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Popkultur

Zeitsprung: Am 28.10.1997 verblüffen Judas Priest mit „Jugulator“ & neuem Sänger.

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Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 28.10.1997.


von Christof Leim

Oh, was gab das ein Geheule damals! Am 28. Oktober 1997 haben Judas Priest das erste Album mit ihrem neuem Sänger Tim „Ripper“ Owens rausgebracht. Jugulator ballert ungewohnt brutal, was nicht allen Fans alter Schule gefällt.

 

Hier könnt ihr euch den Jugulator um die Ohren hauen lassen:

Aber der Reihe nach: Mitte der Neunziger hängen Judas Priest durch. Zwei Jahre nach dem weltweit verehrten Machtwerk Painkiller (1990) hatte Sangesgott Rob Halfordseinen Hut genommen; erst 1996 findet die britische Riff-Institution in Tim „Ripper“ Owens einen Nachfolger. Singen kann der US-Amerikaner wie eine Eins, er war vorher Mitglied einer Priest-Coverband. Mit ihm nehmen Judas Priest das Album Jugulator auf – und das fällt knüppelhart aus.

Harter Stoff

Anstelle der typischen und genreprägenden Classic-Metal-Songs wie auf British Steel (1980) und Defenders Of The Faith (1984) gibt es brutale Groove-Riffs und Texte über das Ende der Welt. Die Gitarren werden runtergestimmt und wildern fast schon im Thrash Metal. Hier steckt eine Menge von Pantera drin, die 1990 noch mit ihrem Quasi-Debüt Cowboys From Hell als Vorgruppe auf der Painkiller-Tour gespielt hatten und mittlerweile zu den großen Bands der Branche zählen. 

Hart & böse: Judas Priest 1997 mit neuem Sänger Ripper Owens (Mitte).

Als Jugulator am 16. Oktober 1997 in Japan einschlägt und am 28. Oktober 1997 im Rest der Welt, zeigen sich die Fans überrascht, mitunter sogar geschockt. Die notorisch konservative Headbangerschaft (manche sagen: die „Metal-CSU“) reagiert geradezu entrüstet. Denn das ist nicht das, was sie erwartet haben. Auf dem Cover prangt ein Monster aus einem Computerspiel, das Titelstück handelt von einem mechanischen Dämon, der seine Beute massakriert, andere Tracks heißen Brain Dead, Blood Stained, Dead Meat und immer (un-)fröhlich so weiter. Entsprechend klingt das Ganze auch. Als Vorabsingle und erstes Lebenszeichen der Post-Halford-Zeitrechnung erscheint Burn In Hell, als Nachfolger Bullet Train.

Sing, was ich dir sage!

Alle Stücke stammen vom Gitarrendoppel Glenn Tipton und K. K. Downing, die auch schon früher mit Halford das komplette Songwriting erledigt hatten. Der Neue hingegen darf nicht viel beitragen: „Glenn hat meine Stimme erforscht, für ihn war das wie Weihnachten“, erinnert sich Owens später. „Er hat mir klargemacht, dass ich zu singen haben, was er von mir verlangt: ‚Wenn ich Death-Metal-Growls will, dann wirst du das singen. Wenn ich eine Stimme wie von einer Frau will, dann wirst du das singen.’ Das Ganze lief großartig.“ Für Ripper geht es vor allem darum, einen guten Job abzuliefern. „Ich musste auch nicht nach Rob klingen. Das hat es mir leichter gemacht.“

Die zwiespältigen Resonanzen liegen definitiv nicht an seiner tadellosen Performance, und Tipton verteidigt die stilistische Entwicklung: „Man darf nicht vergessen, dass zwischen Painkiller und Jugulator zwei Platten fehlen!“ Der Vokalist weist seinerseits darauf hin, dass „jedes Priest-Album anders klingt. Hätte Rob die Platte eingesungen, hätte man von einer ‚natürlichen Entwicklung‘ gesprochen.“

Die beiden Singles zu „Jugulator“. Keine schlechten Songs, aber eben anders als früher…

Realistisch betrachtet steckt in der Scheibe durchaus die Priest-DNA, insbesondere in den hohen Schreien und dem an den Song Painkiller erinnernden Doublebass-Geballer. Blood Stained, Burn In Hell und das grandios-epische Cathedral Spires über (selbstverständlich) das Ende der Welt sind tolle Metal-Songs. Bullet Train wird sogar für einen Grammy nominiert. (Den gewinnen Metallica für Better Than You, ein vergessenes Stück von Reload.) Doch es lässt sich nicht überhören, dass sich etliche Stinker auf Jugulator befinden, die über reines Muskelspiel nicht hinauskommen. Zudem klingt die Scheibe auf voller Distanz wenig variabel.

Dürfen die das?

Die Band hat hier einen deutlichen und in dieser Zeit nachvollziehbaren Versuch unternommen, die Achtziger hinter sich zu lassen. Man könnte sagen (und hervorragend bei zwölf Pils in Wacken diskutieren): Jugulator ist in großen Teilen eine geile Metal-Platte, aber eben keine typische Judas-Priest-Platte. Manche Fans sehen kein Problem in solchen Abweichungen, andere betreiben Gesinnungsanalyse und „erlauben“ ihren Helden keine Experimente, egal, wie die klingen. Was albern ist. Natürlich finden letztendlich viele Jugulator einfach so beschissen oder toll. Bis heute jedenfalls gehen die Meinungen weit auseinander. Vier Jahre später erscheint dann der Nachfolger Demolition, bei dem das alles dann nicht mehr so richtig klappt und auch die Songs zu oft enttäuschen. 2003 kommt Halford zurück, und alles wird wieder gut. 

Heutzutage übrigens (Stand Oktober 2019) scheinen Judas Priest diesen Teil ihrer Geschichte konsequent zu ignorieren: Jugulator und Demolition sowie die zwei Livealben mit Ripper Owens sind offiziell nicht mehr erhältlich und finden sich auf keinen digitalen Plattformen wie iTunes, Spotify usw. Und das ist mal echt Quatsch.

Zeitsprung: Am 4.1.1984 veröffentlichen Judas Priest ihr „Defenders Of The Faith“.

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