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Popkultur

„Let It Bleed“: Die Geschichte des ungewöhnlichen Album-Covers der Rolling Stones

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Als Let It Bleed von den Rolling Stones 1969 erscheint, steckt es voller politischer Botschaften. Das Cover mit Kitsch-Torte, Plattenspieler und Fahrradreifen passt auf den ersten Blick nicht wirklich ins Bild, prägt jedoch gerade durch diesen Widerspruch die Wahrnehmung der wegweisenden Platte. Popkultur liegt dem Künstler: Robert Brownjohn zeigt sich sonst für James Bond-Intros verantwortlich.

von Victoria Schaffrath

Hört hier nebenbei in Let It Bleed von den Rolling Stones rein:

Eine schwere Geburt

Als Keith Richards seinen engen Freund Robert „BJ“ Brownjohn 1969 ins Boot holt, um das Albumcover für Platte Nummer acht (zehn in den USA) zu entwerfen, lautet der Arbeitstitel noch Automatic Changer. Doch der Entstehungsprozess des Langspielers verläuft alles andere als automatisch. Während der Aufnahmen entscheiden sich die rollenden Steine, das Arbeitsverhältnis mit Gründungsmitglied und Tunichtgut Brian Jones zu beenden. Jones findet man nur einen Monat später unter umstrittenen Umständen tot in seinem Pool auf und der berüchtigte „Club 27“ zählt somit sein erstes Mitglied.

Verlässlichkeit bringt da Mick Taylor, der von John Mayall & The Bluesbreakers zu den Stones überläuft und die Gitarre neu besetzt, sowie Produzent Jimmy Miller, der bereits zum zweiten Mal für die Band an den Reglern sitzt und bei You Can’t Always Get What You Want kurzzeitig auch die Trommeln übernimmt. Ruhe kehrt dennoch nicht ein: Während der Aufnahmen in Los Angeles begeht die berüchtigte „Familie“ von Charles Manson ihre Morde mehr oder weniger ums Eck des Studios. Auch die Proteste um den Vietnamkrieg laden die Stimmung in Amerika immer weiter auf. Faktoren, die die Rolling Stones zu so wichtigen Stücken wie Gimmie Shelter (diese Schreibweise verwendet die Rückseite des Langspielers) und Midnight Rambler inspirieren.


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Bauhaus und Bond

Bei so viel Trubel braucht es eben Elemente, auf die man sich verlassen kann. Was liegt also näher, als einen guten Freund mit der Erstellung des Albumcovers zu betrauen? So geschehen im Falle Stones/Brownjohn. Letzterer gehört nicht nur zu Keith Richards engem Kreis, sondern auch zu den angesehenen Grafikdesignern seiner Zeit. In Chicago lernt er gar bei Bauhaus-Legende László Moholy-Nagy und wendet den bekannten Stil erfolgreich auf moderne Medien an.

Als „BJ“ Ende der Fünfziger als gefeierter Designer von New York nach London übersetzt, fasst er schnell Fuß in Künstlerkreisen (eine Vorliebe für Heroin macht im London der „Swinging Sixties“ schwer was her). Im Laufe der folgenden Dekade sichert er sich unter anderem Jobs beim Film, nennenswert sind da vor allem die Intros zu den Bond-Filmen Liebesgrüße aus Moskau und Goldfinger. Referenzen bringt der Grafiker also reihenweise mit und das Artwork zu Automatic Changer ist beschlossene Sache.

Automatic Changer

Den Wechselmechanismus antiker Plattenspieler im Hinterkopf macht sich Brownjohn ans Werk. Über die Stones-Scheibe und einen angedeuteten Phonographen stapelt er einen Teller, eine Filmdose, ein Ziffernblatt, eine Pizza, einen Fahrradreifen und die markante Torte. Diese stellt Delia Smith zur Verfügung, damals in Gastronomiekreisen noch eine Unbekannte, heute beliebte britische Fernsehköchin. Ihr Auftrag: Sie soll die absurdeste und kitschigste Torte anfertigen, die sie sich vorstellen kann. Darauf thronen schließlich Plastikfiguren der Stones-Mitglieder.

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Dreht man die Platte jedoch um, befindet sich der ordentliche Stapel in beinahe anarchischem Chaos: die Vinylscheibe zersprungen, aber mit einem Stück der Pizza geschmückt, die Figuren bis auf Richards kopfüber in Buttercreme getunkt. Nicht einmal die aufgelisteten Songs haben die richtige Reihenfolge. Der Wandel spiegelt den inhaltlichen Tumult der Platte wider, der gerade im Wechsel von Optimismus und Desillusionierung bei You Can’t Always Get What You Want deutlich wird. Die Bildsprache passt also; da macht es auch keinen Unterschied mehr, dass die Gruppe den Langspieler kurz vor Veröffentlichung in Let It Bleed umtauft.

Verkehrte Welt: die Rückseite des Langspielers.

Nach der Torte

Das Album soll ein kommerzieller und kritischer Erfolg werden und gehört zu den besten Arbeiten der Stones, doch auch das Cover tut sich besonders hervor. Die britische Royal Mail druckt 2010 eine ganze Reihe Briefmarken, die den Stapel abbilden, das Museum of Modern Art nimmt es 2013 neben Brownjohns Goldfinger-Sequenz in eine Ausstellung auf.

Brownjohn selbst bekommt von dem Erfolg nicht mehr viel mit, da ihn sein Drogenkonsum ab Anfang 1970 voll vereinnahmt. Die Situation verschlimmert sich so sehr, dass er im August 1970 an einem Herzinfarkt stirbt. Mit dem Artwork zu Let It Bleed setzt er sich knapp ein Jahr vor seinem Tod ein würdiges Denkmal. Am 1.11. erscheint zum 50. Geburtstag der Platte eine Jubiläums-Edition, die neben Mono- und Stereo-Versionen der Vinylscheibe auch Lithografien des Covers und unveröffentlichte Fotos enthält.

Regelmäßig nehmen wir ikonische Artworks genauer unter die Lupe. Lest hier noch mehr Cover Storys.

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