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Popkultur

Zeitsprung: Am 22.12.2014 verstirbt Joe Cocker.

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Photo by Fotos International/Getty Images

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 22.12.2014.

von Bolle Selke und Christof Leim

Mit With A Little Help From My Friends gelingt ihm auf dem Woodstock-Festival 1969 der Durchbruch. Sein emotionaler Schrei bleibt weiterhin unerreicht. Am 22. Dezember 2014 stirbt Joe Cocker an Lungenkrebs. Ein Rückblick.

1967 besteht die größte Menge, vor der Joe Cocker je gespielt hat, aus 200 Menschen. Zwei Jahre später reist der Sänger mit einem Helikopter zum Woodstock-Festival und steht auf einmal vor 400.000 Leuten. Fünf Monate früher, im April 1969, veröffentlicht Cocker sein legendäres Debüt With A Little Help From My Friends, das eine ganze Generation beeinflusst und Goldstatus erhält. 

Hört euch hier die besten Joe-Cocker-Songs an:

Als Backing-Band begleiten ihn damals so hochkarätige Musiker wie der Schlagzeuger Clem Cattini, Steve Winwood an der Orgel sowie die Gitarristen Jimmy Page und Albert Lee, aber das wichtigste Instrument bleibt seine Reibeisenstimme. 

Joe Cockers Einstand. Ja, sieht wild aus.

Als erfolgreichste Lieder auf dem Album erweisen sich seine Coverversionen, was seine gesamte Karriere so bleiben wird. Auch der Titelsong stammt aus fremder Feder, nämlich von den Beatles John Lennon und Paul McCartney: With A Little Help From My Friends. Cocker singt es auch in Woodstock; diese Liveversion sollte sich zu einem der bekanntesten Lieder des Festivals entwickeln. Ein bisschen tragen auch Outfit und Auftreten des Briten dazu bei: Er wirkt wie ein Waldschrat mit buschigen Koteletten und Batik-Shirt, mancher vergleicht seine Art, Luftgitarre zu spielen, mit Spastiken. Am meisten packt einen aber dieser Falsettschrei, der unmöglich aus der Kehle kommen kann, sondern nur aus den dunklen Untiefen einer geschundenen Seele.

Ray Charles, das große Vorbild

Diesen Schrei hat sich Cocker allerdings von Ray Charles abgeguckt. 1959 entdeckt der 15-jährige Cocker What‘d I Say des blinden Soulmusikers im Radio. Für ihn wird Charles von da an zum Gott. Seine Freunde halten den jungen „Cowboy Joe“ für verrückt und hören lieber Chuck Berry oder Jerry Lee Lewis, aber Cocker verbringt Stunden damit, im stillen Kämmerlein Ray Charles’ Phrasierung in sich aufzusaugen. 

Später erzählt er im Interview von seinen emotionalen Ausbrüchen vor dem Mikro: 

„Zum ersten Mal habe ich den Schrei aufgenommen, als ich With A Little Help From My Friends einspielte. Der endgültigen Version gingen etwa 14 Versuche voraus, die Anspannung brach sich dann in diesem Schrei Bahn. Ich habe nie verstanden, wie Ray das angestellt hat – und ganz plötzlich löste sich die Spannung auch in mir. Ungeplant, total spontan! Mittlerweile ist dieser Schrei so etwas wie mein Markenzeichen geworden.“ Auch die Art wie sich Joe auf der Bühne bewegt, will er sich vom blinden Pianisten Ray Charles abgeguckt haben.

Auf Tour mit der Hippiekommune

Cockers größter musikalischer Erfolg stellt sich zugleich auch als seine größte Niederlage heraus. 1970 wendet er sich an den Musiker und Produzenten Leon Russell, weil er unter Zeitdruck eine Tour auf die Beine stellen muss. Der stellt innerhalb weniger Tage eine 21-köpfige Band mit mehreren Schlagzeugern, Gitarristen, Bläsern und Perkussionisten zusammen, darunter angesehene Musiker, wie Chris Stainton, Jim Price, Rita Coolidge, Bobby Keys und Jim Keltner. Mit dieser spontan zusammengestellten Big Band im Rücken, die als eine der besten Formationen gilt, die Cocker jemals begleiteten, läuft der Sänger zu unerwarteter Höchstform auf. 

Die Tour beginnt am 20. März 1970 in Detroit unter dem Namen Joe Cocker, Mad Dogs & Englishmen. Begleitet wird der Sänger von einer 50-köpfigen Mannschaft, bestehend aus Musikern, ihren Familien, Technikern, Roadies, Groupies und einer kompletten Filmcrew. Unterwegs gleicht die ausgelassene Gemeinschaft einer großen Hippiekommune; für Cocker bedeutete sie trotz großartiger Leistungen einen weiteren psychischen und körperlichen Abstieg, den er mit erheblichem Drogenmissbrauch fördert. Finanziell entwickelt sich die Tour ebenfalls zum Desaster, wie Cocker lakonisch berichtet: „Ich ging zwei Monate auf eine höllische Tour, und am Ende drückte mir jemand 862 Dollar in die Hand. Da war ich nicht sehr glücklich.“ Nichtsdestotrotz werden die Liveaufnahmen als Album und Film veröffentlicht und gehen wegen ihrer Qualität und Unverfälschtheit in die Geschichte der Rockmusik ein.

Absturz und Rettung 

Sicherlich kann man Cockers Drogenkonsum als Grund dafür sehen, dass sich die Gruppe nach der Tour wieder trennt. Er selbst glaubt an „eine Totalkarambolage von Egos“. Für ihn folgt jedenfalls bald der Absturz: Er ist ein Wrack, isst monatelang kaum und wirft stattdessen alle möglichen Chemikalien ein. Auch sein Alkoholkonsum nimmt zu: Das Jahr 1977 trinkt er sich komplett aus der Erinnerung, und die einst kraftvolle Stimme wird auf ein schwaches Krächzen reduziert. „Drogen gab es überall, und ich stürzte mich auf alles, was ich kriegen konnte“, erzählt er rückblickend. „Ich habe Jahre gebraucht, um aus dieser Abwärtsspirale rauszukommen“.

Die Rettung naht, als er 1979 seine spätere Ehefrau Pam Baker kennenlernt. Er schafft es von den Drogen weg, trinkt weniger, und auch wenn er nie mehr an die musikalische Größe der ersten beiden Alben oder Mad Dogs anknüpfen wird, bleibt Cocker von da an eine nicht wegzudenkende Präsenz in den Charts. Hits wie You Can Leave Your Head On, Unchain My Heart und Summer In The City bescheren ihm einen ehrenwerten 40. Platz auf der Liste der Musiker mit den meisten verkauften Platten in Deutschland

„Vielleicht hätte ich viel mehr Songs geschrieben.“

Manchmal bedauert er die Tatsache, dass er nur seine Stimme als Ausdrucksmöglichkeit hat: „Ich habe nie gelernt Gitarre oder Klavier zu spielen. Später im Leben habe ich das bereut. Vielleicht hätte ich viel mehr Songs geschrieben.“ Wenn man aber etwa Cockers Coverversion von The Letter hört, hält sich die Trauer darüber in Grenzen, denn nur wenige können Songs von Größen wie Bob Dylan oder den Beatles so souverän zu ihren eigenen machen. 

Am 22. Dezember 2014 stirbt Joe Cocker im Alter von 70 Jahren in einem Haus auf seiner 100 Hektar großen „Mad Dog Ranch“ in Crawford, Colorado an Lungenkrebs. Sein für 2015 angekündigtes Album kann der Sänger nicht mehr vollenden. Aber mit seiner einzigartigen Stimme und seinem bewegten Leben erspielt sich Cocker zweifelsohne einen Platz im Olymp des Bluesrock.

Joe Cocker 1944-2014 – Pic: Cole Walliser/Promo

Die musikalische DNA von Joe Cocker

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