshine

Diamond selbst brachte seinen Vorbildern ebenso viel Respekt entgegen, vor allem natürlich musikalisch. Noch 2010 gedachte er auf seinem 31. (!) Studioalbum Bill Withers, indem er dessen Überhit Ain’t No Sunshine coverte. Withers hatte seine Karriere inzwischen weitestgehend beendet und wollte vom Leben vor allem eins: seine Ruhe. „Ich mag Neil. Aber weißt du, was ich dachte, als ich das las? Bill, du bist nicht Neil Diamond“, sagte er in einem Interview, auf den Arbeitseifer des nur unwesentlich jüngeren Kollegen angesprochen.

Ein Blick auf die Tracklist des Coveralbums Dreams verrät, dass die meisten der Held*innen Diamonds sich mittlerweile zurückgezogen haben oder verstorben sind. Die noch aktiven Randy Numan, Paul McCartney oder Gilbert O’Sullivan sind darauf eher in der Unterzahl. Was aber eben nicht heißt, dass Diamond ein Nostalgiker wäre, ganz im Gegenteil. Nicht nur traute er sich aus seinen angestammten Gefilden heraus und experimentierte jenseits von Pop, Rock und Folk mit Soul, sondern er dachte schon früh den technischen Fortschritt mit.

7. The Who – My Generation

Von wegen „I hope I die before I get old“! Dass Diamond nicht alt zu werden scheint, beweisen allein seine jüngsten Touren, die zum Teil über Periscope und Twitter zu verfolgen waren. Auch mit über 70 Jahren bleibt er ein seiner Zeit aufgeschlossener Genosse. In seiner eigenen Jugend allerdings holte er sich einen Schock von The Whos Pete Townshend ab. Am Anfang seiner Karriere spielte Diamond für gewöhnlich als Special Guest bei Shows mit oder trat als Support für andere Bands auf, darunter auch die britischen Rüpel. Vollkommen entsetzt soll er gewesen sein, als der Townshend beim Zerlegen seiner Gitarre zusehen musste. Zu viel für das Kind bescheidener Verhältnisse, das als Teenager lange auf die erste eigene Gitarre warten musste!

Immerhin eins übernahm er von The Who: ihren Anspruch an perfekten Sound. Während die Band 1972 noch an ihrer Rockoper Quadrophenia arbeitete, spielte er selbst mit einem quadrophonischen Soundsystem im Greek Theater in Los Angeles auf. Die Ergebnisse dieser zehn Konzerte wurden auf Hot August Night festgehalten und gingen so als eines der besten Diamond-Releases in die Musikgeschichte ein. The Who aber standen 2016 erneut auf derselben Bühne wie Diamond. Diesmal allerdings auf einem von den Coachella-Organisatoren veranstalteten Mini-Festival namens… Oldchella!? „Talking ’bout my generation“…

8. Shirley Bassey – Diamonds Are Forever

Was aber sollte ihm das hohe Alter aber schon anhaben? Diamonds Are Forever, wissen wir spätestens dank Shirley Basseys Soundtrack zum gleichnamigen James-Bond-Film. Mit einem Diamond übrigens fand sie sich zu einem von Neils eher seltenen Duetten zusammen. Der gemeinsame Song Play Me brachte die beiden sehr, sehr nah zusammen, wie im Video eines Live-Auftritts zu sehen ist. Das führte natürlich zu Spekulationen, nach denen Bassey in den charismatischen Sänger mit der windschiefen Frisur verliebt sei! Die lachte herzlich, als sie eine gute Freundin darauf ansprach. „Das einzige, was ich in dem Moment liebte, war seine Diamantkette“, gab sie schlagfertig zurück.

Der gemeinsame Auftritt 1974 ging dennoch in die Geschichte ein und polierte die Diamond-Komposition gehörig auf, denn Basseys mächtiger Stimmeinsatz erst verpasste dem Original das gewisse Etwas. Manche Diamonds müssen eben geteilt werden, um wirklich zu strahlen. Ob Bassey allerdings dem Kollegen die Diamantenkette abluchsen konnte, ist nicht überliefert.

9. The Beach Boys – God Only Knows

Ein ganz besonderer Pop-Diamant ist Pet Sounds, das bahnbrechende Beach-Boys-Album, auf dem Brian Wilson den Höhepunkt seines künstlerischen Genies erreichte. Die Wege von Wilson und Diamond kreuzten sich im Laufe ihrer Karrieren mehrfach, zuletzt war Wilson auf einem Bonus-Track für das 2005 erschienene Album 12 Songs zu hören. Diamond selbst coverte den vielleicht unsterblichsten Song von Pet Sounds, die komplex arrangierte Ballade God Only Knows. Im Gegensatz zu vielen opulenten Coverversionen hielt er seine Version aber dezidiert minimalistisch und ließ die einfühlsamen Lyrics für sich wirken. Als erfahrener Songwriter weiß er eben, dass weniger manchmal mehr ist – das hat sich im Laufe seiner Karriere schließlich oft genug bewahrheitet.

10. Johnny Cash – Solitary Man

In über einem halben Jahrhundert hat Neil Diamond so viele Menschen mit seiner Musik bereichert, dass sein Einfluss kaum zu messen ist. Zwei davon waren etwa das Duo Lightning & Thunder, das Ehepaar Claire und Mike Sardina, seines Zeichens ein Diamond-Imitator. Ihre Geschichte wird in der Dokumentation Song Sung Blue erzählt, für die Diamond gerne seine eigenen Stücke hergab und von der er sich zutiefst berührt gab.

Immer wieder coverten Bands die Kompositionen des Songwriters, der seine Karriere hinter den Kulissen begann. So auch HIM, die finnische Düsterrock-Band, oder etwa Johnny Cash, die beide mit ihren ganz eigenen Versionen von Solitary Man glänzten. Cash wurde 2001 für sein Cover sogar mit dem Grammy ausgezeichnet. Es muss für Diamond eine unvergleichliche Auszeichnung gewesen sein, war Cash doch für ihn schon immer ein großes Vorbild. Wie Cash arbeitete er Mitte der Nuller-Jahre mit dem Produzenten Rick Rubin zusammen und gab 2008 zu Protokoll, dass er mit seinem Auftritt beim britischen Glastonbury Festival in die Fußstapfen der Country-Legende treten wollte, der dort 1994 auftrat. Typisch Diamond: Selbst bei seinen größten Welterfolgen blieb er immer noch bescheiden und zollte anderen den Respekt, der ihnen gebührte.

Kurzdoku: Hurt – Das Leben des Johnny Cash

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