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Popkultur

Interview mit Tommy Lee: „Ich bin ein gutes Barometer für Coolness“

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Tommy Lee
Foto: Myriam Santos

Neues Soloalbum nach 15 Jahren: Auf Andro teilt Tommy Lee die Songs in eine männliche und eine weibliche Seite auf. Glam Metal darf man dennoch nicht erwarten: Der Mötley-Crüe-Drummer feuert zwischen Rap, Rock, Elektro und Metal aus allen Rohren und bedient sich zahlreicher Gäste. Im Interview plaudert er über das Vermächtnis seiner Band, seine Tierliebe und die Vorteile des Solodaseins.

von Björn Springorum

In einer Enzyklopädie könnte man über den Eintrag „Rockstar“ guten Gewissens ein Bild von Tommy Lee abdrucken. Halten kann man von ihm, seinem ausschweifenden Lebensstil und seiner Musik natürlich was man will; bestreiten kann dennoch niemand, dass dieser Typ das Epitom eines Rockstars ist. Skandale, Hedonismus und ein Drumkit, das auf einer Achterbahn durch die Halle fährt, sprechen eine deutliche Sprache: Tommy Lee will sich als wilden Mann des Rock‘n‘Roll verstanden wissen, als überlebensgroße Action-Figur, von dem Coolness abstrahlt wie von einem Gletscher.

 Kalifornien ist verflucht

Das merkt man auch, als wir ihn via Zoom in seinem Haus in Kalifornien erreichen. Lässig fläzt er in einem Sessel, zündet sich erst mal eine Zigarette an. „Zieh dir das mal rein“, sagt er dann und dreht seinen Laptop zum Fenster. Oranges Glühen erfüllt die Luft, die Waldbrände wüten noch immer. „Kalifornien ist verflucht, Mann. Crazy Zeiten, da muss man wirklich nicht high sein, oder?“ Er lacht, dreht den Bildschirm wieder zu sich, setzt sich wieder. Dann darf die Audienz beginnen.

Tommy, du bist als großer Tierfreund und Aktivist bekannt. Bist du aber eigentlich ein Katzenmensch oder ein Hundemensch?

Oh, ich liebe Hunde. Katzen mag ich auch, allerdings eher Großkatzen. Aus irgendeinem Grund scheinen mich Hauskatzen nicht zu mögen. Ich möchte sie immer streicheln, aber sie hauen sofort ab, wenn ich in ihre Nähe komme. Ich will sie ja lieben, aber irgendwie wollen sie mich nicht lieben. (lacht)

„Ich bin so ein Typ, der Ameisen beiseite setzt, damit niemand auf sie tritt.“

Warst du immer schon ein Tierfreund?

Ja, ich habe mein ganzes Leben mit Tieren verbracht. Ich wuchs Seite an Seite mit Hunden auf, außerdem hatten wir Schildkröten und einen Affen, einen kleinen Klammeraffen. Du glaubst gar nicht, wie cool es ist, wenn du jung bist und mit einem Affen durchs Haus wetzen kannst. Ich habe Tiere schon immer geliebt. Ich liebe einfach das Leben, Mann, in jedweder Form. Ich bin so ein Typ, der Ameisen beiseite setzt, damit niemand auf sie tritt.

Damals hättest du sie nur nicht zu nah an Ozzy setzen dürfen… 

(lacht schallend) Oh Mann, du sagst es.

Mit Andro kommt jetzt deine erste Soloplatte seit 15 Jahren. Warum genau jetzt?

Schicksal. Oder Zufall? Ich mache immer Musik. Sobald ich Zeit finde, setze ich mich hin und schreibe. In letzter Zeit war das etwas weniger der Fall, weil wir mit Mötley Crüe sehr aktiv waren. Nach unserem letzten Konzert an Silvester 2015 nahm ich mir das Jahr 2016 frei, sozusagen. Ich wollte einfach mal wieder einen klaren Kopf kriegen und in aller Ruhe überlegen, was ich als nächstes tue. Die Ideen ließen nicht lange auf sich warten und sehr bald fand ich mich schon wieder in meinem Studio wieder. Ich begann wie wild aufzunehmen und hatte irgendwann eine gute Tonne Material zusammen. Da merkte ich plötzlich, dass da ein ganzes Album herumlag. Also machte ich es.

„Ich war mir meiner weiblichen Seite immer sehr bewusst.“

Es ist ja nichts Neues, dass sich deine Musik sehr von Mötley Crüe unterscheidet und irgendwo zwischen Rap, Rock und Elektro angesiedelt ist. Dennoch hat sie diese Energie, diesen Drive. Kommt das von deiner Vergangenheit als Drummer bei Mötley Crüe?

Vielleicht. Für mich gibt es einfach nichts Schöneres als Musik. Ich liebe es, Songs zu schreiben und zu spielen. Ich stehe auf so viele verschiedene Genres, die kann man gar nicht alle aufzählen. Sicher, bei Mötley erwartet man eine gewisse Art von Musik, und das ist auch cool, versteh mich nicht falsch. Aber wenn ich solo Musik mache, kann ich kreativ einfach explodieren. Und dann kommt so ein wahnsinniges Album wie Andro dabei heraus. Ich hoffe, dass einige Hörer dadurch Musikstile entdecken, denen sie sonst vielleicht nie eine Chance gegeben hätten. Ich glaube, ich bin ein gutes Barometer für Coolness.

Andro ist in eine feminine und eine maskuline Seite aufgeteilt. Im Glam Metal haben sich die Boys immer schon zum Femininen bekannt. Ich nehme an, auch du bist dir deiner weiblichen Seite bewusst?

Sicher, Mann, ich war mir meiner weiblichen Seite immer sehr bewusst. Das ist eines dieser Selbsterfahrungsdinge. Wir alle tragen beide Seiten in uns, eine männliche und eine weibliche. Nicht jeder ist bereit, sich der anderen Seite zu stellen. Doch wenn man das akzeptiert und für sich nutzt, kann man wachsen und sich entwickeln. Mit Andro wollte ich genau das sagen: Stehe zu allen Seiten, denn in den Kontrasten liegt die Balance. Die weibliche Energie ist eine andere als die männliche.

„In einer Band bin ich der vierte Koch in der Küche.“

Wie unterscheidet sich der Solo-Musiker Tommy Lee vom Bandmitglied Tommy Lee?

Das ist wie Tag und Nacht. In einer Band bin ich der vierte Koch in der Küche (lacht). Funktioniert alles und kann auch großen Spaß machen, doch am Ende des Tages geht es in einer Band immer um Kompromisse. Allein gibt es nur dich, deine Kreativität und deine Entscheidungen. Aber natürlich bist du auf dich allein gestellt und musst selber wissen, ob der Kram, den du da gerade aufnimmst, auch wirklich gut ist.

Fühlst du dich manchmal auf deine Rolle des Drum-Zampanos von Mötley Crüe limitiert?

Nicht direkt, doch die Fans sehen das anders. Sie haben ein ganz bestimmtes Bild von mir, von dem ich möglichst nicht abweichen soll. Du machst also ein neues Album, in das du dein ganzes Herzblut steckst, und bekommst dann doch wieder nur zu hören, dass das ja gar nicht nach Mötley Crüe klinge. Fuck, Mann, natürlich, es ist ja auch nicht Mötley Crüe! Manche wollen dich in dieser Schublade verrotten lassen und dich nur herauslassen, wenn du das machst, was sie von dir erwarten. Das bräuchte ich jetzt nicht. Seid doch mal ein bisschen offener, Leute!

„Ich erkenne meine Vergangenheit an, würde sie aber niemals über meine Zukunft entscheiden lassen.“

Ein bisschen verständlich ist das aber vielleicht schon, immerhin hast du mit Mötley Crüe Musikgeschichte geschrieben.

Interessiert mich aber nicht so, ehrlich gesagt. Das liegt in der Vergangenheit. Sicher, wir haben verdammt coole Dinge getan und werden nächstes Jahr hoffentlich auch auf Tour gehen können, aber allzu oft denke ich nicht darüber nach. Es ist ein gutes Gefühl, dass wir mit unserer Musik so viele Menschen erreicht und begeistert haben, dafür bin ich auch dankbar. Ich erkenne meine Vergangenheit an, würde sie aber niemals über meine Zukunft entscheiden lassen. Für mich geht es immer weiter.

Wie zum Beweis kollaborierst du auf Andro mit Rapperinnen und Rappern wie King Elle Noir oder Killvein. Wie suchst du deine Feature-Gäste aus?

Weißt du, ich entscheide das eigentlich ganz spontan. Ich nehme was auf und denke mir: Hey, wäre doch irre, wenn da Rapper XY zu hören wäre. Also rufe ich sie an.

Und dann sagst du: „Hey, hier ist Tommy Lee, Bock auf eine Kollaboration“?

(lacht) Pass auf: Für die Nummer Knock Me Down hatte ich sofort den Rapper Killvein im Kopf. Ich wollte Kontakt mit ihm aufnahmen, um ihn dafür zu begeistern – und er glaubte mir erst mal nicht, dass ich wirklich Tommy Lee bin.

Vielleicht hat er ja auch erst The Dirt gesehen wie so viele andere junge Leute.

Ist schon irre, oder? Wir sind so ein Mehrgenerationending geworden. Die Old-School-Fans stehen mittlerweile etwas weiter hinten, aber vorne sind verdammt viele junge Leute nachgerückt, die laut mitgröhlen. Viele haben The Dirt gesehen und dann erst gemerkt, wie wild es früher wirklich zuging.

Es ist also alles wahr, was wir in The Dirt zu sehen bekommen?

Vielleicht nicht alles. Aber deutlich mehr als du denkst. (grinst)

Zeitsprung: Am 16.8.2005 drückt Tommy Lee von Mötley Crüe wieder die Schulbank.

 

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