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Popkultur

Kaiser Chiefs im Interview: „Warum kann ich nicht euer Boot haben, Coldplay?“

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Foto: Mariano Regidor/Redferns/Getty Images

Im Interview mit uDiscover sprechen Kaiser Chiefs über ihr aktuelles Album Duck, die Schattenseiten des Bandlebens und erklären, worum sie Coldplay beneiden… oder auch nicht.

von Markus Brandstetter

Denkt man an die 2000er-Jahre, kommen einem zuallererst eine ganze Riege von Rockbands wie The Strokes, The Libertines, Franz Ferdinand oder eben Kaiser Chiefs in den Sinn. Wie auch ihre Kollegen gibt es die Briten um Sänger Ricky Wilson immer noch – 2019 veröffentlichte die Band ihr aktuelles Album Duck, mit dem sie vor kurzem auf Deutschland-Besuch waren. Wir trafen Sänger Ricky Wilson, Bassist Simon Rix und Keyboarder Nick „Peanut“ Baines kurz vor ihrem Konzert in Berlin.

Euer letztes Album ist ja seit etwa sieben Monaten draußen. Wie blickt ihr heute auf das Album mit etwas Distanz?

Simon Rix: Ich lerne immer noch, damit zu leben. Wir haben es veröffentlicht, sind ein bisschen auf Tour gegangen – aber erst seit Januar 2020 ist das wirklich die Duck-Tour. Wir spielen viele Songs von dem Album, schauen uns an, wie das Publikum darauf reagiert. Es ist ganz anders, diese Songs live zu spielen als im Studio.

Ricky Wilson: Nichts gegen Plattenfirmen, aber mal ehrlich: Sie haben das Gefühl, dass ihre Arbeit getan ist, sobald das Album draußen ist. Wenn du in der Band  bist, ist es das aber längst nicht. Du spielst ja nicht nur Shows, sondern promotest das Album ja andauernd. Ich genieße das jetzt gerade sehr. Wir haben das Gefühl, wir können Leute live dazu bringen, wirklich in diese Platte reinzufinden – anstatt einfach nur die Songs zu spielen, die sie ohnehin mögen. Wir lieben es, diese Songs zu spielen. Nichts gegen die alten Songs, aber die neuen wollen wir wirklich so gut präsentieren wie möglich. Das ist ja auch ein Grund, immer weiterzumachen.

Habt ihr in diesen sieben Monaten etwas neues über die Songs gelernt, das ihr beim Schreiben und Aufnehmen noch nicht wusstet?

Ricky Wilson: Komischerweise schauen wir bei dieser Platte nicht zurück und wünschen uns, dass wir etwas anders gemacht hätten. Ich denke, bei vorigen Platten – vor allem der sechsten (Stay Together) – haben wir es bereut, diese Stücke nicht live gespielt zu haben, bevor wir sie aufgenommen haben.

Nick Baines: Fans, die uns schon oft live gesehen haben, erzählen uns, wie toll die Songs in unser Set passen. Oft ist es bei neuen Songs so, dass sie irgendwie den Schwung des Sets ins Stocken bringen – aber bei der neuen Platte scheint das nicht zu passieren. Sie waren schon im Studio nahe dran an dem, was wir live wollen.

Ricky, du meintest gerade, das wäre auf vorigen Alben nicht der Fall gewesen.

Ricky Wilson: Bei der ersten Platte schreibst du Songs, spielst sie ewig lang live – und irgendwann lässt sie dich jemand aufnehmen. Das ist das optimale Szenario. Aber ab dem zweiten Album hört die Songs dann niemand mehr, bevor du sie aufgenommen hast. Diese Live-Energie im Studio zu kreieren ist schwer – aber nach so vielen Jahren haben wir realisiert, dass der beste Gedanke jener ist, dass die Songs auch irgendwann mal von allen fünf Mitgliedern auf der Bühne gespielt werden müssen. Wir haben es noch nicht ganz herausgefunden, wie es hundertprozentig geht – aber irgendwann werden wir das tun.

Nick Baines: In den frühen Tagen der Band haben wir Songs geschrieben, weil ein Konzert bevorstand. Dann spielt man den Song und denkt sich, ach, das ändern wir oder den Teil nehmen wir raus. So machen wir das nicht mehr.

Ricky Wilson: Wenn wir heute Songs von Education, Education, Education & War spielen, bemerken wir, wie verrückt diese Arrangements für eine Liveumsetzung sind. Warum wollen wir dahin zurück? Wenn du vor Leuten spielst, weißt du, wann der Chorus einsetzen soll. In einem Raum ohne Fenster weißt du das halt manchmal nicht.

Also muss man das Live-Szenario immer vor Augen haben?

Nick Baines: Ich denke, wir haben das immer. Auch bei ruhigeren Songs: Man will immer den großen Chorus. Auch wenn das vielleicht nicht immer das Beste ist: Wir wollen die großen Songs, wir wollen den Chorus so richtig fühlen. So ist das bei den meisten unserer Songs so – und wir wissen ja auch, dass das die Fans mögen.

Die Platte hat ja durchaus etwas optimistisches.

Rick Wilson: Musikalisch machen wir definitiv aufbauende Sachen. Manchmal aber mit weitaus weniger aufbauenden Lyrics, das ist immer unser Motiv gewesen und es funktioniert.

Nick Baines: Wir schreiben fröhliche Melodien, aber es stecken viele traurige Dinge drinnen. Es ist komisch: Da singen die Menschen mit voller Inbrunst diese Songs, die eigentlich schwere Themen haben. Die Melodien sind happy, die Töne – aber inhaltlich ist es das komplette Gegenteil. Das ist ein interessantes Experiment.

Rick Wilson: Ist die neue Platte fröhlich? Ich denke eigentlich nicht. In Großbritannien sind alle gespalten, die Leute werden wütender, Leute fühlen sich an den Rand gedrängt. Es kommt von einem sehr traurigen Ort, aber am Ende gibt es Hoffnung.

Fröhlich vielleicht nicht, aber nicht einmal zaghaft optimistisch?

Simon Rix: Zaghaft optimistisch, das trifft es auf alle Fälle. Das muss man auch sein!

Ricky Wilson: Wenn du eine Platte machst, musst du Hoffnung haben. In vielerlei Hinsicht. Auch die Hoffnung, dass die Platte gut wird und, dass du eine weitere Platte machen kannst. Du musst das auch wirklich fühlen, und wir waren auch hoffnungsvoll.

Wie war denn euer Gemütszustand, als ihr die Platte gemacht habt?

Ricky Wilson: Es war ein Up and Down, aber so ist das Leben nunmal. Das Leben ist kompliziert. Das Leben ist nicht die Instagram-Version der Dinge. Die Leute glauben, als Rockstar bist du die ganze Zeit im Privatjet oder lässt dir das Make-up machen. Aber das stimmt nicht! Manchmal isst du auch in Nobelrestaurants.

Simon Rix: Es machte manchmal viel Spaß, aber es war auch hart. Es war vielleicht die härteste Platte, die wir je gemacht haben. Wir brauchten einige Zeit, um herauszufinden, in welche Richtung wir wollen. Das machte es aber am Ende umso besser. Wir wussten, dass wir es diesmal richtig machen wollten. Es sollte etwas werden, das traditionelle Fans mögen würden aber auch neue Fans gewinnen kann. Es war eine Selbstentdeckung.

Das klingt konträr zu dem, was Ricky vor dem Release gesagt hat und zwar,  dass ihr euren Spaß an der Sache wiederentdeckt habt.

Ricky Wilson: Es war ein Gefühl, dass viel gutes passiert. Wir hatten einen neuen Plattenvertrag, mehr Leute kümmerten sich um uns, es fühlte sich wie ein Neustart an. Dann vergisst man aber, dass ein Neustart auch hart ist. Mit sieben Platten auf dem Buckel möchte man sich nicht einzig und allein auf die Geschichte der Band verlassen. Man möchte etwas neues kreieren und sich nicht auf die Hits verlassen. Die besten Songs müssen immer die neuen sein.

Simon Rix: Es gab einige tolle Zeiten, aber auch einige, die weniger lustig waren.

Ricky Wilson: So ist das Leben halt.

Nick Baines: Wenn du in einer Band bist, musst du immer weiter machen. Krankheiten, Familienangelegenheiten passieren und du musst trotzdem weitermachen. Es findet sich immer ein Weg, denn die Band ist größer als unsere Einzelcharaktere.

Ricky Wilson: Es ist wie in einem Boot. Manchmal ist das Wasser still, manchmal triffst du auf Steine, manchmal gibt’s ordentlich Wind. Man muss einfach wissen, dass es nicht immer der perfekte Tag zum Segeln ist – aber wenn es mal so einen perfekten Tag gibt, ist der berauschend und macht das alles wert.

Nick Baines: Um bei der Analogie zu bleiben: Man denkt sich eben, gut dann ist heute eben kein guter Tag zum Segeln, aber gestern war ein guter Tag zum Segeln und vielleicht ist morgen wieder einer. Man blickt zurück und denkt: Ach, es geht schon okay.

Ricky Wilson: Und manchmal denkt man sich bei einem Boot, dass es einfach ganz schön teuer war und man sich es lieber nur mieten hätte sollen. Und irgendwer hat auch immer ein größeres Boot… und man denkt sich: Warum kann ich nicht euer Boot haben, Coldplay? Aber wenn du ein größeres Boot hast, hast du halt auch mehr Scheiße an der Backe.

Simon Rix: Mo’ boat, mo’ problems!

Das Boot läuft also.

Nick Baines: Ja, wir sind ja immer noch im Wasser. Um die Schiffahrtsmetapher nochmal zu strapazieren.

Ricky Wilson: Es ist doch oft so: Da sind zwei Leute, die mit dem Boot den Atlantik überqueren. Man sieht sie nur am Beginn und am Ende ihrer Reise – und jeder denkt sich: Oh Mann, das sieht fantastisch aus. Man sieht nur den Champagner – aber man sieht dich nicht in der Mitte der Reise. Aber auch wenn man mal keine Lust hat, ist es immer wert, es zu machen.

Simon Rix: Heute ist so ein Tag, wir sind echt alle völlig müde.

Nick Baines: Ja, die letzten Tage schon. Aber dann geht man auf die Bühne und dann passt’s wieder.

Simon Rix: So, und wo willst du hier noch eine Bootsmetapher unterkriegen?

Ricky Wilson: Ich glaube, wir sind als Band an einem Status angelangt, der zu uns als Menschen ganz gut passt. Wenn wir eine riesig große Band wären, würden wir es vielleicht gar nicht packen. Und wenn wir kleiner wären, hätten wir vielleicht gar nicht weitergemacht. Wir sind in einer sehr guten Position, um weiterzumachen. In einer Band zu sein hat immer damit zu tun, Hoffnungen zu hoch anzusetzen. Deine Hoffnungen sind immer größer als die Realität. Aber das ist eine viel bessere Art zu leben, als immer vom schlimmsten auszugehen, um nicht enttäuscht zu werden. Ich erwarte lieber das Beste und werde dann enttäuscht. Es bedeutet, dass du irgendwas vorantreibst. Letztens fiel mir im Bus eine Phrase ein: „With an abundance of dreams you can have some nightmares”. So wollen wir leben. Manche Leute träumen nie und haben deshalb keine Alpträume.

Simon Rix: Das klingt nach einem Coldplay-Song.

Ricky Wilson: Ja, da sind wir wieder bei Coldplay. Die ich ja echt gerne wäre. Ich würde gerne mal wissen, wie es sich anfühlt, überallhin mit dem Privatjet zu fliegen. Obwohl: Das geht nicht mehr.

Simon Rix: Aber mit Solarenergie ginge das.

Ricky Wilson: Ja, das würden wir testen! Wenn uns Elon seinen Solar-Jet borgt, machen wir das.

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