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Popkultur

Interview: Andy Scott von The Sweet: “Wir waren keine dressierte Boygroup”

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Andy Scott

Ballroom Blitz, Fox On The Run, Blockbuster: Mit Hits wie diesen hat die britische Band The Sweet seit den Siebzigern Millionen Platten verkauft. Zwar änderte sich die Besetzung der Gruppe in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach, ständiges Mitglied blieb aber Gitarrist Andy Scott. Der 69-Jährige tourt auch jetzt wieder mit der Band durch Deutschland. uDiscover sprach mit dem legendären Musiker über fünf Jahrzehnte Rockkarriere, wilde Zeiten, gesundheitliche Rückschläge und einzigartige Frisuren.

von Andrea Hömke

Hört hier die besten Sweet-Songs während ihr weiterlest:


Mr. Scott, im Juni werden Sie 70 Jahre alt und feiern das mit einem Konzert in ihrer Heimat Nordwales. Können Sie sich auch vorstellen, irgendwann keine Musik mehr zu machen?

Andy Scott: „Ich habe schon häufiger mit anderen Musikern darüber gesprochen. Es wird sicher nicht einfacher, ich will aber auch nichts anderes tun. Was wäre die Alternative? Angeln gehen etwa?“ (lacht) „Das ist zwar ganz nett, aber doch nicht jeden Tag! Allerdings hoffe ich auch, dass einer meiner engen Freunde irgendwann den Mut besitzt, mir zu sagen, wenn es Zeit zum Aufhören ist.“

Werden Sie auch weiterhin so viel touren?

„Das habe ich schon vor einiger Zeit etwas reduziert. Vor zehn Jahren wurde bei mir Prostatakrebs diagnostiziert, der erfolgreich behandelt wurde. Vor zwei Jahren hat mein Arzt allerdings wieder etwas in meinem Körper entdeckt. Ich hatte meinem Management da gerade mitgeteilt, dass ich lieber etwas weniger spielen möchte. Doch nun habe ich diese Geschichte auch erfolgreich bekämpft, und mir geht es gut. Deshalb habe ich meinem Agenten gesagt, dass ich wieder reisen will – auch nach Australien, vielleicht Japan. Wir werden sehen, was noch kommt.“

Bei Konzerten von The Sweet fällt auf, dass das Publikum unglaublich viel Spaß hat, die Musiker ebenso. Bei Rock Meets Classic etwa konnte man beobachten, dass Fans aus ihren Stühlen hüpfen, bevor die Band auch nur einen Ton gespielt hat…

„Ich habe immer gesagt und bleibe auch dabei, dass man nichts tun sollte, was keine Freude bringt. Es gibt so viele verschiedenen Jobs auf der Welt, die einem nicht das Gefühl geben, dass sie eben nur ein Job sind. Wenn ich auf die Bühne gehe, denke ich mir, es könnte das letzte Mal sein. Also lasst uns alle Spaß haben!“

The Sweet 2017 beim Festival am Brombachsee, Foto: Stefan Brending/Wiki Commons

War das bei Ihnen von Anfang an so?

„Am Anfang nicht. Damals waren wir einfach vier Freunde, die Musik machen wollten. Uns ging es weniger ums Geld als darum, mit unseren Songs Erfolg zu haben. Deshalb mussten wir zu Beginn in den sauren Apfel beißen und Lieder spielen, die für uns geschrieben wurden, uns selbst aber nicht so gefielen. Aber wir wussten, dass wir mit wachsendem Erfolg auch Stück für Stück unsere eigene Musik einbringen können würden. Und so passierte es dann ja auch. So haben wir uns über die letzten 50 Jahre eine feste Fangemeinde in aller Welt aufgebaut. Sie springen aus ihren Sitzen, tanzen, hüpfen, singen und feiern. Dafür bin ich extrem dankbar.“

Sie treten viel und oft in Deutschland auf. Gefallen Ihnen Land und Leute?

„Wenn es außer meiner Heimat England einen weiteren Staat gibt, zu dem ich eine riesengroße Affinität verspüre, dann ist das Deutschland. Wir kommen seit so langer Zeit gerne hierher, und ich würde sogar sagen, dass wir nirgendwo mehr Konzerte gespielt haben.“

Sprechen Sie denn auch ein wenig Deutsch?

„Sätze, die mir immer wieder einfallen, sind: ‚Kann ich ein Bier haben, bitte?‘ und ‚Spiegeleier mit Speck‘.“ (lacht)

Welche Region gefällt Ihnen ganz besonders?

„In den Siebzigern hielten wir uns am liebsten in West-Berlin auf. Die Stadt glich einem Land in einem Land, es fühlte sich überall so an, als wären die letzten Tage auf Erden angebrochen. Alles war 24 Stunden geöffnet, nichts machte jemals zu. Es gab zwar die Mauer, doch die Menschen lebten mit einer ‚Scheiß drauf‘-Einstellung. Als würden sie sagen: ‚Wir lassen uns das Leben nicht verbieten!‘ Das war sehr ansteckend, folglich wollten wir bei jeder Deutschlandtour mindestens einen freien Tag in Berlin haben.“

Drummer Mick Tucker, Sänger Brian Connolly, Bassist Steve Priest und Gitarrist Andy Scott (v.l.) von The Sweet – Pic: Promo

Und wie gefällt Ihnen das Berlin von heute?

„Es ist mir zu viel. Damals gab es keine Stadtmitte. Man durfte bis zum Reichstag und dem Brandenburger Tor laufen, danach war Schluss. Das Leben spielte sich vor allem rund um die Budapester Straße und den Zoo ab. Heute gibt es diese neue Mitte mit dem Potsdamer Platz, doch wenn man dort entlanggeht, weiß man nicht, ob man sich in New York, London oder sonstwo befindet. Es hat sich so viel verändert. Das Berlin von damals erkennt man erst wieder, wenn man die Straße des 17. Juni hinunterschaut. Im alten Westen entstehen jetzt Hochhäuser, und vielleicht macht es stadtplanerisch Sinn, in dieses Viertel zu investieren. Veränderung lässt sich schließlich nicht vermeiden. Sie ist nur eben nicht immer der beste Weg.

Sie haben zugegeben, früher einige Exzesse erlebt zu haben. So hörte man von Ihnen den schönen Satz: „Ich konnte nicht gleichzeitig Trinken und Drogen nehmen, also hieß es: entweder/oder.“ Gab es einen Punkt, an dem es bei Ihnen ‚Klick‘ gemacht hat und sie aufgehört haben?

„In der Band hat eigentlich keiner Drogen genommen, bis wir Mitte und Ende der Siebziger in Amerika getourt sind. Alkohol war ein viel größeres Problem, vor allem bei unserem Sänger Brian Connolly und Mick Tucker, dem Schlagzeuger. Beide sind ja auch schon lange tot. Ich gebe zu: Wir haben alle gern getrunken. In meinem Kopf gab es aber einen Notfallknopf, der irgendwann für einen Stopp gesorgt hat. Bei unserem Bassisten Stevie Priest lief das ähnlich. Schließlich wurde mir klar, dass es so nicht funktioniert: Man kann keine sechs Monate am Stück touren, dabei jeden Abend Drogen nehmen, saufen – und trotzdem auf der Bühne auch nur annähernd gute Arbeit abliefern. Deshalb wurde ich vorsichtig. Es wäre auch Wahnsinn zu glauben, mit Mitte 40 noch so unsterblich zu sein, wie man sich mit 25 fühlt. Es folgt unweigerlich die Einsicht, dass die Exzesse aufhören müssen, wenn man weiterleben will. Bei mir ist das vor über 20 Jahren passiert.“

The Sweet waren sehr erfolgreich und haben Millionen Platten verkauft. Trotzdem sagt man der Band nach, sie habe ihr volles Potenzial nicht ausgeschöpft, weil sie sich häufig daneben benommen hat. Würden Sie das so unterschreiben?

„Zum Teil schon.“ (lacht) „Wir waren eben keine dressierte Boygroup, die sich ausschließlich vorbildlich verhielt und stets die richtigen Freunde hatte. Aber was wir in den Siebzigern angestellt haben, unterschied sich nicht groß von dem Blödsinn, den Led Zeppelin, die Rolling Stones oder Deep Purple verzapft haben. Ja, wir hatten unsere Momente! Bei uns lag das Problem darin, dass irgendjemand gemerkt hat, dass sich mit Geschichten über The Sweet mehr Zeitungen verkaufen lassen. Heute würde ich diesem jemand gern sagen, dass er ein Arschloch war, haha. Aber ja, neben den guten Jungs muss es auch die bösen Jungs geben. So böse, wie viele glaubten, waren wir allerdings sicher nicht.“



Können Sie uns die eine Eskapade erzählen?

„Es gibt so viele. Aber einverstanden: Nach einem Konzert in Japan hatten wir noch Hunger. Dort finden die Shows immer sehr früh statt, also waren wir schon um halb zehn fertig, und uns wurde ein sehr gutes Restaurant empfohlen. Ich, Mick und unser Manager sind da hin, und es gab erstmal Sake. Mick begann schließlich mit der Bedienung im Geisha-Outfit zu flirten und dachte, dass sie auch an ihm interessiert sei. Er hat sie gefragt, ob sie mit ins Hotel kommen wolle. Ein absolute ‚No-Go‘ in Japan! Wir wurden daraufhin aus dem Laden geschmissen. Am Ausgang stand eine Vitrine mit frischem Fisch in der Auslage, und Mick hatte nichts Besseres zu tun, als sich einen Lachs zu schnappen – einen ganzen! Im Fahrstuhl gucke ich unseren Manager an, wir beide guckten Mick an mit seinem Lachs unter dem Arm und denken: ‚Das ist doch nicht dein Ernst’. Gleichzeitig hatten Restaurantmitarbeiter unsere Verfolgung aufgenommen und waren im zweiten Fahrstuhl ebenfalls auf dem Weg nach unten. Als wir im Erdgeschoss ankamen, legte Mick den Lachs vor die zweite Fahrstuhltür, wir liefen raus, brüllten nach einem Taxi, die Restaurantmitarbeiter rannten uns nach – und stolperten allesamt über den glitschigen Fisch. Das war schon lustig.

Ein anderes Mal haben wir – wie häufiger übrigens – in einem Schloss in England geprobt. Eines Morgens wachten wir alle gegen sechs Uhr auf, weil wir Schüsse gehört hatten. Ich wusste sofort, dass das Brian sein muss. Er hatte seine Waffe mitgebracht, hing tatsächlich aus dem Fenster und ballerte auf irgendwelche Vögel. Zwar hat er keinen getroffen, weil er zu betrunken war, die Tiere standen aber unter Artenschutz. Stevie und ich haben unseren Tourmanager aufgefordert, Brian die Waffe abzunehmen. Doch er wollte gar nicht erst in das Zimmer gehen. Als wir ihm erklärten, dass Brian uns möglicherweise erschießen würde, ihn aber sicher nicht, ist er doch gegangen und hat unserem Sänger die Waffe abgenommen. Es war das letzte Mal, dass wir in diesem Schloss proben durften.“

Hätten Sie heute einen Rat für ihr jüngeres Ich?

„Ach, an sowas glaube ich nicht. Man kann Dinge bereuen, sie aber nicht ungeschehen machen. Würde ich plötzlich im Film Zurück in die Zukunft aufwachen, würde ich meinem jüngeren Ich nur einen Heftchen mit allen Gewinnern der englischen Fußballliga geben und dazu noch 10 Pfund. Dann könnte er Jahr für Jahr auf den Sieger tippen und hätte im Alter keine Geldsorgen.“

Glam Rock, Make-up und extravagante Frisuren gehörten früher untrennbar zusammen. Sie haben auch heute noch eine besondere Haarpracht. Wie wichtig ist die Mähne im Rock-Zirkus?

„Schwierig zu sagen. Viele meiner Kollegen haben mittlerweile gar keine Haare mehr. Der Trend geht also eher Richtung Bond-Bösewicht. Aber The Sweet waren schon immer eine haarige Band, und das zu ändern wäre komisch. Sie kurz zu schneiden, kommt für mich also nicht in Frage. Früher habe ich allerdings auch noch versucht, sie zu färben. Mein Frisör meinte, das würde natürlich aussehen. Tat es nicht. Ich wirkte wie ein alter Typ, der unbedingt jung sein will. Deshalb habe ich beschlossen, das sein zu lassen. Als ich Krebs bekam, stand für mich sowieso fest, dass meine Haare ausfallen. Das blieb mir glücklicherweise erspart, ich habe sie von dem Moment an wachsen lassen. Und die Farbe ist, wie sie eben ist: weiß.“

Mir der Frisur werden Sie sicher auch einfacher erkannt.

„Ja, das stimmt schon. Wenn ich einen Raum betrete, denken die Leute entweder, dass Edgar Winter kommt oder Andy Scott. Unsere Fans erkennen mich natürlich überall.“

Andy Scott bei Rock Meets Classic 2019 – Pic: Rock & Royalty

Ihr früherer Bassist Stevie Priest tourt aktuell mit seiner eigenen Version von The Sweet durch die USA. Besteht die Chance, dass sie wieder gemeinsam auftreten?

„Man soll niemals nie sagen. Aber wir haben im letzten Jahr unser 50. Bandjubiläum gefeiert, und meiner Meinung nach wäre das eigentlich der geeignete Moment für eine gemeinsame Show gewesen. Stevie meldet sich immer mal wieder bei mir und fragt, wie es mir geht. Anfang letzten Jahres schrieb er sogar, dass sein neues Management ihm zu einer Wiedervereinigung geraten habe. Ich habe ihm erklärt, dass das Management keine Rolle spielt, sondern die Frage, ob er sich das auch vorstellen könne. Seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört. Vielleicht überlegt er noch.“

Was steht bei Ihnen nach dieser Tour an?

„Ich schreibe gerade Musik für ein noch geheimes Projekt. Außerdem werden The Sweet ein neues Album aufnehmen, und wir spielen im August auf dem größten Metal-Festival der Welt, dem Wacken Open Air. Danach kommt unsere bisher größte UK-Tour, und ich produziere noch eine neue Band. Es gibt viel zu tun.“



Titelfoto: Foto: Stefan Brending/WikiCommons

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