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Popkultur

Interview mit Element Of Crime: „Nostalgie ist Gift“

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Element Of Crime

Element Of Crime sind der Ruhepol der deutschen Musik. Besonnen, unaufgeregt, poetisch und voller kluger Worte tönt ihr neues Album Morgens um vier, gewohnt wortgewandt und druckreif geben sich Sven Regener und Jakob Ilja im Interview.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr Morgens um vier hören:

Seit bald 40 Jahren gibt es diese Band nun schon. Sie operiert nach ihren eigenen Regeln, musiziert in ihrer ganz eigenen, eigentümlichen, charakteristischen Chanson/Rock/Pop/Jazz-Gemengelage, wird mit Sven Regener von einem der klügsten Köpfe der deutschen Popkultur angeführt. Mit Morgens um vier ist Element Of Crime ein weiteres Kunststück geglückt, ein ruhiges Album in unruhigen Zeiten, voller zitierwürdiger Zitate und feiner Melancholie.


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Element Of Crime - Morgens um vier
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Morgens um vier
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Ihr strahlt als Band immer diese Ruhe aus – auf euren Alben wie auch auf der Bühne. Woher kommt die?

Jakob Ilja: Weil wir in einem Alter sind, in dem wir uns auf der Bühne mittlerweile sehr konzentrieren müssen. (lächelt)

Sven Regener: Unsere Band kommt aus einer Zeit, in der kein Raum für die großen Gesten war. Diese ganze New-Wave-Bewegung stand ja für eine gewisse Kühle, ein Sich-nichts-anmerken-lassen, da kommt die Ruhe auf der Bühne von selbst. Wir hatten nie das Gefühl, eine Show machen zu müssen, uns übermäßig bewegen zu müssen. Ich habe auch nie Wert darauf gelegt, auf der Bühne zu tanzen. Das könnte ich auch gar nicht. Höchstens taumeln.

Seid ihr eine besonnene Band?

Sven Regener: Hitzig wurde es früher schon mal, als wir immer noch um unseren Stil ringen mussten, vor vielleicht dreißig und mehr Jahren. Heute wissen wir, was wir aneinander haben und wo unsere Stärken liegen. Man muss nicht jeden Streit wieder von vorn beginnen. Wenn eine Band es schafft, trotz derart unterschiedlicher Charaktere so lange zusammenzubleiben, dann kann man sich auch mal auf die Musik konzentrieren und den anderen Kram beiseite lassen.

„Die Kunst ist dafür da, uns mit uns selbst und mit der Welt zu versöhnen.“

Merkt ihr subtile Unterschiede im Wesen von Element Of Crime, gemessen an den Zuständen draußen in der Welt?

Jakob: Ich glaube, es gibt da keinen Zusammenhang. Es gibt die eigenen Erfahrungen und Entwicklungen, die wir als Menschen durchlaufen, und das kann in der Musik zum Ausdruck kommen. Aber nicht so, als dass man mit dem Finder drauf zeigen könnte.

Sven: Ich glaube, die Kunst ist dafür da, uns mit uns selbst und mit der Welt zu versöhnen. Nicht weil sie Antworten hat. Sondern weil sie uns eine andere, schönere Seite der Welt zeigt. Das ist unsere Aufgabe als Band. Was sonst so in der Welt passiert, ist ja eh da, da müssen wir nicht ein Lied drüber schreiben.

Daher die tolle Zeile „Wir haben keine Lösung, wir haben Lieder“?

Sven: Die bringt es auf den Punkt, ganz genau.

Jakob: Das ist meine Lieblingszeile. Wir sind als Band eine Zeitlang zu jedem politischen Thema gelöchert worden. Das nahm bisweilen absurde Züge an, zeigt aber auch das Bedürfnis, von Künstlern die politische Welt erklärt zu bekommen. Aber dem sind Grenzen gesetzt. Auch Künstler kennen sich nur begrenzt aus.

Sven: Und es ist auch nicht unsere Aufgabe.

Das Wesen Element Of Crime gibt es seit bald 40 Jahren. Wie viel in dieser Band ist mittlerweile Instinkt, wie viel ist genaue Planung?

Sven: Mittlerweile sind lange Vorläufe unerlässlich. Früher, und da rede ich jetzt von den Achtzigern, wollte man im Frühjahr auf Tournee gehen und dann wurde das im Herbst davor gebucht. Heute werden die Hallen teilweise zwei Jahre im Voraus reserviert. Das ist natürlich irgendwie doof, wenn man eine Tournee zu einer Platte plant, für die man noch keinen einzigen Song geschrieben hat. Instinkt spielt immer noch eine Rolle, aber eher bei Entscheidungen, ob wir dieses oder jenes als Element Of Crime machen wollen oder eben nicht. Die Kulturindustrie hält eine Menge Zumutungen bereit, da muss man sich oft entscheiden. Da blicken wir mittlerweile natürlich auf viele gute und schlechte Erfahrungen zurück und wissen, was gut für uns ist und was nicht. Wäre ja auch bescheuert, wenn wir dieselben Fehler von früher immer noch machen würden.

Jakob: Instinkt spielt auch eine Rolle, wenn wir ein neues Album machen. Es kommt so ein Moment, an dem wir spüren, dass es jetzt passen würde. Dass jetzt wieder Zeit wäre. Wir zählen nicht die Jahre, wir horchen in uns hinein. Meiner Meinung nach sollte Musik immer so funktionieren.

„Die Welt ist uns nichts schuldig. Aber wir ihr auch nicht.“

Wie habt ihr eigentlich so lange durchgehalten in diesem Business?

Jakob: Das hat mit dem Selbstverständnis der Band zu tun. Wir sagen immer: Diese eine Platte, diese eine Tour machen wir noch. Und dann schauen wir mal. Das hat uns oft gerettet. Wir machen ein Tag-zu-Tag-Geschäft, das morgen vorbei sein kann. Im Rock’n’Roll und in der Kunst allgemein ist das eine sehr hilfreiche Form für das eigene Tun. Wir haben uns mit Absicht einer Sache verschrieben, die mit diesem Risiko behaftet ist. Es gibt kein Arbeitslosengeld für uns.

Sven: Die Welt ist uns nichts schuldig. Aber wir ihr auch nicht. Wenn die Leute uns nicht mehr hören wollen, dann wollen sie uns nicht mehr hören. Und dann wäre das durchaus ein Grund, aufzuhören. Wichtig ist nur: Egal, was kommt, man darf als Künstler nicht verbittern. Das ist das Wichtigste.

Jakob: Sven sagt immer, 90 Prozent unserer Karriere sind glückliche Zufälle. Wir hatten trotz verschiedener musikalischer Vorlieben immer einen gemeinsamen Nenner, und der hieß Element Of Crime. Geplant war das nicht, ein Rezept gibt es auch nicht.

Sven: Mich hätte es jedenfalls nicht gewundert, wenn alles ganz anders gekommen wäre. Also muss ich jetzt auch keine gute Erklärung dafür haben, dass es so gekommen ist wie es nun mal ist.

Morgens um vier erinnert im Titel an An einem Sonntag im April. Wie entsteht ein Albumtitel bei Element Of Crime?

Sven: Das kann durchaus banal sein. Wenn man etwa einen guten Songtitel hat und den dann auch als Albumtitel hernimmt. Manchmal ist es schwieriger, denn ein solcher Titel muss nicht nur gut sein, er muss auch die ganze Sache irgendwie überwölben. Das ist hier der Fall.

Was ist denn morgens um vier?

Jakob: Für mich hat das mit Erinnerung zu tun. An lange Nächte, die wir erlebt haben. Wir sprachen letztens über die Achtziger und haben festgestellt, dass wir uns vorrangig an die Nächte erinnern.

Sven: Der Anfang von „Herr Lehmann“ spielt auch morgens um vier. Der Tag zieht langsam herauf und dann kommt da dieser Hund und sonst ist niemand auf der Straße. Frank ist ganz allein. Genau um diese Stimmung geht es.

„Verklärung ist problematisch, weil man sich selbst betrügt.“

Sehr schön finde ich, dass Element Of Crime nie nostalgisch sind. Ist das einfach oder muss man sich wirklich bemühen, nicht in diese Falle zu tappen?

Jakob: Nostalgie ist Gift für mich. Da fühle ich mich sofort unwohl, weil ich mich dann frage: welchen Wert denn mein Leben, das ich jetzt lebe? Wenn man älter wird, ist es wichtig, im Hier und Jetzt zu leben.

Sven: Ich habe ein sehr gutes Gedächtnis und denke gern zurück. Doch ich verkläre nicht. Nostalgie ist eine solche Verklärung und läuft immer darauf hinaus, dass man sich selbst betrügt. Dennoch macht es mir Spaß, mich an Dinge erinnern. Ich kann heute stundenlang dasitzen und über Dinge nachdenken, die ich irgendwann mal erlebt habe.

Die Nummer Ohne Liebe geht es auch kommt dann aber doch nur wieder zu dem Schluss, dass das Quatsch ist, oder? Ein Leben ohne Liebe ist frei nach Loriot möglich, aber sinnlos?

Sven: Es gibt Dinge, die sind vielleicht nicht notwendig, aber ohne sie ist es auch doof. Und ohne Liebe ist auch in der Kunst nicht viel zu machen.

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10 Songs, die jeder Berliner kennen muss – Teil 1

Popkultur

Zeitsprung: Am 23.9.1930 wird der Hohepriester des Soul geboren: Ray Charles.

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Ray Charles
Ray Charles auf der Bühne, 1988 - Foto: Rita Barros/Getty Images

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 23.9.1930.

von Jana Böhm und Christof Leim

Am 23. September 1930 erblickt Raymond Charles Robinson das Licht der Welt, bis es für ihn im Alter von sieben Jahren durch eine Glaukom-Erkrankung für immer erlischt. Seine Mutter hält ihn zur Unabhängigkeit an, denn als blinder Schwarzer Mensch ist man im Amerika der Dreißiger Jahre verloren. Ray verinnerlicht die Worte seiner Mutter. Der Multiinstrumentalist wird zum Hohepriester des Soul und sein musikalischer Einfluss prägend für Blues, Country und Soul-Musik. Blicken wir auf sein beeindruckendes Leben zurück.

Hört euch hier Ray Charles’ Greatest Hits an: 

Als Raymond Charles Robinson im September 1930 in Albany, Georgia auf die Welt kommt, ist der Staat von der Rassentrennung zerfurcht. Die Schwarze Bevölkerung hat wenig Rechte und lebt in meist sehr ärmlichen Verhältnissen. Ray und seine Mutter Aretha ziehen bald nach Greenville in Florida, dort wächst er dann zusammen mit seinem jüngeren Bruder George auf. 

Das Schicksal schlägt zu

Mit Rays fünftem Lebensjahr legt sich ein Schatten über sein Leben, der bald zu tiefster Dunkelheit wird. Durch ein angeborenes Glaukom, auch Grüner Star genannt, beginnt er, sein Augenlicht zu verlieren. Im selben Jahr muss Ray hilflos mit ansehen, wie sein jüngerer Bruder George ertrinkt. Trotz der Armut und herben Schicksalsschlägen drängt seine Mutter ihn zur Selbstständigkeit, denn ihr ist sehr wohl bewusst, dass man schwarz, blind und hilflos in diesem Land kaum eine Chance hat. „Lass dich durch nichts und niemandem zu einem Krüppel machen“, impft sie ihm immer wieder ein. Mit sieben Jahren ist Ray Charles vollständig erblindet.

Die Musik gibt dem jungen Ray Charles Halt. Beim Singen von Gospels in der Kirche fühlt er sich sicher. An einem alten Klavier im Red Wing Café eröffnet ihm der Besitzer, der alte Wylie Pitman, eine neue Welt. Ray lernt schnell, selbst zu spielen. „Klavierspielen kann man lernen, aber nicht das Gefühl dafür. Das ist da oder nicht. Ich glaube, dass ich damit geboren wurde“, erzählt er Jahrzehnte später. Eine umfassende musikalische Ausbildung wird ihm an der St.-Augustine-Schule für Gehörlose und Blinde zuteil. Ray lernt, Musik zu lesen und Frederic Chopin, Ludwig van Beethoven und Johann Strauss zu spielen. Er besucht die Schule bis zum Tod seiner Mutter. Ihr Tod bringt Ray seelisch ins Wanken.

Der eigene Stil

Als er fünfzehn Jahre alt ist, verlässt der Junge die Schule. Er will professioneller Musiker werden. Zuerst macht er sich im nahegelegenen Jacksonville einen Namen, dann in Orlando, Florida. Ray gilt als ein vielseitiger Arrangeur, Pianist und Saxofonist, der neben Blues, Jazz, Boogie-Woogie und Swing auch Hillbilly drauf hat. Charles imitiert den sanften Gesang von Größen wie Nat King Cole und Charles Brown. Einen eigenen Gesangsstil entwickelt er erst über ein Jahrzehnt später.

1947 zieht Ray Charles nach Seattle, er verspricht sich bessere Karrierechancen an der Westküste. In der neuen Heimat beginnt Raymond Charles Robinson an seiner Show Business-Persönlichkeit zu feilen. Um nicht mit dem Boxer „Sugar“ Ray Robinson verwechselt zu werden, nennt er sich fortan nur Ray Charles und beginnt, stets eine schwarze Sonnenbrille zu tragen, die zu seinem Markenzeichen wird. Außerdem und viel wichtiger: Als Mitglied des Maxin Trios nimmt er seine erste Schallplatte auf. Die Single Confession Blues erreicht 1949 Platz zwei der Rhythm & Blues-Hitparade. Im selben Jahr ändert die Band ihren Namen in Ray Charles Trio und mausert sich ein Jahr später zum Ray Charles Orchestra.

Der Durchbruch

1952 erhält der aufstrebende Musiker einen Vertrag bei Atlantic Records, dem bis dato größten Rhythm & Blues-Label. Mit seiner Band findet er nun auch seinen eigenen Stil. Er wird zum Prediger der Lebenslust, auf die Melodie eines alten Gospelsongs schreibt er I’ve Got A Woman – ein Lied über die Liebe. Das kommt bei vielen schwarzen Gläubigen nicht besonders gut an, man wirft ihm sogar Gotteslästerung vor. Doch Ray Charles hat damit Erfolg, sogar die Weißen finden seine Musik gut, und das ist damals eine Seltenheit. 

Ray Charles Welthit „What’d I Say“

Mit What’d I Say landet er einen Welthit, Klassiker wie Hit The Road, Jack und I Can’t Stop Loving folgen. Ab 1955 beginnt Charles im Stile der Gospelgruppen mit weiblichen Backgroundstimmen zu experimentieren und ergänzt seine Truppe um einen Frauenchor: die Raeletts. Der eigene Stil ist gefunden: eine schroffe Stimme, ein ausdrucksstarkes Piano, hervorragende musikalische Begleitung und Frauengesang im Hintergrund.

Prediger der Lebenslust

Das Ekstatische seiner Auftritte spiegelt sich in Rays Privatleben wieder: Den vielen Frauen kann er einfach nicht widerstehen. Zwar ist Ray verheiratet und hat drei Kinder, doch mit all den Geliebten setzt er mindestens neun uneheliche Kinder in die Welt. Man kann sagen, Ray Charles genießt das Leben in vollen Zügen und ist auch Alkohol und Marihuana nicht abgeneigt. In den Fünfzigern gerät er jedoch an härteren Stoff. Heroin wird ihm zum Verhängnis und führt in den kommenden zwanzig Jahren auch mehrfach zu Verhaftungen. Ab 1970 lebt er clean.

Ray Charles wird als erster Kulturschaffender in die Georgia Music Hall Of Fame (1979) aufgenommen. Außerdem ehren ihn die Blues Hall Of Fame und die Rock And Roll Hall Of Fame geehrt. Seine musikalischen Einflüsse sind stilprägend für die Entwicklung von Rhythm And Blues, Blues, Country und Soul. 

1980 setzt der Weltstar seinem Ruhm noch einen drauf: Mit seiner Rolle im legendären Film Blues Brothers erreicht er im Jahre 1980 eine neue und junge Generation von Fans. 2004 stirbt Ray Charles in Beverly Hills. Niemand Geringeres als Frank Sinatra erweist ihm die letzte Ehre.

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Zeitsprung: Am 26.3.1944 wird Soul-Legende Diana Ross geboren.

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Popkultur

„Tage wie diese“ von den Toten Hosen: Als sich Angela Merkel bei Campino entschuldigte

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Die Toten Hosen Header
Foto: Marco Prosch/Getty Images

Im Jahr 2011 passiert den Toten Hosen etwas, wovor sich jeder Musiker fürchtet: Sie möchten ein neues Album schreiben — und ihnen fällt absolut nichts ein. Doch aus der Kreativlosigkeit der Düsseldorfer entsteht unter anderem ihr größter Hit: Tage wie diese. Das ist die Geschichte der Nummer. Eine Telefonat mit Angela Merkel ist auch dabei.

von Timon Menge

Hier könnt ihr euch Scheiss Wessis von den Toten Hosen anhören:

Im Demostadium heißt der Song noch Kreise drehen. Am Text kann man es ablesen: „Wir lassen uns treiben, tauchen unter, schwimmen mit dem Strom / Drehen unsere Kreise, kommen nicht mehr runter, sind schwerelos“. Hosen-Gitarrist Kuddel nimmt das Stück im Jahr 2010 zuhause auf und lässt sich dafür von Black Betty inspirieren, einem Worksong des 20. Jahrhunderts — allerdings in der Version der Siebziger-Rockband Ram Jam. Begeistert ruft er Sänger Campino an, der Kreise drehen ebenfalls mag. Doch gleich am nächsten Tag klingelt Kuddel noch einmal durch. Sein Sohn Tim findet das Lied nicht gut. Auch bei Tochter Chelsea springt der Funke nicht über. Enttäuscht legen die Hosen das Stück beiseite. Doch im Sommer 2011 geht Campino mit einer alten Freundin schwimmen — und ihr kommen die zündenden Ideen.

Campino und Birgit Minichmayr: eine alte Freundschaft ebnet den Weg zum größten Hit

Bereits im Jahr 2006 hatten Campino und Birgit Minichmayr gemeinsam auf der Bühne des Berliner Admiralspalastes gestanden. Der Anlass: Rainer Maria Brandauers Inszenierung von Bertold Brechts Dreigroschenoper, in der Campino den Mackie Messer gegeben hatte und Minichmayr dessen Partnerin Polly. Seitdem sind die beiden in gutem Kontakt geblieben und nun, da die Hosen mit dem Songwriting für das Album zu ihrem 30. Jubiläum im Morast feststecken, ruft Campino seine Kollegin Minichmayr zur Hilfe. Er bittet sie darum, sich das neue Material einmal anzuhören. Zügig treffen sich die beiden in Österreich. Campino bringt eine CD mit den neuen Ideen mit. Kreise drehen möchte er Minichmayr eigentlich gar nicht vorspielen, doch als sie den Song hört, lobt sie ihn. Das sei das bisher beste Stück und man müsse nur noch ein wenig am Text schrauben. So passiert es dann auch.

Als Campino und Minichmayr fertig sind, heißt das Stück Tage wie diese. Minichmayr hat das Potenzial des Songs erkannt, den die Hosen beinahe aussortiert hätten. Nach der Veröffentlichung wird das Stück schnell zum Selbstläufer. Platz eins in den Single-Charts, drei Wochen lang die Pole Position in den Airplay-Charts, „Hit des Jahres“ bei der Echo-Verleihung 2012, Deutscher Musikautorenpreis 2013: Tage wie diese schlägt unerwartet heftig ein. Es soll der bekannteste Song der Toten Hosen werden. Was diesmal anders ist? Vielleicht zum allerersten Mal sei es egal, ob das Lied von den Hosen komme oder nicht, mutmaßt Campino in einem Interview. Bisher hätten viele Fans die Songs der Band gemocht, weil sie Anhänger der Hosen seien. An Tage wie diese fänden auch Nicht-Hosen-Fans Gefallen — obwohl der Song von den Hosen komme. Es sei ein großes Glück, nach 30 Jahren Bandgeschichte noch solch einen Hit zu landen, findet er. Er wisse nicht, ob die Hosen in jungen Jahren mit so viel Erfolg zurechtgekommen wären.

Tage wie diese: ein Song begeistert Deutschland

Die Beliebtheit des Songs bekommen die Hosen gleich in mehrfacher Hinsicht zu spüren. Zum einen klingelt die Kasse; zum anderen kommt es zu mehreren Coverversionen. Eine der neuesten (von 2023) stammt von der US-amerikanischen Sängerin Anastacia.

Schon vor Jahren hatte Campino den Text des Songs ins Englische übersetzt. Best Days heißt die US-Variante und sie ist auf Anastacias Album „Our Songs“ zu finden. Auch Schlager-Megastar Helen Fischer singt Tage wie diese im Rahmen ihrer Sommertour 2013. Eine Veröffentlichung ihrer Version auf CD unterbinden Campino und Co. allerdings. Eigentlich hatten sie ja auch der CDU verboten, den Song zu nutzen …

Beste Feinde: Die Toten Hosen und die CDU

Nach 40 Jahren Bandgeschichte haben sich die Toten Hosen einen Ruf erspielt. Als Krachmacher der Nation kennt man sie vor allem als Punk-Vertreter und Störenfriede, die sich auf und abseits der Bühne gerne gesellschaftskritisch äußern. Ein einziges Campino-Interview reicht, um zu wissen: CDU-Fan ist er nicht. Dennoch singt die Union am 22. September 2013 in ihrer Berliner Zentrale ausgerechnet den Hosen-Song Tage wie diese, um ihren Erfolg bei der jüngsten Bundestagswahl zu feiern. Kanzlerin Angela Merkel weiß zu jener Zeit noch nicht einmal, dass es sich um ein Lied der Toten Hosen handelt.

Es ist schon ein skurriles Bild: CDU-Fraktionschef Volker Kauder gibt mit einem Mikro in der Hand Tage wie diese von den Toten Hosen zum Besten; Angela Merkel, Ursula von der Leyen und Armin Laschet wippen (mehr oder weniger) im Takt mit. Viele Deutsche dürften sich über diesen Auftritt im September 2013 gewundert haben, steht die CDU doch nicht unbedingt für die Werte, die Campino und Co. üblicherweise propagieren. Entsprechend verärgert ist die Band über die eigenwillige Nutzung ihres Songs. „Uns persönlich kam die Darbietung eher wie ein Autounfall vor“, schreiben die Düsseldorfer nach der CDU-Performance in einem Statement auf ihrer Facebook-Seite. „Nicht schön, aber man schaut trotzdem hin.“ Darüber hinaus sei das grausam vorgetragene Lied aber immer noch die beste Leistung, die die CDU in letzter Zeit hervorgebracht habe. Deutliche Worte.

Anruf von Angela — Als die Kanzlerin Sorry sagte

Die Verärgerung der Toten Hosen entgeht Angela Merkel nicht — weshalb sie ein paar Tage später zum Telefonhörer greift, um sich zu entschuldigen. „Lieber Herr Campino, ich rufe an, weil wir ja am Wahlabend so auf ihrem Lied herumgetrampelt sind“, sagt sie zu dem Sänger. Sie fände Tage wie diese sehr schön, doch Campino müsse sich keine Sorgen machen, dass der Song nun die nächste CDU-Hymne werde. Außerdem hätten die Hosen die Nutzung des Liedes zwar für Wahlkampfveranstaltung untersagt, doch Siegesfeiern seien ja kein Wahlkampf. Am Ende bleibt sie eben doch Politikerin.

Diese Geschichte ist eine von vielen aus dem Buch Die Toten Hosen – über 40 Jahre Punkrock: Von Pionieren des Punks zur Kultband von Timon Menge. Die Anekdotensammlung erscheint am 24. Oktober 2023 im Riva Verlag.

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Helau, Buenos Aires: Die erste Show der Toten Hosen in Argentinien

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Popkultur

Rock-Hits, Leinwandauftritte und eine eigene Pizza: 6 Rock’n’Roll-Momente aus dem Leben von Joan Jett

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Joan Jett HEADER
Foto: Kevin Mazur/Getty Images

Rockröhre, Schauspielerin, Tierschützerin: Joan Jett funktioniert nicht nur am Mikro, sondern auch an der der Gitarre, vor der Kamera und als Pizza, zumindest quasi. Heute haben wir sechs Rock’n’Roll-Momente und -Abschnitte aus ihrem Leben zusammengestellt, die nicht nur für ihre Vielseitigkeit und ihr großes Können stehen, sondern auch für ihr gesellschaftliches Engagement. Die erste Geschichte handelt von ihrer Namensänderung. Für die hat Jett nämlich einen Grund, wie er rock’n’rolliger gar nicht sein könnte.

von Timon Menge

Hier könnt ihr euch einige der größten Hits von Joan Jett anhören:

1. Sie änderte ihren Namen in Joan Jett, weil das mehr nach Rockstar klingt.

Joan Marie Larkin. Zugegeben, so richtig nach Rock’n’Roll klingt das nicht. Das denkt sich auch Joan Jett, als sie die Scheidung ihrer Eltern dazu nutzt, ihren Geburtsnamen abzulegen, und stattdessen den Mädchennamen ihrer Mutter anzunehmen. Zumindest ist das die Geschichte, die sie zunächst allen erzählt. Später räumt sie ein, dass es sich bei Jett um einen erfundenen Namen handelt, der in keiner Verbindung zu ihrer Mutter steht. So oder so: Mit der Vermutung, dass sie als Joan Jett bessere Karten im Rockstar-Business hat, liegt die junge Musikerin richtig. Es ist der Name, unter dem sie die Welt erobern soll.

2. Mit The Runaways landete sie den ersten Hit einer großen weiblichen Rockband: Cherry Bomb.

Gemeinsam mit Sängerin Cherie Currie, Leadgitarristin Lita Ford und Schlagzeugerin Sandy West gehört Joan Jett Mitte der Siebziger zu The Runaways, der ersten großen weiblichen Rockband der Welt. Schon mit ihrer ersten Single Cherry Bomb landen die Damen ihren größten Hit. Leider kippt nur ein Jahr nach der ersten Veröffentlichung die Stimmung innerhalb der Band. Mehrfach geraten Currie und Ford aneinander, bis Currie schließlich aussteigt und eine erfolgreiche Solokarriere startet. 1979 sind The Runaways endgültig Geschichte und auch Joan Jett geht ihren eigenen Weg — mit noch größerem Erfolg.

3. Mit ihrer Coverversion von I Love Rock ‘n Roll schuf sie einen Klassiker für die Ewigkeit.

„I … LOVE … ROCK ‘N ROLL!“ Wer diese Zeile noch nie lauthals mitgesungen hat, hat Rockmusik nie geliebt. Mit der Nummer landen Joan Jett und ihre Band The Blackhearts den mit Abstand größten Hit ihrer Karriere — obwohl es sich um eine Fremdkomposition handelt. So stammt der Song aus der Feder von Alan Merrill und Jake Hooker von Arrows, die das Stück bereits 1975 veröffentlichen. Joan Jett And The Blackhearts legen ihre Coverversion im Dezember 1981 nach — und machen I Love Rock ‘n Roll zu einem Song für die Ewigkeit.

4. Mit ihrem Rock’n’Roll mischte sie auch die Filmindustrie auf.

Nach ihren großen Erfolgen als Musikerin rockt Joan Jett auch Hollywood. Ihr Schauspieldebüt gibt sie 1987 in Light Of Day mit Michael J. Fox, der in dem Streifen seine erste ernstere Rolle spielt. Später ist sie in der Highlander-Serie (1992) zu sehen, ebenso wie in einer Folge der Sitcom Ellen (1997), in der Chuck-Norris-Serie Walker, Texas Ranger sowie in der Broadway-Adaption der Rocky Horror Picture Show. Zum Soundtrack des NASCAR-Films Tage des Donners mit Tom Cruise steuert sie den Song Long Live The Night bei.

5. 2010 erschien ein Biopic über ihre erste große Band The Runaways.

Auch 2010 flimmert Joan Jett noch einmal über die Leinwand, allerdings nicht persönlich, sondern verkörpert durch Schauspielerin Kristen Stewart. In dem Biopic The Runaways erzählt Regisseurin und Drehbuchautorin Floria Sigismondi die Geschichte der gleichnamigen Rockband mit Joan Jett und landet damit einen großen Erfolg unter Kritiker*innen. An der Kinokasse funktioniert der Streifen leider so gar nicht. Nach Produktionskosten von zehn Millionen US-Dollar spielt The Runaways gerade einmal 4,6 Millionen US-Dollar ein. Trotzdem: Toller Film!

6. Im Jahr 2022 bekam Joan Jett ihre eigene Pizza.

Neben ihrer Karriere als Musikerin unterstützt Joan Jett immer wieder Tierschutzorganisationen, wie zum Beispiel PETA. Am Valentinstag 2022 sorgt die PETA-Kooperation sogar dafür, dass Jett ihre eigene Pizza bekommt. So bietet die Kette Pizzanista an jenem Tag eine herzförmige Pizza mit schwarzem Rand an, angelehnt an den Namen von Jetts Band The Blackhearts. „Joan Jett hat gesagt: Wenn es etwas gibt, dass sie mehr liebt als Rock’n’Roll, dann sind es Tiere“, erklärt PETA-Vizepräsidentin Lisa Lange. „Also ist diese ausgefallene vegane Pizza die perfekte Hommage.“ Coole Aktion!

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Überraschung: Joan Jett hat eine neue EP veröffentlicht!

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